![Eine Collage aus einem Bild von Syrien und einem zerrissenen Foto von Bashar al-Assad.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2000x1500/0726fa4ae3/wz_stimmen_aus_syrien_final.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Der Westen steckt in einer Reihe von Regierungskrisen und die internationale Ordnung verändert sich. Was bedeutet das für Europa und welche Entwicklungen erwarten uns 2025?
Europas aktuelle politische Lage ist von Regierungskrisen der wirtschaftlich stärksten und außenpolitisch ambitioniertesten Länder geprägt. Gleichzeitig ist in den USA der neue Präsident Donald Trump noch nicht im Amt und der aktuelle, Joe Biden, nicht mehr in der Lage, Initiativen durchzubringen. Da stellt sich die Frage, ob im Westen gerade ein Machtvakuum herrscht?
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„Nein“, sagt Heinz Gärtner, Experte für internationale Politik, zur WZ. Aber er erkennt einen Umbruch im System der internationalen Politik: „Lange Zeit stand die USA ziemlich unangefochten an der Spitze, jetzt aber kann man da eine sich verändernde Ordnung beobachten“, weiß Gärtner. Was heißt das für das globale politische System und welche Entwicklungen erwarten wir im nächsten Jahr?
Das System der internationalen Politik wird mit dem Westen als tonangebendes Bündnis erklärt. Angeführt von den USA, mit dabei die EU-Staaten, Länder in Asien sowie Australien und Kanada. Die Einteilung in die Blöcke Westen, Osten etc. kommt aus der Zeit des Kalten Kriegs. Ebenso das Denken vom Kommunismus und der Diktatur auf der östlichen und Demokratie und Kapitalismus auf der westlichen Seite. Für Heinz Gärtner ist das Ost-West-Blockdenken heute nicht mehr praktisch: „Durch dieses Denken ist die Möglichkeit, dass es auch Schattierungen gibt, innerhalb dieses Rahmens der Weltordnung verloren gegangen“, sagt der Politologe.
Wir steuern auf eine neue Bipolarität hin.Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler
In den Entwicklungen der internationalen Politik sieht er einen Umbruch, aber keine Anzeichen für einen wackelnden Westen. „Es ist nicht so, dass der Westen auseinanderfällt“, sagt Gärtner. „Das System ändert sich in Richtung eines neuen Blockdenkens, in dem es mehrere Pole gibt, die allerdings nicht alle gleich stark sind.“ Er meint Unterschiede in der Gestaltungsmacht von Ländern wie Russland im Gegensatz zu China oder den USA. Er stellt eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse fest: „Die großen Blöcke entstehen in Europa zwischen Russland und dem Westen und in der Welt zwischen den USA und China.“ Daraus schlussfolgert er: „Wir haben eine Art neue Kalter-Krieg-Konstellation mit drei Polen USA mit den westlichen Ländern, China und Russland.“ Diese wird allerdings, so prognostiziert der Experte für die Zukunft, auf ein Kräftemessen zwischen den USA und China hinauslaufen: „Wir steuern auf eine neue Bipolarität hin.“
Europa 2025: Quo vadis?
„Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“ Mit diesen Worten kündigte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die Entlassung seines Koalitionspartners an und damit auch gleich die Regierung auf. Das war am 6. November, am Tag der Wiederwahl Donald Trumps in den USA. Nicht einmal einen Monat später verliert der französische Premierminister Michel Barnier das Vertrauen im Parlament. „EU-Regierungen scheinen umzufallen wie die Fliegen“, berichtet die Deutsche Welle und trifft damit einen Nerv.
Was das für Europa im neuen Jahr bedeuten wird, ist für Heinz Gärtner klar: „Weitgehend werden wir sehen, dass die europäischen Staaten mit den USA mitziehen, auch unter einer Regierung Trump.“ Er erwartet sich Pragmatismus von den europäischen Staaten gegenüber dem Bündnispartner USA und das auch gegenüber dem künftigen US-Präsidenten: „Die Europäer haben sich immer angepasst, egal an welche US-Regierung, das ist bei Trump jetzt auch so.“ Als Beleg dafür sieht er den jüngsten Europa-Besuch zur Eröffnung der Kathedrale Notre Dame in Paris: „Wie freundschaftlich sich Emanuel Macron und Trump hier verhalten haben, mit dem großartigen Handshake.“
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In den aktuellen Regierungskrisen sieht der Experte Gemeinsamkeiten, wie etwa Bedrohungen von außen, wie durch Russland, innenpolitische Budgetdebatten und erstarkende rechtspopulistische Parteien. Große Auswirkungen auf das internationale Kräfteverhältnis macht der Experte daran aber nicht fest, denn „die Europäer sind derzeit zwar nicht so durchschlagskräftig, aber das sind sie gegenüber den USA sowieso nicht“, meint Gärtner. Das müsse uns aber nicht unbedingt beunruhigen, denn: „Trump ist nicht so unberechenbar wie er dargestellt wird, er folgt durchaus amerikanischen Traditionen.“
Die Krisenherde, die auf uns warten
Über die Ukraine sagt Gärtner, er erwartet für das kommende Jahr vor allem eine ehrgeizige amerikanische Initiative zu Verhandlungen über den Ukrainekrieg: „Trump wird Putin und Selenskyj gleichermaßen unter Druck setzen, um zu Verhandlungen zu kommen.“ Laut Gärtner können die USA beide Staaten an den Verhandlungstisch bringen. Das würde auch zur Marke Trump als „Dealmaker“ passen. Der Europäischen Union kann das nur recht sein, denn der Ukrainekrieg gilt als eine der größten außenpolitischen Bedrohungen für die Staatengemeinschaft.
Schwieriger findet der Experte die Prognose für den Mittleren Osten. Denn für 2025 könne er sich in der Region viel vorstellen. Auch hier sind die Entwicklungen stark mit der US-Außenpolitik verknüpft. „Die Konfliktparteien wie der Iran, der Libanon und Syrien sind geschwächt, und wie sich Israel nun verhalten wird, hängt stark von der Unterstützung der USA ab“, weiß der Experte.
Von Europas größten Staaten erwartet sich Gärtner im nächsten Jahr keine großen außenpolitischen Vorwärtsgänge. In Deutschland wird im Februar gewählt, die Regierungsbildung danach dürfte einige Monate in Anspruch nehmen. Ähnlich verhält es sich in Frankreich, wo erst im Sommer neu gewählt werden kann und bis dahin eine Regierung eingesetzt wird, die nicht auf eine parlamentarische Mehrheit gestützt ist. Das wird allerdings die Europäische Union in ihrer Außenpolitik nicht hindern, findet Gärtner, denn „ganz gleich, ob es in Mitgliedsländern Regierungskrisen gibt oder nicht, in der EU-Außenpolitik entscheidet man entkoppelt von den Wahlergebnissen“. Der Experte sieht also die EU in ihrer Gesamtheit mehr in der Verantwortung als einzelne Staaten. Die geopolitischen Veränderungen sind spürbar und verlangen, dass sich Europa anpasst, um auf die Umbrüche zu reagieren.
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Infos und Quellen
Genese
In den letzten Monaten häuften sich Berichte über Regierungskrisen in Ländern, wie Deutschland, Frankreich, Südkorea und auch in Kanada. Gleichzeitig verstärkten sich Krisensituationen in verschiedenen Konfliktregionen. Für die WZ tauchten daher Fragen über die Stabilität und Zukunft der Internationalen Politik auf.
Daten und Fakten
Regierungskrisen in Europa: In Deutschland führte der Bruch der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP zu einer politischen Neuordnung. In Frankreich scheiterte Premierminister Michel Barnier nach nur drei Monaten im Amt an einem Misstrauensvotum. Präsident Emmanuel Macron stand unter Druck einen neuen Regierungschef zu ernennen. François Bayrou steht nun der aktuellen französischen Regierung vor. Dennoch sind die Mehrheiten im französischen Parlament so gestaltet, dass sich jederzeit eine neue Regierungskrise ergeben könnte.
Ukrainekrieg: Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist einer der bedeutendsten globalen Krisenherde für Europa. Der Krieg hat massive humanitäre und wirtschaftliche Folgen, darunter Millionen Geflüchtete. und eine globale Energie- und Lebensmittelkrise. Die USA und westliche Staaten unterstützen die Ukraine militärisch und finanziell, während sie Sanktionen gegen Russland verhängen.
Nahost-Konflikt: Die aktuelle Situation im Nahen Osten ist durch anhaltende Konflikte und humanitäre Krisen geprägt. Diese betreffen mehrere Länder in der Region. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert seit dem Angriff vom 7. Oktober 2023 an. Israel führt weiterhin Luftangriffe und Bodenoperationen im Gazastreifen durch, während die Hamas Raketen auf Israel abfeuert. Der Konflikt hat sich auf den Libanon ausgeweitet, wo es zu Kämpfen zwischen Israel und der Hisbollah kommt. Der Iran gilt als Unterstützer von Hamas und Hisbollah, ist durch wirtschaftliche Probleme, politische Instabilität und militärische Spannungen mit Israel geschwächt.
Gesprächspartner
Univ.-Prof. Dr. Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler
Quellen
POLITICO: The French prime minister will likely fall this week. So then what?
Euronews: Political crises in France and Germany spell more trouble for Europe's ailing economy – analysis
Deutsche Welle News: Warum ein schwaches Frankreich die EU schwächt
Deutsche Welle News: Why the political turmoil in France and Germany poses a problem for the EU?
Bundesregierung Deutschland: Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Entlassung des Bundesfinanzministers
Das Thema in anderen Medien
Salzburger Nachrichten: Regierungskrisen in Europa: Wo das Chaos regiert
Die Tagesschau: Für die Stabilität der EU pures Gift