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Der erste Popstar, dessen Beat durch deine Feeds tanzt

3 Min
Die alle zwei Wochen erscheinende Kultur-Kolumne der WZ.
© Illustration: WZ / Katharina Wieser

Kein Insta, kein WLAN – und trotzdem viral. Johann Strauss war der erste, der Branding, Beef und Merch durchgespielt hat. 200 Jahre später funktioniert sein System immer noch.


Der Donauwalzer sitzt wie ein Ohrwurm in deinen Gehörgängen, und das nur, weil du mit Austrian Airlines geflogen bist. Oder weil du früher noch bei deinen Eltern zu Silvester um Punkt Mitternacht ferngesehen hast. Oder weil du in einem fancy Kleid auf einem dieser schicken Bälle bist, bei denen mehr getrunken wird als bei jeder Maturareise. Wer also den Donauwalzer kennt, kennt Johann Strauss (Sohn). Und den Grund, warum ein Mann aus der Wiener Vorstadt seit der Biedermeier-Ära, also seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, bis heute in unsere Feeds funkt.

Johann Strauss hat Pop gemacht, bevor das Wort überhaupt existierte. Mit allem, was dazugehört: Persona, Drama, Tour-Life – und einem Merch-System: bedrucktes Notenpapier, das begehrt war wie heute Fan-Editionen von Taylor Swift und Co.

Schnurrbart, Frack und Filterwirkung

Er war nicht nur Komponist, Dirigent und Musiker, er war die Marke. Schnurrbart inszeniert wie fürs Profilbild, Frack wie für den Opernball, Spitzname: Walzerkönig. Er dirigierte nicht einfach – er performte. Der Blick ins Publikum, der ganze Körper im Takt, die Musik bekam ein Gesicht. Und die Zeitungen? Berichteten, als wäre es Live-Content auf Papier. Zuckende Bögen, schwitzende Musiker, ekstatisches Publikum. Heute wäre das ein virales CapCut-Template.

Illustration aus dem 19. Jahrhundert. Komponist Johann Strauß in seinem Arbeitszimmer.
Johann Strauss (Sohn) (25. Oktober 1825 bis 3. Juni 1899) war der Wiener Komponist und Kapellmeister, der den Walzer zum Welt-Hit machte und bis heute als „Walzerkönig“ gilt.
© Bildquelle: Getty Images.

Publikumswirksame Spannung konnte er auch erzeugen. Damals hieß es Rivalität, heute wäre es ein produktiver Beef. Zuerst mit dem Konkurrenten Lanner, später zwischen Vater Johann und Sohn ¬Johann. Im Hintergrund zog Mutter Maria Anna die Fäden – strategisch, kühl, effizient. Sie verhandelte, schützte, positionierte „Jean“, wie sie ihn nannte, als bewussten Gegenentwurf zum Vater. Der Effekt? Wie bei einem Drop: Aufmerksamkeit, Gesprächsstoff, ausverkaufte Shows.

Strauss auf Tour

Strauss reiste, ließ eigene Orchester auftreten, streute Superlative und erzeugte das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn man sich nicht rechtzeitig um Einlass bemüht hatte. FOMO, bevor jemand wusste, was das ist. Kein Stream, keine Story, aber dasselbe Prinzip: präsent sein, ohne tatsächlich vor Ort zu sein.

Und er dachte in Formaten. Keine Playlists, aber Notenausgaben. Die Leute nahmen seine Musik mit, spielten sie nach, verbreiteten sie weiter. Remixkultur – ganz ohne USB-Stick. Später kam die Operette dazu. Neues Format, neue Crowd, gleiche Marke.


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Jeden Mittwoch

Warum das jetzt spannend ist? Österreich feiert gerade den 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn). Der Donauwalzer ist schon lange die inoffizielle Hymne. Er beschließt jedes Neujahrskonzert. International ist Strauss längst Teil der Popkultur: In „Titanic“ etwa tanzt die obere Etage dem Untergang im Dreivierteltakt des Walzers entgegen. Bei Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ schweben Raumschiffe zur „Schönen blauen Donau“ durch das Universum. Der Walzer aller Walzer – als Soundtrack des Unendlichen. Das ist kulturelle Wiedererkennbarkeit, fein säuberlich orchestriert in 1-2-3 und 1-2-3.

Was Creator heute von Strauss lernen können

Letztendlich sollte die Frage nicht lauten: War er der Erste? Sondern: Warum funktioniert sein Prinzip heute immer noch? Weil er wusste, wie man Aufmerksamkeit orchestriert. Mit einer Figur, die im Gedächtnis bleibt, einem Konflikt, der klatschtauglich ist, einem Tourkonzept, das Nähe suggeriert, und einem System, das Musik aus dem Saal in den Alltag bringt. Dazu eine Medienwelt, die jede Pointe zum Inhalt macht. Damals hieß das Klatschspalte, heute nennt man es Reichweite. Und Kultur bleibt lebendig, wenn sie beides schafft: Auftritt und Alltag.

Klingt wie Content von heute? Wie Ed Sheerans oder Taylor Swifts Karrierekalkül? War’s auch. Nur halt mit Walzer.

In „Kulturschock“ schreibt WZ-Redakteurin Verena Franke alle zwei Wochen über Themen aus der Welt der Kultur. Alle Texte von Verena findest du in ihrem Autorinnenprofil.




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Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • Johann Strauss (Sohn) (25. Oktober 1825 bis 3. Juni 1899) war der Wiener Komponist und Kapellmeister, der den Walzer zum Welt-Hit machte und bis heute als „Walzerkönig“ gilt. Er wuchs in einer Musikerfamilie auf, setzte sich gegen den berühmten Vater durch und debütierte 1844 im Dommayer in Hietzing mit eigenen Tänzen. Früh tourte er durch Europa und Russland, wurde im russischen Pawlowsk zum Society-Star und 1863 zum k. k. Hofballmusikdirektor ernannt.Seine größten Hits heißen „An der schönen blauen Donau“, „Geschichten aus dem Wienerwald“ und die „Tritsch-Tratsch-Polka“; außerdem schrieb er Operetten wie „Die Fledermaus“ und „Der Zigeunerbaron“. Er dirigierte bis ins hohe Alter bei besonderen Anlässen und starb 1899 in Wien – sein Beat tanzt bis heute durch Bälle, Playlists und Neujahrskonzerte.
  • Für das Strauss-Jahr 2025, in dem sein 200. Geburtstag gefeiert wird, stockte die Stadt Wien das Budget auf insgesamt 22 Millionen Euro auf. 2009 investierte man für das Mozart-Jahr rund 29,1 Millionen Euro. Gezeigt werden 65 Produktionen und 3 Ausstellungen an 69 Locations in Wien.

Quellen

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