Das Land wird zubetoniert. Doch es gibt eine Lösung. Wie uns der Holzbau retten kann und was wir dafür tun müssen.
Unwiederbringlich verschwindet das Stahlgitter unter weichem Beton. Wie Teig wird es von der zähen Masse umschlossen. Sie fließt aus der Auslaufschurre eines Mischlastwagens und Arbeiter in gelben Gummistiefeln verteilen sie mit Rechen. Sie gießen das Fundament eines siebenstöckigen Miethauses im 3. Bezirk in Wien. In zwei Jahren sollen 200 Menschen hier leben. Nach ihrem Einzug wird die Atmosphäre um 4.729 Tonnen Treibhausgas reicher sein. Verursacht durch die Erzeugung des Hauptbaustoffes des Hauses – Stahlbeton.
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Beton und Stahl sind Gift für das Klima. Ihre Herstellung ist CO2-intensiv. Die Stahl- und Zementindustrien verursachen gemeinsam 16 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen – das Sechsfache der Luftfahrt. Während die Welt über billige Flugtickets und rülpsende Rinder streitet, verschmutzen Stahl und Beton klamm und heimlich die Luft – im ganz großen Stil.
Die Branche boomt. Jeden Monat verbaut sie weltweit einmal die Stadt New York. Staudämme, Wolkenkratzer, Straßentunnel, U-Bahnschächte, Flughäfen sind aus Stahlbeton gemacht. Im Wohnbau kommt er exzessiv zum Einsatz. Er ist günstig und flexibel. Stahlbeton hält die Welt zusammen – und macht sie kaputt. Doch es gibt Hoffnung: Sie wächst im Wald.
Ein Baum setzt kein CO2 frei. Ganz im Gegenteil. Er bindet CO2. Wächst Holz, entzieht es der Atmosphäre Treibhausgas. Die Luft wird sauberer. In einem Haus aus Holz ist CO2 gespeichert. Werden für einen Holzbau Bäume gefällt, müssen im Wald neue gesetzt werden, die wiederum CO2 absorbieren. Ein Kohlendioxidspeicher im Wald, ein Kohlendioxidspeicher in der Stadt.
Das Potenzial von Holz
Wie gut das funktioniert, zeigt der direkte Vergleich. Das Wiener Architekturbüro einszuseins architektur hat im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts Klimademo Vis-à-Vis die Emissionen berechnet, die bei der Herstellung einzelner Bauteile anfallen.
Das Ergebnis ist erstaunlich: Wäre das Miethaus vom Beginn der Geschichte komplett aus Holz, wäre es sogar gut für das Klima. 2.656 Tonnen Treibhausgase würde es speichern. Da sind die neu gepflanzten Bäume im Wald nicht mitgerechnet.
In der Realität gibt es diese Häuser noch nicht. Im mehrgeschossigen Wohnbau entsprechen sie nicht den Bestimmungen des Brandschutzes. Doch schon der Mittelweg wäre erheblich ökologischer – Keller und Erdgeschoss aus Stahlbeton, ab dem ersten Stock Holzwände und Decken aus einem Verbund aus Holz und Stahlbeton. In dieser Variante würden die Baustoffe insgesamt 2.088 Tonnen Treibhausgase verursachen, mehr als die Hälfte weniger als in konventioneller Bauweise. 336-mal könnte ein:e Bewohner:in mit einem Diesel-Auto die Welt umrunden, um wieder auszustoßen, was das Haus einspart.
Die Utopie
Das Potenzial ist enorm. Allein in Wien werden heuer rund 20.000 Wohnungen fertiggestellt. Wären sie alle aus Holz, wäre die Stadt der Klimaneutralität ein großes Stück näher. Genaue Berechnungen gibt es keine. Selbst Schätzungen sind schwierig.
Eine Studie der US-Universität Yale sorgte 2014 für Aufsehen. Würde man den für Neubauten eingesetzten Stahl und Beton durch Holz ersetzen, könnten die globalen CO2-Emissionen weltweit um 31 Prozent gesenkt werden.
Alle 40 Sekunden wächst ein Einfamilienhaus aus Holz nach.proHolz
Eine verlockende Vorstellung. Eine Stadt aus Holz. Es duftet nach Harz. Kinder zählen die Äste in der Fichtendecke über ihrem Bett. Auf den Baustellen surren Akkubohrer. Zimmerleute verschrauben die Lärchenfassade eines Gemeindebaus. Am Boden liegen Sägespäne. Kann die Utopie Wirklichkeit werden? Hätten wir dafür genügend Holz?
Ein erster Blick stimmt positiv. Auf beinahe der Hälfte Österreichs steht Wald. Die vier Millionen Hektar große Fläche ist so groß wie Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg zusammen. Und sie wächst weiter – aktuell um die Fläche des Bezirks Wien-Leopoldstadt pro Jahr, wie Daten des Ministeriums für Forstwirtschaft zeigen. Das liegt am österreichischen Forstgesetz.
Genügend Holz in den Wäldern
Es beruht auf dem einfachen Grundsatz, nicht mehr Bäume zu fällen als nachwachsen. In den vergangenen 50 Jahren hat sich der heimische Wald um 312.000 Hektar vergrößert – einer Fläche größer als Vorarlberg. Jahr für Jahr wachsen 30 Millionen Kubikmeter Holz nach. Ein Kubikmeter pro Sekunde. Täglich könnten wir daraus 2.000 Einfamilienhäuser bauen, heißt es von proHolz Austria, dem Sprachrohr der österreichischen Holzwirtschaft.
Klingt gut, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn aus Holz werden nicht nur Häuser gebaut. Unser Klo- und Zeitungspapier besteht genauso aus Holz wie Verpackungen, Regale, Tische, Sesseln. Zu Weihnachten singen wir Lieder unterm Christbaum. Laubholz – immerhin 28 Prozent aller heimischen Bäume – wird vorwiegend verbrannt. Als Scheite, Pellets, Briketts, Hackschnitzel wärmt es tausende Wohnzimmer.
„Holzgebäude werden aus Nadelholz gebaut“, sagt Alfred Teischinger, Professor am Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Vor allem aus der Fichte. – zumindest partiell, denn große Teile des Baumes sind dafür unbrauchbar. Äste, die Borke und der Holzkern fließen in die Papierindustrie, sie werden zu Spanplatten, Furniere, Zellstoff verarbeitet oder verheizt. „Etwa ein Drittel einer Fichte ist für den Holzbau relevant“, sagt Teischinger. Es wird in Sägewerken zu Brettern, Balken und Latten verschnitten.
Eine Verdoppelung wäre möglich
Laut Fachverband der Holzindustrie gibt es in Österreich rund 1.000 Sägewerke. 40 Prozent der Bäume, die dort geschnitten werden, wird importiert – aus Deutschland, Tschechien, Italien, Slowenien. Doch mehr als die Hälfe der Holzprodukte, die sie produzieren, wird wieder exportiert und in anderen Ländern verbaut. „Den Export könnten wir einschränken, für das Klima ist es aber egal, wo CO2 eingespart wird“, sagt Teischinger.
Unterm Strich sieht er auch bei steigendem Bedarf keine drohende Holz-Knappheit: „Wir könnten den Anteil von Holzbauten verdoppeln und hätten immer noch genügend Holz“, sagt er.
Wie viele Bauten aus Holz gibt es?
Der Begriff Holzbau ist weit gefasst. In den meisten Studien dürfen sich Gebäude Holzhäuser nennen, wenn mehr als 50 Prozent ihrer tragenden Konstruktion aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehen. Folgt man der Definition, ist jeder fünfte heimische Bau ein Holzhaus. Das Problem – die allermeisten sind Einfamilienhäuser oder lediglich Zubauten bestehender Häuser – etwa Dachausbauten. In nur zwei Prozent aller Holz-Wohnbauten gibt es mehrere Wohnungen.
Österreich könnte ein Vorzeigeland für Holzbau sein.Bernd Höfferl, proHolz
In Wien muss man sie suchen. In der ganzen Stadt wachsen Betonblöcke aus der Erde. An jeder Ecke steht ein Baukran. „Holz wird meist nur bei Dachausbauten verwendet“, sagt Bernd Höfferl, Holzbaufachberater bei proHolz. „Aber Dachstühle waren schon immer aus Holz.“ Bis auf die wenigen Prestigeprojekte – etwa das Holzhochhaus in der Seestadt Aspern – passiert wenig. „Sehen Sie sich um. Wo sollen die vielen Holzbauten sein?“
Der Boden wäre fruchtbar. „Österreich könnte ein Vorzeigeland für Holzbau sein“, sagt Höfferl. „Wir haben die Ressourcen, die Firmen, das Wissen. Aber wir bringen die PS nicht auf die Straße.“ Warum das so ist, erklärt Höfferl mit Strukturen, die den Holzbau behindern. Auf den Baustellen liegen dem Holz viele Stolpersteine im Weg.
Stolperstein Brandschutz
Einer davon sind die heimischen Flächenwidmungspläne. „Auf den meisten Bauplätzen in den Stadterweiterungsgebieten darf hoch gebaut werden, was die Bauträger natürlich auch ausnutzen.“ Um hohe Häuser aus Holz zu bauen, braucht es einen starken Willen und Durchhaltevermögen. Die Statik ist nicht das Problem. Die Brandschutzanforderungen sind es schon. „Bis zum sechsten Stock gibt die Verwaltung dem Holzbau genaue Bestimmungen vor, an die sich die Planer halten können. Ab dem siebten Stock müssen die Bauträger mit den Sachverständigen der Baupolizei individuelle Lösungen finden“, sagt Höfferl.
Langwierige Verhandlungen folgen. Kompromisse werden gesucht. Die Kosten teurer Kompensationsmaßnahmen werden mit Mietpreisen abgewogen. Der Bau verzögert sich oft um Monate. Im Village im Dritten – einem Wiener Stadtentwicklungsgebiet – gewannen die Pläne für drei Holzhäuser die Bauträgerwettbewerbe. Zwei Bauträger schmissen das Handtuch.
Mehr blaue Pisten
Die Forderungen der Kompetenzstelle Brandschutz seien nicht finanzierbar gewesen. „Die Bauordnung steht Holzbauten nicht entgegen. Zur Erfüllung der Brandschutzanforderungen ist die Verarbeitung von Holz allerdings etwas aufwändiger als Stahlbeton, was wohl dazu führt, dass es nicht häufiger verwendet wird“, heißt es dazu aus dem Büro der Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál auf Anfrage der WZ.
„Wir brauchen blaue Pisten“, sagt Höfferl. Das sind jene für Anfänger. Es ist wie beim Wintersport. Österreich ist eine Skination. Will jemand Snowboarden lernen, muss er auf der blauen Piste beginnen. Die gibt es für den Holzbau nicht. „Wir müssen Strukturen schaffen, um im städtischen Gebiet schnell ein paar siebengeschossige Wohnbauten aus Holz errichten zu können. Aus diesen Bauten könnten wir lernen.“
Die Macht der Gewohnheit
Es sind Lehren, die man im Stahlbeton-Bau längst zog. Im Stahlbeton liegt die ganze Erfahrung. Jeder Baumeister weiß, wie man Wände gießt. Es ist immer gleich. Es ist die Macht der Gewohnheit, die das Land zubetoniert. Aus gewohnten Mustern zu fallen, ist schwer. Es braucht Mut, sich Neuem zu stellen. Moderner Holzbau ist eine neue Disziplin, quasi der Snowboarder unter den Skifahrern. Der Architekt muss anders planen, die Statikerin anders rechnen, die Unternehmen müssen anders planen. Die Spezialist:innen sind rar, sie zu finden ist anstrengend.
„Es müssen die richtigen Leute zusammenkommen, um in Österreich einen Wohnbau aus Holz zu realisieren“, sagt Christian Kaufmann. Sein Unternehmen Kaufmann Bausysteme setzt seit 2008 auf eine neue Art des Holzbaus. An einem Waldrand in der steirischen Gemeinde Kalwang liegt die Produktionshalle. Hier fertigt Kaufmann Holzmodule. Wie Schiffscontainer stehen sie aufgefädelt da. Jedes Modul ist ein Zimmer, komplett vorgefertigt, mit Boden, Wandfliesen, Möbel, Kabelleitungen, Wasserrohren. Auf der Baustelle werden sie zu einem Haus zusammengesetzt.
Kaufmann baut Schulen, Hotels, Wohnbauten, Flüchtlingsunterkünfte, Verwaltungsgebäude, Studierendenheime. Große Gebäude, mit vielen gleichen Zimmern. „Anstatt immer nur Prototypen zu bauen, wie es in der Baubranche üblich ist, bauen wir in Serie“, sagt er. Das schlägt sich im Preis nieder. Die Häuser sind so günstig wie herkömmlicher Massivbau. Perfekt für den sozialen Wohnbau.
Kein Bekenntnis zum Holzbau
In Wien gibt es keinen Gemeindebau aus Holz. Lediglich in der Gregorygasse im 23. Bezirk wird nun das Dach eines Wohnbaus mit Holz „nachverdichtet“. Auch im geförderten Wohnbau spielt Holz eine marginale Rolle. „Holzbau wird teurer, je höher gebaut wird. Der Spielraum günstige Mieten zu ermöglichen, wird deutlich eingeschränkt, da bei der Refinanzierung eines Bauvorhabens die Mietzinsobergrenzen einzuhalten sind“, heißt es aus dem Büro von Gaál.
Die österreichische Verwaltung hat kein Interesse in Holz zu bauen.Christian Kaufmann, Kaufmann Bausysteme
Der Holzpreis ist das meistgehörte Argument gegen den Holzbau. Für Kaufmann ist das eine Ausrede. „Der Holzpreis hat sich weitgehend normalisiert“, sagt er. Holzbauten sind deshalb oft teurer, weil hochwertige Komponenten verwenden werden. Selten werden Plastikfenster oder Linoleumböden verbaut. Der Vergleich mit einem günstigen Massivbau hinkt. Auch Kaufmanns Modullösung wird in Österreich kaum nachgefragt. „95 Prozent unseres Umsatzes machen wir in Deutschland“, sagt er. „Die österreichische Verwaltung hat kein Interesse in Holz zu bauen. Es fehlt an einem Bekenntnis zum Holzbau.“
Nur ein Mentalitätswechsel kann die Holz-Revolution auf die Baustelle bringen. Schulen, Magistrate, Gemeindewohnungen können aus regionalem Holz gebaut werden. Sie können den Stein ins Rollen bringen, das Umdenken einer ganzen Branche bewirken. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er muss sich langsam an das Neue gewöhnen. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Die Lösungen liegen parat.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteur Matthias Winterer ist Mitglied eines Wohnprojektes in Wien. Rund 80 Menschen organisieren gemeinsam den Bau eines Miethauses. Es wird zu großen Teilen aus Holz sein. Winterer merkte, wie mühsam und langwierig es ist, einen Wohnbau aus Holz in der Stadt zu realisieren – während Betonbauten wie Pilze aus dem Boden schießen.
Warum eigentlich? Könnte der Holzbau kein Verbündeter im Kampf gegen die Klimakrise sein? Und was wäre, wenn wir alles aus Holz bauen? Der Text gibt die Antworten.
Gesprächspartner:innen
Daten und Fakten
Wald und Holz
Aktuell wachsen in Österreichs Wäldern pro Jahr 29,2 Millionen Kubikmeter Holz nach – jede Sekunde ein Kubikmeter, alle 40 Sekunden ein durchschnittliches Einfamilienhaus aus Holz.
26 Millionen Kubikmeter des jährlichen Holz-Zuwachses werden genutzt. Das entspricht einer Nutzungsquote von 89 Prozent.
Der Rest bleibt im Wald. Und der wird von Jahr zu Jahr größer.
Das hat rechtliche Gründe. Das österreichische Forstgesetz beruht auf dem Grundsatz, nicht mehr Bäume zu fällen als nachwachsen.
In den vergangenen 50 Jahren hat die Waldfläche daher um 312.000 Hektar zugenommen. Das ist mehr als die Fläche von Vorarlberg.
Österreich verfügt über eine Waldfläche von rund vier Million Hektar, das sind 47,9 Prozent der Staatsfläche.
In Österreichs Wäldern stehen 3,4 Milliarden Bäume.
Insgesamt sind im Wald 3.600 Millionen Tonnen CO2 gebunden – das ist das 45-fache des jährlichen Ausstoßes (80 Millionen Tonnen).
Quelle: Bundesforschungszentrum für Wald
Beton und Stahl
Um Beton zu gewinnen, ist Zement nötig. Die Herstellung von Zement ist energieaufwändig. Er wird bei 1.450 Grad gebrannt. Dabei wird aus Kalk Calciumoxid und aus Sauerstoff Kohlendioxid (CO2). Das treibt die Temperaturen nach oben. Die Zementindustrie verursacht acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen – mehr als das Land Indien, dreimal mehr als der globale Flugverkehr.
Stahl ist nicht weniger schädlich. Er wird in mit Kohle befeuerten Hochöfen erzeugt. Dabei entsteht CO2. Viel CO2. Die Produktion einer Tonne Stahl setzt rund 1,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei. Dieser Prozess ist für acht Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.