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Barbi Marković: Wienerin ohne Wahlrecht

5 Min
Wie fühlt es sich an, von der Politik mitunter als österreichische Künstlerin gefeiert zu werden, obwohl sie hier in diesem Land gar nicht wählen darf? Barbi Markovic im Interview.
© Illustration: WZ, Fotocredit: Marija Šabanović

Barbi Marković gilt als wichtige Stimme der österreichischen Literatur. Hier wählen darf sie aber nicht. Wie fühlt es sich an, nirgends dazuzugehören?


Als Barbi Marković im März 2024 den renommierten Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Minihorror“ gewann, gratulierte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer und feierte die Autorin als Größe der österreichischen Literatur. Wählen darf die 44-jährige Serbin aber nicht in Österreich – obwohl sie seit 20 Jahren hier lebt. 2005 für ihr Germanistikstudium von Belgrad nach Wien gezogen, erlangte sie 2009 mit ihrem Debütroman „Ausgehen“ Bekanntheit. Ihre Romane „Superheldinnen“ (2016), „Die verschissene Zeit“ und „Minihorror“ (2023) landeten auf der ORF-Bestsellerliste und brachten Marković unter anderem den Staatspreis der Republik Österreich „Outstanding Artist Award für Literatur“ (2023). Marković ist eine von 1,5 Millionen Menschen, die schon länger in Österreich leben, hier aber nicht wählen dürfen. Das sind 20 Prozent der Bevölkerung. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen möchte, muss mindestens sechs Jahre im Land gelebt haben. Je nach Status, ist der Antrag auch erst nach 30 Jahren möglich. Im Jahr 2023 wurden 20.000 Menschen eingebürgert. Bis zur Einbürgerung ist es häufig ein Leben zwischen zwei Welten: dem Geburtsland und der neuen Heimat Österreich.

Die Frage nach der Zugehörigkeit ist auch das Thema von Markovićs aktuellem Buch „Piksi-Buch“, das die Familiengeschichte eines Mädchens erzählt. Die junge Frau interessiert sich zwar nicht für Fußball, soll sich aber Anfang der 1990er-Jahre in Jugoslawien für eine Mannschaft entscheiden. Während die Familie zerfällt, löst sich Jugoslawien gleichzeitig im Krieg in mehrere Länder auf und stellt die Beteiligten vor die Frage: Zu wem hältst du nun?

WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer feierte Sie kürzlich als Stimme der österreichischen Literatur. Wählen dürfen Sie in Österreich aber nicht. Wie ist das für Sie?

Barbi Marković

Das passiert mir ständig. Wenn ich in Serbien eine Lesung habe, dann steht da meist Österreich als Herkunftsland. Wenn ich in Österreich ein Event habe, dann steht hinter meinem Namen in Klammer oft Serbien. In dieser Verwirrung spiegelt sich auch mein Platz in der Welt wider. Ich finde es schrecklich, dass wir mit der Geburt einen bestimmten Pass zugewiesen bekommen und damit entweder Vor- oder Nachteile haben. Manche Menschen hatten dabei das Glück, in einem „netten“ Land wie der Schweiz auf die Welt zu kommen. Ich arbeite daran, offiziell Österreicherin zu werden. Sozusagen ein Pass-Upgrade.

WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

Ihre aktuelle Erzählung „Piksi-Buch“ beschäftigt sich mit dem Unbehagen, sich für ein Land oder eine Mannschaft entscheiden zu müssen. Als Spielfeld muss der Fußball herhalten. Warum?

Barbi Marković

Im Buch zerfällt die Familie der Ich-Erzählerin. Gleichzeitig zerfallen eine ganze Gesellschaft und ein Land. Der Fußball ist ein Sinnbild für vieles, was ich als Kind in den 1990ern in Jugoslawien erlebt habe. Plötzlich kam auf dem Schulhof die Frage, für welches Team du bist: Partizan Belgrad oder Roter Stern Belgrad. Gemäß deiner Antwort wurdest du entweder verprügelt oder umarmt. Das galt auch für die Popkultur: Bist du Punk oder Metal, trägst du Reebok oder Nike? Aber es blieb nicht dabei. Auf einmal ging es auch um deine Nationalität und es wurde erwartet, sich in eine Gruppe einzureihen und für diese zu brüllen, zu prügeln, zu töten und zu sterben. Der Fußball war der Rahmen, um mich mit diesem Entweder-oder zu beschäftigen. Denn am Ende solcher Zweiteilungen steht oft Gewalt.

Barbi Marković als Kind am Fußballplatz des FK BASK in Belgrad.
Barbi Marković als Kind am Fußballplatz des FK BASK in Belgrad.
© Fotocredit: Privat
WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

Wie sehen Sie heute das Land, in dem Sie aufgewachsen sind?

Barbi Marković

Ich habe das Gefühl, dass der moralische Verfall zugenommen hat. Es ist fast unmöglich, in Serbien als nette Bürgerin etwas zu erreichen. Dafür ist die Korruption viel zu stark. Die Leute haben aufgegeben und denken sich: „Na gut, dann bin ich halt auch ein Arschloch.“ Die Politik schleimt sich bei Russland ein, gleichzeitig braucht man die EU. China baut die Straßen im Land und Serbien verscherbelt alles Mögliche in die arabischen Länder. Die Politik versucht, von allen Seiten ein bisschen was zu bekommen. Aber das geht regelmäßig nach hinten los. Der Krieg ist nie aufgearbeitet worden und die Gesellschaft in einem Verdrängungsmodus weitergelaufen. Es ist kein schöner Zustand und ich fahre nicht mehr gerne nach Belgrad.

WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

In Österreich ist die FPÖ stärkste Partei, in Deutschland ist die AfD im Aufwind. Rechtspopulismus und Nationalismus nehmen auch in der EU zu. Wie sehen Sie das?

Barbi Marković

Ich sehe diese Tendenzen. Aber es ist schön, zu beobachten, dass in Österreich nicht alles korrupt und kaufbar ist. Es gibt noch eine funktionierende Gesellschaft, Institutionen und Gesetze, die eingehalten werden. Aber die Entwicklung und Stimmung in Österreich machen mich durchaus traurig. Früher konnte man noch hoffen, dass nur das Leben in unserem Land beschissen ist und es woanders besser ist. Dieser Traum ist vorbei.

WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat im Sommer der serbischen Zeitung Blic ein Interview gegeben. Darin freut er sich, dass viele Wähler:innen aus der serbischen Community die FPÖ wählen. Wie erklären Sie sich das?

Barbi Marković

Die „serbische Community“ gibt es nicht. Beziehungsweise ist sie so groß, dass es 100 Communitys gibt, die nichts miteinander zu tun haben. Aber vielleicht spricht Kickl von Menschen, die sich in einem korrupten Umfeld wohlfühlen. Was wir im Ibiza-Video gesehen haben, ist in Serbien politischer Alltag. Das sind meist Männer im Anzug, die in Hinterzimmern Deals machen. Aber zum Thema serbische Community fällt mir noch etwas ein.

WZ

Bitte.

Barbi Marković

Ab wann ist man denn nicht mehr Teil der serbischen Community, sondern Österreicher:in? Und wer bestimmt das? Hängt das nur vom Pass ab? Was, wenn ich in Österreich geboren wurde, aber keine Staatsbürgerschaft habe? Muss man nur lange genug verdrängen, woher man kommt? Im Buch „Die unerhörte Geschichte meiner Familie“ des kroatischen Autors Miljenko Jergović gibt es eine lustige Szene dazu: Sein Vorfahre ist Deutscher in Jugoslawien. Bei einer Volksbefragung will er aber nicht „deutsch“ als nationale Zugehörigkeit angeben, weil es im Krieg schon schlecht um die Deutschen steht und er Angst hat, vertrieben zu werden. Also schreibt er „Kroate“. Seither ist die Familie kroatisch. Ganz einfach.

Ein Foto von Barbi Markovic.
Barbi Marković gehört zu den gefragtesten Autor:innen Österreichs.
© Fotocredit: Marija Sabanovic
WZ | Florian Haderer und Stephan Wabl

Sie beschreiben den Fußball als Spielfeld für Ausgrenzung und Hass. Bei Turnieren wie Weltmeisterschaften kommen aber viele unterschiedliche Menschen zusammen, um ein Fest zu feiern. Können Sie dem gar nichts abgewinnen?

Barbi Marković

Ich habe schon Spaß, wenn es diese großen Turniere wie WM oder EM gibt, alles bunt ist und es von Spiel zu Spiel spannender wird. Aber ich tue mir immer noch schwer mit der Aufteilung in Lager. Das liegt auch daran, dass dieses Denken in meiner Heimat in Nationalismus und Krieg geendet ist. Aber ich finde diese Einteilung in Nationen auch im Alltag und in der Literaturszene schwierig. Ich habe einen serbischen Pass, lebe aber seit 20 Jahren in Österreich. Muss ich mich für ein Land entscheiden? Ich bezeichne mich am ehesten als Wienerin.


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Infos und Quellen

Genese

Barbi Marković gehört zu den gefragtesten Schriftsteller:innen Österreichs. Dabei ist sie gar keine österreichische Staatsbürgerin. Wie fühlt es sich an als österreichische Künstlerin gefeiert zu werden, obwohl sie hier gar nicht wählen darf? Die freien Journalisten Florian Haderer und Stephan Wabl haben nachgefragt.

Gesprächspartnerin

  • Barbi Marković, 1980 in Belgrad geboren, kam 2005 für ihr Germanistikstudium nach Wien. 2009 wurde sie mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman „Ausgehen“ bekannt. 2024 gewann sie für ihr Buch „Minihorror“ den Preis der Leipziger Buchmesse. Ihre Bücher beschäftigen sich literarisch mit den Auswirkungen von Krieg auf unser Leben. Sie schreibt auf Serbisch und Deutsch.

  • Ihr neues Buch „Piksi-Buch“ ist bei Voland & Quist erschienen.

Das Cover zu "Piksi-Buch" von Barbi Markovic.
© Quelle: Barbi Markovic

Daten und Fakten

  • Jugoslawien entstand 1918 als Königreich der Serb:innen, Kroat:innen und Slowen:innen. 1945 wurde es als sozialistischer Bundesstaat mit sechs Teilrepubliken neu gegründet. Das Land zerfiel im Zuge der Jugoslawien-Kriege Anfang der 1990er-Jahre und es entstanden die unabhängigen Länder Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Montenegro, Kosovo und Nordmazedonien.

  • Wer legal in Österreich lebt, zum Beispiel als EU-Bürger:in, mit einem Aufenthaltstitel, mit einer Legitimationskarte oder als Asylberechtigte:r, kann einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen.

  • Die Antragstellung ist möglich, wenn die Person eine bestimmte Anzahl an Jahren in Österreich gelebt hat. Abhängig von verschiedenen Faktoren wie beruflicher Integration, Familienstand oder Wohnsituation sind das entweder 6, 10, 15 oder 30 Jahre.

  • Höchstens 20 Prozent der angeführten Jahre darf die Person, die den Antrag stellt, außerhalb Österreichs verbracht haben.

  • Im Jahr 2023 wurden rund 20.000 Menschen in Österreich eingebürgert. Rund ein Drittel dieser Personen wurde in Österreich geboren. Durchschnittlich dauern die Verfahren von der Antragstellung bis zur Verleihung etwa sechs bis neun Monate.

  • Offiziell leben rund 122.000 Menschen mit serbischer Staatsbürgerschaft in Österreich. Der Großteil davon in Wien (75.000), am wenigsten im Burgenland (800). Insgesamt wird die Zahl der Menschen mit serbischen Wurzeln in Österreich auf etwa 300.000 Personen geschätzt.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien