Während das Leben besonders für Frauen in Afghanistan immer dramatischer wird, steigen die Urlauberzahlen von Menschen aus dem liberalen Westen. Reise-Influencer romantisieren das Land auf Instagram und YouTube.
Eine Moschee im romantischen Abendlicht, prall gefüllte Gewürzkörbe und bunte Stoffe in einem Bazaar, dazwischen fröhliche Menschen. So sehen die Fotos und Videos von Valerie aus, die sie von ihrer dreiwöchigen Afghanistan-Reise auf Instagram postete.
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Valerie ist allerdings keine einfache Urlauberin, die ihren Verwandten schnell ein paar Fotos schickt. Valerie hat 304.000 Follower:innen und ist Influencerin auf Instagram. Ihre Fotos zeigen ein Land, das von den Taliban regiert wird, einem Regime, das von keinem anderen Land auf der Welt als rechtmäßig anerkannt wird.
Neben Valerie sind es Dutzende Influencer:innen, die Afghanistan als magisches Reiseland in bunten Farben anpreisen. So auch Daniel Großhans, 181.000 Follower auf Instagram. Er durchquerte das Land im April mit dem Fahrrad. „Afghanistan ist seit der Machtübernahme der Taliban ziemlich sicher“, postet er. Auch für Touristinnen.
„Fucking do it!“
Als Beweis dafür stellt er ein Videogespräch mit Valerie online. Er fragt sie: „Was würdest du allen anderen Frauen mitgeben, die gerne nach Afghanistan fahren würden, sich aber nicht trauen?“ Sie lächelt und antwortet: „Fucking do it! Ich lasse mir nicht von irgendwelchen Männern vorschreiben, was ich sehen darf und was nicht. Mach, worauf du Bock hast.“
Von irgendwelchen Männern? Das wirkt so, als wären die Taliban eine harmlose Studentengruppe, die zufällig an die Macht gekommen ist und das Land nicht zurück ins Mittelalter katapultiert hat. Wo Menschen öffentlich ausgepeitscht werden, Frauen nur sechs Jahre lang in die Schule gehen dürfen und keine Musik gespielt werden darf.
Für die Taliban sind Influencer:innen wie Valerie und Daniel Großhans mit ihren Hunderttausenden Follower:innen ein Geschenk. Nach jahrzehntelangen Kämpfen liegt das Land am Boden, die wirtschaftliche Lage ist äußerst prekär. Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 27 Prozent. Laut einem UNO-Bericht sind etwa 69 Prozent der Bevölkerung existenziell unsicher und verfügen nicht über genügend Ressourcen für den täglichen Bedarf. Zudem ist der Finanzsektor zusammengebrochen, Investor:innen aus dem Ausland gibt es nicht.
Gotteskrieger setzen auf Tourismus
Die Taliban versuchen daher, ihr Image als zurückgebliebene Gotteskrieger loszuwerden. Gelingen soll dies mit der Ankurbelung des Tourismus.
Ende April verkündete der Leiter der Tourismusbehörde, Mohammad Saeed, dass Afghanistan ein „touristisches Kraftpaket“ werden soll. Herzstück der Strategie ist ein neu gegründetes Institut in der Hauptstadt Kabul, das Reiseleiter ausbildet. Saeed zeigt sich zuversichtlich. Er erzählt von chinesischen und japanischen Tourist:innen: „Sie sagten mir, dass sie nicht mehr nach Pakistan reisen wollen, weil es dort gefährlich sei und sie angegriffen wurden“, sagt Saeed zu Riazat Butt, Korrespondent der Nachrichtenagentur AP, und erklärt triumphierend: „Das ist gut für uns.“
Die Zahlen geben ihm Recht: 2021 kamen 691 Tourist:innen nach Afghanistan, 2022 waren es bereits 2.300, vergangenes Jahr kamen 7.000.
Tägliche Anfragen für Afghanistan-Reisen
Das steigende Interesse wird auch von Reiseanbietern wie dem Briten Joe Sheffer bestätigt. „Das Interesse von Tourist:innen aus Europa und den USA ist groß“, sagte er zur WZ. „Wir erhalten täglich ein bis zwei Anfragen von Reisenden, darunter viele aus Deutschland.“ Sheffer bietet mehrere geführte Touren durch Afghanistan an, eine zweiwöchige Reise kostet rund 4.500 Euro.
Die Rechnung für die Taliban ist klar: Je mehr Tourist:innen in das Land kommen, desto mehr wird ihr Regime legitimiert. Und damit ihre Politik. Ein schlechtes Zeichen für all die afghanischen Frauen, deren Rechte Stück für Stück gekappt werden. Sie dürfen oft nur in Begleitung eines Mannes das Haus verlassen, müssen ihren gesamten Körper samt Gesicht verdecken und dürfen nur in wenigen Berufen arbeiten.
Freundliche Taliban
Sind sich die Influencer:innen ihrer Verantwortung bewusst?
Im Gespräch mit der WZ spielt Daniel seine Verantwortung als Influencer etwas herunter: „Ich bin lediglich ein männlicher, westlicher Reisender, der seine Erlebnisse einfach genauso gezeigt hat, wie sie im Land passiert sind“, sagt er. „Authentisch und echt.“
Mit den Taliban habe er nur positive Erfahrungen gemacht „Die Taliban waren mir gegenüber fast immer sehr freundlich und zuvorkommend. Es gab eigentlich keinen großen Unterschied zur Zivilbevölkerung.“
Und die Frauen?
In den drei Wochen seiner Reise hatte er nur mit einer einzigen Frau Kontakt. „Und das nur, weil ich mit dieser Familie über Instagram Kontakte geknüpft hatte, sonst wäre es unmöglich gewesen.“
Kein realistisches Bild des Landes
Daniel Großhans ist sich bewusst, dass er in seinen Videos kein realistisches Bild des ganzen Landes zeichnen kann: „Das geht gar nicht, da ich natürlich als Ausländer komplett anders behandelt werde wie ein Einheimischer und ich auch nur mit der Hälfte der Bevölkerung, also mit den Männern, überhaupt in Kontakt treten kann.“
Die Verantwortung sieht er nicht bei sich, trotz seiner großen Follower:innenschaft: „Was jeder Zuschauer hieraus für sich lernt, ist jedem selbst überlassen. Ich will darüber nicht werten.“ Afghanistan als Urlaubsland würde er seinen Follower:innen allerdings nicht empfehlen, fügt er hinzu.
Auch Valerie reiste drei Wochen durch Afghanistan: „Ich hatte eine unglaublich tolle Zeit. Bis auf kleine Einschränkungen, dass ich mal eine Moschee nicht sehen durfte, habe ich mich da frei bewegen dürfen“, postet sie auf ihrem Profil. Im Gespräch mit der WZ sagt sie: „Man merkt, dass sich die Taliban darum bemühen, dass Tourist:innen eine gute Zeit im Land haben“, sagt sie. „Einmal wurden wir von einer Gruppe Taliban zum Tee eingeladen.“
Depressive Frauen und unerfüllte Träume
Aber sie ist sich auch der Schattenseiten bewusst: „Afghanistan ist nun mal nicht Thailand“, sagt sie.
„Leider habe ich in Afghanistan nicht sehr viele Frauen getroffen, wie ich gehofft hatte, dafür aber im Nachhinein über Instagram.“ Eine 15-jährige Afghanin erzählte ihr dann, dass sie Ärztin werden möchte, aber ihre Träume unter den Taliban ins Leere laufen.
„Ein afghanischer Freund erzählte mir von hochintelligenten Studien-Kolleginnen, die nun seit 2021 depressiv zuhause sitzen und ein Leben ohne richtige Perspektive leben“, erzählt Valerie.
Doch über die Schattenseiten des afghanischen Lebens postet sie nur selten auf Instagram. Diese Geschichten gehen unter bei all ihren fröhlichen Posts über das Land.
Wie schnell die Stimmung kippen kann
Dabei hat sie auch erlebt, wie schnell die Stimmung kippen kann. Sie erzählt der WZ über einen jungen Taliban, der versuchte, den Code ihres Handys zu knacken. Und zwar so oft, bis es versperrt war. „Gekränkt im Ego feuerte er einen Schuss ins Leere ab, um uns zu erschrecken, was er sehr lustig fand“, erzählt sie mit Schaudern.
Es hänge sehr oft von der Stimmung der jeweiligen Taliban ab, was möglich ist und was nicht. „Mal dürfen Frauen allein einreisen und zum traumhaft schönen Band-e-Amir-See, mal nicht einmal, wenn ein Guide die Organisation übernimmt“, sagt sie.
Wie die Stimmungsschwankungen der Taliban auch nach hinten los gehen können, erlebte der Österreicher Herbert Fritz in Kabul. Am letzten Tag seiner Reise habe er die afghanische Traditionskleidung abgelegt und ging in Jeans und ohne afghanische Begleitung durch Kabul. Er wurde von einem Taliban angehalten, der seine Fotos auf dem Handy sehen wollte.
Ein Österreicher im Gefängnis
Ein Foto mit einem regierungskritischen Afghanen, den Herbert Fritz in Österreich traf, wurde ihm zum Verhängnis. Der 84-Jährige landete für neun Monate im Gefängnis. Durch Vermittlung des Wüstenstaats Katars wurde er freigelassen. „Die Taliban sind durcheinander“, sagt Fritz im Gespräch mit der WZ.
Es war bereits seine zweite Reise nach Afghanistan unter dem Taliban-Regime. Er fühlte sich während der beiden Reisen sicher. Doch, wie er selbst erfahren musste, können Kleinigkeiten zum Verhängnis werden. Ein Mitgefangener aus den USA hatte versehentlich ein Foto von einer afghanischen Frau gemacht, erzählt Fritz. „Er sitzt noch immer im Gefängnis.“
Und wer einmal im Gefängnis sitzt, kommt schwer wieder raus. Zu groß ist die Versuchung der Taliban, mit den ausländischen Insassen viel Geld von deren Regierungen zu erpressen.
„Ich bin so froh, dass ich da weg bin“
Der 27-jährige Mohib N., der 2016 aus Afghanistan nach Österreich flüchtete, schüttelt über den Taliban-Tourismus, wie er sagt, den Kopf: „Leb dort mal als gebürtiger Afghane, der nicht nach den Gesetzen der Taliban leben will, viel Spaß. Vor allem als Frau“, erzählt er wütend. „Ein Terrorist bleibt ein Terrorist, egal, wie sie sich nach außen geben wollen.“
Mohib N. lebt in Wien, seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester leben noch in Herat in Afghanistan. „Meine Schwester war Bank-Managerin, jetzt ist sie nur noch zuhause“, erzählt er. „Wenn sie rausgeht, dann nur bedeckt, nur mit ihrem Ehemann, es kam auch schon vor, dass sie im Auto von Taliban kontrolliert wurden und ihre Heiratsurkunde herzeigen mussten.“ Sein Bruder wurde auch schon von den Taliban darauf hingewiesen, dass er sich einen Bart wachsen lassen soll.
Die 18-jährige Zainab T. ist vor drei Jahren, kurz nach der Taliban-Machtübernahme, nach Wien geflüchtet. „Die Taliban sind gefährlich und alles andere als friedlich. Wie kann man da freiwillig hinfahren, wir sehen doch, wie die mit Menschen umgehen? Ich bin so froh, dass ich da weg bin“, sagt sie.
Für die Afghanistan-Reisenden zeigt sie kein Verständnis: „Wenn sie es so toll finden, sollen sie doch gleich dortbleiben.“
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Infos und Quellen
Genese
Immer mehr Influencer:innen reisen in das Taliban-kontrollierte Afghanistan: Sie zeigen das Land, die Menschen, das Essen, die Landschaft – und kommen eben um die Terrorgruppierung auch nicht herum. Während es in Afghanistan zu immer mehr Menschenrechtsverletzungen kommt und die Einschränkungen insbesondere für Frauen und Mädchen immer größer werden, reisen Influencer:innen scheinbar unbehelligt und fröhlich durchs Land. Wieso macht man Werbung für ein Land, das von einer Terrororganisation regiert wird?, fragten sich Aleksandra Tulej und Bernd Vasari und begannen zu recherchieren.
Gesprächspartner:innen
Herbert Fritz: Der 85-jährige Österreicher wurde letztes Jahr monatelang von den Taliban in Afghanistan als Geisel gehalten. Wir trafen ihn zu einem Hintergrundgespräch.
Daniel Großhans, Travel-Influencer. Er reist seit Sommer 2021 mit dem Fahrrad durch die Welt. Auf seinem Instagram-Profil therealhans folgen ihm 180.000 Menschen, sein Youtube-Kanal Radreise Unlimited hat 258.000 Abonnent:innen. Dieses Jahr ist er nach Afghanistan geradelt und hat seine Reise dokumentiert – und dafür einen heftigen Shitstorm kassiert.
Valerie, Reise-Influencerin, die auf ihrem Insta-Kanal journeyious 288.000 Follower:innen und auf Youtube 441.000 Follower:innen hat. Sie war als Frau drei Wochen im Taliban-kontrollierten Afghanistan unterwegs.
Joe Sheffer ist der Gründer von Safarat Travel. Das Reise-Unternehmen hat sich auf Touren nach Afghanistan spezialisiert.
Mohib N., ein junger Afghane aus Herat, der seit einigen Jahren in Wien lebt. Er kann absolut nicht verstehen, warum man freiwillig in seine Heimat reise, da „alle, die dort noch leben, einfach nur wegwollen“.
Zainab T. kommt aus Afghanistan, ist Schülerin und gemeinsam mit ihrer Familie 2021 aufgrund der Machtübernahme der Taliban nach Wien geflüchtet. Ihre Cousinen und Freundinnen, die in Afghanistan geblieben sind, berichten von immer größeren Einschränkungen im Alltag.
Daten und Fakten
Die Taliban sind eine Terrororganisation, die in den 1990er-Jahren in Afghanistan entstand und 1996 die Kontrolle über das Land übernahm, bis sie 2001 durch eine US-geführte Koalition gestürzt wurde. Sie verfolgen eine strenge Auslegung des islamischen Rechts (Scharia) und sind bekannt für ihre repressiven Maßnahmen, insbesondere gegen Frauen und Minderheiten. Nach Jahren des Guerillakriegs kehrten sie 2021 nach dem Abzug der internationalen Truppen an die Macht zurück. Ihre Rückkehr hat internationale Besorgnis über Menschenrechte und regionale Stabilität ausgelöst.
Ein Visum für Afghanistan bekommt man von Europa aus nur schwer, weil die meisten afghanischen Konsulate dort entweder nicht mehr aktiv betrieben werden oder nicht von den Taliban akzeptiert werden. In umliegenden Ländern wie dem Iran, den UAE oder Pakistan bekommt man das Visum aber relativ einfach vor Ort in den afghanischen Konsulaten.
Quellen
Safarat: Anbieter für Reisen nach Afghanistan
Movelikeg | Afghanistan Tag 3
Emmawitter: Afghanistan
Laura_calatoreste: Afghanistan
Theglobetrottingdetective Diána Leskó: Do you want to be a tourist in Afghanistan?
Intentionaldetours: Afghanistan
Jannistravels: Would you visit this place in Afghanistan?
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Profil: Vom Touristen zum Häftling der Taliban: Die Reisen des Herbert F.
Tagesschau: Machen Reiseblogger Propaganda für Terrorregime?
Kurier: Ferien bei den Taliban : Wie Influencer Werbung für Islamisten machen
20 Min: Reise-Influencer schwärmen: „Die Taliban sind gar nicht so schlimm“