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Community Nurses: Wer hilft, wenn der Alltag zu viel wird?

5 Min
Ein Anruf reicht: Die Community Nurse kommt vorbei, hört zu, fragt nach: Was funktioniert gut, wo gibt es Überforderung? Sie hilft bei der Organisation von Unterstützungsmöglichkeiten, vermittelt Beratungen und vieles mehr.
© Illustration: WZ, Bildquelle: unsplash.com

Michaela ist Community Nurse und unterstützt Menschen zu Hause – bevor soziale und gesundheitliche Probleme groß werden. Wir haben nachgefragt, warum ihr Job wichtig ist und was das mit dem Leben deiner Oma (oder deines zukünftigen Ichs) zu tun hat.


    • Community Nurses helfen direkt entweder zu Hause und/oder wohnortnah, kostenlos und frühzeitig – auch deiner Oma oder dir selbst später einmal.
    • Das EU-finanzierte Pilotprojekt (2022–2024) war erfolgreich, doch die Finanzierung ab 2026 ist ungesichert.
    • Ziel ist es, Gesundheitskompetenz und Vorsorge zu stärken, das Pflegesystem zu entlasten, Orientierung im komplexen österreichischen Gesundheitssystem zu bieten.
    • 2022–2024: EU-Förderung mit 54,2 Mio. Euro für 270 Pflegekräfte in 117 Projekten
    • Ziel: präventive Hausbesuche, Hilfe im Förderdschungel, Entlastung pflegender Angehöriger
    • Fast 500.000 Kontakte im Pilotprojekt: 52 % Klient:innen, 48 % Netzwerkpartner:innen wie Beratungs- und Sportangebote etc.
    • Ab 2024 Finanzierung durch Länder, aber keine Planungssicherheit über 2026 hinaus.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Michaela Hudetschek-Kührer sitzt gut gelaunt in einem kleinen Büro in Hollabrunn. Das Zimmer wirkt wie eine Zwischenlösung: weiße Wände, ein Schreibtisch mit Papierstapeln, ein Regal voller Ordner. Die 33-Jährige strahlt Herzlichkeit und Energie aus – trotz der Doppelbelastung als frischgebackene Mutter. „Ich habe freie Zeiteinteilung. Das genieße ich sehr“, sagt sie und rückt einen Flyer zurecht. „So kann ich meinen Arbeitstag planen, und dass ich für Familie und Menschen vor Ort da bin.“

Flexibel und nah an den Menschen

Michaela arbeitet als Community Nurse – ein Beruf mit vielen Facetten und Verantwortung. Sie betreut über 4.000 Einwohner:innen in der Stadt Hollabrunn und 21 Katastralgemeinden, gemeinsam mit einer Kollegin. „Wir haben 40 Wochenstunden, die wir uns teilen“, sagt sie im Gespräch mit der WZ. Der Job ist flexibel, aber fordernd. „Ich habe keinen starren Dienstplan wie im Krankenhaus. Ich kann selbst entscheiden, wann ich zu welchem Haus fahre. Das gibt mir nicht nur Freiheit, sondern auch die Möglichkeit, individuell auf Bedürfnisse einzugehen.“

Die Nähe zu den Menschen schätzt sie besonders. „Man kommt in die Haushalte, lernt Familien kennen, wird Teil einer Lösung. Das ist etwas ganz anderes als im stationären Bereich.“ Sie erzählt von Besuchen, die zwei Stunden oder länger dauern. „Da sitzt man mit einer älteren Dame am Küchentisch. Es geht nicht nur um Blutdruck oder Pflegegeld, sondern ums Zuhören, um Ängste, um Einsamkeit.“ Denn dafür hat der Hausarzt keine Zeit ­– sofern es in der Nähe überhaupt eine Praxis gibt.

Besonders eindrücklich ist Manuela ein Fall in Erinnerung geblieben: ein älteres Ehepaar, die Frau pflegt ihren demenzkranken Mann und ist mit der Situation zunehmend überfordert. „Manchmal reicht ein kleiner Impuls, ein Anruf oder ein E-Mail an die richtige Institution wie etwa „Essen auf Rädern“ – und die Situation entspannt sich.“ Und was viele nicht wissen: Die Hilfe ist kostenlos. „Uns bezahlt die Gemeinde, das Land.“

Eine Community Nurse bei der Arbeit
Community Nurse Michaela Hudetschek-Kührer.
© Bildquelle: Verena Franke

Das Modell Community Nursing startete 2022 als EU-finanziertes Pilotprojekt. Mit 54,2 Millionen Euro wurden 270 diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen in 117 Initiativen österreichweit gefördert. 2024 lief die EU-Förderung aus, seither tragen manche Bundesländer die Kosten. „Wir fördern die Projekte so weiter, wie sie im EU-Programm gelaufen sind. Aber wie es nach 2026 weitergeht, ist offen – das ist eine Frage des Geldes und der Ressourcen“, sagt Beate Missoni zur WZ. Sie ist Mitarbeiterin der Abteilung Gesundheitsstrategie im Fachbereich Sozialplanung der Landesregierung Niederösterreich. Missoni betont, dass Community Nurses ein zentrales Element in der Pflegereform sind, der Übergang zur Landesfinanzierung aber große Unterschiede zwischen den Bundesländern gezeigt habe: Manche führen die Angebote fort, andere haben sie gestoppt.

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Michaelas Aufgaben sind vielfältig: präventive Beratung, Unterstützung bei bestehenden Gesundheitsproblemen und Entlastung pflegender Angehöriger – auch von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten. „Ohne die Angehörigen würde unser Gesundheitssystem nicht mehr funktionieren“, betont sie. „Und: Wir geben den Menschen Orientierung und Stabilität.“ Besonders wichtig ist ihr die Lotsenfunktion: „Wir bauen Brücken zwischen den Institutionen, die sonst wenig miteinander reden. Es geht auch darum, den Weg durch den Förderdschungel zu zeigen.“

Schlüssel für gesunde Gemeinden

Die Bedeutung des Berufs ist unbestritten. Linda Eberle von der Gesundheit Österreich GmbH beschreibt Community Nursing als „völlig neues, innovatives Berufsfeld, das Gesundheitsförderung und Prävention verbindet“. Sie unterstreicht: „Die Community Nurse ist da, bevor ein akuter Versorgungsbedarf entsteht, vorbeugend und alltagsnah.“ Gesundheit beginne nicht im Spital, sondern „im Wohnzimmer, am Küchentisch, im Gespräch“. Länder wie England seien hier weiter, weil Community Health dort schon länger etabliert sei. Österreich befinde sich „im Mittelfeld – mit Potenzial nach oben“. Eberle sieht das Modell als „Schlüssel für mehr gesunde Lebensjahre und ein stärkeres soziales Netz in den Gemeinden“.

Dass der Bedarf groß ist, zeigte sich schon vor dem EU-Projekt. Gabriele Tauscher, die 2020 in einem gemeinsamen Community-Nurse-Projekt von Lanzenkirchen und Bad Erlach in Niederösterreich arbeitete, erinnert sich: „Wir haben mit 20 Stunden im Monat angefangen, aber die Nachfrage war enorm. Schnell wurde klar, dass wir mehr Zeit brauchen, um allen gerecht zu werden.“ Sie erzählt von Momenten, die ihr besonders nahegingen. „Es hat mich glücklich gemacht zu sehen, dass ich den Klient:innen das Gefühl geben konnte: Ich bin nicht mehr allein in diesem Dickicht.“ Tauschers Nachfolgerin steht heute mit 20 Stunden in der Woche bereit.

Große Unbekannte: Die Finanzierung

Die Herausforderungen bleiben, wie etwa die bereits angesprochene Finanzierung nach 2026. Michaela macht deutlich: „Community Nurses entlasten das Gesundheitssystem: Krankenhäuser, Hausärzte, mobile Dienste, alle profitieren.“ Doch viele, so Missoni, wünschen sich endlich Planungssicherheit.

Community Nursing sei mehr als ein Pilotprojekt, sagt sie. „Es ist ein Ansatz, der zeigt, wie wohnortnahe, niederschwellige Gesundheitsarbeit die Menschen dort abholt, wo sie sind.“ Doch die Zukunft hängt von der Politik ab. Ohne gesicherte Finanzierung und zusätzliches Personal droht das Netz zu reißen, das dort stützt, wo das Leid der Menschen oft nicht gesehen wird.


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Infos und Quellen

Genese

Manchmal fällt ein Detail ins Auge und lässt einen nicht mehr los. Im Heimatort von WZ-Redakteurin Verena Franke war es ein Auto, dezent beschriftet: Community Nurse. Der Begriff war Franke schon begegnet – in Gesundheitsdebatten, in Berichten über Pflege und Prävention, oft auch in Verbindung mit School Nurses. Doch diesmal wollte sie es genauer wissen: Wer sind diese Community Nurses? Wie sieht ihre Arbeit aus? Und vor allem: Wie steht es um die Versorgung im privaten Bereich?

Gesprächspartner:innen

  • Michaela Hudetschek-Kührer arbeitet als Community Nurse in Hollabrunn. Sie ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin.
  • Gabriele Tauscher ist in Pension und war zuvor Community Nurse in Lanzenkirchen. Sie ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin.
  • Linda Eberle ist Health Expert und Abteilungsleiterin-Stellvertreterin für Gesundheitsberufe und Langzeitpflege bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).
  • Beate Missoni ist Mitarbeiterin der Abteilung Gesundheitsstrategie im Fachbereich Sozialplanung der Landesregierung Niederösterreich.

Daten und Fakten

  • Was ist eine Community Nurse genau?

Community Nursing ist eine Berufsrolle von Pflegepersonen, die es weltweit gibt, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen. Der Begriff kann sowohl mit „Community Health Nursing“ gleichgesetzt werden als auch mit der mobilen Gesundheits- und Krankenpflege beziehungsweise Hauskrankenpflege in Österreich. International ist Community Nursing als sogenannte sozialraumorientierte Dienstleistung zu verstehen, die entweder zu Hause und/oder wohnortnah angeboten wird.

Der Begriff Community Health Nursing stellt ein Spezialgebiet dar, dass durch ein umfangreiches, kompetenzerweitertes Aufgabengebiet gekennzeichnet ist. Diese Pflegepersonen nehmen sich gewisser Communitys (Gemeinschaften/Gemeinden/Zusammenschlüsse) an, in diesem Fall arbeiten sie mit speziellen Zielgruppen bzw. für diese wie beispielsweise Familien (Familiengesundheitspflege/„family health nursing“) oder Schulangehörige (Schulgesundheitspflege/„school nursing“), sie können aber auch auf andere Kollektive fokussiert sein (z. B. Menschen mit Diabetes – ANP Diabetes). Dann gibt es noch Community Nursing mit Blick auf Unterstützung in der Bürokratie und mit einem Fokus auf öffentliche Gesundheit („public health nursing“ – manchmal auch synonym verwendet mit „community health nursing“). (Quelle: Patientenanwaltschaft)

  • Wie werde ich Community Nurse?

Um Community Nurse zu werden, benötigt man eine abgeschlossene Ausbildung zum/zur diplomierte:n Gesundheits- und Krankenpfleger:in sowie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in einem Spital, Plegeheim etc. Zusätzlich ist eine Registrierung im Gesundheitsberufsregister erforderlich. Es kann auch von Vorteil sein, ein Masterstudium in Community Health Nursing zu absolvieren.

  • Wo gibt es aktuell Community-Nursing-Projekte?

Alle österreichischen Projekte findest du auf der Website der Gesundheit Österreich GmbH.

  • Die Ergebnisse des Pilotprojekts von 2022 bis 2024, das im Rahmen des EU-Aufbau- und Resilienzplans (Recovery and Resilience Facility, NextGenerationEU) finanziert wurde: Im Rahmen des Projekts wurden fast 500.000 Kontakte erreicht – etwa 52 Prozent davon mit Klient:innen, 48 Prozent mit Netzwerkpartner:innen. Die Ergebnisse zeigen: Vor allem präventive Hausbesuche und leicht zugängliche Angebote sind zentrale Erfolgsfaktoren. Es gelang, eine Kultur der gesundheitsfördernden, aufsuchenden Pflege zu etablieren. Gleichzeitig stärkte die Netzwerkarbeit die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern und trug zur Festigung lokaler Strukturen bei. Herausforderungen ergaben sich vor allem bei der Anpassung der Angebote an regionale Gegebenheiten und beim Aufbau nachhaltiger Strukturen. Die Pilotphase macht deutlich, welches Potenzial Community Nursing hat: Es kann die Gesundheitskompetenz fördern und dazu beitragen, Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern. (Quelle: Gesundheit Österreich GmbH)

Quellen

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