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Wenn ein TikTok-Trend tief blicken lässt.
Ich habe es getan. Für diese Kolumne habe ich mir wieder TikTok heruntergeladen. Eigentlich hatte ich es vor langer Zeit nur mal kurz ausprobiert und wieder gelöscht, weil ich echt Sorge hatte, was diese App mit meiner Konzentrationsfähigkeit und meiner Lebenszeit aufführt. Aber ich wollte mir zwei Trends ansehen, die ich dort gerade – und eigentlich schon seit ein paar Monaten - abspielen: Underconsumption Core und Project Pan. Was das ist?
- Kennst du schon?: 100 Millionen Flaschen und Dosen
Influencer:innen zeigen unter dem Hashtag #underconsumptioncore, wie wenig sie kaufen. Sie erklären, dass man wirklich nicht jedes Jahr eine neue nachfüllbare Wasserflasche braucht, nur weil ein neues Modell in ist. Dass man Winterjacken auch einen zweiten Winter tragen kann. Dass man sich nicht immer die Nägel machen lassen muss.
Alles unironisch, sondern wirklich ernst und als guter Ratschlag gemeint. Sie betonen, dass man Underconsumption dennoch (!) einfach im Alltag umsetzen kann, indem man – festhalten, Erkenntnis des Jahres im Anrollen – „Dinge aufbraucht“!. Nachdem seit Taylor Swift alles in Eras erklärt werden muss, liest und hört man auf TikTok nicht selten den Satz „I am finally entering my use what I have era“.
Ist normaler Konsum schon „Underconsumption“?
Bombenerkenntnis. Ja, gut, ich gebe zu, auch ich hatte vor etwa eineinhalb Jahren die Erkenntnis: Ich möchte einfach mal aufbrauchen, was ich habe. Das ist auch recht gut gelungen und dauerte auch nicht allzu lange. Aber wie kommt man bitte auf „UNTERkonsum“? Das ist doch im Grunde Konsum, so wie er sein sollte, und nicht so, wie der Turbokapitalismus ihn uns einredet – besonders auch auf TikTok, wo die Menge der Haul-Videos die der „Schau mal, was ich nicht brauche“-Videos eindeutig überlagert.
Aber gut, ich freue mich darüber, dass Menschen endlich wieder draufkommen, dass zu viel Besitz belastet und kostet und umweltschädlich ist. Wenn man das in Vorher-Nachher-Bildern darstellen muss, damit der Algorithmus auf TikTok anspringt, bitte, dann soll das so sein, solange das Ziel stimmt.
Gute Nachrichten gefällig?
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Na gut
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Ein bisschen bedenklich: Bei einigen schien es komplett ins Gegenteil umzuschwingen. Sie betonten, man brauche lediglich zwei Paar Schuhe und zwei Taschen (die aber natürlich von Louis Vuitton und Yves Saint Laurent, weil die halten ja ewig – No Name Ledertaschen auch, aber mei … wer‘s braucht …), und überhaupt haben sie den gesamten Inhalt ihres Kleiderschranks entsorgt und stattdessen eine „Capsule Collection“ in poppigem Schwarz, Grau und Beige besorgt, die sie immer kombinieren können. Dass Wegwerfen und Neukaufen eigentlich relativ wenig mit einem nachhaltigen Lebensstil zu tun hat, sei jetzt mal dahingestellt.
Amüsant waren auch diejenigen, die aus kleinen Shampoo-Fläschchen, wie man sie in Hotels bekommt, das Produkt komplett ins Waschbecken leeren, anstatt es zu verwenden, um die Fläschchen dann als Mini-Vasen zu verwenden. Häshtäg Upcycling, yay! Nein, auch das hat nix mit Nachhaltigkeit zu tun, nur weil man die Verpackung weiterverwendet.
„Project Pan“ – Aufbrauchen als Neuentdeckung
Doch dann entdeckte ich „Project Pan“. Da zog es mir endgültig die Schuhe aus. Ich wusste nämlich nicht, welcher unfassbare Überkonsum anscheinend in manchen Haushalten gang und gäbe ist. Ich sah riesige Kommoden, deren Laden alle komplett vollgefüllt waren mit Make-Up. Fünfzig verschiedene Blushes, zweihundert Lippenstifte, neunzig Lidschattenpaletten, von den Frauen mit einer völligen Selbstverständlichkeit vorgeführt. Regale voll mit unzähligen verschiedenen Duschgels und Deos. Bodylotions, die zusammengemischt wohl eine zweitstellige Anzahl von Litern ergäben.
Ziel von Project Pan ist es, in einem Jahr möglichst viel aufzubrauchen und dann stolz die leeren Fläschchen und Dosen herzuzeigen. So richtig … leer machen! Mal was Neues! Inmitten all dieser Produkte merken sie plötzlich, dass es sich gut anfühlt, etwas wirklich zu verwenden. Eine Frau erklärte, sie hat 150 Lidschatten-Paletten, und rechnete sich aus, wie lange sie brauchen würde, sie aufzubrauchen – und kam auf 750 Jahre. Wird ein bisserl eng mit den Trendfarben, würd‘ ich sagen.
Und das Schrägste: Wenn diese Frauen stolz berichten, dass sie eines von ihren 40 Shampoos endlich aufgebraucht haben, sagen sie häufig gleich dazu, dass sie dieses Shampoo gleich nachgekauft haben, weil es soooo gut sei und sie es ja ständig nutzen würden. Diese Frauen (und ich gendere in diesem Fall leider sehr bewusst nicht – es waren ausschließlich Frauen, deren Videos ich sah) sind es, die völlig absurden Überkonsum zu ihrer Normalität gemacht haben.
Wir müssen aus dieser Spirale raus!
Hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten etwas massiv verschoben. „Underconsumption“ ist der neue Verzicht, der in Wahrheit keiner ist. Overconsumption ist die neue Normalität. Die einfache „Brauch ich das wirklich“-Frage bringt hier nichts mehr, Menschen haben komplett verlernt, was sie eigentlich wirklich brauchen. Die verführerische Wirkung des Konsums hat gewonnen. Wir müssen dringend raus aus dieser Spirale, und wenn manchen dabei die Selbstdarstellung via #underconsumptioncore hilft, nicht sofort wieder was Neues zu kaufen, dann soll das so sein. Gefangen im Konsumsystem bleiben sie aber trotzdem. Ich glaube, ich bin ab jetzt für #nocapitalismcore.
PS: Und natürlich habe ich wieder die halbe Nacht auf TikTok verbracht und die App erschrocken gelöscht, als ich sah, dass es bereits wieder hell wurde. Teufelszeug, das.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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