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Sollen sie doch Burger essen

5 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine feministische Kolumne in der WZ.
© Illustration: WZ

Das Nehammer-Burger-Video ist auch durch seine Aussagen zur Teilzeitquote problematisch. Viele Frauen können nicht mehr als Teilzeit arbeiten, die Annahme "wer mehr arbeitet, hat mehr Geld" ist einfach falsch.


Es ist ja so: Eigentlich hat Marie Antoinette die Sache mit dem Kuchen gar nie so gesagt, wie sie überliefert ist. Und auch wenn ich keinerlei Sympathien für Monarch:innen hege, mag es durchaus auch ein Ergebnis von Misogynie sein, dass ausgerechnet sie, die junge Frau (noch dazu die junge Frau von der gemunkelt wurde, lesbisch zu sein), zum Symbol monarchischer Verrohung wurde. Wenngleich die darin implizite Beobachtung, nämlich, dass die herrschende Klasse kein Verständnis hatte für die Not ihrer Untertanen, sicherlich zutreffend war: Die Bevölkerung verhungerte, während Marie Antoinette und ihre aristokratischen Freund:innen rauschende Feste feierten.

Zum Glück müssen wir mächtigen Frauen keine falschen Zitate mehr unterjubeln.

Aber zum Glück müssen wir mächtigen Frauen ab sofort gar keine falschen Zitate mehr unterjubeln, „Sollen sie doch Kuchen essen“ wurde nämlich in den letzten Wochen zu „Sollen sie doch Hamburger essen“ eines mächtigen Mannes, und das nicht angeblich, sondern auf Video aufgezeichnet. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer meinte in einem sechsminütigen Video, das auf Social Media für große Empörung sorgte: „Genauso schreibt man: Ein Kind in Österreich kriegt keine warme Mahlzeit. Wisst ihr, was mich am meisten daran gestört hat? Dass ich keine Empörungswellen, auch bei den Leserbriefen, gesehen habe. Was ist eigentlich mit den Eltern? Was heißt, ein Kind kriegt in Österreich keine warme Mahlzeit? Wisst ihr, was die billigste warme Mahlzeit in Österreich ist? Sie ist nicht gesund, aber sie ist billig: ein Hamburger bei McDonald's. 1,40 Euro. Wenn ich noch Pommes dazu kaufe, sind es 3,50. Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo die Eltern ihrem Kind dieses Essen nicht leisten können.“

Ja, soll der Pöbel doch Hamburger fressen, wenn er sich kein Brot leisten kann. Dass ein Burger allerdings keine vollwertige, gesunde Mahlzeit ist, wurde in der Zwischenzeit mehrfach ausgeführt. Daraufhin wurden Armutsbetroffene auf Twitter (jetzt X) belehrt, dass sie doch für 1,40 Euro auch vieles andere kochen könnten, was genau, konnte ich nicht so recht herausfinden, aber ich bin mir sicher, von Nudeln mit Ketchup über Reis mit Sojasauce bis Wasser mit Salz (bei den Energiekosten allerdings ungekocht) gibt es da eine Vielfalt an Möglichkeiten.

Vielleicht ist ja Wirtschafts­kompetenz doch keine so große Stärke der ÖVP.

Dass Nehammers Rechnung (können wir das als umgangssprachliche Wendung bitte etablieren für Dinge, die sich hinten und vorne nicht ausgehen?) nicht aufgeht, wurde auch mehrfach vorgerechnet. Zum einen stimmt die Preisangabe nicht, ein Burger kostet nämlich 1,80 Euro. Zum anderen, wie Aida Loos auch tweetete, reicht ein Burger pro Tag nicht, um den Kalorienbedarf eines Kindes zu decken. Um das zu tun, bräuchte es über sechs Hamburger am Tag und damit fast zwölf Euro. Das sind 350 Euro im Monat bei einem Kindergeld von maximal 174,70 Euro. Und Gesundes wurde dann auch noch nichts gegessen. Vielleicht ist ja Wirtschaftskompetenz doch keine so große Stärke der ÖVP. Gesundheitspolitik offenbar auch nicht.

Ein Teil des Videos, der weniger Beachtung erhielt und den ich fast noch bemerkenswerter finde, ist allerdings der Folgende: „Wieso erhöht sich die Teilzeitquote nicht? Nicht einmal bei den Frauen, die keine Betreuungspflichten haben. Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich mehr arbeiten, weil dann muss ich ja mehr Geld haben, das passiert aber nicht. Die Teilzeitquote ist unverändert.“

Zuerst muss man an dieser Stelle natürlich feststellen, dass sich die Teilzeitquote verringern würde, würden Frauen mehr erwerbsarbeiten, nicht erhöhen. Erhöhen würde sich die Vollzeitquote. Zweitens arbeiten viele Frauen in Branchen im Niedriglohnsektor, in denen überhaupt nur Teilzeitstellen angeboten werden, im Handel beispielsweise. Selbst wenn sie wollten, könnten sie also nicht auf Vollzeit aufstocken.

100 Milliarden Euro unbezahlte Arbeit

Drittens ist die Annahme „Wer mehr arbeitet, hat automatisch mehr Geld“ völliger Unsinn. Wenn das so wäre, hätten Frauen nicht nur in Österreich wesentlich mehr Geld als Männer, sie wären weltweit reich, denn Frauen arbeiten weltweit mehr als Männer. Tatsächlich sind 70 Prozent der Armen der Welt Frauen. Sie sind überall auf der Welt ungleich mehr von Armut betroffen und gefährdet, zu verarmen. Das ist auch in Österreich so. Und auch in Österreich arbeiten Frauen mehr als Männer, das zeigen uns alle Zeitverwendungsstudien, ihre Arbeit ist nur großteils unbezahlt. Würde man sie für diese Arbeit bezahlen, würde das sämtliche Staatsbudgets sprengen – in Österreich lässt sich der Wert unbezahlter Arbeit mit 100 Milliarden Euro beziffern. Und wenn die Arbeit von Frauen nicht unbezahlt ist, ist sie schlechter bezahlt als die von Männern. Aktuell in Österreich um ganze 18,8 Prozent.

Vollzeit meist gar nicht möglich

Und viertens: Für Frauen mit Betreuungspflichten (und damit sind einerseits Kinder gemeint, aber andererseits auch die Pflege und Betreuung kranker und/oder alter Angehöriger) ist es meist gar nicht möglich, Vollzeit zu arbeiten. Und sollte es möglich sein, rechnet es sich finanziell oft nicht, da die Kinderbetreuung teurer ist als das bisschen, das man im Niedriglohnjob vielleicht mehr verdient.

Warum soll „möglichst viel erwerbsarbeiten“ überhaupt eine Tugend sein?

Fünftens muss man, und Wirtschaftsliberale müssen jetzt ganz stark sein, auch die Frage stellen, warum „möglichst viel erwerbsarbeiten“ überhaupt eine Tugend sein soll und welche menschenverachtende Ideologie sich dahinter verbirgt. Warum der Wert von Menschen überhaupt an ihrer „Leistung“ festgemacht wird, während der Leistungsbegriff noch dazu ein höchst eingeschränkter ist, weil er nur das beinhaltet, was einen unmittelbaren wirtschaftlichen Profit abwirft – der nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch essenzielle Kreis an Tätigkeiten rund um Kinderbetreuung, Beziehungsarbeit, emotionale Arbeit, Reproduktionsarbeit, Haushalt wird da gar nicht erst mitgedacht. Oder warum jene, die in dieser kurzsichtigen Rechnung „wenig“ leisten, dann auch dementsprechend wenig haben sollten. Und halt Burger fressen sollen, denn mehr haben sie, in einem doppelten Sinne, nicht verdient.

Im Video war übrigens keine einzige Frau zu sehen. Auch das ist nicht überraschend. Die Frauen haben vermutlich zuhause gearbeitet, sich um Kinder gekümmert und den Haushalt geschupft, während ihre Männer sich bei Käse und Wein darüber ausließen, dass Frauen doch bitte endlich mal was arbeiten sollen.


Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Genese

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

Quellen

Das Thema in der WZ

Nunu Kaller: Täglich Schachtelwirt kostet uns die Zukunft, Herr Nehammer

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