PodcastIm Ukraine-Krieg ist modernste Technologie im Einsatz. Dennoch sind die Soldat:innen dort mit einer Realität konfrontiert, die unseren Urgroßvätern sehr bekannt vorgekommen wäre.
Der Krieg hat sein Gesicht verändert: In der Ukraine wird unter Einsatz modernster Methoden gekämpft. Es sind Roboter unterwegs, die mittels KI selbst entscheiden, wen sie wo wann angreifen. Russische und ukrainische Soldat:innen gehen mit dem Tablet in der Hand ins Feld. Drohnen erfassen den Standort feindlicher Panzer, senden die Koordinaten in Sekundenbruchteilen an Artillerie, die sofort auf das Ziel feuert, ohne dass ein Mensch unmittelbar beteiligt wäre. Künstliche Intelligenz spielt im Ukraine-Krieg eine bedeutende Rolle – und diese Rolle wächst ständig.
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Keine Spur von digitalem Glamour
Das „neue“ Gesicht des Krieges in der Ukraine hat allerdings auch Züge, die sehr alt sind. Das lässt sich an folgendem Beispiel festmachen: Die Soldat:innen, die im freien Gelände in unbefestigten Schützengräben Deckung suchen müssen, bekommen es angesichts des nahenden Winters mit kalter Feuchtigkeit zu tun. Tausende Armeeangehörige stecken oft tage- und wochenlang in nassen Stiefeln, während sie massiven physischen Belastungen ausgesetzt sind. Resultat ist der sogenannte „Grabenfuß“, den ukrainische und russische Armeeärzte jetzt oft behandeln müssen. Dabei quellen die Extremitäten auf, durch Wunden dringen Erreger ein, der Fuß entzündet sich schmerzhaft. Unbehandelt stirbt er schrittweise ab, es kann im schlimmsten Fall zu Multiorganversagen und zum Tod führen. Von digitalem „Glamour“ keine Spur.
Im Ersten Weltkrieg litten laut Statistik 75.000 britische Soldaten am Grabenfuß und es werden mindestens ebenso viele Deutsche und Franzosen gewesen sein. Zum epidemischen Auftreten der Plage kam es deshalb, weil sich damals in Frankreich wie heute in der Ukraine die Front kaum bewegte, die verfeindeten Armeen einander wochen- und monatelang in nassen Gräben gegenüberlagen und die Soldaten nicht aus ihren Stiefeln kamen. Im Zweiten Weltkrieg, einem Bewegungskrieg, war das Problem weniger vorhanden.
Stellungskrieg wie anno dazumal
Die „Russische Dampfwalze“, der schrittweise Vormarsch unter fürchterlichen Verlusten an Menschen und Material, den wir derzeit in der Ukraine erleben, ist ebenfalls keine moderne Erfindung Wladimir Putins oder seiner Generäle. Der Ausdruck stammt aus dem Ersten Weltkrieg, als die Soldaten des Zaren in scheinbar nicht enden wollenden Angriffswellen und unter kompletter Missachtung von Soldatenleben voranstürmten.
Ein weiterer deutlicher Hinweis, dass sich in den letzten hundert Jahren wenig verändert hat: Ukrainische Soldaten werden heute von Nato-Ausbildern auf denselben schlammigen Feldern im Osten Frankreichs, wo im Ersten Weltkrieg die Schlacht an der Marne gegen die Deutschen tobte, im Stellungskrieg trainiert.
Es mag mit Robotern, künstlicher Intelligenz und Tablets gekämpft werden. Krieg wurde deshalb nicht „sauberer“ und „toller“, sondern bleibt das, was er immer war: Eine Qual für Soldat:innen und Zivilist:innen im Allgemeinen, eine Qual in schmutzigen Stiefeln. Leidbringend und tödlich.
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Infos und Quellen
Quellen
Wikipedia: Kälte-Nässe-Schaden der Hände oder Füße
Medical Tribune: Alter Soldaten-Quälgeist meldet sich wieder zurück
Daten & Fakten
Der Grabenfuß wird in der Medizin „Immersionsfuß“ genannt und ist eine der gefürchtetsten Soldatenkrankheiten, weil er wegen seiner banalen Entstehung unterschätzt wird, sich schnell ausprägt und unbehandelt rasch zum Tod führt. Der Grabenfuß trat beim Einmarsch der „Grande Armee“ Napoleons 1812 in Russland massenhaft auf, auch während des Ersten Weltkrieges und in der US-Armee während des Vietnamkrieges. Dort wurde die Krankheit als „Dschungelfäule“ bezeichnet.
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