Es gibt eine Sache, auf die wir uns im Zweifelsfall alle einigen können – egal wo auf dem politischen Spektrum und egal welches Geschlecht wir haben – nämlich, dass wir Mädchen blöd finden.
Wer ein cooler Junge sein will, muss möglichst anders sein als Mädchen. Wer ein cooles Mädchen sein will, muss möglichst anders sein als die anderen Mädchen (die uncoolen). Mädchen sind so blöd, dass „Mädchen“ sogar ein Schimpfwort ist für die, die keine Mädchen sind.
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Scheiterhaufenhexen
Das gilt im Übrigen nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene: In einer misogynen Gesellschaft werden einerseits Frauen abgewertet und zweitens alles, was mit Weiblichkeit assoziiert ist. Wer ernst genommen werden will, muss sich tunlichst davon abgrenzen. Misogynie ist so etwas wie eine verbindende Kernideologie unserer Gesellschaft und vieler anderen Gesellschaften. Deshalb ist auch nichts einfacher, als eine breite Öffentlichkeit davon zu überzeugen, eine bestimmte Frau zu hassen. Mädchen blöd zu finden, haben wir schließlich ein ganzes Leben lang eingeübt. Und die Erleichterung, mit der sich Misogynie in der Öffentlichkeit Bahn bricht, wenn sie denn endlich – endlich! – eine Frau zur Verfügung gestellt bekommt, an der sich abgearbeitet werden kann, hat beinahe libidinöse Qualität. Endlich kann man ungehemmt rauslassen, wie blöd und lächerlich und unsympathisch man Frauen findet und diesen Hass an einer Scheiterhaufenhexe vorexerzieren. Endlich darf er raus, der geile Frauenhass, den man im zivilisatorischen Rahmen sonst immer nur so subtil und implizit – also eigentlich gar nicht so richtig und gar nicht so wirklich – rauslassen darf. Wenn einem dann eine Watschenfrau zur Verfügung gestellt wird, in die man die eigene Misogynie kanalisieren kann, ist das ein großer Befreiungsschlag.
Blake Lively
Und Watschenfrauen werden uns in regelmäßigen Abständen zur Verfügung gestellt und in ebenso regelmäßigen Abständen fallen wir genüsslich über sie her – im Kleinen wie im Großen. Im Kleinen sind es Nischen-Celebrities, Journalistinnen, Meinungsbildnerinnen im Netz, Künstlerinnen, Autorinnen. Im sehr Großen sind es Hollywoodstars oder Politikerinnen. Der letzte dieser sehr großen Fälle ist jener von Blake Lively, der im August letzten Jahres vor den Augen und unter tatkräftiger Mitarbeit einer Weltöffentlichkeit stattfand. Nach dem Start des romantischen Filmdramas „It Ends with Us“ und der dazugehörigen Pressetour nämlich erschienen plötzlich zahlreiche negative Berichte über sie – ihre Antworten auf Interviewfragen seien unsensibel gegenüber Opfern häuslicher Gewalt (das Thema häusliche Gewalt steht im Zentrum des Films), sie würde taktlos reagieren und kein Gespür für Betroffene haben. Außerdem, so hörte man, sei sie schwierig in der Zusammenarbeit. Weltweit sprangen zahlreiche Menschen in sozialen Medien auf: Blake Lively sei empathielos, arrogant und ignorant. Blake Lively – die oberflächliche Bougie Bitch. Die zickige, überprivilegierte Hollywood-Diva. Das Bild war schnell fertig gezeichnet und die Öffentlichkeit (aka wir alle) sprang geifernd auf.
Justin Baldoni
Ende Dezember wurde von drei Investigativjournalist:innen ein Bericht in der New York Times veröffentlicht, der ebendiese bereitwillig mobbende und shitstormende Öffentlichkeit darüber aufklärte, dass sie sich zu willigen Mitspieler:innen einer orchestrierten Rufmordkampagne gegen Lively machen ließen.
Laut New York Times, der zahlreiche Screenshots und Belege im Rahmen einer 80-seitigen Klage von Lively gegen ihren Co-Star Justin Baldoni vorliegen, engagierte Baldoni dieselbe Krisen-PR-Agentur, die auch Johnny Depp beauftragte, um Amber Heard öffentlich zugrunde zu richten. Grund hierfür: Blake Lively beschuldigte Baldoni der sexuellen Übergriffigkeit. Er habe Sexszenen „improvisiert“, die nicht abgesprochen waren, und dabei Grenzen überschritten, er habe ihr von sexuellen Übergriffen in seinem Privatleben erzählt, von Situationen, in denen er keine Zustimmung von Sexpartnerinnen erhalten habe. Er und James Heath (gemeinsam mit Baldoni Co-Gründer der Produktionsfirma, die auch „It Ends With Us“ produzierte) hätten Lively Nacktfotos und Nacktvideos ihrer Partnerinnen gezeigt, wären plötzlich backstage aufgetaucht, als sie nackt oder halbnackt war, weil sie sich umzog oder stillte, und seien auch dann nicht gegangen, nachdem sie sie bat zu gehen. Sämtliche Co-Stars aus „It Ends With Us“ distanzierten sich bereits während der Pressetour von ihm und stellten sich auf Livelys Seite. Justin Baldoni bestreitet alles.
Livelys Klage gegen ihn und der Bericht in der New York Times über sie wurden übrigens im selben Monat öffentlich, in dem er einen Award für sein feministisches Engagement erhielt. Baldoni nämlich ist schon lang einer jener männlichen Feministen, die sich besonders lautstark in den Mittelpunkt drängen. Gemeinsam mit James Heath – ja, der James Heath, der in der Klage auch als Beschuldigter auftaucht – betreibt er den Podcast „Man Enough“, in dem es darum gehen soll, gesunde Männlichkeitsbilder zu entwickeln. Öffentlich sprach er sich gegen Gewalt an Frauen aus.
Lively wollte er, so ein in der New York Times wörtlich veröffentlichtes Zitat, als Racheakt „begraben“.
Die Öffentlichkeit hat fleißig mitgearbeitet
Dieses Begraben war auch wie immer ein sehr leichtes Spiel, denn nichts ist einfacher, als eine breite Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Frauen zu hassen. Davon, dass die, auf die gezeigt wird, eigentlich eine Hexe ist, eigentlich total unsympathisch, eigentlich, wie im Fall von Amber Heard, eine psychisch schwer gestörte, emotional instabile Irre, der man kein Wort glauben kann. Oder eigentlich, wie im Fall von Blake Lively, eine oberflächliche, nicht allzu intelligente Tussi, die in ihrer Bougie-Bitch-Überprivilegiertheit kein Verständnis für Opfer häuslicher Gewalt hat.
Die Rufmordkampagne lief so erfolgreich, dass die PR-Strateg:innen, die dafür zuständig waren, sich selbst überrascht zeigten. Nämlich davon, wie bereitwillig die Öffentlichkeit mitspielte und wie misogyn sie dabei agierte: „It’s actually sad because it just shows you have people really want to hate on women“ ist da als Zitat in einem Screenshot zu lesen.
Und genau das gilt es aus dem Fall Lively zu lernen: Wir sind nicht nur arme Opfer der Algorithmen, die uns Misogynie vorgeben, konzertiert durch einzelne mächtige Männer, die Frauen zum Fallen und zum Schweigen bringen wollen. Nein, man muss sehr deutlich festhalten: Die Öffentlichkeit hat fleißig mitgearbeitet. Nicht nur das: Ohne willige Handlanger:innen würde eine derartige Kampagne nicht funktionieren. Sie basiert darauf, dass jene, die sie orchestrieren, wissen, wie einfach es ist, Menschen über weibliche Feindbilder in Wut oder Schadenfreude oder Hass oder geifernde Zerstörungslust zu versetzen. Sie setzen darauf, dass sie sich auf unsere Misogynie verlassen können. Und sie liegen völlig richtig damit.
Erbsünde Öffentlichkeit
Im Regelfall bedarf es für Schmutzkübelkampagnen gegen Frauen nämlich gar keiner groß angelegten Strategie eines professionellen Teams, meist handeln die Handlanger:innen im Netz ganz ohne Auftraggeber. Für Frauen in der Öffentlichkeit kann dabei alles zu einem Strick gedreht werden: ein falsches Wort, einmal im Ton vergriffen, einmal nach einem langen Tag genervt reagieren auf eine nervige Frage in den Kommentaren, einmal schlechtes Timing, einmal aus dem Kontext gerissen werden, ein falsches Outfit, zu jung, zu alt, zu dick, zu dünn, zu normschön, zu hässlich, zu working class, zu bougie, zu laut, zu intelligent, zu naiv, zu alles. Frauen in der Öffentlichkeit sind einem kritischen Blick unterworfen, den Männer in der Öffentlichkeit nicht im Ansatz zu spüren bekommen. Frauen in der Öffentlichkeit können nichts richtig machen und viel falsch, denn ihre Erbsünde liegt schon darin, dass sie es überhaupt wagen, in dieser Öffentlichkeit zu sein.
Frauenhass im Netz
Misogyner „Hass im Netz“ ist hier im Übrigen mitnichten ein ausschließlich rechtes Phänomen. Nicht selten sind es gerade linke Tastaturkrieger:innen, die ihre eigene Misogynie weder sehen noch reflektieren, die zu den schlimmsten Misogynist:innen gehören, die das Netz je gesehen hat. Sie verstehen sich dabei selbst als „Feminist:innen“, belehren Frauen darüber, wie Feminismus richtig geht und wo und wie sie (die Frauen) ihn falsch machen. Sie fahren gnadenlose Kampagnen gegen Frauen, ziehen sie und ihren Ruf in den Dreck, zerstören damit Existenzen. Ganz ohne Mastermind in Form einer Krisen-PR-Agentur im Internet. Wir brauchen gar keine breit angelegte Desinformationskampagne, um Frauen fertig zu machen, wir machen das bereitwillig selbst und kommen uns noch gut dabei vor.
In einer Sache sind sich Rechte und Linke (und alle anderen) nämlich im Zweifelsfall einig: in ihrem Frauenhass (und in ihrem Antisemitismus, aber das ist eine andere Geschichte).
Frauen dürfen unsympathisch sein
Folgendes sollten wir uns alle kollektiv merken: Sobald eine Frau als Hexe markiert wird und verbrannt werden soll, ist es an uns, nicht geifernd mit digitalen Streichhölzern und Mistgabeln mitzurennen, sondern uns umzudrehen und stattdessen jene, die sie als Hexe markieren, sehr genau in den Blick zu nehmen. Wenn wir online Stories über Frauen sehen, die diese Frauen schlecht dastehen lassen, sollten wir die Frage stellen: Von wem lassen wir uns instrumentalisieren und zu welchem Zweck? Was hat die besagte Frau wirklich gesagt, getan oder geschrieben, was wird aus dem Kontext gerissen und zu welchem und zu wessen Zweck? Und dann sollten wir uns noch merken: Frauen dürfen auch unsympathisch sein. Frauen dürfen Fehler machen, sich im Ton vergreifen, genervt reagieren, in Interviews unperfekt antworten. Sobald wir einen anderen Maßstab an sie anlegen als wir das an Männer in ihrer Position tun, ist das: Misogynie.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
The New York Times: ‘We Can Bury Anyone’: Inside a Hollywood Smear Machine