Koalitionsmöglichkeiten gibt es seit Sonntagabend viele − die WZ hat sich angesehen, welche Parteien inhaltlich zusammenpassen könnten.
Die Wahl ist geschlagen, die Wähler:innen haben die Ausgangslage für die neue Legislaturperiode festgelegt. Für die Parteispitzen in Wien fängt die Arbeit damit aber erst an – wer in den kommenden Wochen eine tragfähige Mehrheit im Nationalrat zusammenbringen kann, hat gute Chancen, Österreich die nächsten fünf Jahre lang zu regieren.
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Aber: Wer kann mit wem? Darauf gibt es zwei Arten von Antworten, und beide sind legitim. Die eine widmet sich der Frage „wer will mit wem?“ Denn wie die gerade zu Ende gegangene Koalition zwischen ÖVP und Grünen in Österreich oder auch die deutsche Dreierkoalition zwischen den linken Parteien SPD und Grüne auf der einen und der liberalen FDP auf der anderen Seite zeigen, sind programmatische Unterschiede kein unüberwindbares Hindernis für eine Zusammenarbeit – man muss dann eben mehr Kompromisse schließen –, entweder, indem man sich in der Mitte trifft oder indem Zug um Zug einmal die eine, einmal die andere Seite nachgibt. Wie sehr welche Parteien sich auf dieser Ebene vorstellen können, zusammenzuarbeiten, haben wir hier analysiert.
Unvergleichliche Programme
Die andere Antwort dreht sich um die Frage „wer kann mit wem“ – bezogen darauf, wie sehr sich die Vorstellungen der Parteien überschneiden, wie sie Österreich in den nächsten Jahren verändern wollen. Sie beschreiben das in ihren Wahlprogrammen – und die zu vergleichen ist grundsätzlich eine komplexe Sache. Allein jene der fünf Parteien, die den alten und neuen Nationalrat bilden – wir von der WZ hatten vor der Wahl hier einen kurzen Überblick zusammengestellt – enthalten auf zwischen 48 (Neos) und 270 (ÖVP) Seiten tausende einzelne Punkte unterschiedlichsten Detailgrads.
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Allein daraus einen exakten Vergleich „Partei a ist genauso wie Partei b für Maßnahme x“ zu konstruieren, wäre eine zu starke Vereinfachung –allein das grundsätzliche Bekenntnis aller fünf Parteien, die erneuerbare Stromerzeugung weiter ausbauen zu wollen, unterscheidet sich von Programm zu Programm beträchtlich. Die ÖVP will dazu etwa einen Dachfonds errichten und das Standortentwicklungsgesetz reformieren; die SPÖ will ein „Erneuerbaren Ausbau-Gesetz“ auf den Weg bringen, während die Neos auf Entbürokratisierung setzen. Die Grünen wollen unter anderem die Länder verpflichten, Flächen für den Erneuerbaren-Ausbau zur Verfügung zu stellen, und die FPÖ schreibt pauschal: „Die Nutzung erneuerbarer Energieträger ist zu fördern.“
Sollte man das nun bei einem Vergleich der Wahlprogramme als Übereinstimmung aller Fraktionen werten, weil ja alle dafür sind – oder als unterschiedliche Konzepte, weil das eben unterschiedliche Ansätze sind, gegen die es unterschiedliche Widerstände geben kann? Natürlich lassen sich solche Differenzen zwischen den Parteien am Verhandlungstisch ausräumen – aber wissen kann man das, was am Schluss herauskommt, erst nach einem Kompromiss.
Eine Annäherung im Netz
Während der Vergleich der gesamten Programme aus diesen Gründen kompliziert ist, gibt es andere Möglichkeiten, sich der Frage anzunähern, welche Parteien weit weniger Distanz zu überwinden hätten. Die Politikwissenschaftlerin Franziska Windisch von der Universität Wien hat beispielsweise die Antworten der Parteien auf smartvote.at ausgewertet – das ist eine der zahlreichen Wahlhilfe-Plattformen (andere Beispiele waren wahlkabine.at oder der Standard-Wahlkompass), die im Vorfeld Fragebögen an die Parteien geschickt und komplexe Wahlentscheidungen auf Ja/Nein-Fragen heruntergebrochen haben. Das ist zwar in vielen Themen ein wenig unterkomplex – aber es ermöglicht einen Überblick, wie oft bzw. bei welchen Themen welche Parteien übereinstimmen.
Windisch hat beim Abgleich von smartvote – die von Politikwissenschaftler:innen ausgewählten 37 Fragen sowie die Antworten der Parteien findet ihr hier – folgende Übereinstimmungen ausgewertet:
Lesebeispiel: ÖVP und SPÖ haben auf 27 Prozent der Fragen gleich geantwortet, wobei „Ja“ und „Eher ja“ bzw. „Nein“ und „Eher nein“ als gleich gewertet worden sind.
Wir sehen also: Rein auf der programmatischen Ebene haben SPÖ und Grüne mit 78 Prozent gleichen Antworten die höchste Übereinstimmung der Parlamentsparteien – ÖVP und SPÖ dagegen mit nur 27 Prozent die geringste, ex aequo mit Grünen bzw. Neos und den Freiheitlichen. Das Smartvote-Team hat darüber hinaus auch untersucht, wie sich die Schwerpunkte der Parteien nach Politikfeldern verteilen – wiederum auf Basis des Fragebogens, den die Parteien selbst ausgefüllt haben. Das ermöglicht uns einen Vergleich, wo mögliche Regierungskoalitionen Übereinstimmungen hätten.
ÖVP, SPÖ und Neos
Die wahrscheinlichere der beiden in Frage kommenden Dreierkoalitionen hätte vor allem den Graben zwischen ÖVP und SPÖ zu überwinden; wie schon erwähnt, überschneiden sich deren Antworten bei Smartvote nur in einem Viertel der Fälle – zum Beispiel, wenn es um die Ablehnung der Erhöhung des Pensionsantrittsalters geht (was wiederum beide von den Neos unterscheidet). Die Neos selbst stimmen mit der ÖVP in 43, mit der SPÖ in 62 Prozent der Fragen überein.
Schauen wir uns die Schwerpunkte der Parteien an. Die ÖVP hat ihre stärksten Werte bei den Kategorien „restriktive Migrationspolitik“, „Law and Order“ und „Liberale Wirtschaftspolitik:
Das unterscheidet sie deutlich von der SPÖ, deren Verteilung in dieser simplifizierten Wertung viel stärker in Richtung Sozialstaat und progressiver Gesellschaftspolitik orientiert ist:
Die Neos wiederum, der präsumptive Dritte im Bunde, fänden sich inhaltlich – nicht die unpraktischste Position in einer Koalition – ziemlich genau zwischen diesen Gewichtungen wieder.
FPÖ und ÖVP
Die andere wahrscheinliche Koalitionsvariante, jene der Freiheitlichen mit der Volkspartei, könnte dagegen auf eine weit höhere Deckungsgleichheit bauen. Hier die Themenmatrix der FPÖ:
Wir sehen: Die Freiheitlichen sind thematisch und programmatisch weitgehend deckungsgleich mit den Antworten, die die ÖVP gegeben hat – hier noch einmal zur Erinnerung die Schwerpunkte der Volkspartei:
Fazit: Entschieden wird am grünen Tisch
Ginge es allein danach, dass zwei thematisch möglichst deckungsgleiche Parteien zusammenarbeiten müssten, wäre eine ÖVP-FPÖ-Koalition praktisch gesetzt. Aber, wie sowohl vergangene Koalitionen als auch die gerade zu Ende gegangene zeigen: Darum allein geht es nicht – es geht genauso sehr darum, wie sich Parteien im Sinn eines „Leben und Leben lassen“ zusammenfinden. Ob und zwischen wem das gelingt, werden die nächsten Wochen zeigen – und die nächsten Jahre.
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Infos und Quellen
Genese
Am Wahlabend war ein Team der WZ in der Wahlzentrale des österreichischen Parlaments, wo wir einerseits Interviews mit zahlreichen Politiker:innen geführt haben – Teile der Livevideos werden wir in den nächsten Tagen auf unserem Tiktok-Account online stellen: https://www.tiktok.com/@wz_auf_tiktok
Andererseits haben wir auch Hintergrundgespräche geführt, deren Ergebnisse in diesen Bericht eingeflossen sind.
Quellen
Die Wahlprogramme der Parteien: