Weiße Berge, volle Pisten: So stellt man sich Österreich im Winter vor. Aber nicht auf allen Hängen ist dieser Wintertraum Realität. Immer mehr kleine Skigebiete kämpfen um ihren Erhalt. Die Skination Österreich verliert so ihren Gästenachwuchs.
Roswitha Wimmer blickt den Hang hinauf. 50 Jahre lang hat sie hier gemeinsam mit ihrem Mann Josef ein kleines Skigebiet geführt: Kindern die Liftbügel gereicht, an der Kassa gestanden, Buchhaltung gemacht und Toiletten geputzt. „So ein Skigebiet betreibt man Tag und Nacht“, sagt sie. Heuer zieht sich zum ersten Mal hier kein weißes Band mehr durch die braun-grüne Winterlandschaft von Eggersdorf bei Graz. Obwohl die beiden noch vor ihrem Pensionsantritt in moderne Ausstattung wie eine Flutlichtanlage und Schneekanonen investiert haben, möchte die Wimmerlifte niemand übernehmen. Denn trotz tage- und nächtelanger Beschneiung konnte man in den vergangenen Jahren die Skitage pro Saison an zwei Händen abzählen. Der Negativrekord waren fünf Tage, an denen die Lifte in Betrieb genommen werden konnten. Es ist einfach nicht mehr kalt genug.
- Für dich interessant: Das Leben nach dem Profisport
Zu wenig Schnee
Dass die Winter wärmer werden, ist nichts Neues. Beschneiungsanlagen sind deshalb von den heimischen Pisten nicht mehr wegzudenken. Laut Markus Redl, Experte für Skigebiete in der Transformation, gebe es kein einziges Skigebiet in Österreich mehr, das sich nicht mit Beschneiung befassen müsse. Auf den fehlenden Schnee haben sich die Skigebiete also mittlerweile eingestellt – auf den Regen allerdings nicht. „Die Beschneiung hat in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine ganz andere Qualität bekommen. Aber dass es einfach tagelang schüttet, ist ein tödliches Risiko“, weiß Redl. Denn der Regen wäscht den Schnee weg – und das passiert immer öfter. „Diese Extremwetterereignisse hat es in der Form nicht so häufig gegeben. Das killt die Skigebiete“, sagt Redl.
Was ist die Alternative? Dass wir aufgeben? Sicher nicht!Markus Redl, Experte für Skigebiete in der Transformation
Aber was killt sie noch? Der Skifahr-Nation Österreich gehen die Skifahrer:innen aus, weiß der Experte. Die kleinen Skigebiete wie jenes von Roswitha Wimmer sind laut Markus Redl gut geeignet, damit junge Menschen in den Skisport finden. Die Tageskarten sind meist viel günstiger als jene der großen Skiarenen. Immer mehr junge Leute würden aber erst gar nicht mit dem Skifahren beginnen: „Wir wissen, dass laut demographischer Entwicklung die jüngeren Jahrgänge an potenziellen Skigästen immer dünner werden. Außerdem gibt es in vielen Familien keine Wintersporttradition mehr.“ Für kleinere Skigebiete sieht Redl nicht nur die Chance, sondern geradezu die Aufgabe, sich der Nachwuchsausbildung zu widmen. Es sind nämlich genau diese Skigebiete, die es auch Kindern und Jugendlichen aus Ballungsräumen ermöglichen, zu günstigeren Preisen nahe an Zuhause das Skifahren zu lernen und den Schneesport auf weniger überfüllten Pisten in einem übersichtlichen Umfeld auszuprobieren.
Zu wenig Transparenz
Damit Kinder und Jugendliche in den Schneesport finden, gibt es in Österreich zahlreiche Initiativen. Unter anderem ist Skifahren Teil vieler Schulsportwochen. Auch Markus Redl erzählt von einer Kampagne, die er mitbegründet hat: „Wir haben mehr als 100.000 Kinder mit einem kostenlosen Wiederbesuchsgutschein versorgt; wenn du wiederkommst, zahlst du als Kind nichts. Die Einlöse-Rate dieser Gutscheine war aber niedrig, sie lag fast im Promillebereich.“ Der erhoffte Effekt blieb aus. Dass diese Initiativen nichts bringen, will der Experte so aber nicht sehen: „Was ist die Alternative? Dass wir aufgeben? Sicher nicht!“
Privatwirtschaftlich rentieren sich kleinere Skigebiete nicht immer, trotzdem ist es für eine so stark vom Wintertourismus abhängige Nation wie Österreich wünschenswert, sich um ihren Fortbestand zu bemühen, um den Nachwuchs an Skigästen zu sichern. Hier stellt sich die Frage, inwiefern es Sinn macht, wenn die öffentliche Hand bei den Eigentümerschaften mitmischt – laut Redl ein interessanter und zukunftsweisender Gedanke: „Gemeinden, Bundesländer und sogar die Republik Österreich sind nicht nur bei den kleinen Skigebieten involviert, sondern teilweise auch bei großen, höchst profitablen; die Schladminger Planai oder Serfaus-Fiss-Ladis zum Beispiel.“
Auf der kärntnerischen Flattnitz liegt so ein Skigebiet, das von öffentlicher Hand geführt wird – jedoch nicht gerade vorbildhaft. Die Gemeinde Glödnitz ist hier Haupteigentümerin der Liftgesellschaft. Bereits 2013 wurde klar, dass einer der Grundbesitzer den Liftbetrieb auf seiner Fläche bis 2026 einstellen möchte. Anstatt finanziell für den Rückbau vorzusorgen, habe die Gemeinde jedoch nie Rücklagen erstellt. Oder, wie der ehemalige Geschäftsführer Adolf Isopp es nennt: „Das wurde politisch unter den Teppich gekehrt.“
Das Resultat: eine Überschuldung, die es unmöglich macht, den Betrieb in seiner jetzigen Form weiterzuführen. Dieses Jahr meldete das Skigebiet deshalb Insolvenz an; nun versucht Isopp, noch eine rettende Lösung zu finden. Seine Familie betrieb lang nur einen benachbarten Skilift, den die Gemeinde seit 2018 zu ihrem eigenen Skibetrieb dazupachtete. Isopp wurde zum Geschäftsführer des vergrößerten Skigebiets. „Wenn ich alles von Anfang an gewusst hätte, hätte ich das sicher nicht übernommen“, sagt Isopp. Aber noch laufen die Skilifte auf der Flattnitz. Außerdem ist Isopp Optimist.
Zu hohe Erwartungen
Optimismus braucht die Branche definitiv – aber auch ein Umdenken in Bezug auf den Standard, der für Skitourismus immer noch weiter in die Höhe getrieben wird. Für Redl ist klar: „Wir sind ein Weltklasse-Standort für Skifahren.“ Daran haben sich die Skigäste gewöhnt, sie kommen mit hohen Qualitätserwartungen. Für kleinere Skigebiete kann das herausfordernd sein, denn die perfekte Piste ist aufwendig und teuer. „Die Erwartung an das Qualitätsniveau, das kannst du nicht mehr halten“, sagt der Experte.
Das, was vor 30 Jahren noch als schöne Piste gegolten hat, ist heute ein Acker.Thomas Gauss, Betreiber des weststeirischen Skigebiets Gaberl
Auch am Gaberl in der Weststeiermark ringt ein kleines Skigebiet bereits seit Jahren mit den Ansprüchen des modernen Skigasts. „Das, was vor 30 Jahren noch als schöne Piste gegolten hat, ist heute ein Acker. Wenn wir die heute eröffnen würden, würden die Leute an der Kassa stehen und sich beschweren“, sagt Betreiber Thomas Gauss. Glattgebügelte Bänder vom Gipfel bis ins Tal sind nur mit neuester Technik möglich – und die ist teuer. Zu teuer für das kleine Skigebiet; nun stopfte eine Finanzspritze vom Land Steiermark in der Höhe von 208.000 Euro vorerst die größten Löcher in der Haushaltskasse. Das Kernproblem bleibt jedoch bestehen.
Zu spät?
Was also tun, damit kleine Skigebiete sich weiterhin behaupten können? Erfolg sieht Redl in Maßnahmen, die darauf abzielen, die Bewegung und Verteilung von Skisportler:innen über Skigebiete hinweg zu lenken. Skifahren ist ein Saisonsport, die Nachfrage ist an bestimmten Tagen am höchsten. Redl plädiert dafür, diese Nachfrage mit Hilfe eines Anreizsystems besser zu steuern, um „die Gäste dazu zu animieren, in weniger auslastungsstarke Zeiten zu wechseln“.
Wie das möglich ist? Zum Beispiel über sogenannte dynamische Preismodelle, wie sie in der Schweiz bereits angewandt werden: Die Eintrittskartenpreise richten sich dort nach der Nachfrage an diesem Tag. Das könnte auch im Sinn jener Gäste sein, die zwar gern Skifahren, es sich aufgrund der stetig steigenden Preise jedoch kaum mehr leisten wollen oder können. Eine Tageskarte kostet in Österreich im Durchschnitt über 50 Euro, die teuersten knapp 80 – Anfahrt, Ausrüstung und Verpflegung machen schnell nochmal so viel oder sogar mehr aus.
Damit auch die kleineren Skigebiete weiterhin attraktiv für Besucher:innen bleiben, sieht Redl außerdem alle Skigebiete darin gefordert, ihren touristischen Horizont zu erweitern. Und zwar in Form von Angeboten, die das Rundumpotenzial des Bergs ausnutzen, anstatt nur die Möglichkeit zu sehen, darauf Ski zu fahren. „Was wir schaffen müssen, ist das Selbstverständnis Bergerlebnis.“ Dazu gehören Angebote wie Klettergärten, Ziplines, Mountainbike Trails und vieles mehr. „Man muss den Gästen ein tolles Bergerlebnis bieten, unabhängig davon, ob jetzt gerade Schnee vorhanden ist oder welche Qualität die Piste hat“, erklärt Redl.
Das alles kümmert Roswitha Wimmer in ihrem wohlverdienten Ruhestand nicht mehr. In den stärksten Saisonen haben hier in Eggersdorf bei Graz an die 2.000 Kinder das Skifahren gelernt – eine Leistung, auf die sie mit Stolz zurückblickt. Und jetzt, in diesem Winter, darf der Hang zum ersten Mal seit 50 Jahren einfach so braun-grün-weiß gescheckt sein wie seine Umgebung.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Die WZ-Trainees Isabel Frahndl und Katharina Zangerl sind beide mitten im Skitrubel aufgewachsen, die eine in Salzburg, die andere in Tirol. Gelernt haben sie das Skifahren aber an den Hängen der kleinen Bürgermeisterlifte, von denen es früher in jedem Dorf welche zu geben schien. Viele davon haben mittlerweile zugesperrt oder hanteln sich von Saison zu Saison. Sind sie rettenswert oder überflüssig? Die Autorinnen haben es sich genauer angesehen.
Gesprächspartner:innen
Markus Redl hat Sportwissenschaften an der Universität Wien studiert und als Fulbright-Stipendiat einen Master in Public Administration an der Harvard Kennedy School absolviert. Er war zehn Jahre lang für ein Programm zur Tourismusentwicklung von neun Bergerlebniszentren im alpinen Süden Niederösterreichs verantwortlich und teilt seine Expertise in diversen Artikeln und Blogs sowie neuerlich auch in einem eigenen Buch (siehe Quellen). Seit 2011 leitet er die ecoplus Alpin GmbH (vormals Niederösterreichische Bergbahnen-Beteiligungsgesellschaf m.b.H.) und ist damit für Errichtung, Betrieb und Professionalisierung von mehreren Skigebieten in Niederösterreich zuständig.
Roswitha Wimmer ist ehemalige Skigebietsbetreiberin in Eggersdorf bei Graz. Nachdem sie und ihr Mann sich zur Ruhe gesetzt haben, widmen sie sich nun ihrer Hunde- und Ziegenzucht. Letztere dürfen sich darüber freuen, die freigewordene Fläche des ehemaligen Skigebiets abzugrasen.
Adolf Isopp ist ehemaliger Geschäftsführer des Skigebiets Flattnitz in der Kärntner Gemeinde Glödnitz.
Thomas Gauss ist Betreiber des Skigebiets Gaberl im weststeirischen Salla. 2017 hat er den Skibetrieb „notgedrungen“ übernehmen müssen, wie er beschreibt. Nachdem der Skibetrieb am Gaberl eingestellt wurde, sei in dem anliegenden Gasthaus, der Pension und der Skischule seiner Familie das Geschäft eingebrochen. „Der Sommer auf der Alm ist einfach zu kurz.“
Daten und Fakten
In Österreich gibt es insgesamt rund 1.100 Seilbahnanlagen und etwa 1.400 Schlepplifte. Insgesamt verfügen die Skigebiete über rund 240 Quadratkilometer Pistenfläche – das ist etwas größer als Linz und Graz zusammen. Klingt riesig, macht aber nur einen Bruchteil der fast 55.000 Quadratkilometer großen Alpingebiete in Österreich aus.
Laut Wirtschaftskammer generiert der Wintersport in Österreich 12,6 Milliarden Euro Umsatz und 6,7 Milliarden Euro an Wertschöpfung. Durch den Wintersport werden im Winter 250.000 Arbeitsplätze geschaffen, darunter in Gastronomie, Hotellerie und Seilbahnbetrieben.
Tourismus gilt als wichtiger Wertschöpfungsmotor in Österreich, besonders in den alpinen Regionen. Insgesamt gehen auf den Tourismus 6,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurück.
Beschneiung ist ein wesentlicher Faktor zum Erhalt der Wintersportanlagen. Für einen Kubikmeter Schnee werden zwischen ein und drei kWh benötigt. Laut Angaben der Wirtschaftskammer kommen 90 Prozent der Energie für Beschneiung aus erneuerbaren Quellen.
Quellen
Fachverband Seilbahnen: Faktenblatt
Markus Redl (2024): „Die Zukunft der Skigebiete: Das weiße Gold wird grün!“
Wirtschaftskammer: Wintertourismus Nachhaltigkeit
Skiinfo: Skipasspreise
Das Thema in der WZ
Für die Alpengletscher besteht noch Hoffnung
Das Thema in anderen Medien
Profil: Der „Schorschi“ fährt noch
Der Standard: Kleine Skigebiete kämpfen um den Fortbestand