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Öffentlicher Raum: Dort, wo Platz für alle ist, egal welchem Geschlecht man angehört. Ja, schön wär’s. In der Praxis sieht das oft anders aus: Öffentlicher Raum ist damals wie heute männlich dominiert. Sichtbar ist das in der Graffiti-Szene.
Fabiola ist Künstlerin und geht bereits seit zehn Jahren sprayen. „Ich muss mich als Frau mehr behaupten, sagt sie. „Schon wenn ich Farbdosen kaufe, wird mal per se angenommen, dass ich keine Ahnung habe, was ich tue. Das ist beim Sprayen dann auch so.” Sprayen bedeutet in dem Fall, mit einer Skizze bewaffnet zu einer Wand im öffentlichen Raum zu gehen, um dort Kunst zu verewigen. „Manche Bilder müssen einfach groß sein”, sagt Fabiola mit selbstsicherem Blick, während sie ihren Rucksack packt. Im Rucksack: Ihr Equipment. In Petto: Ein antrainierter Blick. Ein Blick, der sagt „Sprich mich heute nicht blöd an”.
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"Wenn ich sprayen gehe, rechne ich immer mit Kommentaren"Fabiola, Graffiti-Künstlerin
Die Szene der Graffiti-Kunst ist männerdominiert, das habe laut Fabiola auch einen historischen Hintergrund. Denn Graffiti wurde oft mit Kriminalität in Verbindung gebracht, insbesondere mit Vandalismus, und war demografisch eher von männlichen Personen geprägt. Graffiti ist auch heute noch an fast allen Plätzen illegal, in Wien gibt es aber die sogenannte Wiener Wand. Ein Ort, der von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt wird, um Straßenkunst zu machen. Dort ist man auf der sicheren Seite. Es ist auch Fabiolas Go-To, um keine Probleme mit dem Gesetz zu bekommen. „Ich glaub’, ich war kein einziges Mal sprayen, wo ich keinen blöden Kommentar bekommen habe“, erzählt Fabiola. „Das beginnt damit, dass Männer zu mir kommen und mir erklären, wie ich es anders machen soll, oder dass ich als Frau in der Szene nichts verloren hätte. Ich fühle mich als Frau wie ein Eindringling, ein Fremdkörper in deren Welt.“
Generell eine Macho-Szene
„Gestern war ich wieder sprayen“, erzählt Fabiola. „Als ich zum Sprayen begonnen hab’, hat sich gleich mal ein junger Typ, dem wahrscheinlich noch kein Achselhaar gewachsen ist, zu mir gestellt und mir erklärt, wie ich es besser machen könnte”. Es seien verfestigte Machtstrukturen, auch Männer unter sich müssen sich übertrumpfen und ihre Dominanz zeigen. Es gäbe eine Hackordnung, Streitigkeiten, die man über Kunst austrägt: Wer übermalt wen? Wer nimmt sich den Platz?
"Da kann man ordentlich kassieren, wenn man einen Fauxpas begeht"Fabiola, Graffiti-Künstlerin
Ein Fauxpas ist zum Beispiel, wenn man die falschen Bilder übermalt. „Mir ist das auch schon passiert, dass ich dann Bilder übersprayt habe. Schlussendlich steht mein Name drunter, beziehungsweise drüber. Davon fühlen sich großteils Männer getriggert. Der besagte Künstler hat dann aber, als er meinen Namen gelesen hat, auch darüber gemalt“, sagt Fabiola.
Fabiola spricht von einem territorialen Machtort. Sie habe ihren Weg gefunden, sich in diesen Strukturen zu behaupten: „Anfangs habe ich mir immer Freundinnen mitgenommen, weil ich allein Angst hatte“, inzwischen habe sie genug Selbstbewusstsein, um allein malen zu gehen.
„Nicht als weiblich angesehen"
Der Grund für die Angst sind nicht nur patriarchale Gesellschaftsstrukturen, sondern auch der sogenannten Male Gaze. Dieser beschreibt einen bestimmten Blick auf ein Geschlecht, in dem Fall auf Frauen, bzw weiblich gelesene Personen. Für sie schicke es sich nicht zu sprayen, zahlenmäßig sind Künstler in der Szene stärker vertreten als Künstlerinnen, weshalb sie automatisch präsenter erscheinen.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Mehr Platz für legales Sprayen? Laut Fabiola nicht: „Die Bubble wird sich nicht ganz aus der illegalen Szene bewegen, denn für viele ist genau das der Reiz daran. Ähnlich wie in der Hip-Hop- Szene, in der oft inoffizielle Veranstaltungen und Parties im Underground dazu gehören.“ Das Problem müsse langfristig an der Wurzel gepackt werden, das weiß Fabiola. Es muss für mehr Sicherheit sowie Sichtbarkeit für Frauen gesorgt werden. Dass das in näherer Zukunft passiert, ist aber unrealistisch. Bis dahin müssen sich Frauen zusammenschließen, eine Gemeinschaft gründen, um sich den Platz in der Öffentlichkeit zu holen.
Kleine Veränderungen können laut ihr schon im jungen Alter passieren: „Jugendzentren zum Beispiel könnten jungen Mädchen zeigen, dass Frauen genauso sprayen gehen können wie Männer.“
Es steckt mehr dahinter
Side Eye Stadtplanung: Öffentliche Räume sind oft Plätze, an denen sich Frauen weniger sicher fühlen als Männer. Das zeigt sich auch in anderen Mikrokosmen wie der Skater-, Fußball- oder Basketball-Szene. Sogenannte Flinta-Sessions wollen Flinta-Personen sichtbarer machen und setzen sich für mehr Sichtbarkeit ein.
Genug gesprayt für heute. Fabiola packt die Spraydosen wieder ein. Ihr Gesicht entspannt sich. Männer haben den Platz, Frauen müssen ihn sich nehmen.
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Infos und Quellen
Genese
Öffentliche Räume werden oft von männlich gelesenen Personen dominiert. Besonders in der Graffiti-Szene sind es oft Männer, die ihre Kunst verewigen.
Gesprächspartner:innen
Fabiola ist Künstlerin und Wissenschaftlerin. Unter einem Künstlernamen, den sie nicht bekanntgeben möchte, macht sie verschiedene Arten von Kunst, unter anderem malt sie gern auf Wänden. Ihre Kunst ist bunt. Freche Illustrationen und persönliche Themen machen ihren Stil aus. Sie erlebt als Künstlerin in der Graffiti-Szene oft Kontra, der über den Alltagssexismus hinausgeht.
Daten & Fakten
- Als öffentlicher Raum bezeichnet man die Flächen in einem Gemeindegebiet, die an und für sich für die Allgemeinheit bestimmt sind. Das sind zum Beispiel bestimmte Raumtypen wie Parks und öffentliche Plätze, Sportplätze.
- Die sogenannte Wiener Wand ist ein Projekt der Stadt Wien. Es wird von WIENXTRA in Kooperation mit dem Wiener Bildungsserver durchgeführt. Bestimmte Wände in Wien werden zum Sprayen angeboten. Auf Wänden, die mit einer Taube gekennzeichnet sind, ist es legal und kostenlos, zu sprayen.
- Heute gibt es einige Initiativen in Wien, die sich für mehr Platz von Frauen einsetzen. Mit Projekten, wie Flinta Sessions oder Flinta Workshops wird in anderen männer-dominierten Szenen wie beim Skaten, Fußball, Basketball oder Kampfsport für mehr Sichtbarkeit von Flinta-Personen gekämpft.
Quellen
- WIENXTRA: Wienerwand
- Frauenseiten Bremen: Was ist eigentlich…der female gaze?
Das Thema in der WZ
- Eine Stadt, gemacht für Frauen?
- Konsumfreie Zone - ja bitte oder nein danke?
- Warum es keinen Frieden ohne Frauen gibt
- Freiraum St. Marx: Kampfloser Untergang „ist keine Option”
Das Thema in anderen Medien
- Goethe Institut: Frauen und Street Art
- Kurier: Vom Grätzel in die Galerie: Wo es Streetart von Frauen zu sehen gibt
- Format: Haben es weibliche Graffiti-Künstler schwerer?