Georg Renners Analyse zur neuen Bevölkerungs- und Erwerbspersonenprognose der Statistik Austria.
Letzten Mittwoch hat die Statistik Austria ihre aktualisierte Bevölkerungs- und, vor allem, ihre Erwerbspersonenprognose vorgelegt. Schauen wir uns an, wie sich Österreichs Einwohner:innenschaft die nächsten Jahre und Jahrzehnte wahrscheinlich entwickeln wird:
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Bevor wir in die Details gehen, ein Wort der Vorsicht: Prognosen sind schwierig, auch wenn sie die Zukunft betreffen. Auch, wenn die Statistiker:innen in den vergangen zwei Jahrzehnten meistens recht hatten, was ihre Voraussagen angeht, sind das natürlich Momentaufnahmen, die auf absehbaren Trends basieren. Aber natürlich ist es möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass die Österreicher:innen auf einmal wieder die Lust an den Mehrkindfamilien entdecken, Migrationsströme versiegen oder sonstige Entwicklungen einen Strich durch die Prognoserechnung machen. Die Demographie versucht das durch unterschiedliche Varianten (zB eine Rechnung mit viel mehr Migrant:innen, eine mit viel weniger) abzufangen und daraus eine „Hauptvariante“ zu destillieren, die von Standpunkt heute aus am wahrscheinlichsten ist – aber wissen kann man es natürlich nie, ob es so kommt. (Noch Ende der 1980er ging man zum Beispiel davon aus, dass Wien schrumpfen würde.)
Bevölkerungsprognose
Das gesagt habend: So dürfte sich Österreichs Einwohner:innenzahl in den kommenden Jahren entwickeln:
Irgendwann in den 2060er Jahren dürfte Österreich also die 10-Millionen-Einwohner:innen-Marke überschreiten. Allerdings nicht, weil wir hierzulande besonders zeugungs- bzw. gebärfreudig wären:
Die dunkelblaue Linie (für die Zukunft strichliert) zeigt die Entwicklung der Gesamtbevölkerung. Wie das Wachstum entsteht, sehen wir rechts unten in dieser Grafik: Die Geburtenbilanzen werden auf absehbare Zeit weiter nach unten zeigen: In Jahren, in denen auf der x-Achse rote Balken nach unten zeigen, kommen in Österreich weniger Kinder zur Welt als Menschen sterben. Und in Jahren, in denen die blauen Balken nach oben zeigen, wandern mehr Menschen nach Österreich ein als aus. Und in der Prognose der Statistik Austria wird beides in den kommenden Jahrzehnten der Regelfall sein: Ohne Migration würde Österreich schrumpfen. Neu ist diese Entwicklung nicht:
Wir sehen: Seit 1972, als infolge der breiten Verfügbarkeit medikamentöser Verhütungsmittel der „Pillenknick“ in die Geburtenstatistik eingezogen ist, liegt die Gesamtfertilitätsrate unter der „Ersatzrate“ von 2,1. Die Maßzahl beziffert, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich bekommt – liegt sie unter 2,1, schrumpft eine Gesellschaft langfristig, weil weniger Menschen nachkommen als wegsterben. Und davon sind wir in Österreich (wie mittlerweile fast auf der ganzen Welt mit Ausnahme von Afrika) mittlerweile mit einer Fertilitätsrate von 1,32 weit entfernt.
Migrationsbewegungen
Bleibt also nur Migration, die das Land am Wachsen hält. Und die verläuft nicht gleichmäßig, wie diese spannende Grafik unserer Statistiker:innen zeigt:
Die WZ-Kolleg:innen haben mich ja eigentlich gebeten, weniger detaillierte Grafiken zu verwenden, weil man die in manchen Mailprogrammen so schlecht sieht – pardon, ich gelobe Besserung, aber diese hier ist einfach wirklich interessant und relevant: Wir sehen, dass es fast immer große Krisen – der Zerfall Jugoslawiens, die Kriege in Tschetschenien oder Syrien – waren, die für hohe Zuwanderung nach Österreich gesorgt haben. In ihrer Hauptvariante rechnen die Prognostiker:innen jedenfalls damit, dass jedes Jahr um die 30.000 Menschen mehr nach Österreich ziehen werden als abwandern.
Anteil der Erwerbstätigen
Passiert das nicht, bekämen wir ein noch gröberes demographisches Problem, als wir es ohnehin haben:
Schon in den kommenden 20 Jahren wird der Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter – also zwischen 20 und 64 Jahren – von 61 auf 55 Prozent schrumpfen. Das sind, sollte alles andere gleichbleiben, schlechte Nachrichten für den Sozialstaat – denn der finanziert sich im Wesentlichen durch die Arbeit der Erwerbstätigen, während Kinder und Jugendliche auf der einen und Pensionist:innen auf der anderen Seite Nettoempfänger:innen des Sozialsystems sind.
Kommen heute noch 3,1 Menschen im Erwerbsalter auf jede:n Pensionist:in, werden es bis 2040 nur noch 2,1 sein – Tendenz sinkend. Die Folgen, die das schon bisher hatte, stellt die Statistik Austria anhand der Ausgaben für Pensionen in den vergangenen Jahrzehnten dar:
Dass die absolute Zahl, die für die staatliche Pension ausgezahlt wird, steigt, ist ja per se noch durchaus verkraftbar – solange parallel die Wirtschaft wächst und damit die aktuell Erwerbstätigen durch höhere Sozialversicherungsabgaben die laufenden Renten finanzieren. Nur wächst die Wirtschaft aktuell nicht mehr – und wann sie wieder anspringt, ist offen, im Gegensatz dazu, dass immer mehr Menschen auch in der Rezession ins Pensionsalter kommen. Also steigt seit einigen Jahren der Anteil der Pensionszahlungen aus dem Bundesbudget – und ein Ende davon ist nicht in Sicht.
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Wie sich das mit den prognostizierten, drastischen Verschiebungen zwischen Erwerbs- und Pensionsaltersgruppen ausgehen soll, sollte die kommende Regierung durchaus beschäftigen. (Nicht nur) Für die Verhandler:innen: Hier finden Sie alle Prognosegrafiken der Statistik Austria, hier die nackten Zahlen.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Statistik Austria: Zahl der Erwerbspersonen stagniert trotz Bevölkerungswachstum
Statistik Austria: Bevölkerungs- und Erwerbspersonenprognose bis 2080