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Was hat sich seit der letzten Wahl geändert? Mit Hinblick auf die Ende September anstehende Nationalratswahl analysiert Georg Renner das Bundesbudget der letzten fünf Jahre.
Weil wir ja gerade viel über die USA und ihre Politik reden, habe ich unlängst an einen der berühmtesten TV-Wahlspots denken müssen. Ronald Reagan ließ zu seiner Wiederwahl 1984 die Frage stellen: „Why would we ever want to return to where we were less than four short years ago?“
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Bekannt unter dem Titel „Morning in America“ thematisiert er wirtschaftlichen Aufschwung und die Datengrundlage einer Nation, die sich nach schlechten Jahren wieder erholt. Dieses „are you better off than you were four years ago“ ist eine Grundlage der US-Wahlforschung: Wer sie mit Ja beantwortet, wird, so die Theorie, eher den Amtsinhaber (wieder)wählen – bei einem Nein hat der Herausforderer bessere Chancen.
Jetzt hat das in einem Zweiparteiensystem wie den Vereinigten Staaten natürlich andere, simplere Implikationen als in einem vergleichsweise dynamischen politischen Biotop wie Österreich, in dem wir Alternativen am Wahlzettel haben, mit denen wir unsere Zufriedenheit mit der Politik bzw. den Mangel an derselben kundtun können. Trotzdem finde ich die Frage „Was hat sich seit der letzten Wahl geändert?“ mit Hinblick auf die Ende September anstehende Nationalratswahl lehrreich – ich möchte mich ihr diese und die kommenden zwei Wochen auf drei Ebenen annähern:
Fiskalpolitik: Wie steht es um die Staatsfinanzen im Vergleich zur letzten Legislaturperiode?
Wirtschaftspolitik: Geht es der Wirtschaft heuer besser oder schlechter als 2019?
Kaufkraft: Können wir uns individuell mehr leisten als noch vor fünf Jahren?
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Der Elefant im Raum, soviel darf ich schon spoilern, sind in jedem dieser Themenkomplexe die je nach Zählweise zwei oder drei großen Krisen, die zwischen der Wahl 2019 und heute (bisher) über uns hereingebrochen sind: die Covid-Pandemie und die disruptiven Maßnahmen dagegen 2020/21 sowie der russische Überfall auf die Ukraine Anfang 2022, der besonders in Europa Energieknappheit, Inflation und andere unschöne Folgen nach sich gezogen hat. Das rechtfertigt natürlich nicht alles, aber erklärt doch vieles.
Fangen wir mit den Staatsfinanzen an, oder besser gesagt: mit dem Bundesbudget. Ihr wisst ja, dass ihr auf den Seiten des Finanzministeriums die Finanzpläne und -ergebnisse auch visualisiert darstellen könnt. Von dort stammen diese Grafiken über den letzten Haushalt aus der Feder des türkis-blauen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP):
Sehr vereinfacht gesagt: Der winzige grüne Strich „Nettofinanzierungssaldo“ im rechten Kreis oben zeigt uns, dass der Bund dank günstiger Finanzierung schon vor 2019 mit einem kleinen Plus rechnete – das erste (und, Spoiler, einzige) Mal seit Jahrzehnten. Zum Vergleich hier der Überblick über das heurige Budget 2024 unter der Ägide des türkis-grünen Ministers Magnus Brunner:
Schon hier sehen wir: Da ist deutlich mehr aus der Balance, sowohl der Ergebnis- als auch der Finanzierungssaldo – ersterer beschreibt die Differenz ordentlicher Ausgaben und Einnahmen, zweiterer rechnet die Finanzierungskosten mit ein – sind negativ.
Ein massiver Unterschied zeigt sich schon allein in der Höhe der Bundesbudgets, die in diesen fünf Jahren um mehr als die Hälfte gewachsen ist: Hat Löger 2019 noch Aufwendungen von 81,9 Milliarden Euro budgetiert, sind es heuer 125,2 Milliarden Euro – fast 21 Milliarden mehr, als der Bund einnehmen wird. Eine Kostenexplosion, die besonders auf Krisenmaßnahmen und Inflation zurückzuführen ist; tatsächlich haben die Budgetposten aller Ressorts in den vergangenen Jahren deutliche Steigerungen erfahren. „Für 2024 werden in nahezu allen Bereichen Budgeterhöhungen vorgenommen und eine gezielte Fokussierung auf nur wenige spezifische Schwerpunkte ist nicht ersichtlich. Zugleich stellen die beschlossenen Indexierungen und die steigenden Zinsaufwendungen eine Herausforderung dar, die die Ausgangslage für die langfristige Defizit- und Schuldenentwicklung verschlechtern“, hat der Budgetdienst des Parlaments in seiner Analyse zum aktuellen Budget festgehalten.
Die Wirkung sehen wir in den regelmäßigen Warnungen des Fiskalrats, jenes Expertengremiums, das über die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen wachen soll:
Hier sehen wir das Minus, das die Republik über alle Staatsebenen hinweg (Bund – Länder – Gemeinden) jedes Jahr macht, gemessen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Und da zeigt sich, dass nicht nur die intensiven Krisenjahre 2020 bis 2023 hohe Defizite brachten – auch in den kommenden Jahren stehen uns hohe Abgänge bei geringem Wirtschaftswachstum bevor. Daraus ergibt sich ein stark steigender Schuldenstand:
Es ist kein Wunder, dass angesichts dieser Entwicklungen praktisch alle prominenten Wirtschaftsforscher:innen des Landes in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur ein Absehen von Wahlgeschenken eingefordert haben, sondern auch von der nächsten Regierung eine nachhaltige Aufstellung der Staatsfinanzen. Denn die vergangenen fünf Jahre waren, man kann das nicht anders sagen, für die Staatskasse katastrophal.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Youtube: Ronald Reagan TV Ad: "Its morning in america again"
service.bmf.gv.at: Das Budget in Zahlen und Grafiken für das Jahr 2024
service.bmf.gv.at: Das Budget in Zahlen und Grafiken für das Jahr 2019
Parlament: Budgetanalyse 2024