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„Das Recht kommt oft einen Krieg zu spät“

8 Min
Das humanitäre Völkerrecht zwischen dem Ideal der Menschlichkeit und den Realitäten von Gewalt und Ideologie.
© Illustration: WZ

Aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs erwuchs das humanitäre Völkerrecht. Heute steht es immer mehr unter Druck.


Schätzungen zufolge starben im Zweiten Weltkrieg weltweit zwischen 70 und 85 Millionen Menschen, etwa die Hälfte davon Zivilist:innen – aufgrund von direkten Kriegshandlungen, Verfolgung, Hunger oder Krankheiten. Der größte Zivilisationsbruch bis heute ist die Schoa, der Völkermord an rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden, den das nationalsozialistische Regime beging. Weitere fünf bis sechs Millionen Menschen wurden ermordet, weil sie einer bestimmten Religion angehörten, eine bestimmte Herkunft oder sexuelle Orientierung hatten, Kritik am Regime äußerten oder aufgrund einer Behinderung oder Krankheit ausgegrenzt wurden. Es war ein systematisch durchgeführter Massenmord.

Die Überlebenden

Die wenigen, die die Konzentrationslager überlebten, waren schwer traumatisiert, viele von ihnen unfähig, je wieder einen Beruf auszuüben. Über das, was ihnen angetan worden war, wollten oder konnten nur wenige berichten. In vielen Familien wurde totgeschwiegen, was passiert war. Doch alle – ob sie laut oder leise litten – einte in der Nachkriegszeit eine gemeinsame Erkenntnis: Nie wieder darf solches Leid passieren.

Die Lehre des Kriegs

Der globale Schrecken und die Erkenntnis, dass er sich nie mehr wiederholen dürfe, war der Grundstein zur Gründung der Vereinten Nationen. Die neue Weltorganisation sollte stärker und effektiver sein als der Völkerbund (siehe Infos & Quellen), der den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern hatte können. Durch das Inkrafttreten der UN-Charta, dem Gründungsvertrag der Vereinten Nationen, wurde dieser Vorsatz am 24. Oktober 1945 institutionalisiert. „Wir, die Völker der Vereinten Nationen, sind fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“, lautet der erste Satz der Einleitung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch deutlich, dass das bestehende Kriegsrecht erhebliche Schwächen aufwies: Es basierte hauptsächlich auf Gewohnheitsrecht (die gängige Praxis bzw. ungeschriebenes Recht) und einigen Abkommen wie den Haager und frühen Genfer Konventionen, war jedoch lückenhaft, schützte Zivilist:innen und Kriegsgefangene nur unzureichend, erlaubte Kriegsmittel wie chemische Waffen und galt nicht für alle Staaten. Aus diesem Grund wurde das humanitäre Völkerrecht entwickelt – eine Reihe von internationalen Verträgen, Konventionen, Protokollen und Gewohnheitsrecht, die die Regeln für bewaffnete Konflikte festlegen. Ein entscheidender Fortschritt dabei war 1949 die Verabschiedung der vier Genfer Konventionen: Sie sollten in zukünftigen Kriegen verwundete und kranke Angehörige von Streitkräften schützen, Kriegsgefangenen mehr Rechte geben sowie die Zivilbevölkerung unter Schutz stellen.

Der Krieg und das Recht

„Das Recht kommt oft einen Krieg zu spät“, sagt Raphael Schäfer, Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, zur WZ. Der Jurist schiebt nach: „Das ist natürlich verkürzt ausgedrückt.“ Ganz allgemein ist das Verhältnis zwischen Krieg und Recht ein zwiespältiges. „Zwar dürfte es laut der UN-Charta keinen Krieg mehr geben, das Völkerrecht reguliert aber trotzdem das schon Verbotene“, erklärt Schäfer. Denn kriegerische Gewalt sei nie gänzlich abzuschaffen.

Auch der Begriff des „humanitären Völkerrechts“ stelle mehr Idealbild als Tatsache dar. „Krieg ist per se inhuman. Der Versuch, ihn zu humanisieren, ist nur begrenzt möglich, weshalb das Recht in seiner Anwendung oft hinter diesem Anspruch zurückbleibt”, resümiert er. Es bleibt meist ein Ausgleich zwischen den oft gegenläufigen Prinzipien von Menschlichkeit und militärischer Notwendigkeit.

Die Vereinten Nationen spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Dennoch reagieren sie oft erst im Nachhinein auf Ereignisse – und selbst dann gelingt es nicht immer, diese vollständig zu regulieren.

Krieg ist per se inhuman.
Raphael Schäfer, Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg

Die Rolle der Ideologie

Während des Zweiten Weltkriegs blieb das damals bestehende Kriegsrecht formal gültig, wurde jedoch in zahlreichen Fällen missachtet. Nichtsdestotrotz war es weiterhin ein rechtlicher und moralischer Orientierungspunkt für die internationale Gemeinschaft: „Kein Staat der Welt räumt von sich aus ein, das Völkerrecht gebrochen zu haben. Selbst die Nazis haben sich auf Selbstverteidigung gegen eine ’polnische Aggression’ berufen und den inszenierten Überfall auf den Sender Gleitwitz angeführt“, sagt Schäfer.

Das zeigt, wie wichtig Narrative und Rechtfertigungen im internationalen Kontext sind: Staaten, die das Völkerrecht verletzen, konstruieren häufig Schutzbehauptungen, um ihre Handlungen zu legitimieren. Auch Russland rechtfertigte beispielsweise seinen Angriff auf die Ukraine mit der Behauptung, diese zu entnazifizieren – eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehrt.

„Der Völkerrechtler Thomas Franck sprach davon, dass gewisse Argumente im Völkerrecht nicht einmal den Laugh Test bestehen würden. Dieser besagt, dass ein Argument nur dann legitim ist, wenn die andere Seite nicht darüber lacht.“ Doch bei solchen Argumenten, meint Schäfer, sei für jede vernünftige Person offensichtlich, dass sie bloß Legitimierung suggerieren sollen und Heuchelei darstellen. Ideologie als Gegner des geschaffenen Rechts.

Das koloniale Erbe

Die Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs hatten die europäischen Kolonialmächte in ihren Grundfesten geschwächt und entscheidend zum Aufstieg antikolonialer Befreiungsbewegungen beigetragen. Die in den 1950er- und 1960er-Jahren neu unabhängigen Staaten in Afrika und Asien kritisierten die Doppelmoral der ehemaligen Kolonialmächte, die sich zum humanitären Völkerrecht bekannten, aber gleichzeitig Befreiungsbewegungen brutal unterdrückten, etwa in Algerien oder Kenia. Dieser Widerspruch offenbarte die Grenzen des bestehenden humanitären Völkerrechts, das bis dahin die Realitäten von antikolonialen Kämpfen weitgehend ignoriert hatte.

Der ehemalige Leiter des Völkerrechtsbüros des Außenministeriums, Helmut Tichy, erklärt: „Die Aufarbeitung der Kolonialkriege und die Einbeziehung der Perspektiven der neuen Länder waren essenziell, um das humanitäre Völkerrecht universeller zu gestalten.“ Das Narrativ der kolonialen Unterdrückung musste zur Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs hinzukommen. „Trotz des erheblichen Widerstands der Kolonialmächte gelang es den neu unabhängigen Staaten, durch ihre große Anzahl und ihre Geschlossenheit für sie wichtige Änderungen des humanitären Völkerrechts durchzusetzen“, führt Tichy weiter aus. Diese Kritik mündete schließlich 1977 in der Verabschiedung der Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen, die die Schutzvorschriften für Opfer in bewaffneten Konflikten, einschließlich nicht-internationaler Konflikte wie antikolonialer Kämpfe, erweiterten. Die koloniale Vergangenheit bleibt damit ein mahnendes Beispiel dafür, wie Machtinteressen gegen Menschlichkeit wirken.

Die Durchsetzung

Auch bei der Durchsetzung stößt das Völkerrecht weiterhin auf realpolitische Hürden. Zwar wurde mit den Nürnberger Prozessen direkt nach dem Zweiten Weltkrieg eine Blaupause für die Ahndung von Kriegsverbrechen geschaffen, doch verloren wieder über 200.000 Menschen ihr Leben und Millionen wurden vertrieben, bevor 1999 erstmals ein amtierendes Staatsoberhaupt vor Gericht gestellt wurde: Der serbische Präsident Slobodan Milosevic wurde vor dem Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien angeklagt. Er wurde verurteilt wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo – darunter fiel auch der Völkermord von Srebrenica, wo mehr als 8.000 Menschen ermordet wurden. Das Massaker gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das vielleicht wichtigste Verfahren vor dem Gerichtshof konnte jedoch nie zu Ende geführt werden: Milosevic starb 2006 in seiner Zelle.

Nichtsdestotrotz wurde damit ein wichtiges Signal gesetzt. „Das Jugoslawien- Strafgericht diente als Vorbild für die Schaffung anderer internationaler Gerichte und Tribunale, wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof. Es zeigte, dass internationale Strafjustiz in komplexen Konflikten möglich ist“, argumentiert Tichy, der Österreichs Vertreter im Kosovo-Verfahren am Internationalen Gerichtshof war.

Es zeigte, dass internationale Strafjustiz in komplexen Konflikten möglich ist.
Helmut Tichy, Universitätsprofessor für Völkerrecht und ehemaliger Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium

Aktuell beschäftigen den Internationalen Strafgerichtshof Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Putin wird vorgeworfen, ukrainische Kinder rechtswidrig deportiert zu haben, was als Kriegsverbrechen gilt. Netanjahu wird beschuldigt, seit Oktober 2023 im Gazastreifen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Aushungern, Angriffe auf Zivilist:innen und systematische kollektive Bestrafung begangen zu haben. Während die Haftbefehle ihre Bewegungsfreiheit in Mitgliedsstaaten des Gerichts (siehe Infos & Quellen) einschränken, bleibt ihre tatsächliche Festnahme aufgrund fehlender Durchsetzungsmöglichkeiten des Gerichts unwahrscheinlich.

Das Vermächtnis

Heute stehen die mühsam errungenen Fortschritte des humanitären Völkerrechts zunehmend unter Druck. Besonders deutlich wird dies im Umgang mit Streumunition, einer Waffengattung, die im Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde. Sie wirkt besonders verheerend, weil sie beim Abwurf große Flächen ungezielt mit Sprengkörpern abdeckt und oft Blindgänger (siehe Infos & Quellen) zurücklässt, die noch lang nach dem Einsatz Menschen verletzen oder töten. 97 Prozent der Opfer von Streumunition sind Zivilist:innen. Erst 2008 beschlossen zahlreiche Staaten im Rahmen der Oslo-Konvention, den Einsatz dieser Waffen zu verbieten. Doch mit dem jüngsten Beschluss Litauens zum Austritt aus der Konvention im Juli 2024 wurde ein historischer Präzedenzfall geschaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte zog sich ein Staat aus einer völkerrechtlichen Vereinbarung dieser Art zurück. Die Regierung Litauens begründete den Schritt damit, dass die Konvention die Verteidigungsfähigkeit des Landes einschränke und die Abschreckung gegenüber Russland, das die Konvention nicht unterzeichnet hat, weniger wirksam mache.

Auch die Ottawa-Konvention, die Anti-Personen-Minen (Sprengkörper, die gezündet werden, wenn sie in Kontakt mit Einzelpersonen kommen) verbietet, gerät aktuell ins Wanken. Finnland und die baltischen Staaten denken offen über einen Austritt nach. Ebenso wird in Schweden über einen Austritt diskutiert, heißt es aus dem Außenministerium. Grund dafür: die Angst vor einem russischen Angriff.

Dass gerade europäische Staaten, die sich geopolitisch gern als Verfechter des Völkerrechts sehen, solche Konventionen heute infrage stellen, zeigt die Herausforderungen, vor denen das humanitäre Völkerrecht steht. „Das Recht ist nur so stark wie der Wille der Staatengemeinschaft, es durchzusetzen“, warnt Tichy. Die Einhaltung und Weiterentwicklung dieser Normen bleibt daher eine permanente Aufgabe.


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Infos und Quellen

Genese

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, doch noch immer gibt es unzählige Geschichten zu erzählen und Hintergründe zu beleuchten. Die WZ erzählt diese in einer Artikelserie. WZ-Trainee Daniela Pirchmoser wollte dafür in größerer Dimension auf die Wichtigkeit des Erinnerns im Sinn der Kriegsprävention blicken. Ihre berufliche Erfahrung im Rahmen eines Verwaltungspraktikums im Außenministerium kommt ihr dabei zugute.

Gesprächspartner

  • Raphael Schäfer, Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg

  • Helmut Tichy, Universitätsprofessor für Völkerrecht an der Universität Graz und ehemaliger Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium

Daten und Fakten

  • Als Zweiter Weltkrieg wird der zweite global geführte Krieg sämtlicher Großmächte von 1. September 1939 bis 2. September 1945 bezeichnet. In Europa begann er mit dem von Adolf Hitler befohlenen Überfall auf Polen. In Ostasien befand sich das Kaiserreich Großjapan unter Kaiser Hirohito bereits seit Juli 1937 im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg mit der Republik China und ab Mitte 1938 in einem Grenzkrieg mit der Sowjetunion. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor Anfang Dezember 1941 eröffnete den Pazifikkrieg. Über 60 Staaten waren direkt oder indirekt am Zweiten Weltkrieg beteiligt, mehr als 110 Millionen Menschen trugen Waffen.

  • Allein in der damaligen Sowjetunion forderte der Zweite Weltkrieg rund 24 Millionen Menschenleben. In China fielen etwa 20 Millionen Menschen dem Japanisch-Chinesischen Krieg zum Opfer – eine Zahl, die aufgrund mangelnder Dokumentation besonders schwierig feststellbar ist. In Deutschland starben rund 7,7 Millionen Menschen, während in Österreich etwa 385.000 Todesopfer zu beklagen waren.

  • Mit Schoa wird die Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten und ihre Helfer bezeichnet. Juden ziehen in der Regel den Begriff der Schoa vor, da dieses hebräische Wort „Katastrophe“ und „Untergang“ bedeutet, während das häufiger verwendete griechische Wort „Holocaust“ „Brandopfer“ bedeutet und sich auf biblische Opferrituale bezieht, bei denen das Opfertier zur Gänze verbrannt wurde. Von den etwa 200.000 österreichischen Jüdinnen und Juden mussten oder konnten etwa 120.000 fliehen. Etwa 70.000 österreichische Jüdinnen und Juden und rund 10.000 österreichische Roma und Sinti wurden in Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Das größte Konzentrationslager in Österreich war Mauthausen. Dort wurden von 1938 bis 1945 insgesamt etwa 100.000 Menschen getötet.

  • Mit dem Ergebnis des Zweiten Weltkriegs änderten sich auch die politischen und sozialen Strukturen in der ganzen Welt. Die Organisation der Vereinten Nationen wurde gegründet, deren ständige Mitglieder im Sicherheitsrat die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs wurden: USA, Sowjetunion bzw. Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Die europäischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich verloren allerdings ihre Übersee-Besitzungen, die meisten ihrer Kolonien wurden unabhängig.

  • Der Völkerbund war eine 1920 gegründete internationale Organisation, die den Frieden sichern, Konflikte zwischen Staaten friedlich lösen und internationale Zusammenarbeit fördern sollte. Er entstand nach dem Ersten Weltkrieg als Teil des Vertrags von Versailles und gilt als Vorläufer der Vereinten Nationen. Trotz einiger Erfolge, wie der Schlichtung kleinerer Konflikte, scheiterte der Völkerbund letztlich daran, große Mächte wie die USA dauerhaft einzubinden und Aggressionen wie die der Achsenmächte zu verhindern, was zu seiner Auflösung 1946 führte.

  • Die Vereinten Nationen wurden 1945 gegründet und umfassen heute 193 Mitgliedstaaten. Die Hauptsitze der internationalen Organisation befinden sich in New York City (USA), Genf (Schweiz), Wien (Österreich) und Nairobi (Kenia). Der aktuelle Generalsekretär ist António Guterres aus Portugal, der dieses Amt seit dem 1. Jänner 2017 innehat. Die Struktur der UN umfasst sechs Hauptorgane, darunter die Generalversammlung (alle Mitgliedstaaten), den Sicherheitsrat (15 Mitglieder, davon 5 ständige mit Vetorecht), und das Sekretariat unter der Leitung des Generalsekretärs. Der Vatikanstaat und Palästina sind als Beobachterstaaten in der VN vertreten, aber keine Voll-Mitglieder.

  • Der Algerienkrieg war ein bewaffneter Konflikt um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich in den Jahren 1954 bis 1962. Trotz vorausgegangener terroristischer Widerstandsattacken gelang es dem französischen Militär zunächst, die Oberhand zu behalten. Kriegsverluste und Menschenrechtsverletzungen inklusive Folter durch französische Truppen machten die Auseinandersetzung in Frankreich jedoch sehr unpopulär. Der Krieg endete im März 1962 mit einer Verhandlungslösung, welche die Unabhängigkeit Algeriens zur Folge hatte.

  • Als Mau-Mau-Krieg wird der Kampf der antikolonialen Unabhängigkeitsbewegung in der Kolonie Kenia gegen die Herrschaft der weißen Siedler:innen und der Kolonialmacht Großbritannien bezeichnet (1952–1960). Die britische Kolonialmacht reagierte auf die Rebellion mit einem engmaschigen Netz aus Internierungslagern, in dem nahezu die gesamte afrikanische Bevölkerung Zentralkenias zusammengepfercht wurde. Obwohl die Widerstandsbewegung am Ende der 1950er-Jahre besiegt war, führte ihr Kampf doch dazu, dass Großbritannien 1963 Kenia in die Unabhängigkeit entlassen musste.

  • Die Jugoslawienkriege waren eine Serie von Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die von 1991 bis 2001 geführt wurden und mit dem Zerfall des Staates verbunden waren. Heute gliedert sich die Region in die Staaten Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Slowenien und Serbien.

  • Das Massaker von Srebrenica war ein Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs. Über mehrere Tage – im Kern vom 11. bis zum 19. Juli 1995 – verübten Soldaten der Armee der Republika Srpska (Vojska Republike Srpske, VRS), der Polizei und des serbischen Paramilitärs den Mord an mehr als 8.000 Bosniak:innen. In Srebrenica befanden sich 400 bis 450 leicht bewaffnete niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen. Sie waren den Angreifern militärisch weit unterlegen und hatten keine Erlaubnis für den Einsatz von Waffengewalt zur Durchsetzung ihres Auftrags. Das Massaker gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Prozesse vor internationalen Gerichten belegten, dass die Verbrechen nicht spontan erfolgten, sondern systematisch geplant und durchgeführt wurden und als Völkermord einzuordnen sind.

  • Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist die erste permanente Institution, die geschaffen wurde, um die schwersten Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu verfolgen. Sein Ziel ist es, Straflosigkeit zu bekämpfen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, wenn nationale Justizsysteme dazu nicht in der Lage oder nicht willens sind. Dabei ist der IStGH jedoch auf die Zusammenarbeit seiner Mitgliedsstaaten angewiesen, da er keine eigene Durchsetzungsmacht besitzt. Der Gerichtshof wird von 123 Staaten anerkannt. Einige bedeutende Länder verweigern jedoch die Anerkennung, darunter die USA, Russland, China und Indien. Auch Israel hat das Statut zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert, und erkennt die Zuständigkeit des IStGH nicht an. Eine besondere Rolle spielt die Ukraine, die das Römische Statut ebenfalls nicht ratifiziert hat, jedoch die Zuständigkeit des IStGH für bestimmte Verbrechen auf ihrem Staatsgebiet anerkennt.

  • Im März 2023 hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen Präsident Wladimir Putin erlassen. Der juristische Vorwurf lautet „Kriegsverbrechen“. Konkret geht es um die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland, die spätestens ab Februar 2022 stattgefunden haben sollen. Erstmals wurde damit ein Staatschef eines ständigen Mitgliedslandes des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen auf diese Weise gesucht. In Russland kann der Internationale Strafgerichtshof ihn nicht festnehmen lassen. Mit einem Prozess in absehbarer Zeit ist also eher nicht zu rechnen. Nichtsdestotrotz ist Putin durch die Haftbefehle in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Würde er in Staaten reisen, die Mitglied des Gerichtshofs sind, würde ihm dort die Verhaftung drohen.

  • Der Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant wurde im Mai 2024 vom IStGH ausgestellt. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen vorgeworfen, darunter Aushungern von Zivilisten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und systematische kollektive Bestrafung, die seit dem 8. Oktober 2023 verübt worden sein sollen. Der Haftbefehl hat jedoch – wie im Falle Putins – vorerst hauptsächlich einen symbolischen Charakter, schränkt aber deren Bewegungsfreiheit ein.

  • Die Anti-Personenminenkonvention (Ottawa-Konvention) trat 1999 in Kraft und umfasst derzeit 164 Vertragsparteien, darunter auch Österreich. Militärmächte wie die USA, Russland und China gehören aber nicht zu den Vertragsstaaten. Die Konvention beinhaltet das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und deren Vernichtung. Jährlich präsentiert die internationale Landminenkampagne den Landminen-Monitor. 5.757 Menschen wurden durch diese Waffen und Blindgänger im Jahr 2023 getötet oder verletzt, 84 Prozent davon stammen aus der Zivilbevölkerung. Gründe dafür: Zunahme der bewaffneten Konflikte und die Verseuchung durch improvisierte Minen seit 2015.

  • Das Übereinkommen über das Verbot von Streumunition (Oslo-Konvention) trat 2010 in Kraft. Mittlerweile haben 111 Staaten die Oslo-Konvention ratifiziert, 12 weitere Staaten haben sie unterzeichnet. Die Konvention umfasst ein kategorisches Verbot von Einsatz, Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Transfer von Streumunition, die unsagbares Leid in der Zivilbevölkerung verursacht. Litauen hat am 26. Juli 2024 ein Gesetz erlassen, mit dem der Austritt aus dem Übereinkommen genehmigt wird. Laut dem jährlich präsentierten Streumunitionsmonitor wurden im Jahr 2023 weltweit 219 Menschen durch Streumunition getötet oder verletzt. Seit dem vollständigen Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 wurden in der Ukraine über 1.000 Opfer von Streumunition verzeichnet. Im Jahr 2023 wurden außerdem in neun anderen Ländern – Aserbaidschan, Irak, Demokratische Volksrepublik Laos, Libanon, Mauretanien, Myanmar, Syrien, Ukraine und Jemen – neue Todesopfer durch Streumunition verzeichnet.

  • Blindgänger sind explosive Munitionstypen, wie Bomben, Granaten oder Minen, die nach ihrer Aktivierung oder ihrem Abwurf nicht detoniert sind und somit eine anhaltende Gefahr darstellen.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien