Jeden Monat schaue ich in dieser Kolumne in andere europäische Staaten – und stelle einen Leuchtturm vor, der weit über die Grenzen des Landes strahlt. Warum macht die dortige Regierung das, was kostet es – und könnte Österreich das kopieren?
Es ist nur schwer möglich, einen schlechteren Zeitpunkt für die Einführung des kostenlosen öffentlichen Verkehrs zu finden, als das Luxemburg getan hat. Ab dem 1. März 2020 war es in dem kleinen Großherzogtum zwischen Deutschland, Belgien und Frankreich kostenlos, in Züge, Straßenbahnen und Busse zu steigen – und ein paar Tage später prallte Corona in Europa auf.
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Das ist aus vielen Gründen bedauerlich, aber besonders auch deswegen, weil es die Messbarkeit des luxemburgischen Experiments ruiniert hat. Die Regierung des 660.000-Einwohner-Staats hatte naturgemäß einen massiven Anstieg der Fahrgäste erwartet – es kam, aus bekannten Gründen, anders: Von 25 Millionen Fahrgästen der Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois im Jahr 2019 stürzten die Zahlen 2020 auf 14,5 Millionen ab; auch 2022 nutzten nur 22 Millionen Menschen die Angebote des Verkehrs-Monopolisten.
Auch wenn der Vergleich der Zahlen praktisch unmöglich sei, heißt es aus dem Verkehrsministerium unter dem grünen Vizepremier François Bausch zur WZ, sehe man die Einführung des kostenlosen öffentlichen Verkehrs als Erfolg. Schon allein wegen des PR-Effekts: „Die Einführung des Nulltarifs im öffentlichen Nahverkehr in Luxemburg hat weltweit Aufmerksamkeit erregt und wesentlich zum positiven Image Luxemburgs im Ausland und seiner Attraktivität als Wirtschaftsstandort beigetragen“, sagt eine Sprecherin Bauschs – und auch im Inland habe es die Diskussion um den öffentlichen Verkehr noch einmal befeuert.
Der Staat zahlt kompletten öffentlichen Verkehr
Das stimmt. Luxemburg ist der einzige Staat der Welt, der den gesamten öffentlichen Personenverkehr (mit Ausnahme von Fahrten 1. Klasse) komplett aus dem Budget finanziert – Malta ist inzwischen nachgezogen, Tourist:innen müssen dort jedoch weiterhin zahlen. Weltweit ist die Entscheidung Luxemburgs von Medien und Politik aufgenommen worden – fast schon könnte man sagen, die 41 Millionen Euro, die die Verkehrsbetriebe im Großherzogtum bis dahin an Ticketpreisen eingenommen haben, waren eine Okkasion.
Dabei sei der Gratis-Verkehr nur das Tüpfelchen auf dem i, betont Bausch seit der Einführung der Maßnahme immer wieder – „der Kuchen besteht aus Investitionen in ein kohärentes und qualitativ hochwertiges multimodales Verkehrsangebot, das die Öffentlichkeit versteht“, sagt seine Sprecherin. Die Ausgaben des Kleinstaates für den öffentlichen Verkehr – besonders in die Bahn wird investiert – sind in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen, von 620 Millionen auf rund 800 Millionen Euro.
Ein Teil dieser Investitionen fließt übrigens in die zunehmende Digitalisierung des öffentlichen Verkehrs: Im Rahmen des Projekts „Observatoire digital de la mobilité“ werden alle Busse, Straßen- und sonstigen Bahnen mit Personensensoren ausgestattet, die laufend über die Auslastung jeder einzelnen Route Auskunft geben sollen – was jedermann über das Internet abfragen kann.
Österreich topographisch komplexer
Also: Könnte sich Österreich die Gratis-Verkehrsmittel abschauen? Durchgerechnet, wie viel das kosten würde, hat man sich das im Ministerium von Bauschs Parteifreundin Leonore Gewessler jedenfalls bisher nicht. Offensichtlich ist aber, dass es für die Republik einer weit höheren staatlichen Investition bedürfte: Nicht nur, dass Österreich (wie fast jeder Staat) weit größer und topographisch komplexer ist als Luxemburg, das Herzogtum ist – dank Bankenindustrie – als Staat mit dem höchsten BIP pro Kopf der Welt auch noch steinreich.
Allein Österreichs größtes Verkehrsunternehmen, die ÖBB, haben 2022 fast eine Milliarde Euro Umsatz mit dem Personenverkehr gemacht, Bestellungen von Bund und Ländern bereits abgezogen. Dazu kommen weitere Anbieter wie die Wiener Linien oder die Westbahn, die ihre Umsätze genauso abgegolten bekommen müssten.
Und zuletzt: Schon mit der Einführung des Klimatickets kommen manche Öffi-Strecken deutlich an die Grenze ihrer Auslastung; wenn bei einem Gratis-Verkehr plötzlich noch mehr Menschen in die Züge steigen würden, könnte das die Verkehrsbetriebe erst recht überfordern, heißt es aus dem Ministerium.
Und tatsächlich schneidet Österreich in puncto leistbaren öffentlichen Verkehrs schon jetzt nicht so schlecht ab: In einem Greenpeace-Vergleich vom vergangenen Herbst ist die Republik auf Platz 3 der günstigen Tickets gelandet – hinter Malta und, klar, Luxemburg.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner
Mara Valent, Pressesprecherin im luxemburgischen Ministère de la Mobilité et des Travaux publics
Sebastian Kummer, Institute of Transport and Logistics, WU Wien