Theater ist mehr als die Schauspieler:innen. Möglich werden ihre Auftritte an Bühnen wie dem Wiener Burgtheater nur durch einen reibungslosen Ablauf der Technik des Hauses.
Der letzte Vorhang ist gefallen. Der Applaus ist verklungen. Jetzt senkt sich, während die Zuschauer:innen das Haus verlassen, noch erfüllt von dem Abend, über Stück und Aufführung diskutierend, nach Hause streben oder versuchen, in einem der nahen Lokale noch einen Platz zu erhaschen, langsam, ganz langsam der eiserne Vorhang.
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Das allabendliche Fest ist zu Ende. Das Burgtheater versinkt in Schlaf.
Das Burgtheater schläft niemals
Versinkt es wirklich in Schlaf? Nein – denn das Burgtheater schläft niemals. Höchstens gönnt es sich einen Halbschlaf, wenn die Zuschauer:innen nicht hinsehen können. Der Technische Leiter Johann Krainz weiß es, denn in allem, was Burgtheater ist, ist Burgtheater-Technik.
„Das Haus steht über Nacht nicht leer. Es ist ein Löschmeister rund um die Uhr da. Abgesehen vom Löschmeister ist der Portier der letzte, der geht, und zwar um 23 Uhr. Es kommt immer darauf an, wie lang noch jemand in der Garderobe ist“, erzählt Krainz. „Wie lange brauchen die Schauspieler:innen in der Garderobe noch fürs Abschminken oder fürs Umziehen?“
Nach dem Fallen des Vorhangs
Doch das ist es nicht allein. Was die Zuschauer:innen am Abend sehen oder demnächst sehen werden als nächste Premiere, mag die Krönung der Vorbereitungsarbeiten sein, doch die wollen getan werden. Als Zuschauer:in merkt man davon nichts.
So herrscht nach dem Fallen der Vorhänge nicht nur in den Garderoben noch Betriebsamkeit. „Auch die Technik arbeitet bis 23 Uhr. Der Löschmeister macht die letzte Kontrolle und überprüft, ob sich noch jemand im Haus befindet. Arbeitet irgendjemand länger, muss das gemeldet werden. Dann kriegt der Portier oder der Löschmeister Bescheid. Es kann auch mögliche Nachtarbeiten geben, die im Vorfeld aber natürlich abgesprochen werden.“
Der Löschmeister macht seine regelmäßigen Rundgänge durch das Haus.
Hoch hinauf - tief hinunter
Was das bedeutet, zeigt Krainz dem Fotografen der WZ und mir auf einem Rundgang, der in die entlegensten Gänge und Winkel des Burgtheaters führt. Hinauf geht es Stockwerk um Stockwerk, dass man den Erfinder des Aufzugs lobpreisen möchte, und kaum, dass man von den Arbeitsgalerien oben hinuntergeschaut hat, wo Bühne und Zuschauerraum liegen, geht es wieder hinunter, tief unter Straßenniveau, und wieder möchte man den Erfinder des Aufzugs preisen, denn immer noch sind die Knie wackelig vom Blick in die Tiefe.
Doch was nützt ein Aufzug, wenn die Treppen und Gänge so eng sind, dass ich mich nur mit eingezogenem Bauch durchzwängen kann?
Und überhaupt: diese Gänge! Da geht es vorbei an den Garderoben für die Schauspieler:innen, an der Maskenbildnerei, wo allerlei lustige und furchtbare Gesichter an den Wänden hängen, neben der Unterbühne dann eine Reihe an kleinen Werkstätten für schnelle Reparaturarbeiten, Tischler-, Tapezierer-, Schlosserwerkstätten: das Burgtheater, eine Heimstatt der Handwerkbetriebe.
Selbst ein allfälliger Hausgeist, der wohl Zeit genug gehabt hätte, sich zurechtzufinden, würde sich verirren. Fast kommen einem die Geschichten von H. P. Lovecraft in den Sinn, eines amerikanischen Autors von Gruselerzählungen, zu deren Inventar labyrinthische unterirdische Gänge gehören, in denen das Grauen wohnt.
Doch nicht Grauen wohnt in den Gängen des Burgtheaters, sondern das Licht der Vorfreude auf die kommenden Abende.
In den Untergeschossen fühle ich mich in eine surrealistische Landschaft versetzt mit Wiesen, die an Gerüsten lehnen, einem Autowrack, Spiegeln, einem voll ausgestatteten Zimmer.
Vorbau der Dekorationen
„Wir sind ein Repertoiretheater und haben, von der Sommerpause abgesehen, nur zwei spielfreie Tage im Jahr“, erläutert Krainz. „Anhand des Spielplans können wir uns richten und den Vorbau verschiedener Dekorationen im Vorfeld schon zusammenbauen. Würden wir das nicht so machen, könnten wir unsere Probenzeiten und Vorstellungszeiten nicht einhalten.“
Was bedeutet das? – Ein Beispiel bitte. „Ein Beispiel ist das Stück ,Kasimir und Karoline‘ – das Bühnenbild besteht aus einem riesigen, fahrbaren Dekorationsteil, das mehrere Zimmer umfasst. Würden wir diese Konstruktion nicht im Vorfeld zusammengebaut haben, könnten wir an diesem Tag keine Probenzeit auf der Bühne mehr ermöglichen, da wir dann schon um 7 Uhr mit dem kompletten Aufbau anfangen müssten. So aber schaffen wir für ,Kasimir und Karoline‘ einen kompletten Aufbau mit allen Gewerken in nur drei Stunden.“
Theater nur mit Schauspieler:innen und ein, zwei Requisiten auf der Bühne – das war einmal. Dergleichen gab es in der Antike und in den Dramen William Shakespeares und seiner Zeitgenossen. Sie bedienten sich der „gesprochenen Kulisse“. Das bedeutet, dass der Ort des Geschehens aus dem Dialog erkennbar wurde. Seit dem Barock jedoch wurden die Theater nach und nach mit immer mehr Bühnentechnik ausgestattet.
Wo ist die Souffleurmuschel geblieben?
Nur eines hatte mir gefehlt, als wir die Bühne betreten hatten, etwas, das ich seit meiner Jugend zumindest mit den größeren Theatern verbinde. Krainz weiß keinen Trost, denn: „Die Souffleurmuschel ist etwas aus der Mode gekommen, durch viele unterschiedliche Bühnenbilder ist es eher der Fall, dass die Souffleusen und Souffleure je nach Dekoration ihren Platz wechseln, sie sitzen beispielsweise im Zuschauerraum, links oder rechts auf der Seitenbühne oder im seltenen Fall im Souffleurskasten.“
Wenigstens wird immer noch souffliert und nicht über Ohrstöpsel eingesagt, das ist ein kleiner Trost.
Alte Mauern – moderne Technik
Das Burgtheater mag verhältnismäßig alte Mauern haben – doch was sich technisch in ihnen abspielt, ist auf dem neuesten Stand. Dem entspricht die personelle Ausstattung: „Wir haben ca. 150 Technikerinnen und Techniker auf der Bühne beschäftigt“, sagt Krainz, „und die arbeiten in drei Gruppen im Schichtsystem. Eine Gruppe besteht aus ca. 50 Technikern.“
Die Technik unterstützt die Magie der Bühne. Manchmal sehen es die Zuschauer:innen, ohne es zu merken, dann wieder fliegt eine Schauspielerin oder ein Schauspieler durch den Bühnenraum. Nicht filmgleich sind diese technischen Tricks, und das ist gut so, denn während man als Zuschauer:in beim Film längst weiß, dass digital alles möglich ist, erlaubt es die Burgtheatertechnik zu staunen.
Bei allen Abläufen spielt die Technik mit
Doch das will minutiös vorbereitet sein, und keineswegs nur bei Aufführungen, die für die Technik einen Aufwand bedeuten. Deshalb ist Krainz in alle Abläufe eingebunden: „Wir in der technischen Leitung planen den kompletten technischen Ablauf im Haus jeweils ca. eineinhalb Monate vor der jeweiligen Probe bzw. Vorstellung. In einer kleinen Runde wird regelmäßig besprochen, wie der Spielplan der nächsten Wochen und Monate aussieht.“
Wie muss man sich solch eine Planung vorstellen? „Priorität hat die Abendvorstellung, von der aus wir planen. Der Vorhang muss aufgehen. Damit die Abendvorstellung pünktlich stattfinden kann, müssen wir bei der technischen Planung die Auf- und Abbauzeiten der Repertoirestücke berücksichtigen. Unser Tagesablauf besteht daraus, dass wir in der Früh zum Teil noch das Bühnenbild von der Abendvorstellung abbauen müssen. Danach folgt der Aufbau eines neuen Bühnenbilds für die Proben tagsüber. Nachmittags wird dieses Bühnenbild wieder abgebaut und ein neues für die Abendvorstellung gesetzt. Je nach Aufwand der Abendvorstellung und der Probendekoration planen wir also die Probenzeiten, die tagsüber stattfinden.“
Auf bis zu 60 Wochenstunden kann es eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der Technik bringen, wobei natürlich die kollektivvertraglichen Bestimmungen eingehalten werden. Bei Einstellungsgesprächen weist Krainz auf solche Unwägbarkeiten deutlich hin. Das ist kein Job, den man für eine angenehme Work-Life-Balance erledigt, für diesen Beruf bedarf es der Leidenschaft für das Theater.
Ein neuer Tag
Und dann, nach der Nacht, erhebt sich das Burgtheater aus dem Halbschlaf und putzt sich heraus für den Tag. „Als erstes kommen in der Früh Hausarbeiter, Reinigung und Portier. Sie sperren um sechs Uhr das Haus auf.“
Dann folgen die Vorarbeiten und die Proben, und am Abend wird der eiserne Vorhang nach oben gleiten, das Publikum wird in den Saal strömen, dann wird die Aufführung beginnen, und am Ende, wenn wieder der Applaus einsetzt, gilt er den Schauspieler:innen und der Aufführung, doch unbewusst einbezogen sind all die für das Publikum Unsichtbaren und Halb-Sichtbaren, die Handwerker:innen des Burgtheaters, die Mitarbeiter:innen der Verwaltung, die Garderobieren, die Inspizient:innen, die ein waches Auge auf den Ablauf der Aufführung hatten, und ganz bestimmt nicht zuletzt all die Techniker:innen, die diese Aufführung, bescheiden im Hintergrund werkend, ermöglicht haben.
Denn sie alle sind das Burgtheater.
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Infos und Quellen
Genese
„Das Theater – das sind doch die Schauspieler:innen. Oder nicht?“ – „Oder nicht. Denn das Gelingen einer Aufführung oder einer ganzen Produktion hängt ebenso von der Technik in all ihren Facetten und von den Handwerker:innen ab, die in einem Theaterbetrieb arbeiten.“ – „Das sollte man auch einmal schreiben“, hieß es daraufhin in der Redaktionssitzung. Eva Ludwig-Glück und Maria Födisch von der Pressestelle des Burgtheaters waren dann einigermaßen überrascht, dass WZ-Redakteur Edwin Baumgartner nicht mit Regisseur:innen oder Schauspieler:innen sprechen wollte, sondern mit jemandem aus dem technischen Betrieb, waren aber sehr hilfreich und vermittelten ein langes Gespräch samt einem Rundgang durch das ganze Haus mit dem Technik-Chef Johann Krainz.
Gesprächspartner
Johann Krainz ist der technische Leiter des Burgtheaters. Krainz hat seine Karriere im Burgtheater gemacht, er war unter anderem zuvor Bühneninspektor des Hauses. Seit 2022 ist Krainz Träger des Heinz-Filar-Rings, der nach dem langjährigen technischen Leiter Heinz Filar benannt ist. Filar bestimmte testamentarisch Krainz als nächsten Träger des Ringes.
Daten und Fakten
Das Burgtheater in Wien ist eines der österreichischen Bundestheater (die anderen sind die Staatsoper und die Volksoper) und die größte Sprechtheaterbühne im deutschsprachigen Raum und die nach der Comédie-Française zweitälteste Europas. Die Bühnenfläche hat eine Größe von etwa 780 Quadratmetern. Der Zuschauerraum bietet 1.175 Sitzplätze. Ursprünglich stand das Burgtheater auf dem Michaelerplatz und war ein umgebautes Haus, das ursprünglich für das am Hof beliebte Ballspiel „Jeu de Paume“ (Handtellerspiel) gedacht war, einer Vorstufe des heutigen Tennis. Umgewidmet wurde es 1741 von Erzherzogin Maria Theresia. Das Theater unterstand direkt dem Regenten. Heute ist es im Besitz des österreichischen Staates und wird von der Bundestheater-Holding verwaltet. Die Direktor:innen werden von dem oder der für Kunstagenden zuständigen Minister oder Ministerin ernannt.
In der Herrschaftszeit von Maria Theresias Sohn und Nachfolger Kaiser Joseph II. durften im Burgtheater nur Stücke mit glücklichem Ende gezeigt werden. Tragödien wie etwa „Romeo und Julia“ von William Shakespeare wurden entsprechend umgeschrieben. Nachdem das Haus im Lauf der Zeit zu klein für die anwachsende Bevölkerung Wiens geworden war und seine Technik nicht mehr Schritt halten konnte, ließ Kaiser Franz Joseph an der neu entstehenden Ringstraße das heutige Burgtheater erbauen. Die Architekten waren Gottfried Semper für den Grundriss und Karl Freiherr von Hasenauer für die Fassade.
Am 12. März 1945 traf eine Bombe das Burgtheater, am 12. April 1945 brach aus unbekannter Ursache ein Brand im Haus aus. Der Zuschauerraum, Teile der Bühne und des Foyers wurden dadurch zerstört. Nach Kriegsende fand das Ensemble des Burgtheaters im Varieté Ronacher eine provisorische Spielstätte. Von 1953 bis 1955 erfolgte der Wiederaufbau des Burgtheaters: Die Neugestaltung des Zuschauerraums übernahm Michel Engelhart, die Gestaltung der Bühne erfolgte nach Plänen von Otto Niedermoser und dem technischen Direktor des Burgtheaters Sepp Nordegg. Das Haus am Ring wurde am 15. Oktober 1955 mit Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ wiedereröffnet.
Nach der Wiedereröffnung sorgten ab den 1970er-Jahren die Direktionen des Burgtheaters wiederholt für Gesprächsstoff: Der österreichische Schauspieler Gerhard Klingenberg (1971-1976) begann, Regisseure der Avantgarde an das Haus zu verpflichten, was der deutsche Regisseur und Schauspieler Achim Benning (1976-1986) weiterführte; das trug Benning, etwa in der „Kronen Zeitung“, den Vorwurf ein, das Haus sei „linksideologisch unterwandert“. Die Direktionszeit des deutschen Regisseurs Claus Peymann (1986-1999) war am stärksten umkämpft, da Peymann Theater an sich als Stätte der Aufklärung empfand. Er brach mit den Sprechkonventionen des Hauses, indem er deutsche Schauspieler:innen wie Gert Voss und Kirsten Dene holte, und mit der Repertoiregestaltung, die nun zunehmend auf zeitgenössisches Theater setzte. So zeigte Peymann sämtliche Dramen von Thomas Bernhard, darunter auch den skandalumwitterten „Heldenplatz“. Der österreichische Opern- und Theaterintendant Klaus Bachler (1999-2009) führte das Burgtheater wieder auf weniger umkämpftes Terrain. Nach der wegen des Vorwurfs finanzieller Unregelmäßigkeiten (das Gerichtsverfahren wurde später beigelegt) vorzeitig beendeten Amtszeit des deutschen Regisseurs und Intendanten Matthias Hartmann (2009-2014), war die deutsche Theaterfachfrau Karin Bergmann (2014-2019) die vorerst einzige Frau an der Spitze des Hauses. Auf sie folgte 2019 der österreichische Regisseur und Intendant Martin Kušej, der mit Ende der laufenden Saison abtritt. Als sein Nachfolger ist Stefan Bachmann designiert.
Das Burgtheater veranstaltet Führungen durch einen Teil des Hauses. Im Zug dieser Führungen können Besucher:innen unter anderem die Bühne des Hauses betreten. Kartenreservierungen sind möglich.
„Kasimir und Karoline“ ist ein Stück des österreichischen Schriftstellers Ödön von Horváth (1901-1938). Es zeigt, wie Liebe zum Vehikel des sozialen Auf- und Abstiegs werden kann. Am Burgtheater läuft das Stück in einer Regie der slowenischen Regisseurin Mateja Koležnik in einem Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt.
Quellen
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Kleine Zeitung: Diese Publikumslieblinge könnten zurück an die Burg kommen
Kölner Stadt-Anzeiger: Stefan Bachmann über seine Angst vor dem Wiener Burgtheater
Nachtkritik: Martin Kušej verlängert nicht am Burgtheater