Denkmäler haben ihr Aussehen verändert. Von Heroisierung ist nichts mehr zu spüren — sie wollen zum Nachdenken anregen.
„Ich kapier’s nicht“, sagt Peter, „für mich ist das ein Steinklotz, der nichts aussagt.“
Der Germanistikstudent steht vor dem Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz auf dem Ballhausplatz im 1. Bezirk und hört staunend den Erklärungen seiner Freundin Evelyn zu: Dass es sich nicht nur um ein Denkmal handelt, sondern um ein Kunstwerk im öffentlichen Raum. Der deutsche Künstler Olaf Nicolai hat es als ein X gestaltet. Der Buchstabe steht für Anonymisierung. Allerdings ist das X nur von oben erkenntlich. Ebenfalls auf der obersten Ebene ist das experimentelle Gedicht „all / alone“ des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay eingelassen.
Peter begreift immer noch nichts. Evelyn, die angehende Kunstwissenschaftlerin, ist gewohnt, neue Kunst zu interpretieren, für den interessierten Laien zu übersetzen, verständlich zu machen: Es geht um die Stellung des Einzelnen in einer mitlaufenden Masse, um eine möglicherweise todbringende Entscheidung. Mit Absicht verweigert sich das Werk der Ästhetik herkömmlicher Soldatendenkmäler. Wie die Deserteure, Wehrkraftzersetzer und andere Opfer der NS-Justiz sich dem Regime entgegenstellten, so stellt sich dieses Denkmal dem Geschmack der landläufigen Kriegerdenkmäler entgegen.
Fragen stellen
„Soll sich ein Denkmal nicht selbst erklären?“, fragt Peter. „Zum Denken soll es anregen“, erklärt ihm Evelyn, „du sollst beim Anblick nicht dahinschmelzen, sondern du sollst Fragen stellen. Du sollst nicht schauen, sondern sehen.“
Die Art des sichtbaren Gedenkens, das sich in Denkmälern und Mahnmalen ausdrückt, hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert: Es ist eine Verschiebung eingetreten, die wegführt von der Heroisierung einzelner und hin zum ehrenden Gedenken des Verhaltens von Personengruppen. Dementsprechend wird kein Individuum herausgehoben, sondern ein für die Gruppe sprechendes Symbol gesetzt.
Das ist ein Kunst-Trend, der in der Zeit liegt und sich spätestens seit der Nachkriegszeit zunehmend durchsetzt: Künstler:innen zielen nicht mehr auf die Bespaßung der Betrachter:innen. Sie erhalten damit eine neue Rolle: Sie sind nicht mehr passive Konsument:innen eines Kunstwerks, sie bejahen nicht mehr unkritisch die Leistungen der durch das Denkmal Gewürdigten; vielmehr versetzt das Denkmal oder Mahnmal die Betrachter:innen in die Rolle aktiver Fragesteller:innen.
Den Hintergrund erkennen
Peters Ratlosigkeit etwa führt, unabhängig von den Kategorien „gefällt mir“ und „gefällt mir nicht“, zu einer Befassung weniger mit dem Denk- oder Mahnmal selbst als mit dem Hintergrund, für den es steht.
Zwischen Denkmälern und Mahnmalen besteht ein feiner Unterschied. Mahnmale sind Sonderformen des Denkmals. Mahnmale sollen etwas in Erinnerung halten in der Hoffnung, dass es sich nicht mehr ereignet, während Denkmäler Personen oder historischen Ereignissen gesetzt werden, die man in positiver Erinnerung behalten soll.
Wie sehr sich Mahnmale verändert haben, lässt sich geradezu ideal an einer Parallele ablesen: dem Vergleich der Pestsäule auf dem Graben im 1. Wiener Gemeindebezirk mit dem Corona-Denkmal der Hoffnung, das seit 5. September 2023 vor dem AKH seinen Platz gefunden hat. Beide Mahnmale stehen in Zusammenhang mit einer Pandemie, der sich die Menschen schutzlos ausgeliefert fühlten. Wie stark die Verbindung in den Gedanken war, erkennt man daran, dass zu Beginn der Corona-Pandemie immer wieder Blumen und Kerzen an der Pestsäule abgelegt wurden.
Hier Drama, dort Symbol
Der Unterschied zwischen beiden Mahnmalen könnte indessen größer nicht sein: Die 1693 eingeweihte Pestsäule zeigt das Geschehen auf theatralische Weise. Die Erbauer Paul Strudel und Lodovico Ottavio Burnacini spannen den Höllensturz des Teufels mit Engeln, der Dreifaltigkeit und dem betenden Kaiser Leopold I. zusammen. Das Corona-Denkmal von Emmerich Weissenberger und Nora Ruzsics hingegen zeigt lediglich eine Endlos-Schleife, in der sich die Verbundenheit aller Menschen in der Pandemie spiegelt.
Überhaupt werden gegenwärtig eher Mahnmale als Denkmäler errichtet. Kunst will fragen und befragt werden und damit in den Dialog mit den Betrachter:innen treten. Schon Alfred Hrdlicka vertrat mit seinem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus, 1988 auf dem heutigen Helmut-Zilk-Platz vor der Albertina errichtet, diese Ästhetik, obwohl er noch figürliche Darstellungen miteinbezog. Leichter konsumierbar wurde das Mahnmal für Betrachter:innen dadurch dennoch nicht. Es fordert zur Auseinandersetzung mit der Arbeit selbst und dem Geschehen dahinter heraus.
Ein Mahnmal lesen
Rachel Whitereads Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah auf dem Wiener Judenplatz bedarf indessen eines Kommentars. Die Wände des Blocks symbolisieren Buchregale mit Büchern, in die die Lebensgeschichten der Opfer eingeschrieben sind. Die Bücher beziehen sich obendrein auf das Judentum als eine Kultur der Schrift. Die geschlossenen Flügeltüren stehen für Unterdrückung und Unfreiheit, Kommen und Gehen ist verwehrt. Auf dem Sockel des Mahnmals sind die Orte, an denen österreichische Juden ermordet wurden, sowie die ungefähre Zahl der Opfer verzeichnet.
Weniger komplex, doch nicht minder zum Nachdenken anregend ist das Mahnmal für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes, das am 5. Juni 2023 im Resselpark enthüllt wurde. Das Objekt „Arcus (Schatten eines Regenbogens)" von Sarah Ortmeyer und Karl Kolbitz zitiert die Form des Regenbogens als Symbol der LGBTIQ+-Bewegung. Doch an die Stelle der Regenbogenfarben sind Grautönungen getreten: Anspielungen auf die ausgelöschten Leben.
Musik in Aluminium
Selbst wenn es sich um Denkmäler für Einzelpersonen handelt, sind die heroisierenden Darstellungen weitestgehend vorbei, wie das Denkmal für den Komponisten Alban Berg vor der Wiener Staatsoper zeigt. Wold D. Pirx von Coop Himmelb(l)au und Sophie Grell haben es als eine abstrakte Aluminium-Figur gestaltet. Auch mit diesem Denkmal hätte Peter Probleme, bis ihm Evelyn die künstlerische Symbolik erklärt: Der Sockel besteht aus zwölf Stufen, die auf das von Berg fallweise angewendete Zwölftonsystem Bezug nehmen. Die Formen der Aluminium-Figur sollen die ausdrucksstarken melodischen Linien von Bergs Musik symbolisieren.
Wenn die Ideologie es will
Dennoch gibt es hin und wieder Ausnahmen von der Ästhetik einer Denk-Anregung, vor allem, wenn ein politischer Wille, eine Ideologie dahintersteckt. Dann kommen auch links und rechts einander nahe.
Das Denkmal für die Trümmerfrauen an der Wiener Mölkerbastei und das für den kubanischen Revolutionär Che Guevara im Donaupark ähneln einander in der Ästhetik der figürlichen Darstellung, die keine Fragen gestattet.
In beiden Fällen hätte es ausreichend Gründe für eine distanzierte Herangehensweise gegeben: So haben die Trümmerfrauen zwar den Schutt beseitigt, den Bomben und Beschuss im Zweiten Weltkrieg verursacht haben, doch unter ihnen waren zahlreiche Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und Mitläuferinnen der NS-Diktatur. Che Guevara wiederum war die treibende Kraft hinter der Folter und Ermordung von Homosexuellen in Kuba.
Das Problem Überhöhung
Doch was dem linken Flügel der SPÖ das Revolutionsidol war, waren der FPÖ die Trümmerfrauen. Damit entstanden aus politischen Gründen Denkmäler, die zum Schauen einladen und die Gezeigten unkritisch überhöhen. Was freilich in beiden Fällen durchaus beabsichtigt sein dürfte.
Spannend könnte indessen wieder das in Graz geplante Denkmal für Ivica Osim werden, der von 1994 bis 2002 hinter den Erfolgen des Vereins Sturm Graz stand. Das Denkmal soll vor der Merkur Arena seinen Platz finden. Beauftragt wurde der Grazer Künstler Markus Wilfling. Er ist bekannt für seine Objekte, in denen er den Schatten von Bauwerken dreidimensional sichtbar macht, etwa den des Grazer Uhrturms, und für Sessel und Badewannen, die scheinbar im Boden versinken. Dass er eine figürliche Darstellung des Trainers im Sinn hat, wie sie im Soga Sports Park in Chuo Ward in der japanischen Stadt Chiba steht, um Osim als Trainer der japanischen Nationalmannschaft zu ehren, ist eher unwahrscheinlich.
Zumal Osim selbst jede Glorifizierung seiner Person ablehnte. Der kluge Satz aus seiner Autobiografie „Das Spiel des Lebens“ könnte das Programm nahezu aller neuen Denkmäler sein: „Zuviel Licht schadet der Wahrnehmung.“