Wie kann Frieden oder zumindest ein Waffenstillstand erzielt werden, wenn beide Konfliktparteien auf ihren Maximalforderungen beharren? Die WZ fragte Politiker:innen und Friedensforscher:innen. Das Ergebnis ist vielsagend.
Endlich Frieden! Das ist zweifellos der meistgeäußerte Wunsch zumindest in der jüngeren Menschheitsgeschichte. Im Moment ist er wohl noch stärker: Die Kriege in der Ukraine und in Israel überlagern im allgemeinen Bewusstsein bewaffnete Konflikte wie etwa den im Sudan, der mittlerweile als der vom Westen vergessene Krieg gelten kann. Die Liste der bewaffneten Konflikte scheint in der Tat endlos.
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Aber könnte es nicht doch Schlupflöcher geben, durch die sich ein Waffenstillstand oder gar Frieden hindurchzwängen und zwischen die Konfliktparteien stellen kann? Die WZ hat Wehrsprechern und mit Fragen des Militärs befassten Politikern der österreichischen Parlamentsparteien und Friedensforscher:innen diese Frage gestellt: Wie können bewaffnete Konflikte oder Kriege enden, und zwar auch dann, wenn beide Seiten Forderungen stellen, die einen Kompromiss auf den ersten Blick unmöglich machen?
Von allen Angefragten haben bis Redaktionsschluss drei geantwortet.
Beredtes Schweigen
Selbst das Schweigen der Anderen sagt freilich viel aus, wenn man es im Licht der Antwort betrachtet, die der österreichische Militärhistoriker Erwin A. Schmidl der WZ im Kontext über das sich über die Jahrhunderte verändernde Gesicht des Krieges gab. Schmidl vertritt die Position, dass Kriege nur auf zwei Weisen enden: Entweder beide Seiten erkennen, dass ihnen eine Fortsetzung des Krieges keine wie auch immer gearteten Vorteile verschafft, oder eine der Konfliktparteien kann den Krieg mangels Materials und/oder Soldaten nicht fortführen.
Das freilich ist eine ernüchternde Erkenntnis, die weder Friedenforscher:innen noch Politiker:innen gern aussprechen: Den Friedensforscher:innen raubt sie das optimistische Grundkonzept, dass der Frieden immer unter allen Umständen eine Chance hat, und Politiker:innen macht sie es unmöglich, eine gute Botschaft zu verkünden.
Obendrein mögen die mit äußerster Heftigkeit geführten Diskussionen in den sozialen Medien eine Rolle für die Zurückhaltung spielen. Derzeit scheint es riskant, eine Meinung zu äußern, denn man wird nahezu automatisch zur Sympathisantin oder zum Sympathisanten einer der Konfliktparteien erklärt. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass es für dauerhaften Frieden tatsächlich beide Seiten braucht, die auf Augenhöhe miteinander umgehen.
Jeder Konflikt hat einen Kontext
So sieht es etwa Viktorija Ratković, Senior Scientist am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, in ihrem Statement für die WZ: „Grundsätzlich hat jeder Konflikt und auch jeder Krieg eine Vorgeschichte und einen konkreten, spezifischen Kontext. Diese müssen bei jeglichen Versuchen, eine gute Lösung für die Involvierten zu erreichen, berücksichtigt und offen thematisiert werden. Wenig hilfreich ist die klassische Sichtweise auf Konflikte und Kriege, die davon ausgeht, dass eine Seite zwangsläufig verlieren muss, damit so etwas wie Frieden erreicht werden kann. Vielmehr muss die Frage geklärt werden, wie möglichst viel Gerechtigkeit für alle Involvierten sichergestellt werden kann, etwa bezüglich des Zugangs zu Ressourcen oder zur (demokratischen) Teilhabe.
Hilfreich ist aus meiner Sicht, Konflikte und Kriege nicht aus der Perspektive der Sicherheitslogik (die zum Beispiel die Ursache von Konflikten in einem ,Außen' verortet), sondern aus der Perspektive der Friedenslogik zu betrachten. Diese sieht etwa vor, Gewaltabbau und Gewaltprävention in den Fokus zu rücken und Konfliktanalysen unter Einbeziehung der eigenen Verantwortung durchzuführen.“
Auf Augenhöhe diskutieren
Doch wie kann man überhaupt dahin kommen, wenn die Fronten verhärtet sind und keine der beiden Seiten von ihren Maximalforderungen lassen will?
Die herkömmliche Vorstellung ist die, dass ein Vermittler einen idealen Vorschlag unterbreitet, den beide Konfliktparteien sofort akzeptieren können. Dieser Gedanke scheint freilich naiv, wenn man mit Thomas Roithner spricht. Der Friedensforscher an der Uni Wien sagt: „Bei Vermittlungsprozessen geht es nicht um einen Vorschlag einer Drittpartei für ein detailliertes Endergebnis, sondern um einen Fahrplan. Ausgangspunkt ist, dass humanitäres Völkerrecht nicht in Frage gestellt wird. Eine Ursachenanalyse und die Berücksichtigung der Konfliktgeschichte sind für tragfähige Bearbeitungsprozesse besonders wichtig.”
Demnach ist der Weg zu einem anhaltenden Frieden lang und obendrein steinig, denn es gilt, denkt man Roithners Ansatz konsequent weiter, dass beide Seiten ihre Fehler und Versäumnisse gegenüber der anderen Seite, ebenso, sofern vorhanden, eventuelle Völkerrechtsbrüche wie Landnahmen, Vertreibungen und Terrorakte, eingestehen und aufarbeiten müssen. Doch schon die Vermittlerrolle muss klar umrissen sein: „Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass NATO- und EU-Staaten diplomatische Vorstöße, konkrete Maßnahmen und internationale Ordnungsvorstellung aus dem globalen Süden auf Augenhöhe diskutieren”, sagt Roithner.
Die Rolle der Vermittler
Tatsächlich nämlich kann die Rolle der Vermittler für die Beendigung eines Krieges nicht hoch genug bewertet werden: „Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung hat Typen der Kriegsbeendigungen systematisiert”, so Roithner. „Seit 1989 sind 53 Prozent der Kriege durch militärische Siege beendet worden. Rund 44 Prozent durch Vereinbarungen. Besonders erfolgreich waren Vereinbarungen, wenn sie über Vermittlung von Drittparteien stattfanden.”
Kann die UNO dabei eine Rolle spielen? Immerhin hat etwa Israel Vorbehalte und fühlt sich von der UNO ungerecht behandelt. Roithner: „Auch wenn die UNO nur so stark ist, wie die Mitgliedstaaten das politisch möchten, so positiv ist UN-Generalsekretär António Guterres mit seinen diplomatischen Anstrengungen jüngst bezüglich Ukraine, Nahost, Abrüstung und Klimaerhitzung hervorgetreten.” Wobei Roithner betont, dass die Prävention noch stärker in den Mittelpunkt der Arbeit der Vereinten Nationen rücken muss, wobei es vor allem gilt, die Zivilgesellschaft mit geeigneten Projekten zu stärken.
Schlachtfeld oder Verhandlungstisch
Diesen Idealismus kann Douglas Hoyos, Verteidigungssprecher der NEOS, nicht teilen, und die auch von Roithner genannten Zahlen (wonach 53 Prozent der Kriege seit 1989 durch militärische Siege beendet wurden) scheinen ihm recht zu geben: „Die Behauptung, dass jeder Krieg am Verhandlungstisch endet, ist falsch. Viele Kriege enden am Schlachtfeld. Wenn die Forderungen zweier Konfliktparteien einen Kompromiss unmöglich machen, gibt es nur zwei Lösungen: Krieg bis zum bitteren Ende (für eine Seite), oder aber eine externe Intervention, die die Rahmenbedingungen so verändert, dass zumindest eine der Parteien ihre Forderungen herunterschraubt. Im Moment besteht im Nahen Osten die Hoffnung, dass die USA Bedingungen für Israel schaffen, die eine Alternative zu einer Maximallösung erlauben: Sicherheitsgarantien für Israel, solange Israel in Gaza nicht zu weit geht − oder das Interesse am Krieg verliert.”
Ein ernüchterndes Szenarium, denn weder Sicherheitsgarantien noch ein schwindendes Interesse am Krieg bedeuten Frieden, denn Frieden ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. So schrieb der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes bereits 1651 in seiner staatstheoretischen Schrift „Leviathan”: „Die Natur des Krieges besteht nicht darin, dass aktuell gekämpft wird; sondern in der bekannten Bereitschaft dafür, während deren Andauer es keine Versicherung für das Gegenteil gibt.“
Das Interesse am Krieg verlieren
Was die Ukraine betrifft, sieht Hoyos ein grundlegend anderes Bild als im Israel-Gaza-Konflikt, denn: „Da die Ukraine um ihr Überleben kämpft, gibt es wenig Szenarien, in denen sie das Interesse an ihrer Verteidigung verlieren könnte.” In diesem Fall, ist Hoyos überzeugt, ist es das russische Kriegsinteresse, bei dem man ansetzen muss: „Für Russland ist die Situation eine andere. Sobald genügend Interessensgruppen in Russland glauben, dass sie mittelfristig besser ohne Putin und seinen Krieg dastehen als mit ihm, endet der Krieg. Wer sich also gegen Russland-Sanktionen oder Ukraine-Unterstützung ausspricht, verlängert entweder den Krieg oder spricht sich für ein Ende am Schlachtfeld aus – mit Putin als Sieger.“
Keines der Statements schafft unmittelbar gute Gefühle, denn alle schließen langwierige und mit der Aufarbeitung des Konfliktpotenzials wohl auch für das Selbstverständnis der Konfliktparteien schmerzhafte Prozesse mit ein. Frieden schon morgen – das ist Wunschdenken, und dieses Wunschdenken ist von der Realität durch einen tiefen Graben getrennt. Doch es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass über solche Gräben mit der Zeit tragfähige Brücken gebaut werden.
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Infos und Quellen
Genese
Wie kann zwischen Kriegsparteien ein Waffenstillstand hergestellt werden, wenn beide zu Kompromissen nicht bereit sind? Ist das möglich? Diese Frage stellte sich in der Diskussion, wie es im Konflikt zwischen Israel und Gaza weitergehen könne; sie ist jedoch nicht allein in diesem Konflikt relevant, sondern eine Grundfrage in jeder bewaffneten Auseinandersetzung.
Gesprächspartner:innen
Viktorija Ratković ist Senior Scientist am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie ist Mitglied der Curricularkommission für das Erweiterungscurriculum Gender Studies und Mitglied der Curricularkommission Pädagogik. Ihre Dissertation wurde von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit dem Dissertationspreis für Migrationsforschung ausgezeichnet. Zusammen mit Utta Isop hat sie im Facultas Verlag das Buch „Differenzen leben“ herausgegeben.
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff ist Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS. Er leistete seinen Präsenzdienst bei der Garde des Österreichischen Bundesheers. 2012 wurde er zum Generalsekretär der Jungen Liberalen, der Jugendpartei der NEOS, gewählt. Er war als Projektmanager bei den NEOS und in einem Forstbetrieb tätig. Derzeit ist er Wehrsprecher der NEOS und seit 1. August 2021 deren Generalsekretär.
Erwin A. Schmidl ist Militärhistoriker und Dozent an der Universität Innsbruck. 1981 ist er als Referent und Referatsleiter in das Heeresgeschichtliche Museum Wien eingetreten, wo er zuletzt interimistischer Leiter der Militärwissenschaftlichen bzw. Militärgeschichtlichen Forschungsabteilung war. Seit 2001 ist er Leiter des Fachbereichs Zeitgeschichte am Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie Wien, das er seit 2012 interimistisch leitet.
Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Mitarbeiter im Versöhnungsbund. Zusammen mit Pete Hämmerle ist er Kampagnenleiter für die Einführung eines zivilen Friedensdienstes in Österreich.
Daten und Fakten
Der Krieg in der Ukraine hat am 24. Februar 2022 mit einem Einmarsch Russlands auf ukrainisches Staatsgebiet begonnen. Vorangegangen war die russische Annexion der Krim im Jahr 2014. Nach derzeitigem Stand scheint ein Ende des Krieges aufgrund einer diplomatischen Lösung nahezu ausgeschlossen, da die Forderungen der Gegner einen Kompromiss auszuschließen scheinen: Die Ukraine beharrt auf der Wiederherstellung der Grenzen vor der Annexion der Krim und eine freie Entscheidung über Beitritte zu westlichen Wirtschafts- und Militärbündnissen, während Russland zumindest die Krim und das Gebiet des Donbass für sich beansprucht und ein Mitspracherecht bei Beitritten der Ukraine zu EU und NATO.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen begann am 7. Oktober 2023 mit einem Raketenangriff und einem Überfall von mehr als 1.000 Hamas-Kämpfern auf Israel. Dabei töteten sie 265 israelische Soldat:innen in Kampfhandlungen, ermordeten mehr als 1.000 israelische Zivilist:innen inklusive Kindern und entführten zahlreiche Zivilist:innen, von denen alle bis auf zwei weiterhin gefangen gehalten werden oder ermordet wurden. Dabei handelt es sich um die größte Massentötung an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Israel rief daraufhin erstmals seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 den Kriegszustand aus. Ein Ende des Konflikts zwischen Israel und den Palästinenser:innen-Vertretungen scheitert bisher an unvereinbaren Forderungen: Die Forderung der Palästinenser:innen ist die uneingeschränkte Selbstkontrolle über einen eigenen Staat, was bedeutet, dass Israel seine militärische Präsenz im Westjordanland aufgeben, die dortigen jüdischen Siedlungen ebenso wie die Sperranlage abbauen und die Abriegelung von Gaza aufgeben müsste. Israel wiederum ist derzeit nicht bereit, seine Siedlungspolitik zu ändern oder gar bestehende Siedlungen abzubauen und fürchtet, dass in einem palästinensischen Staat ein neuer Gegner entstehen könnte, der von anderen Staaten der Region, etwa dem Iran, militärisch für einen Krieg gegen Israel aufgerüstet werden könnte.
Im nordost-afrikanischen Staat Sudan herrscht seit dem 15. April 2023 Krieg. An diesem Tag begannen die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Generalleutnant Mohammed Hamdan Daglo, die Sudanesischen Streitkräfte (SAF) unter dem General Abdel Fattah Burhan, der als De-facto-Staatsoberhaupt angesehen wird, anzugreifen. Daglos Ziel ist die Kontrolle wichtiger Regierungseinrichtungen, darunter der Präsidentenpalast und die Residenz des Armeechefs (was einer Entmachtung Burhans gleichkäme), zusätzlich des staatlichen Fernsehens und des internationalen Flughafens von Khartum. Nichts davon will Burhan ihm zugestehen. Nach mehreren gebrochenen Waffenstillständen ist eine Konfliktlösung vorerst in weite Ferne gerückt.
Friedensforschung ist ein Teil der Konfliktforschung. Erforscht werden die Grundlagen für dauerhaften Frieden zwischen Staaten, Völkern und Menschen. In Österreich betreiben u.a. die Universitäten in Wien, Graz, Innsbruck und Klagenfurt Friedensforschung; hinzu kommt das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), sowie das Austrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution, kurz ASPR), eine private und gemeinnützige Forschungseinrichtung mit Sitz auf der Burg Schlaining im Burgenland.
Thomas Hobbes (1588-1679) war ein englischer Mathematiker und Philosoph. Vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs (1642-1649) schrieb er sein staatstheoretisches Hauptwerk „Leviathan”. Hobbes schlägt einen Staat mit einem allmächtigen, also absolutistisch regierenden Herrscher vor, der nicht durch die Gnade Gottes legitimiert ist, sondern durch eine Übereinkunft seiner Untertanen.
Quellen
Thomas Roithner: Märkte, Macht und Muskeln (myMorawa von Dataform Media GmbH; Wien, 2017)
Thomas Roithner: Flinte, Faust und Friedensmacht (myMorawa von Dataform Media GmbH; Wien, 2020)
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen: Friedenssicherung
Bundeszentrale für politische Bildung: Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden?
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Für den Frieden braucht es auch Waffen
Kleine Zeitung: Wie Frieden gelingen kann: "Russland müsste Partner Europas sein"
Südkurier: Krieg, Familie, Schule: Wie lassen sich Konflikte lösen? Drei Experten wissen Rat
Merkur.de: Wagenknecht-Manifest: Ist die Kriegsberichterstattung der Medien zu einseitig?