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Der Daumen, der die Welt veränderte

6 Min
Drei Milliarden User:innen weltweit greifen monatlich auf Facebook zu − 2,11 Milliarden jeden Tag.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Facebook ist 20: Aus dem Studentenprojekt wurde ein Weltkonzern. Doch aus dem einstigen Freundes-Netzwerk entwickelte sich eine Plattform für Desinformation und Hetze. Was ist falsch gelaufen?


Es wird gechattet, gepostet, geteilt und vor allem geliked. Seit 20 Jahren beginnt und endet für viele Österreicher:innen der Tag mit dem Klick auf das blaue F. Immerhin gibt es hierzulande aktuell rund fünf Millionen Facebook-Nutzer:innen. Das entspricht einem Anteil von rund 56 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Im Februar jährt sich die Entstehung des digitalen Freundschaftsalbums, das zum größten und einflussreichsten sozialen Netzwerk der Welt werden sollte, zum 20. Mal. Aus diesem Anlass fragt die WZ bei Tobias Dienlin, Assistenz-Professor für Interaktive Kommunikation am Institut für Kommunikationswissenschaft der Uni Wien, nach, wie Facebook zu einem Ort der Verbreitung von Fake-News und Hetze werden konnte, weshalb der Dislike-Button abgeschafft wurde und warum es mit dem Datenschutz nicht klappt.

WZ | Verena Franke

Worin liegt die Faszination an Facebook, dass es in Österreich nach 20 Jahren immer noch fünf Millionen Nutzer verzeichnet?

Tobias Dienlin

Ich denke, dass Facebook auf dem absteigenden Ast ist. Aber trotzdem nicht totzukriegen ist. Es gibt sehr viele Nutzer:innen, aber nicht alle sind aktiv. Der zunehmende Player ist ganz klar TikTok, und Instagram hat beim Traffic Facebook in Europa den Rang abgelaufen.

WZ | Verena Franke

Aber ganz totzukriegen ist es nicht?

Tobias Dienlin

Einer der Hauptgründe ist, dass es eines der ersten Netzwerke war, das funktionsfähig weltweit groß und erfolgreich war. Soziale Netzwerke profitieren von den Nutzer:innen: Also je mehr es gibt, umso besser können sie funktionieren. Facebook war das erste Netzwerk, das es geschafft hat, erst einmal alle zu bekommen. Den First-Mover-Effekt hat Facebook richtig gut hinbekommen. Und dann gibt es zusätzlich eine gewisse Trägheit der Nutzer:innen, das heißt, viele bleiben dabei. Deshalb funktioniert Facebook auch heute noch. Es gibt kein besonderes Erfolgsrezept. Ich würde eher sagen, es profitiert immer noch sehr stark von den früheren Erfolgen.

Desinformation und Propaganda sind so alt wie die Medien selbst.
Tobias Dienlin
WZ | Verena Franke

Weil Sie die Trägheit der Nutzer:innen erwähnt haben: Die User:innen von Facebook werden laut Studien immer älter. Das sind vermutlich jene Personen, die vor 20 Jahren eingestiegen und dabeigeblieben sind?

Tobias Dienlin

Exakt. Die letzte repräsentative Umfrage in Deutschland sagt, dass nur noch ein Viertel der Jungen Facebook nutzt. Nahezu alle sind bei TikTok, Instagram und auch YouTube. Für die älteren Nutzer:innen ist das aber nicht schlimm. Für das Unternehmen Meta allerdings langfristig gesehen schon. Für die älteren User:innen ist Facebook weiterhin die erste Anlaufstelle, da merkt man dann auch nicht mehr, dass es nicht mehr unbedingt auf der Höhe der Zeit ist im Vergleich zu anderen Netzwerken.

WZ | Verena Franke

Wenn wir zurückblicken: Wie war es möglich, dass ein harmloses Netzwerk für Freund:innen und Familie eine Plattform zur Verbreitung von Desinformation wurde? Deshalb und bezüglich Datenschutzes wird Facebook immer wieder stark kritisiert. Was ist da passiert?

Tobias Dienlin

Es gab eine Bewegung der Inhalte: Das anfängliche Freunde-Netzwerk wurde öffentlich. Es wurde auch wirtschaftlicher, denn es kamen Werbung und Product Placement hinzu. Und es wurde auch politischer, indem zunehmend User:innen den News-Outlets und deren Social-Media-Repräsentanzen gefolgt sind. Der professionelle Content wurde somit konsumiert. Was man sich vergegenwärtigen muss, ist, dass Desinformation und Propaganda so alt sind wie die Medien selbst. Es wurden immer schon beispielsweise Bilder im politischen Kontext manipuliert. Und in dem Moment, in dem die Öffentlichkeit und der öffentliche Diskurs von den Zeitungen in das Digitale gehen, ist es logisch, dass dort versucht wird, genauso Stimmungsmache zu betreiben. „Bad news are good news“ erzeugt Traffic. Facebook hat nichts Neues erfunden, sondern Altbewährtes verstärkt. Medienschaffende können nun viel genauere Rückmeldungen darüber bekommen, wie gut ihre Posts funktionieren. Früher hat man das an den Verkaufs- oder Auflagenzahlen erkannt. Das war nicht annähernd so direkt. Hinzu kommt: Auf den Sozialen Netzwerken posten nicht nur große Player, die sich an journalistische Mindeststandards halten, sondern eben Menschen, die der Verlockung nicht widerstehen können, extremen Content zwecks Reichweite zu veröffentlichen. Man könnte heutzutage den Sturm aufs Kapitol live online mitverfolgen.

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WZ | Verena Franke

Es gab vor vielen Jahren einen „Dislike“-Button. Warum wurde der abgeschafft?

Tobias Dienlin

Facebook und Social Media im Generellen haben einen gewollten Positivity Bias, also eine Verzerrung ins Positive. Es ist der Versuch dieser Plattformen, positiv zu verstärken und nicht negativ zu bestrafen. Es soll eher eine Wohlfühlatmosphäre entstehen. Es ist sehr wichtig für die Werbetreibenden, dass sie nicht neben negativen Inhalten platziert werden. Man merkt, dass es trotzdem sehr schwer ist, das positiv hinzukriegen. Der Dislike-Button war ein Ausdruck der Abneigung, der diesem positiven Mindset zuwiderläuft.

WZ | Verena Franke

Facebook wird immer wieder in Bezug auf Datenschutz stark kritisiert. Wieso bekommt das die Konzernmutter Meta nicht hin?

Tobias Dienlin

Das Thema wurde anfänglich unterschätzt. Gründer Mark Zuckerberg hat zu Beginn noch gesagt, dass er glaube, die Zeit des Privaten sei vorbei. Aber da ist Meta, meiner Meinung nach, mittlerweile schon selbst davon abgewichen. Der Datenskandal rund um Cambridge Analytica (Anm.: Hier wurden Daten von Millionen Facebook-User:innen ohne deren Zustimmung gesammelt, um diese für gezielte politische Werbung zu nutzen.) hat Facebook definitiv nicht gutgetan. Von Facebook beziehungsweise Meta ging es in den letzten Jahren schon in die richtige Richtung bezüglich Datenschutzes. Die inzwischen eingerichtete Möglichkeit eines Bezahl-Abos, damit eben die Daten nicht für andere Zwecke weiterverwendet werden, ist schon sinnvoll. Gleichzeitig muss man sagen, dass es das Geschäftsmodell von Facebook ist, mit den Daten zu arbeiten. Das ist der Punkt. Damit kann man effektiv werben. Also nutzt man es zähneknirschend. Aber solang der Dienst einen Mehrwert bietet, wird er auch genutzt.

Nur über die richtige Online-Kommunikation bringt man Leute nicht an die Urne.
Tobias Dienlin
WZ | Verena Franke

Es stehen in Österreich einige Wahlen an. Wie hoch ist der Einfluss von Politiker:innen, die Facebook als Wahlbühne nutzen, auf die User:innen?

Tobias Dienlin

Ganz grundsätzlich: Es ist nicht so, dass man nur über die richtige Online-Kommunikation Leute an die Urne bringt oder dazu motivieren kann, dass sie die eigene Partei wählen. Das menschliche Verhalten ist multifaktoriell bestimmt. Da gibt es ganz viele Einflüsse.

WZ | Verena Franke

Das gilt auch für junge Erwachsene?

Tobias Dienlin

Wir gehen schon davon aus, dass die Beeinflussbarkeit bei jüngeren Menschen höher ist. Das ist richtig. Aber diese Effekte werden in der Regel überschätzt. Bei einer Wahl ist es wichtig, alle Hebel zu drehen, denn am Ende ist jeder gewonnene Wähler, jede gewonnene Wählerin wichtig. Dennoch darf man dieser Thematik nicht naiv entgegentreten, wie die Correctiv-Recherche zu den rechtsradikalen Netzwerken in Deutschland gezeigt hat. Da gibt es die konzertierte Absicht, Influencer:innen zu gewinnen, die rechten Content salonfähig machen sollen. Wenn man das nachhaltig über einen längeren Zeitraum betreibt, kann das schon nennenswerte Unterschiede machen. Man muss sich als User:in schon gewahr sein, dass es Akteure gibt, die Einfluss nehmen wollen.

WZ | Verena Franke

Ab wann schadet Facebook-Konsum oder generell Social-Media-Konsum dem Wohlbefinden?

Tobias Dienlin

Die aktuelle Studienlage hält fest, dass sich die Effekte der Nutzung nicht sonderlich stark auf das Wohlbefinden auswirken. Im Durchschnitt scheinen sie aber tendenziell eher negativ zu sein. Daher ist es nicht verkehrt, sich in erster Instanz vorzunehmen, Facebook weniger zu nutzen. Im Schnitt hat moderate oder geringe Nutzung so gut wie keine negativen Effekte. Es gibt natürlich Geschichten von Menschen, die die Plattform auch nutzen, um sich zu engagieren, um sich auszutauschen und sich zu organisieren. Oder sich vielleicht sogar ein zweites Standbein aufbauen, indem sie Influencer:in werden. Dann kann sich auch extreme Nutzung freilich sehr lohnen.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

Tobias Dienlin ist seit September 2020 am Institut für Kommunikationswissenschaft als Assistenz-Professor für Interaktive Kommunikation tätig. Zuvor arbeitete er an der Universität Hohenheim, wo er 2017 zum Thema „The Psychology of Privacy“ promovierte. Von 2006 bis 2012 studierte Dienlin Psychologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Ferner reiste er für Forschungsaufenthalte an die Ohio State University in Columbus und an die University of California in Santa Barbara. Während der Promotion wurde Dienlin als Promotionsstipendiat von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Inhaltlich forscht er rund um das Thema Privatheit und Wohlbefinden im Kontext der Nutzung neuer sozialer Medien. Als Querschnittsthema interessiert sich Dienlin ebenso für den Bereich Open Science. Der Wissenschaftler ist gefragter Experte etwa beim ORF, Deutschlandfunk, Deutsche Welle, WDR, SWR, MDR und zahlreichen weiteren Medien.

Ein Foto von Tobias Dienlin.
Tobias Dienlin
© Fotocredit: Picturepeople

Daten und Fakten

  • 2003 entwickelte der neunzehnjährige Mark Zuckerberg während seines Psychologie- und Informatik-Studiums die Internetseite facemash.com, den Vorgänger von Facebook. Auf der Seite ließ Zuckerberg die User:innen über Fotos von Studentinnen abstimmen, welche die Hübschere sei − ohne Zustimmung der Frauen. Aufgrund von heftigen Protesten wurde die Seite gelöscht. Gemeinsam mit seinen Kommilitonen Eduardo Saverin, Dustin Moskovitz und Chris Hughes kreierte Zuckerberg die Plattform Facebook. Die Firma besteht offiziell seit dem 4. Februar 2004. Damit war Facebook nicht der Pionier in Sachen Social Media, denn 2002 und 2003 starteten bereits Friendster, LinkedIn und Myspace ihre populären Plattformen. In den Jahren 1995 bis 1997 legten zudem schon classmates.com und Sixdegrees den Grundstein für die digitale Verknüpfung der Menschen. Die Nutzer:innenzahlen bei Facebook entwickelten sich rasant. 2011 hatte es rund 800 Millionen Mitglieder; die Milliarden-Marke wurde etwa 2013 erreicht.

  • Am 28. Oktober 2021 wurde aus Facebook Meta Platforms Inc. (ehemals Facebook Inc.). Dazu gehören neben Facebook, Instagram und WhatsApp auch Oculus (Virtual Reality), Workplace, Portal und Portal+ (Smart Speaker) sowie Novi (Digitales Portemonnaie). Zuletzt griffen 3,98 Milliarden Nutzer:innen mindestens einmal im Monat auf eine von Metas Apps zu − und 3,19 Milliarden sogar täglich. Beim Flaggschiff Facebook waren es gut drei Milliarden Nutzer:innen monatlich und 2,11 Milliarden jeden Tag.

  • Das Unternehmen hinter dem sozialen Netzwerk zählt mit einem Börsenwert von 341 Milliarden US-Dollar zudem zu den wertvollsten Internetunternehmen weltweit (Stand: Jänner 2023).

  • Facebook stand von Beginn an in zahlreichen Ländern wegen seiner Datenschutzpraktiken in der Kritik. Speziell Verstöße gegen das Datenschutzrecht wurden mehrfach angemahnt. So geriet beispielsweise der von Facebook für die Anbieter:innen anderer Websites bereitgestellte Like-Button im Sommer 2011 in die Kritik, nachdem bekannt wurde, dass beim Besuch von Seiten, auf denen sich dieses Plug-in befindet, automatisch ein zwei Jahre lang gültiges Cookie ausgelesen wird, das dem/der Nutzer:in ohne seine/ihre Zustimmung vorher beim Anschauen von Facebook-Seiten auf seinen/ihren Computer übertragen wurde.

  • Außerdem gab es im Jahr 2011 ein Datenleck: Das soziale Netzwerk hat Werbekund:innen versehentlich Zugriff auf sensible Daten seiner Nutzer:innen gewährt. Einzelne Anwendungen auf Facebook ermöglichten Unbefugten Zugriff auf Nutzer:innenprofile, Fotos und Online-Konversationen.

  • Nach der US-Präsidentschaftswahl 2016 geriet das Kontaktnetzwerk im Zusammenhang mit der Verbreitung von Falschmeldungen (Fake-News) in die Kritik.

Quellen

Das Thema in anderen Medien