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Der Datenjournalist Christo Buschek ist Österreichs erster und bislang einziger Pulitzerpreisträger. Mit seiner Software konnte er nicht nur Chinas Netz an Internierungslagern aufdecken, sondern auch Kriegsverbrechen in aller Welt dokumentieren.
Sie haben 2021 mit ihren Kolleginnen Megha Rajagopalan und Alison Killing den Pulitzerpreis für ihre Recherche über die Internierungslager in China gewonnen. Wie konnten Sie mit Ihrer Software herausfinden, dass die chinesische Regierung Uigur:innen und Kasach:innen in großem Stil inhaftiert?
Meine Kollegin Megha Rajagopalan hatte ihre Aufenthaltsgenehmigung als China-Korrespondentin verloren, nachdem sie als eine der ersten westlichen Journalistinnen über die Internierungslager berichtet hatte. Sie wollte das weiterhin tun, aber wie kann man über etwas berichten, ohne vor Ort zu sein? Unsere Kollegin Alison Killing, eine Architektin, hatte die Idee, auf Satellitenbildern nachzuschauen, wo diese Lager sein könnten. Das Problem ist, dass die Provinz Xinjiang, wo diese Internierungslager vermutet wurden, sehr groß ist. Es würde ewig brauchen, sie abzusuchen. Zu dem Zeitpunkt wusste man von 20 bis 30 Lagern und die Spekulationen reichten von 200 bis 1.200 weiteren.
Sie haben mit Baidu Maps gearbeitet, dem chinesischen Pendant von Google Maps, auf dem Chinas Regierung Industrieanlagen zensuriert.
Der Fotograf Jonathan Browning hat zuvor entdeckt, dass Chinas Regierung auf Baidu Total View, dem Pendant zu Google Street View, derartige Anlagen zensuriert. Und das sehr dilettantisch. Sie malt zum Beispiel mit einem Photoshop-Pinsel den Himmel über den Turm einer Fabrik, deren Eingangsbereich noch zu sehen ist. Wir haben dann festgestellt, dass sie das auf Baidu Maps auch macht. Und zwar ebenso bei Internierungslagern. Diese Zensur war ein Indikator für uns, wo wir genau hinschauen sollten.
Sie haben dann die Software gebaut, die Xinjang systematisch erfasst hat. Wie hat das funktioniert?
Man kann Xinjiang auf 55 Millionen Koordinaten runterbrechen. Ungefähr fünf Millionen in diesem Kartenmaterial waren tatsächlich zensuriert. Diese fünf Millionen Koordinaten haben wir noch einmal mit Geodaten des Straßennetzes und dem urbanen Raum von Xinjiang überlagert. Wer ein Internierungslager betreiben möchte, braucht nämlich eine Infrastruktur. Man muss also Personal und Verpflegung hin- und herbringen können. Wenn Leute in Fabriken arbeiten, benötigt das Transportwege, etc. So konnten wir diese Koordinaten von fünf Millionen auf 900.000 reduzieren, mit denen wir arbeiten konnten. Dann haben wir mit einer zweiten Software gearbeitet. In der wurde alles in mehreren Stufen ausgesiebt, was nicht über gewisse infrastrukturelle und architektonische Eigenschaften verfügte, die wesentlich für so ein Lager sind. Also sind etwa Wachtürme zu sehen, Stacheldraht, und ob der Komplex über eine bestimmte Größe oder eine bestimmte Ästhetik verfügt. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass viele Gebäude für Häftlinge in U-Form gebaut waren.
Davor gab es nur Spekulationen. Wir haben das Netzwerk kartografiert.Christo Buschek
So konnten sie 268 Internierungslager identifizieren und beweisen, was China immer wieder abgestritten hat, nämlich, dass es diese Lager gibt, und dass es sich lediglich um Appartmentkomplexe oder „Lehrschulen“ handelt.
Wir konnten mit unserer Recherche nicht nur die exakten Orte der Lager zeigen, sondern auch die Dimension, die Systematik und die Intention dahinter. Sobald wir ein Lager gefunden haben, konnten wir auch mittels historischer Satellitenaufnahmen überprüfen, wann es gebaut wurde. Davor gab es bei all dem nur Spekulationen. Wir haben das Netzwerk tatsächlich kartografiert.
Vor dieser Recherche haben Sie die Software „Sugarcube“ entwickelt, die zur Archivierung von Kriegsverbrechen in Syrien eingesetzt wurde, und die mittlerweile auch im Jemen, Sudan und der Ukraine verwendet wird. Was ließ sich damit herausfinden?
Der Krieg in Syrien war der erste Krieg, der durchgehend von Personen erzählt wurde, die tatsächlich den Krieg miterlebt haben – nicht nur von ausländischen Reportern. Diese Menschen konnten in dem Moment, in dem etwas passiert ist, Fotos, Videos und Tonaufnahmen mit ihren Telefonen machen, und das auf Twitter und YouTube teilen. Das Syrian Archive von Hadi Al Khatib hat diese wahnsinnige Datenmenge mit meiner Software gesammelt und archiviert. Das Ziel dieser Recherche war immer, Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Dank des Archivs konnte die systematische Bombardierung von Krankenhäusern in Syrien durch russische Mitgliedsstreitkräfte bewiesen werden, sowie der Einsatz von Giftgas.
Am 8. Dezember ist das Regime von Diktator Bashar al-Assad gefallen. Unmittelbar danach gab es viele Videos von Inhaftierten, die freigelassen wurden. Einige misstrauen der Echtheit dieser Videos. Zum Beispiel, ob es sein kann, dass man nach 20 Jahren Gefangenschaft einen frischen Haarschnitt hat, usw. Gibt es Methoden, die das innerhalb kürzester Zeit verifizieren könnten?
Es gibt Methoden, aber nicht innerhalb kürzester Zeit. Daten müssen verifiziert werden, sonst sind sie nur abstrakte Information. Heute haben wir das Problem, dass wir nicht mehr sicher sind, ob das, was das Video zeigt, überhaupt stattgefunden hat. Gefälschte Bilder waren damals bei unserer Arbeit nicht das Problem. Wir mussten feststellen, ob etwa ein Angriff überhaupt in Syrien stattgefunden hat, wann, und ob es überhaupt ein Angriff ist oder etwas anderes. Heute müsste man wirklich anfangen zu fragen: Zeigt uns das Bild etwas, was überhaupt theoretisch existiert? Es gibt Methoden, das zu verifizieren, aber die Methoden brauchen Zeit. Ich glaube, dass man sich von der Idee verabschieden muss, dass man das einfach automatisieren kann. Computer können unsere Arbeit unterstützen, aber sie muss schon von Menschen gemacht werden.
Das heißt wir sind nicht so weit, dass man Bilder und Videos irgendwo durchlaufen lassen kann, und es sagt mir fake oder nicht fake?
Nein, Leute bauen zwar solche Systeme. Manchmal funktionieren sie gut, manchmal schlecht. Manchmal funktionieren sie vielleicht in einem Kontext, aber nicht in einem anderen. Ich glaube, es ist gut, damit zu experimentieren, aber ich bleibe sehr skeptisch bei allem, wo Leute behaupten, mit der AI lässt sich das machen.
Investigativ-und Datenjournalismus ist etwas, was sich vor allem große Medienhäuser leisten wollen – oder können. Aber gibt es Tools, die ungenutzt brachliegen, die jede noch so kleine Redaktion ohne viele Ressourcen oder großem Know-How einsetzen könnte?
Es gibt vieles, was Journalisten individuell machen können. Jeder österreichische Journalist kriegt manchmal irgendwelche Daten zugespielt. Was ist mit den Metadaten in diesen PDFs? Hat man eine Methode, um sich die anzuschauen? Das ist relativ einfach, aber kann manchmal erstaunliche Erkenntnisse ergeben. Diese Metadaten könnten zeigen, wer der Autor des Dokuments ist, wann es erstellt worden ist, etc. Metadaten können mich aber auch belügen, was ja auch interessant ist. Manchmal gibt es gar nichts. Aber man hat gleich mehr Einsicht. Dafür braucht man keine großartigen Ressourcen. Man muss einfach das Medium, digitale Dateien ein bisschen verstehen und was das bedeutet.
Sie arbeiten in Ihren Recherchen, ob Uigur:innen in China, Kriegsverbrechen in Syrien oder aktuell die Menschenrechtslage in Gaza, oft zu Thematiken, die unglaubliches Unrecht dokumentieren. Wie messen Sie den Impact Ihrer Arbeit?
Natürlich will ich und hoffe ich, dass unsere Geschichten Einfluss haben. Aber Impact ist relativ. Wir haben bei unserer Xinjiang-Recherche auf der Arbeit vieler anderer vor uns aufgebaut, so wie das andere nach uns gemacht haben. Das ist ein unsichtbarer und nicht direkter Impact. Dennoch halte ich das für wahnsinnig wichtig. Als wir unsere Recherchen publiziert haben, gab es viel Berichterstattung zu dem Thema und das hatte zu einer Masse an Vorwürfen zur Verfolgung der Uiguren und Kasachen in China beigetragen. Und diese Masse an sehr starken Beweisen und Anschuldigungen macht es schwierig, das Unrecht zu verneinen. Das ist dann auch tatsächlich passiert. China hat aufgehört, die Existenz dieser Lager als solche zu verneinen.
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Infos und Quellen
Genese
Solmaz Khorsand und Christo Buschek haben beide bei den „Tagen der Transfomation“ im Oktober 2024 in Stift Melk Vorträge gehalten, wo sie einander kennengelernt haben.
Gesprächspartner
Christo Buschek, Softwareentwickler und Investigativjournalist (u. a. für Der Spiegel und Paper Trail Media) mit Fokus auf Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen, KI, Desinformation und der Konstruktion von Datensätzen.
Daten und Fakten
Christo Buschek wurde 2021 als erster Österreicher gemeinsam mit seinen Kolleginnen Megha Rajagopalan und Alison Killing für ihre mehrteilige Artikelserie „Built to Last“ in Buzzfeed über Chinas Internierungslager in der größtenteils von Uigur:innen bewohnten Provinz Xinjiang mit dem Pulitzerpreis in der Kategorie International Reporting ausgezeichnet. Das Team konnte 268 Lager identifizieren, in denen die chinesischen Behörden Uigur:innen, Kasach:innen und andere muslimische Minderheiten inhaftiert hatten.
Die Ergebnisse spiegelten wider, was Forscher:innen, UN-Beamt:innen und westliche Regierungen seit langem vertreten, nämlich dass Chinas Inhaftierungskampagne in Xinjiang die größte ist, die sich gegen eine religiöse Minderheit richtet, seit den Nazi-Lagern während des Zweiten Weltkriegs.
Das Syrian-Archive von Hadi Al Khatib, einem Aktivisten und Archivisten, sammelt , verifiziert und wertet Informationen seit 2011 aus, die von Zivilist:innen auf diversen Plattformen zusammengetragen werden und von Menschenrechtsverletzungen im syrischen Bürgerkrieg zeugen. Die Daten des Archivs wurden von zahlreichen internationalen Organisationen genutzt. Das Know-how wird auch heute in den Konflikten im Jemen, Sudan und in der Ukraine eingesetzt.
Quellen
buzzfeednews: Pulitzer-Preis Artikel-Serie über Chinas Internierungslager
wired.com: Zensur Baidu Maps
syrianarchive.org: Die Dokumentation des Syrian Archive
christobuschek.net: Details über die Software „Sugarcube“
Das Thema in anderen Medien
Spiegel: Artikel Christo Buschek
Der Standard: Grazer Christo Buschek erhielt renommierten Pulitzer-Preis