Kamala Harris soll die Demokraten in die US-Wahl führen – und punktet in Umfragen. Für eingefleischte Republikaner ein weiterer Beleg für den tiefen Staat.
„Der Deep State, der tiefe Staat, wird Kamala Harris am Parteitag der Demokraten mit Hillary Clinton ersetzen.“ Alex Jones, der das in diesen Tagen erklärte, ist für seine Verschwörungstheorien bekannt. Jones und seine Radio- und Internetshow „Info Wars“ sind an vorderster Front, wenn es darum geht, geheime Kräfte im Staatsapparat der USA zu vermuten.
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Alex Jones kann sicherlich als verblendeter Spinner abgetan werden, immerhin sieht er den von Menschen verursachten Klimawandel als internationale Verschwörung, die Anschläge von Oklahoma City und 9/11 als „Inside Jobs“, als vermeintliche Terrorakte, die jedoch von staatlichen Geheimkreisen geplant und mit ganz anderen Zielen durchgeführt wurden.
Jones wurde mehrfach verklagt, zuletzt erfolgreich von Angehörigen des Schulmassakers vom 14. Dezember 2012 an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut. Er hatte es ebenfalls als ein abgekartetes Schauspiel staatlicher Stellen bezeichnet, bei dem es dem „Deep State“ nur darum gegangen sei, Amerikaner:innen zu entwaffnen.
Doch Jones sendet nicht einfach in den leeren Äther, ganz im Gegenteil: Seine Sendungen werden millionenfach gehört und gesehen, seine Studiogäste sind namhafte Vertreter:innen der Neuen Rechten in den USA, darunter die Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene, der Trump-Vertraute Roger Stone, oder der Darling der Rechten, Moderator Tucker Carlson.
Ursprung in der Türkei
Der Begriff „Deep State“ geht auf die türkischen Wörter „derin devlet“ zurück, die wörtlich übersetzt „tiefer Staat“ bedeuten und ein Netzwerk aus Militärangehörigen der Türkei und zivilen Verbündeten im türkischen Staatsapparat zur Zeit von Mustafa Kemal Atatürk beschreiben. Seit den 1950er-Jahren gab es auch in den USA immer wieder Gerüchte über solch ein Netzwerk von Staatsbediensteten und dem militärisch-industriellen Komplex. Und natürlich die Vermutungen, dass geheime Kräfte innerhalb der amerikanischen Regierung mit Außerirdischen in Untergrundstädten und in der Area-51, dem sagenumwobenen Militärsperrgelände in der Wüste von Nevada, zusammenarbeiten würden.
In den 1990er-Jahren nahm der Begriff immer mehr an Fahrt auf. Am Ende des Jahrzehnts stand die Angst vor dem Y2K-Bug, dem Zusammenbruch aller Computersysteme weltweit. Auch dahinter wurde von Teilen der amerikanischen Gesellschaft ein gezieltes Manöver einer mächtigen Interessensgruppe vermutet, die eigentlich das Sagen in den USA habe.
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Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Was lange Zeit nur in bestimmten Verschwörungskreisen die Runden machte, erreichte mit dem Erfolg der sozialen Medien immer weitere Kreise. Mit dem Beginn des Wahlkampfs von Donald Trump im Jahr 2015 wurde diese Theorie schließlich in die Mitte der Gesellschaft katapultiert. Trump selbst baute seine Kandidatur um das Gerücht auf, dass der „Deep State“ gegen ihn arbeite und seinen Wahlsieg verhindern wolle. Unterstützt wurde er darin von rechten Medien, wie Breitbart News, für die seit 2012 der Trump-Vertraute Steve Bannon verantwortlich war und der die Webseite zu einem Sprachrohr der alt.right Bewegung machte. Zu Hochzeiten erreichte die Webseite eine Leserschaft um die 20 Millionen Menschen. Ein Thema tauchte dabei immer wieder auf: der „Deep State“. Selbst nach der Wahl von Donald Trump 2016 wurde verbreitet, dass Barack Obama einen geheimen Bund innerhalb des Staatsapparates anführen würde, um Donald Trump zu Fall zu bringen.
2018 erklärte Newt Gingrich, der ehemalige Sprecher des Abgeordnetenhauses, der Sonderermittler zu den vermuteten Russlandkontakten Trumps, Robert Mueller, sei ein Mitglied des „tiefen Staates“. Im gleichen Jahr veröffentlichte die New York Times einen anonymen Gastbeitrag mit der Überschrift: „I am Part of the Resistance Inside the Trump Administration“ (Ich bin ein Teil des Widerstandes innerhalb der Trump-Regierung). Dahinter steckte Miles Taylor, ein ranghoher Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums. Er schrieb, dass „viele hohe Beamte in Trumps eigener Administration mit Nachdruck und von innen heraus daran arbeiten, dass Teile seiner Agenda und die schlimmsten Befürchtungen vereitelt werden“. Der ehemalige Sprecher des Abgeordnetenhauses, Kevin McCarthy, bezeichnete dies als einen Beweis für die Existenz des „Deep State“ und er war damit nicht allein. Im konservativen Fernsehsender FoxNews hieß es, der „Deep State“ arbeite gegen den Willen des amerikanischen Volkes. Zum Ende der Trump-Amtszeit meinte sogar Mick Mulvaney, Stabschef im Weißen Haus, dass der „tiefe Staat“ „absolut 100-prozentig wahr“ sei.
Der Deep State und QAnon
Die Idee des „Deep State“, einer Gruppe aus mächtigen Politikern, Wirtschafts-, Geheimdienst- und Militärvertretern, die sich gegen Donald Trump und dessen MAGA-Bewegung stellen, ist ebenfalls ein zentraler Punkt der 2017 entstandenen QAnon Verschwörungstheorie. Deren Kernüberzeugung ist, dass eine Kabale von satanischen, kannibalistischen Kinderschändern einen globalen Kindersexhandelsring betreibt, der sich gegen Präsident Donald Trump verschworen habe. Kein Wunder, dass auf den Trump-Massenveranstaltungen seitdem immer wieder Q-Zeichen auftauchen. Und Trump selbst suchte schon früh den Schulterschluss mit QAnon und verbreitete erst über Twitter und dann über sein eigenes Netzwerk zahlreiche Posts und Fotomontagen der QAnon-Bewegung, die ihn als Retter der Kinder und von Gott gesandt darstellen.
Die bislang unbelegte Theorie des „Deep State“ ist in den USA auf fruchtbaren Boden gefallen. Eine deutliche Mehrheit der republikanischen Wähler:innen glaubt an dessen Existenz. Donald Trump forderte schon früh, den „Sumpf auszutrocknen“. Und das will er in seiner zweiten Amtszeit von Tag eins an durchsetzen. Was er plant, käme einem Kahlschlag der gesamten Bürokratie allein in Washington DC gleich, in dem derzeit noch rund 100.000 Staatsbedienstete arbeiten. Ganze Abteilungen und sogar Ministerien würden unter einer zweiten Trump-Regierung aufgelöst, viele Karriere-Beamt:innen versetzt oder entlassen und deren Aufgaben mit Trump-Loyalist:innen besetzt werden. Donald Trump hat klar gemacht, dass er bei einer zweiten Chance im Weißen Haus schneller und vor allem weitreichender gegen all jene im Staatsapparat vorgehen würde, die er als Teil des „Deep State“ sieht – all jene, die ihm gegenüber nicht loyal erscheinen.
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Infos und Quellen
Genese
Als wir WZ-Reporter Arndt Peltner zu seiner Einschätzung zur Kandidatur von Kamala Harris fragten, schlug er vor sich die Verschwörungstheorie des Deep States anzuschauen.