Was E-Autos, Solar-Panels und Fast-Fashion mit der Erstarkung der Rechten zu tun haben.
Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand versucht in seinem Buch „Kapitalismus am Limit“ das „große Ganze“ zu denken. Der Universitätsprofessor für Internationale Politik an der Universität Wien umreißt im Gespräch mit der WZ die Grenzen und Gefahren von grünem Wachstum.
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Herr Brand, immer mehr Länder und Autohersteller kündigen den Ausstieg aus fossilen Verbrennermotoren an. Es gibt in Österreich aktuell fünfmal so viele zugelassene E-Autos wie noch vor vier Jahren. Grüne Wirtschaft ist die Lösung, oder?
2023 waren 48 Prozent der Neuzulassungen weltweit SUVs oder größer. Auch Kurzstreckenflüge sind nach wie vor gefragt. Das Versprechen, dass wir über Effizienzsteigerung die ökologische Krise in den Griff bekommen, hält nicht, wenn das so weitergeht mit der imperialen Lebensweise. Das Versprechen, dass wir mit angemessenen politischen Maßnahmen die Wirtschaft ökologisieren – wir nennen das grünen Kapitalismus – gerät an Grenzen. Wir brauchen andere Ansätze, ohne zu moralisieren.
Hört sich aber schon nach „verzichtet doch auf das alles!“ an?
Ich werfe Menschen mit mittlerem Einkommen, die SUV fahren, erstmal gar nichts vor. Wir brauchen aber einen Diskurs, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich es mir leisten kann, ein 80.000-Euro-Auto zu kaufen. Wir haben viele Regeln in unserer Gesellschaft, damit diese funktioniert. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, dass ein Auto eine maximale Größe hat. Ich sehe die Verantwortung also nicht beim Individuum, sondern wir müssen über die gesellschaftlichen Bedingungen nachdenken. Ohne zu moralisieren. Das war ein Problem der aktuellen Klimabewegung, dass sie die Verantwortung stark individualisiert hat.
Sie haben der „imperialen Lebensweise“ ein ganzes Buch gewidmet. Was heißt das genau?
Diese Lebensweise meint den selbstverständlichen Zugriff auf globale Ressourcen und auf billige Arbeitskraft in der Welt. Die hört mit all den ökologischen Strategien und Bemühungen nicht auf, im Gegenteil. Wir erleben gerade einen Klima-Backlash.
Sie meinen, mit Klimapolitik gewinnt man keine Wahlen mehr?
Die Einschätzung war immer, irgendwie wird die Klimakrise gesehen und es wird politisch gehandelt. Wenn auch viel zu langsam. Etwa das Abkommen in Paris 2015, die Klimabewegung, die Grünen haben 2019 in Österreich wie Deutschland hohe Wahlergebnisse erzielt und sind in den Regierungen – und das ist abgebrochen. Selbst die Hochwasserkrise diesen Sommer hat für die Grünen nichts ausrichten können.
Und aktuell profitieren rechte Kräfte von der Enttäuschung der Menschen.
Es gibt einen rechten Backlash, einen anti-ökologischen Backlash. Es gibt eine autoritäre Stabilisierung der imperialen Lebensweise. Nehammer, die FPÖ und andere zahlen darauf ein. Die autoritäre Rechte ist gut in sozialen Medien und sie machen die Migration zur Mutter aller Probleme. Solange der grüne Umbau der Wirtschaft sozial ungerecht bleibt, wird das Aufwind bekommen. Grüne, aber sozial ungerechte Wirtschaft liefert das Einfalltor für die Rechten.
Grüne, aber sozial ungerechte Wirtschaft liefert das Einfalltor für die Rechten.Ulrich Brand
Und der Feminismus ist schuld an der toxischen Männlichkeit?
Die Rechte setzt bei der doppelten Verunsicherung der Bevölkerung an: einmal durch die neoliberale Politik und auf der anderen Seite durch eine Verunsicherung, die dadurch entsteht, dass eine Männlichkeit, die fossil gestützt wird, in die Krise kommt. Cara Daggett nennt das die Petro-Maskulinität, also eine moderne Männlichkeit, die mit starken Autos und PS zu tun hat. Wenn nun weder die Klimakrise noch die Ungleichheitskrise bearbeitet werden, bieten Trump, die AfD, die FPÖ einen autoritären Anti-Öko-Populismus an, der sagt: Die Grünen spinnen, die wollen uns unser Schnitzel und unser Billig-Benzin wegnehmen.
Befürchten Sie nicht, dass Sie den Rechten oder der extremen Linken mit solchen Aussagen in die Hände spielen?
Wir brauchen die Dekarbonisierung der Wirtschaft, ganz klar. Aber die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger allein reicht nicht. Es geht sich nicht aus, wenn es egal ist, wo die Rohstoffe herkommen, Stichwort grüner Kolonialismus, also die Ausbeutung des Südens beizubehalten und die Ungleichheit nicht anzugehen. In den vergangenen 30 Jahren hat die ökologische Ungleichheit drastisch zugenommen. Die Emissionen der reichsten ein Prozent nehmen um vieles mehr zu als der unteren fünf Prozent. Die Konfliktlinie ist nicht Österreich gegen die Geflüchteten und Migrant:innen. Wir brauchen eine Debatte über Obergrenzen. Die Größe von Jets und SUVs gehört reguliert.
Und Linksaußen?
Eine radikale Linke, die stark auf Umverteilung setzt, unterschätzt die ökologischen Fragen und die imperiale Lebensweise. Es sind nicht nur die Vermögenden schuld an der Klimakrise. Auch Menschen der Mittelschicht fliegen ja fünfmal im Jahr Kurzstrecke. Die reine Fokussierung auf soziale Ungleichheit ist ebenfalls zu wenig, weil sie die tiefe Verankerung der Selbstverständlichkeit von Billig-Fleisch, billigen Handys und billiger Fast-Fashion nicht thematisiert.
Brauchen wir doch ein bisschen Ökodiktatur?
Es geht mir nicht um Verbote, sondern Regeln. Das muss man unterscheiden. Wir haben ja ganz viele Verbote in unserer Gesellschaft, bei denen es einen Konsens gibt, dass wir sie brauchen. Ich kann nicht mit dem Auto durch die Fußgängerzone rasen. Ich darf Kinder nicht arbeiten lassen. Wir haben bereits gezielte Förderungen und Abgaben, die das Handeln der Menschen in der Gesellschaft lenken, um ein Ziel zu erreichen. Ein Einstieg wäre eine mutige Politik, die Lernprozesse in der Gesellschaft anregt.
Kickl, Trump, White Supremacy. In Ihrem Buch fällt auch der Begriff „racial capitalism“. Ist das ein imperialer Reflex des Nordens, sich in Krisenzeiten abzusichern?
Im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit kommt die EU zu dem Schluss, die Industrie hält den Wohlstand. Und zwar unter ausbeuterischen Bedingungen gegenüber anderen Regionen. Wir leben in einer scheinbaren Objektivität, dass der Fleiß der Menschen in diesem Land Produkte für den Weltmarkt herstellt und dieser die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Wenn das in die Krise gerät, gibt es Kräfte, die versuchen, diese Krisen- und Angstmomente zu nutzen. Was ist mit meinem Verbrenner, was mit meiner Ölheizung? Kickl spricht dann etwa von „wir lassen uns den Verbrenner nicht verbieten“ oder Nehammer sagt „wir sind das Autoland“. Es gibt diverse Formen, wie die Rechte das für sich nutzt. In den letzten zehn Jahren ist White Supremacy stark angestiegen. Das war in den USA zwar immer ein Stück weit angelegt, aber das hat Trump nochmal zugespitzt. In Mitteleuropa sehen wir das stark seit 2015. Vorher richtete sich der Unmut gegen die EU, die Eliten in Brüssel. Die AfD war zunächst keine ausländerfeindliche Partei, das war eine Anti-EU-Partei. Das ist zwar teilweise noch da, hat sich aber stark entwickelt hin zu Anti-Flüchtlinge. Der Anti-Genderismus ist auch erstarkt.
Verzicht und Verhaltensänderung sind der Knackpunkt. Es wird nicht ohne gehen, auch in der Mittelschicht, oder?
Wohlstand ist immer Ziel und Wunsch. Und wir glauben immer, die Ärmeren ziehen nach und wir müssen deshalb verzichten, „wie im Westen so auf Erden.“ Den American Way of Life wollen aber gar nicht alle. Den industriellen, zerstörerischen Wohlstand. Es gibt ganz viele Menschen, die einfach sagen, ich möchte ein auskömmliches Leben. Und das meine ich nicht romantisch. Sicherheit, eine Form von Gerechtigkeit, Mobilität. Es muss nicht alles auf den Weltmarkt geschleudert werden. Das ist ein anderer Wohlstand, kein Verzicht.
Wie schaut so ein anderer Wohlstand aus?
Mobilität, aber auf kurzen Wegen mit öffentlichem Verkehr und der Rest mit E-Motor betrieben. Eine Wertschätzung von tierischen Nahrungsmitteln und nicht als industriell gefertigtes Billigschnitzel. Langlebige Kleidung. Viele junge Menschen wollen ja gar nicht immer mehr. Viele wollen kürzer arbeiten und weniger besitzen. Das ist ein Fortschritt.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner
Ulrich Brand ist ein deutscher Politikwissenschaftler und seit September 2007 Universitätsprofessor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er arbeitet zu Fragen der kapitalistischen Globalisierung, ihrer Kritik und Möglichkeiten politischer Steuerung, zu internationaler Ressourcen- und Umweltpolitik sowie zu Lateinamerika. Sein Buch „Kapitalismus am Limit“ ist heuer im oekom Verlag erschienen.
Daten und Fakten
EU-Kommission: The Green Deal Industrial Plan
Quellen
FFF: Warum das Klima und der Kampf gegen Rechts zusammen gehören
Lucas Chancel: Die reichsten 10 Prozent verursachen die Klimakrise, die unteren 50 Prozent zahlen drauf.
Ulrich Brand: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus
Draghi Report über Industrie: EU Ecompetitiveness: Looking ahead
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