Der burgenländische Landeshauptmann Doskozil kritisiert den Finanzausgleich. In der Sache hat er durchaus einen Punkt
Hans Peter Doskozil ist wieder auf dem Kriegspfad. In einem Interview mit dem „Kurier“ hat der burgenländische Landeshauptmann und einstige Kandidat für den SPÖ-Vorsitz die – ebenfalls rot regierte – Stadt Wien attackiert.
- Mehr für dich: Die Suche nach den Airbnbs im Gemeindebau
Zum einen, weil er findet, dass sie zu Migrant:innen zu freundlich sei. Doskozil nennt (SPÖ-)Integrationsstadtrat Peter Hacker „die Repräsentanz der Willkommenskultur“. Von einer Residenzpflicht, um Migrant:innen gleichmäßig in den Bundesländern zu verteilen, hält er nichts, zumindest nicht, solang die Bundeshauptstadt ihre Position – etwa bei der Mindestsicherung, wo Wien das Bundes-Grundsatzgesetz noch immer nicht umgesetzt hat – nicht ändert. „Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, es sind uns alle willkommen, weil wir sind so weltoffen und liberal, und wenn es sich nicht mehr ausgeht – und das ist jetzt der Fall –, sollen die anderen eine Infrastruktur aufbauen, um Wien zu helfen.“
Ungerechte Steuermittelverteilung
Aber lassen wir die Asyl- und Migrationsdebatte heute einmal beiseite; Doskozil eröffnet in demselben Interview nämlich auch noch eine zweite Front gegen Wien, deren potenzielle Folgen das Gefüge zwischen Hauptstadt, den anderen Bundesländern und Gemeinden nachhaltig verschieben könnten.
„Noch dazu ist der ländliche Raum im Osten Österreichs massiv benachteiligt, wenn es um die Ertragsanteile aus dem Steueraufkommen geht. Ich bin mittlerweile der Meinung, es ist nicht mehr gerecht, wie die Steuermittel verteilt werden“, sagt der Landeshauptmann, und: „Die Ungleichbehandlung der Bundesländer bei der Verteilung von Ertragsanteilen, die historisch gewachsen ist, ist nicht mehr vertretbar. Dass ein Gemeindebürger in einem anderen Bundesland mehr wert ist als beispielsweise im Burgenland. Dass Gemeinden in anderen Bundesländern bis zu 400 Euro jährlich mehr für einen Hauptwohnsitznehmer bekommen als im Burgenland. Das werden wir beim Verfassungsgerichtshof bekämpfen.“
Jetzt mag man das als Grant über die geplante Wiener Zweitwohnsitzabgabe abtun, die auch Burgenländer:innen überzeugen könnte, ihren Hauptwohnsitz nach Wien zu verlegen. Oder als Vorbereitung für die Landtagswahlen im östlichsten Bundesland 2025. Oder als Retourkutsche gegen parteiinterne Gegner:innen.
Aber in der Sache hat Doskozil durchaus einen Punkt.
Der Finanzausgleich
Um das zu erklären, müssen wir ganz von vorn anfangen: Trotz unseres föderalen Systems hebt der Bund die meisten Steuern zentral über die Finanzbehörden ein. Das spart uns neun Landes-Finanzämter mit unterschiedlichen Strukturen und bewahrt – idealerweise zumindest – die Einheitlichkeit des Steuerrechts im österreichischen Staatsgebiet.
Ein sehr großer Teil der Steuern, die der Bund einhebt, gehört ihm aber nicht allein: Die „gemeinschaftlichen Bundesabgaben“ – dazu gehören die dem Betrag nach größten Einnahmeposten wie Einkommen-, Umsatz, Mineralöl- und Körperschaftssteuer – muss er sich mit den neun Ländern und 2.098 Gemeinden teilen. Das passiert im „Finanzausgleich“ – alle paar Jahre sitzen Vertreter:innen von Bund, Ländern, Gemeinden und Städten an einem Tisch und müssen sich einigen, wer aus diesem prall gefüllten Steuertopf wie viel bekommt – die „Ertragsanteile“ eben.
Einen Schritt voraus: Sachpolitik bereits am Donnerstag lesen
Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Im Finanzausgleich geht es tatsächlich um weit mehr als das, etwa Transferzahlungen zwischen den Gebietskörperschaften. Das Zentrum für Verwaltungsforschung KDZ verwendet in seinem Blog „Der Finanzausgleich einfach erklärt“ eine hilfreiche Grafik.
Wer sich für die Details interessiert: Vor etwa einem Jahr habe ich mich mit KDZ-Expertin Karoline Mitterer über die Tücken des Finanzausgleichs unterhalten – hier der Podcast von damals. Seither sind mit dem Finanzausgleichsgesetz 2024 kleinere Änderungen beschlossen worden – der Bund überweist mehr Geld für Gesundheit und Pflege, ein „Zukunftsfonds“ soll an Nachhaltigkeitszielen orientiert werden, ist für Expert:innen aber zu klein, um Entscheidendes zu bewirken.
Das Gesetz ist ein Finanzverwaltungsmonstrum – mit mehreren Verteilungsmechanismen, auf drei Kommastellen gerundeten Prozentzahlen, Multiplikatoren wie 1 41/67 und anderen Schmankerln. Für unsere Bedürfnisse ist es wichtig zu wissen, dass die Verteilung der Ertragsanteile auf Länder und Gemeinden nicht einfach pro Kopf erfolgt, sondern nach unterschiedlichen Schlüsseln. Bei einem davon spielt nicht die Gemeindegröße eine Rolle: Gemeinden bis zu 10.000 Einwohner:innen bekommen in diesem Verteilungsschritt weit weniger als Orte mit über 50.000 Einwohner:innen.
Und im Ergebnis kommt dabei das heraus:
Wir sehen: Wien (bekanntlich gleichermaßen Land wie Gemeinde) hat 2022 um 819 Euro pro Kopf mehr bekommen als das Land Burgenland und all seine Gemeinden. Das macht einen beträchtlichen Unterschied: Hätte das Burgenland denselben Pro-Kopf-Betrag wie Wien bekommen, wären 244 Millionen Euro mehr dorthin geflossen. Zur Relation: Das Landesbudget 2022 hat rund 1,4 Milliarden Euro ausgemacht. Und hätte Wien nur den Pro-Kopf-Betrag des Burgenlands, hätte es 2022 um 1,6 Milliarden Euro weniger zur Verfügung gehabt, bei einem Budget von 17,5 Milliarden Euro.
Der wichtigste Faktor in dieser Differenz ist der erwähnte „abgestufte Bevölkerungsschlüssel“ bei der Verteilung der Gemeindegelder. Er ist mehr als 100 Jahre alt: Seit dem Abgabenteilungsgesetz von 1922 werden größere Gemeinden bevorzugt, weil mit zunehmender Einwohner:innenzahl auch zunehmende Aufgaben der Kommunen verbunden seien, so die Argumentation seither. Daraus ergibt sich das Schema in der Grafik oben: In tendenziell stärker urbanisierte Bundesländer wie Salzburg, Vorarlberg und natürlich Wien fließt mehr Geld als in ländlich geprägte mit kleineren Gemeinden.
Und das stößt Doskozil nun übel auf. Tatsächlich kann man hinterfragen, ob dieser Schlüssel angesichts des Strukturwandels durch Mobilität und Digitalisierung, die eher den Bevölkerungszentren nützen, noch angemessen ist. Jede Landesregierung kann Bundesgesetze vor den VfGH bringen – das Burgenland hat das vor Kurzem etwa mit den Stiftungsratsregeln im ORF getan und damit Erfolg gehabt.
Ob das beim Finanzausgleich auch so sein wird, kann man aber bezweifeln. Denn das Höchstgericht hat bereits etliche Male über Finanzausgleich und den abgestuften Bevölkerungsschlüssel befunden – und ihn im (weiten) Spielraum des Gesetzgebers verortet, über die Staatsfinanzen zu entscheiden, „solange er sich im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen bewegt und keinen Exzess begeht“. Aber Judikatur kann sich natürlich auch ändern – und was ein Exzess ist und was nicht, könnte am Ende eine spannende Wertungsfrage sein.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Bundesministerium Finanzen: Die wichtigsten Änderungen im Finanzausgleich ab 2024
Land Burgenland: Verfassungsgerichtshof hebt Teile des ORF-Gesetzes auf
Rechtsinformationssystem des Bundes: Finanzausgleich