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Das Lastenfahrrad ist der neue Van

6 Min
In der Stadt ist man mittlerweile mit dem Rad besser unterwegs als mit dem Auto.
© Illustration: WZ

Das erste Auto mit 18? Schon lange nicht mehr. Erstens ist es zu teuer und zweitens – wozu überhaupt? Das neue Mobilitätsverhalten verlangt nach neuen Konzepten.


Bis Birgit sich und ihre Kinder für den Kindergarten fertig gemacht hat, vergehen gefühlt Stunden. Die Jausendosen kommen in die Taschen, die kleinste Tochter und der Mittlere in die Transportbox, und die Größte fährt schon selbst. Mit dem Fahrrad, wohlgemerkt. Denn obwohl das Auto mitunter das bequemere Verkehrsmittel ist – vor allem, wenn es regnet –, zieht Birgit das Rad diesem vor. Aus Umweltschutzgründen, aber nicht nur.

Wichtig sei ihr auch, sagt sie zur WZ, dass sie sich dadurch bewegt, dass ihre Kinder aktiver am Verkehr teilnehmen und ihn kennenlernen, und, dass sie keinen Sprit in ihr Lastenrad tanken muss. In der Anschaffung kommt dieses mit Kosten von mehreren tausend Euro zwar an jene eines gebrauchten Pkw heran, auf Bundes- und auf regionaler Ebene gibt es aber zahlreiche Förderschienen für Lastenräder und E-Bikes für Private und Betriebe, die den Kauf erschwinglicher machen. Dadurch hat sich auch Birgit einiges erspart.

Finanzielles kommt vor dem Umweltschutz

Vor allem das Finanzielle – und weniger der Umweltschutzgedanke – ist laut dem Soziologen und Jugendforscher Claus Tully der Grund, warum immer mehr junge Menschen kein eigenes Auto haben und den Führerschein erst später machen. „Ein eigenes Auto und der Führerschein sind für viele gar nicht möglich, weil das alles viel zu teuer ist”, sagt Tully.

Die Zahlen zum Mobilitätsverhalten junger Menschen geben ihm Recht. Sie lassen einen eindeutigen Trend erkennen: weg von Auto und Führerschein zum frühestmöglichen Zeitpunkt hin zu mehr Rad und öffentlichem Verkehr. Denn laut Statistik Austria hat sich das Alter, in dem man den Führerschein macht, deutlich nach hinten verschoben. Waren es 2010 noch rund 15 Prozent der 15- bis 19-Jährigen, so waren es 2020 nur noch sieben Prozent. Gegenüber Vor-Corona-Zeiten gibt es aktuell zwar wieder einen Anstieg, der allerdings mit dem Aufholbedarf zu erklären ist, den die Stagnation während der Pandemie verursacht hat. In sämtlichen höheren Altersklassen ist der Anteil der Führerschein-Absolvent:innen leicht gestiegen. Die regionalen Unterschiede sind dabei jedoch enorm – konkret zwischen Stadt und Land. So machen einer Erhebung der Statistik Austria zufolge in Wien nur elf Prozent der B-Klasse-Absolvent:innen den L17 (also den Führerschein für Pkw mit 17 Jahren) und im Burgenland mit 54 Prozent fast fünfmal so viele.

„Meistens ist man auch schneller”

„Im städtischen Raum ist man mittlerweile mit dem Rad und mit den Öffis besser unterwegs als mit dem Auto”, sagt dazu Tully, „weil man nicht im Stau steht und keinen Parkplatz suchen und zahlen muss, und meistens ist man auch schneller.” Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) untermauert diese Entwicklung: Laut dessen Studien sind in Wien bereits 62 Prozent der 16- bis 24-Jährigen mit Öffis unterwegs, 18 Prozent zu Fuß, 14 Prozent mit dem Auto (lenkend oder mitfahrend) und sechs Prozent mit dem Fahrrad.

Auf dem Land sei das noch anders, schwieriger, sagt Tully, aber auch hier merke er gravierende Veränderungen. Vor allem die jungen Menschen seien multimodal mobil. Das bedeute: „Früher war man entweder ein Radfahrer oder eine Autofahrerin. Punkt. Das ist heute anders.” Heute fahre man mit dem Rad zum Zug und mit dem Zug zur Arbeit und mit dem Auto einkaufen, „das ist der Trend der Zeit”.

Das Auto muss einem dabei gar nicht gehören. Es ist das der Eltern, der Freundin oder des Carsharing-Anbieters. „Früher wäre das undenkbar gewesen, sein Auto herzuborgen”, sagt Tully. Das Auto war das Ein und Alles, ein Statussymbol. „Für den Großteil der jungen Menschen ist es das nicht mehr. Sie definieren sich mehr über die Marke ihres Smartphones oder was es alles hat und kann.”

Weniger Autos

Die Anzahl der Pkw-Neuzulassungen (inklusive Elektroautos) ist tatsächlich österreichweit gesunken, und zwar seit 2010 um mehr als ein Drittel auf 215.050 im Vorjahr, so STATcube, die statistische Datenbank der Statistik Austria. Gleichzeitig schnellten die Preise in die Höhe, sowohl bei den Neuwagen, wie der Branchenbericht Kfz-Wirtschaft der Bank Austria zeigt, als auch laut Preise-Index von AutoScout24 bei den Gebrauchtwagen. Die Fahrradindustrie lebte währenddessen auf. Die verkaufte Menge an Fahrrädern habe sich zuletzt „auf einem hohen, stabilen Niveau eingependelt“, heißt es von der Arge Fahrrad, der Arbeitsgemeinschaft der heimischen Fahrradindustrie. Speziell in den vergangenen Jahren wurden in Österreich überdurchschnittlich viele Fahrräder verkauft, im Vorjahr konkret 506.159. Die Umsätze steigen kontinuierlich, was laut Arge Fahrrad unter anderem auf den E-Bike-Verkauf zurückzuführen ist: 74 Prozent des Gesamtumsatzes mit Fahrrädern werden bereits mit E-Bike Verkäufen generiert. Das Lastenfahrrad sticht besonders heraus: Dessen Verkaufszahlen haben sich von 2021 auf 2022 verdoppelt – vor allem im urbanen Bereich steige die Nachfrage, heißt es. Neben den klassischen Botendiensten werde es hauptsächlich für den Familientransport benutzt.

Radwegenetz wird ausgebaut

Parallel dazu wird das österreichweite Radnetz stetig ausgebaut. Erst in der Vorwoche hat Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner verkündet, in den kommenden fünf Jahren weitere 9,7 Millionen Euro investieren zu wollen. Österreichs Umweltministerium verweist auf Nachfrage der WZ auf die kostenlosen zweistündigen „klimaaktiv mobil Radfahrkurse” an den Volksschulen, deren Angebot aufgrund der großen Nachfrage aufgestockt werden soll. „Mittelfristig wollen wir jedem Volksschulkind einen Radfahrkurs anbieten”, so das Ministerium. Was den öffentlichen Verkehr betrifft, sollen innerhalb von sechs Jahren 19 Milliarden Euro „in ein modernes Eisenbahnnetz” fließen. Das Klimaticket wende sich mit Angeboten speziell an die Jungen: Rund 28 Prozent aller Klimatickets entfallen auf die ermäßigte Variante für unter 26-Jährige, heißt es, inklusive dem kostenfreien Klimaticket für Zivildiener und Präsenzdiener seien es rund 32 Prozent. Und: Laut Mobilitätsmasterplan des Umweltministeriums sind die mit dem Auto gefahrenen Kilometer bis zum Jahr 2040 um ein Viertel zu reduzieren.

Das sei aber noch lange nicht genug, so der VCÖ, der Mobilitätskonzepte speziell für die veränderten Bedürfnisse der jungen Menschen fordert. Es sei essenziell, die Planung nicht über deren Köpfe hinweg durchzuführen, „sondern sie miteinzubeziehen”, sagt Lina Mosshammer vom VCÖ, „und zwar von klein auf”. Best-Practice-Beispiele gebe es bereits: Das Kinderparlament in Graz etwa, das auch regelmäßig Kinderbürgermeister:innen wählt, bestimmt mit, was in Graz verändert werden soll. Oder das Projekt #gemmason in Osttirol, das jungen Menschen eine Plattform für deren Ideen und Anliegen gegeben hat, die nun zum Teil umgesetzt werden – wichtiges Thema war dabei die Mobilität. Und bei der Initiative Cool-in-die-Schul in Kärnten können Kinder etwas gewinnen, wenn sie ihren Schulweg nachhaltig zurücklegen. Es brauche mehr Konzepte wie diese, meint Mosshammer.

Mittelfristig wollen wir jedem Volksschulkind einen Radfahrkurs anbieten.
Umweltministerium

Weniger mobil

Sonst könnte es passieren, dass eine weitere Entwicklung weiter voranschreitet: „Die junge Generation bewegt sich weniger”, sagt Tully. „Die lebensalltägliche Mobilität ist zurückgegangen – und zwar nicht erst seit der Corona-Zeit.” Die Freunde trifft man im Internet, um mit ihnen zu plaudern, Freizeitaktivitäten wie Spiele finden ebenfalls dort statt, und für Uni-Vorlesungen muss man das Zimmer auch nicht mehr unbedingt verlassen, falls sie online übertragen werden.

Das alles ändere aber nichts daran, dass auch junge Menschen mobil sein wollen und müssen – spätestens, sobald sie Kinder haben. Womit wir wieder beim Thema Lastenrad und bei Birgit mit ihren drei Kindern wären. „Mit der Familiengründung wandelt sich der Fahrzeugtyp, man braucht mehr Ladefläche für den Transport der Kinder und alles, was dazugehört”, so Tully. Wenn nicht beim Auto, dann eben beim Fahrrad.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Petra Tempfer kam aus dem Staunen nicht heraus, als weder ihr eigener Sohn noch dessen Freund:innen gleich nach der Matura oder sogar noch im letzten Schuljahr so früh wie möglich ihren Führerschein machen wollten. Auch die Frage nach dem Wunsch nach Freiheit und Auto stieß nur auf gleichgültiges Schulterzucken. Finanziell absolut nachvollziehbar – aber wie bleibt man dennoch mobil? Petra Tempfer hat sich umgehört und nach Daten gesucht.

Gesprächspartner:innen

  • Birgit ist dreifache Mutter, lebt in Salzburg und fährt jeden Tag mit dem Lastenrad zuerst zur Volksschule, dann in den Kindergarten und schließlich ins Büro.

  • Claus Tully ist Soziologe und Jugendforscher, Buchautor und Vortragender. Er unterrichtet an der Freien Universität Bozen sowie an der Freien Universität Berlin.

  • Lina Mosshammer ist beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ) für die Bereiche Gesundheit, Klima, Sharing und MaaS (Mobility-as-a-Service) tätig.

  • Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) ist ein gemeinwohlorientierter Verein mit Sitz in Wien, der auf Mobilität und Transport spezialisiert ist und sich laut Website „für ökologisch verträgliche, sozial gerechte und ökonomisch effiziente Mobilität" einsetzt.

  • Die Arge Fahrrad ist die Arbeitsgemeinschaft der heimischen Fahrradindustrie. Seit Anfang 2014 agiert sie unter dem Dach des VSSÖ, des Verbandes der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster Österreichs.

Daten und Fakten

Quellen

Das Thema in der WZ

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