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Würdest du mit deiner verstorbenen Großmutter chatten?

6 Min
Deathbots konservieren Abbilder und Gedanken von Menschen für die Ewigkeit. Auch dann, wenn der Körper schon längst unter der Erde liegt.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Künstliche Intelligenz lässt Verstorbene digital unsterblich werden: Durch Deathbots sollen wir nie wieder Abschied nehmen müssen und Tod und Trauer überwinden. Expert:innen sehen darin unter anderem ein Abhängigkeits- und Suchtpotenzial.


    • Künstliche Intelligenz ermöglicht es, dass wir heute mit Verstorbenen kommunizieren können.
    • Die KI wird mit Chatverläufen, Sprach- und Videoaufnahmen einer Person gefüttert. Daraus erstellt sie einen digitalen Zwilling, mit dem Angehörige nach dessen Tod chatten können.
    • Expertinnen wie Kathrin Unterhofer und Julia Reif warnen vor psychischer Abhängigkeit und Illusionen durch Deathbots.
    • Die Technologie wird unser Verständnis von Tod verändern, birgt aber auch ethische und persönliche Herausforderungen.
    • KI-Avatare ermöglichen Gespräche mit Verstorbenen, z.B. via "Here-After-AI"
    • Studie mit über 200 Personen, die häufig mit Angst und Unsicherheit gegenüber Deathbots reagieren
    • Deathbots werden meist als Abomodell angeboten
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Die Mutter steht auf einer grünen Wiese. Links neben ihr sind Holzscheite zu einem Stapel aufgetürmt. Im Hintergrund säumen Laubbäume den Straßenrand. Die Landschaft sieht künstlich aus. Sie erinnert an eine Szene aus einem Videospiel. Die Mutter ruft: „Wo bist du?“ Plötzlich spitzt der Kopf eines kleinen Mädchens hinter dem Holzstapel hervor. „Mama“, ruft sie. „Mama, wo warst du? Hast du an mich gedacht?“ Die Mutter schluchzt, will ihrem Kind über den Kopf streichen. Doch sie fasst ins Leere. Denn ihre Tochter ist nicht real. Das, was die Mutter sieht, ist ein Nachbild ihres vor drei Jahren verstorbenen Kindes. Ein digitaler Zwilling, erschaffen von einer Künstlichen Intelligenz. Die Mutter erhofft sich von der fiktiven Begegnung ein letztes Gespräch. Einen Abschied.

KI lässt tote Menschen wieder auferstehen

Die beschriebene Szene ist Teil einer Dokumentation aus Südkorea. Sie ist inzwischen über fünf Jahre alt. Auf YouTube zählt sie knapp eine Million Aufrufe. Es ist eines der ersten Beispiele, das zeigt, was sich manche Menschen heute von der Künstlichen Intelligenz erhoffen: Kann sie Menschen wieder auferstehen lassen, sie unsterblich machen? Können wir durch KI sogar den Tod überwinden? Mit Deathbots lassen sich die Abbilder und die Gedanken von Menschen für die Ewigkeit konservieren. Auch wenn der Körper schon längst unter der Erde liegt. Aber ist das überhaupt gut? Kann Künstliche Intelligenz bei der Trauerbewältigung helfen?

In drei Schritten zum digitalen Zwilling

Drei Klicks. Mehr braucht es nicht, um sich bei der App „Here-After-AI“ einen virtuellen Zwilling erstellen zu lassen. „Deine Geschichten, deine Stimme, für immer“: Mit diesem Slogan wirbt das Unternehmen aus den USA. Es ist eines von vielen kommerziellen Angeboten, die Tod und Trauer zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Und das funktioniert so: In der App kann man – noch zu Lebzeiten – persönliche Erinnerungen teilen. Zum Beispiel an die Kindheit, an Urlaube, an die eigene Hochzeit oder die Geburt der Kinder. Neben Geschichten spielt man Sprachaufnahmen, Chatverläufe, Bilder und Videos ein. Aus dem Material kreiert die App einen Avatar, eine digitale Version ihrer selbst. Mit diesem Avatar können Angehörige nach dem Tod weiter kommunizieren. Sie können gemeinsame Erinnerungen abfragen, um Rat bitten, sich unterhalten. So soll die Verbindung zu Verstorbenen nie abbrechen. Der Abschied gerät damit in den Hintergrund.

Deathbots könnten den Trauerprozess verzögern

Genau das sieht Kathrin Unterhofer kritisch. Als Leiterin der Trauerkontaktstelle der Caritas in Wien spricht sie täglich mit Menschen, die eine geliebte Person verloren haben. Von ihnen habe zwar noch niemand erzählt, dass er oder sie eine Künstliche Intelligenz nutze, um mit Verstorbenen zu kommunizieren. Dennoch komme sie mit dem Thema, etwa auf Fachtagungen, immer wieder in Berührung. Sie ist sich sicher: „Das Thema wird uns in den kommenden Jahren in der Trauerbegleitung beschäftigen.“

Auf welche Art und Weise, kann sie heute noch nicht beurteilen. Die Auswirkungen von Deathbots auf die Trauerbewältigung kann sie nur erahnen. Mit ihren Kolleginnen arbeitet sie nach einem bestimmten Trauermodell, das sich in vier Aufgaben gliedert. Es endet damit, den Verlust der Person als Teil der eigenen Lebensgeschichte zu akzeptieren. Und gleichzeitig einen Aufbruch in ein neues Leben zu wagen, wieder einen Sinn zu finden. Dieser Abschied würde durch Deathbots verzögert werden, im schlimmsten Fall nie stattfinden. „Es könnte für trauernde Menschen schwieriger werden, den Verlust als Realität zu akzeptieren“, erklärt Unterhofer. „Personen flüchten sich unter Umständen in eine fiktive Welt und leben in einer Beziehung mit der KI.“

Wie hoch ist die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit?

Zu genau diesen Beziehungen forschen Julia Reif und Anna-May Alich an der Universität der Bundeswehr München. Alich führte im Rahmen ihrer Bachelorarbeit eine Umfrage unter mehr als 200 Personen durch, in der sie Emotionen zu Deathbots abgefragt hat. Ihre Professorin Julia Reif fasst die Ergebnisse zusammen: „Das Konzept löst negative und positive Emotionen aus.“ Die meisten Menschen hätten mit einem Gefühl der Angst auf die KI reagiert, gefolgt von Bedenken, Zweifel und Unsicherheit. Auf dem dritten Platz landeten hingegen Emotionen wie Interesse, Faszination und Neugier.

In einem zweiten Schritt fragte die Studentin nach Gedanken und Kognitionen zu dem Thema. Der Großteil der Befragten sehe darin vor allem einen Nutzen – sei es therapeutisch, um Wissen zu erhalten oder den Abschied zu erleichtern. Der Rest erkenne hingegen in Deathbots eine Gefahr, etwas Unnatürliches. „Stichworte waren hier psychische Abhängigkeit, Leugnen der Realität, ein Betrugs- und Missbrauchspotenzial sowie eine Illusion“, erklärt Professorin Reif.

Deathbots funktionieren als Abomodell

Illusion: Dieses Wort nimmt auch Trauerbegleiterin Unterhofer in den Mund. „Die KI lässt uns glauben, dass wir den Tod kontrollieren können. Wir können den Tod aber nicht aufhalten.“ Sie sieht ein weiteres Problem, das des Loslassens. Denn: Die meisten Deathbots funktionieren als Abomodell. Wann ist man bereit, das Abo zu kündigen? „Wie schafft man den Absprung?“, fragt Unterhofer. „Das kann enorm schmerzhaft sein. Den Deathbot zu kündigen kann sich anfühlen, als würde man die Person fallen lassen.“ Stattdessen werde der gesamte Trauerprozess verzögert.

Sowohl die Trauerbegleiterin als auch die Forscherin sehen in Deathbots eine Gefahr der psychischen Abhängigkeit. Derweil sind beide aber auch überzeugt: Die Technologie wird kommen, wird unser Verständnis von Tod beeinflussen und verändern. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns in unserer Generation alle Gedanken über unseren digitalen Nachlass machen müssen“, sagt Reif. Sei es in Form von digitalen Tagebüchern, Fotos, Videos oder eben Chatbots. „Was hinterlasse ich meinen Angehörigen, wenn ich sterbe?“ Die digitale Unsterblichkeit eröffne neue Spannungsfelder, zum Beispiel hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte von Verstorbenen.

Das Wiedersehen war eine schmerzhafte Erfahrung

Unterhofer und ihr Team bereiten sich auf ein Trauern mit KI vor. „Die Trauerprozesse werden sich dadurch ändern und wir werden in der Begleitung offen darauf reagieren.“ Am Ende meint sie, stehe jede Person selbst vor der Wahl, ob sie die Technologie nutzen wolle.

Die Mutter des verstorbenen Mädchens in der südkoreanischen Doku erklärte im Nachhinein, dass sie froh war, an dem Experiment teilgenommen zu haben. Auch wenn die Erfahrung für sie sehr schmerzhaft war.


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Infos und Quellen

Gesprächspartnerinnen

  • Kathrin Unterhofer ist die Leiterin der Kontaktstelle Trauer der Caritas der Erzdiözese Wien.
  • Julia Reif ist Professorin für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität der Bundeswehr München.

Daten und Fakten

Verstorbene Menschen mithilfe von Künstlicher Intelligenz "wiederzubeleben", ist nichts Neues. Bereits 2020 zeigten Forscher:innen aus Südkorea, was mit der Technik heutzutage möglich ist. Sie bauten ein verstorbenes Mädchen in der virtuellen Welt nach, sodass dessen Mutter mithilfe einer VR-Brille von ihr Abschied nehmen konnte.

Inzwischen gibt es vor allem in den USA zahlreiche Start-Ups und Tech-Konzerne, die die Technologie anbieten. Sogenannte "Deathbots" werden hierbei mit Datensätzen (Chatverläufen, Bildern, Sprachaufnahmen) einer Person trainiert. So entsteht ein digitaler Zwilling dieser Person, mit dem Angehörige nach deren Tod weiter kommunizieren können. "Deathbots" werden in der Regel in Form von Apps angeboten, die als Abomodell funktionieren.

Derweil warnen Forscher:innen vor allem vor den psychischen Auswirkungen der Deathbots auf Trauernde.

Quellen

Das Thema in der WZ

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