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Die Liste toter Kremlgegner ist lang

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Von russischen Behörden für tot erklärt: Alexej Nawalny.
© Alexander Zemlianichenko /AP/ picturedesk.com

Russische Behörden verkünden Tod des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Er war Anführer einer großen Protestbewegung und deckte Korruption an der Staatsspitze auf.


Ausgewiesenen Gegnern Wladimir Putins ist häufig kein langes Leben beschieden: Am Freitag sei Russlands prononciertester Kremlkritiker Alexej Anatoljewitsch Nawalny mit 47 Jahren gestorben, wie die Gefängnisverwaltung im sibirischen Charp verkündete. Er habe sich nach einem Spaziergang „unwohl“ gefühlt, so die Behörden und dann das Bewusstsein verloren. Die sofort alarmierten Ärzte seien machtlos gewesen.

Nawalny war zuletzt zu 19 Jahren Haft verurteilt worden, die er in einer Strafkolonie verbüßte. Erst diese Woche hatte es Berichte gegeben, dass Nawalny zum 27. Mal für die Dauer von 15 Tagen in Einzelhaft gebracht worden sei. Nawalnys sibirisches Straflager, IK-3 in Charp, trägt auch den bezeichnenden Namen „Polarwolf“. Dort herrscht Permafrost, die Haftbedingungen gelten als extrem hart.

Mysteriöse Todesfälle

Die Liste der Kreml-Kritiker, die ermordet wurden oder unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen, ist jedenfalls sehr lang. Ihre widerständige Haltung mit dem Leben bezahlen - das mussten bereits unter anderem die Journalistin Anna Politkowskaja, der Ex-KGB-Mann Alexander Litwinenko, der im britischen Exil lebende Oligarch Boris Beresowski und der ehemalige Vize-Regierungschef Boris Nemzow. Zuletzt kam Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldner-Truppe Wagner, bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Er hatte sich im Ukraine-Krieg gegen die Armeeführung gestellt. 2022 „verunglückte“ Rawil Maganiw, der Vorstandschef des russischen Ölkonzerns Lukoil, durch einen Sturz aus dem sechsten Stock eines Krankenhauses. 2018 war der russische Doppelagent Sergej Skripal mit seiner Tochter Julia bewusstlos auf einer Parkbank im britischen Salisbury gefunden worden. Die britische Polizei ging damals davon aus, dass Nervengift im Spiel war, das auf der Türklinke der Skripals verteilt worden war.

Die Liste der getöteten und unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommenen Putin-Gegner ließe sich noch lange weiterführen. Hintergrund ist, dass Putin auf eine äußerst erfolgreiche Karriere beim KGB zurückblickt und die alten KGB-Netzwerke bis heute in der politischen Sphäre Moskaus bestimmend sind. Die Beseitigung unerwünschter Personen erfolgt bis heute nach den Mustern, die gewöhnlich von Geheimdiensten angewendet werden.

Gift in der Unterhose

Das russische Regime hatte jedenfalls bereits im Jahr 2020 versucht, Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok aus dem Weg zu räumen. Das Gift war mutmaßlich an der Innenseite der Unterhose Nawalnys angebracht, wie ein abgehörtes Telefongespräch ergab. Der Oppositionelle kam dann in die Berliner Charité, wo er erfolgreich behandelt wurde. Nach der Genesung entschloss sich Nawalny zur Rückkehr nach Russland, was erwartungsgemäß mit seiner Verhaftung endete. Im Dezember war Nawalny für mehrere Wochen verschwunden. Später stellte sich heraus, dass er aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt worden war. Nawalny selbst mutmaßte, dass er durch die Verlegung im Vorfeld der Präsidentenwahlen am 17. März aus dem Weg geräumt werden sollte.

Der Putin-Kritiker war wegen des Vorwurfs des politischen Extremismus verurteilt, seine politische Bewegung verboten worden. Enge Mitarbeiter Nawalnys wurden ebenfalls inhaftiert oder flohen ins Ausland.

Nawalny war für Putin ein durchaus ernst zu nehmender Kontrahent gewesen. Er deckte Korruptionsfälle an der Staatsspitze auf, organisierte Kampagnen gegen die regierende Partei Einiges Russland und veranstaltete Protestveranstaltungen gegen die Regierung, die großen Zulauf hatten.

Wirklich gefährlich werden konnte Nawalny dem autokratisch regierenden Putin zuletzt freilich nicht mehr. Es besteht kein Zweifel, dass der Kremlherr die Wahl im März gewinnen wird, damit könnte er bis 2030 regieren.

Politisch nicht unumstritten

Nawalny war spätestens ab dem Jahr 2013 Anführer der Anti-Putin-Bewegung in Russland. Damals trat er bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen an und erreichte unter widrigen Bedingungen 27 Prozent der Stimmen. Es war klar, dass der Kreml eine derartige Konkurrenz nicht dulden würde. Nawalny wurde wegen angeblicher Unterschlagung zu fünf Jahren Haft verurteilt, die Strafe wurde aber auf Bewährung ausgesetzt. Der Oppositionelle ließ sich nicht abschrecken und erklärte 2016, dass er sich um die Präsidentschaft bewerben werde. Das Regime ließ das nicht zu und erhöhte den Druck sukzessive. Als er nach dem überstandenen Giftanschlag im Jänner 2021 nach Moskau zurückkehrte, wurde er noch auf dem Flughafen festgenommen und abgeführt.

Politisch war Nawalny nicht unumstritten. In den Jahren 2009 bis 2013 nahm er als Redner an den teils als rechtsextrem eingestuften Russischen Märschen teil. Er konnte sich auch später nur zu einer teilweisen Distanzierung durchringen und bezeichnete sich als nationalistischen Demokraten. Im Prinzip stand er aber weiterhin hinter den rechtsextremen Parolen. Dass er außergewöhnlich mutig Putin die Stirn bot, gehört fraglos ebenfalls wesentlich zur Persönlichkeit Nawalnys.


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Infos und Quellen

Genese

Wer Kremlchef Wladimir Putin die Stirn bietet, muss mit dem Tod rechnen. Redakteur Michael Schmölzer hat sich unter andern angesehen, welche Oppositionelle unter welchen Umständen in den letzten Jahrzehnten zu Tode kamen.

Quellen

Catherine Belton: Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte, erschienen 2022

Daten und Fakten

Das sowjetische Gulag-System besteht seit den 30er-Jahren, die heutigen Straflager in Russland funktionieren zum Teil noch ähnlich. Von 1930 bis 1953 waren 18 Millionen Menschen in Haft. Heute sind es weniger, es gibt dort immer noch Zwangsarbeit und es herrscht ein rigides System der Unterdrückung.

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