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Ein Gesetz, zwei Bauern, zwei Ansichten

5 Min
Die Bauern sind uneins: „Wir tun schon jetzt sehr viel“, sagt der eine, „wir könnten noch mehr machen“, meint der andere.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Sie sind sich beim Renaturierungsgesetz nicht einig, aber es gibt Gemeinsamkeiten. Eine Gegenüberstellung.


Das EU-Renaturierungsgesetz löste viel Unmut aus, vor allem in der Bauernschaft. Doch was steht hinter dieser politischen Auseinandersetzung? Warum findet es der eine Bauer gut und der andere Bauer schlecht? Wäre hier ein Kompromiss möglich? Wir haben bei zwei Landwirten nachgefragt – einem Großbauer mit Getreidefeldern und einem Bio-Landwirt mit Kühen.

Andreas Leidwein hört das Telefon nicht immer, denn er sitzt oft auf seinem Mähdrescher und beackert sein gepachtetes Land im niederösterreichischen Weinviertel. An diesem Tag habe ich Glück. Er hat gerade die Weizenernte eingefahren.

Ackerland im Weinviertel
Ackerland im Weinviertel.
© A. Leidwein

Leidwein hat die Landwirtschaft von seinen Eltern übernommen. Er baut Hart- und Winterweizen, Roggen, Sojabohnen, Mais und Sonnenblumen an. Ich frage ihn, was er für die Bio-Diversität macht: „Ich habe 20 verschiedene Blühmischungen ausgesät. Das soll mehr Insekten anlocken.“ Und es sprudelt weiter aus ihm heraus. Für ihn ist das Gesetz „Etikettenschwindel“. Niemand habe etwas gegen die Boden- oder Biodiversitäts-Strategie, aber er hält nichts von diesem Gesetz.

Wiedervernässung von Ackerland

Landwirt Leidwein nennt eine seiner Befürchtungen: „Wenn man die Vernässung der Böden, also die Umwandlung von Ackerland in Grünland beziehungsweise Moore, wiederherstellt, dann haben nicht nur die Bauern ein Problem, sondern die ganze Bevölkerung“, sagt er. „Fragen Sie einmal in der Gegend Marchegg, was die von einem Anstieg des Grundwasserspiegels halten. Gar nichts. Denn die haben jetzt schon nasse Keller und das letzte Hochwasser ist noch nicht allzu lange her.“

Der Bauer aus Niederösterreich spricht an, was im Gesetz steht: „Der größte Nutzen für das Klima entsteht durch die Wiederherstellung und Wiedervernässung von Ackerland in Grünland“. Dabei handelt es sich in erster Linie um entwässerte Moorflächen. Dass das EU-Gesetz niemals Leib und Leben riskieren würde und Schlechterstellungen nicht vorsieht, lässt Leidwein nicht gelten. „Das glaube ich nicht, denn es müssen ja laut Gesetz 30 Prozent renaturiert werden. Das ist Fakt.“ „Dieses Gesetz wird nicht nur positive Auswirkungen für den Menschen haben“, ist er überzeugt.

Wer entscheidet, was renaturiert wird?

Johann Schauer hat ebenfalls den Hof seiner Eltern in Oberösterreich übernommen. Er hat Bio-Rinder, Getreidefelder, ein Stück Wald. Er hat bereits von sich aus renaturiert. Ein Teich und sogenannte Bewegungskorridore, insektenfreundliche Hecken, Baumreihen und Wildblumenstreifen sind auf seinem Grund entstanden.

Der grüne Bauer mit einem Rind.
Johann Schauer auf seiner Wiese.
© Fotocredit: J. Schauer

Ich rufe den „grünen“ Landwirt an und konfrontiere ihn mit den schwarzen Überzeugungen von Landwirt Leidwein. Schauer stellt gleich klar, dass er seine Parteizugehörigkeit bei den Grünen nicht in den Vordergrund stellen möchte, er sieht sich in erster Linie als Bienenbeauftragter und leidenschaftlicher Bio-Diversitätsbotschafter.

„Da soll er sich keine Sorgen machen“

Zu Leidweins Befürchtung wegen der Auflage „Wiedervernässung“ lässt Schauer ausrichten: „Da soll er sich keine Sorgen machen. Es wird sicher nicht so renaturiert, dass bei den Anrainern die Keller unter Wasser stehen", sagt er.

Das ist auch tatsächlich so im Gesetz vorgesehen: „In hinreichend begründeten Fällen … aufgrund erheblicher negativer Auswirkungen auf Gebäude, Infrastruktur, Anpassung an den Klimawandel oder andere öffentliche Interessen … sollte es den Mitgliedstaaten möglich sein, das Ausmaß der Wiedervernässung … zu verringern.“

„Das glaube ich nicht“, kontert Leidwein. Wer wird das bestimmen? Werden NGO-Expert:innen kommen und den Bauern sagen, was sie zu tun haben?

Leidweins Sorge, dass den Bauern Land weggenommen wird, kann Schauer nicht teilen. Es gehe nicht um große Flächen, sondern um Randzonen, um Restflächen. „Man kann sehr viel tun mit wenig Fläche“, sagt er. Stimmt das?

Das Gesetz sieht vor, dass bis 2030 auf mindestens 30 Prozent der Gesamtfläche eines Mitgliedstaates Wiederherstellungsmaßnahmen gesetzt werden müssen, und zwar auf Flächen, die sich in keinem guten Zustand befinden. Da es schwierig ist, zu beurteilen, was ein guter und was ein schlechter Zustand ist, werden bestimmte Indikatoren wie Artenvielfalt oder Zustand des Bodens herangezogen. Ein Hinweis zum Ausmaß der Fläche, die ein Bauer oder eine Bäuerin renaturieren sollte, findet sich in einem Absatz zur Gemeinsamen Agrarpolitik: „Begünstigte, die flächenbezogene Zahlungen erhalten, müssen einen Mindestanteil von 4 Prozent des Ackerlandes … für nichtproduktive Flächen … vorsehen“.

„Wir passen uns laufend an den Klimawandel an“

Für den einen sind vier Prozent viel, für den anderen wenig. „Es ist auch nicht klar, ob bereits getroffene Maßnahmen angerechnet werden oder nicht. Auch nicht, ob die Förderungen dann weg sind, wenn du nicht mitmachst“, sagt Leidwein. „Ich lebe davon, und wir machen jetzt schon sehr viel. Wir passen uns laufend an den Klimawandel an.“

Ein Foto des grünen Bauers in einer Blumenwiese.
Johann Schauer inmitten von Wildblumen auf einer seiner Wiesen.
© Fotocredit: J. Schauer

„Das stimmt“, sagt Schauer. Man sollte anerkennen, was die Bauern jetzt schon tun. „Sie gehören vor den Vorhang geholt. Alte Streuobstbestände, Natursteinmauern und andere Landschaftselemente werden meist in Handarbeit gepflegt.“ Allerdings würden viele Bauern und Bäuerinnen die Bio-Diversität übersehen. „Nur weil der Humus-Gehalt im Boden stimmt, heißt das noch lange nicht, dass die Vielfalt da ist. Wenn ich entlang großer Mais-Felder fahre, sehe ich meist keine Maßnahmen für Bio-Diversität gesetzt“, sagt Schauer.

Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite, Idealismus auf der anderen? Die Argumente der beiden Landwirte sind nachvollziehbar. Die kleineren Betriebe freuen sich, die größeren können es sich nicht vorstellen. „Es muss ein Miteinander sein“, sagt Schauer, „es darf nicht auf den Rücken der Bauern ausgetragen werden“, sind sich beide Bauern einig. Das Gesetz sieht vor, dass alle – vom Landwirt über NGOs bis zur breiten Öffentlichkeit – in die Ausarbeitung der Wiederherstellungspläne einbezogen werden müssen.

Welche Maßnahmen schlussendlich umgesetzt werden, wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein.


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Infos und Quellen

Genese

Das EU-Renaturierungsgesetz, das am 17. Juni 2024 beschlossen wurde, stellt die Landwirt:innen in den Mittelpunkt. Es geht um „degradierte“ Flächen, um „Belastungen durch menschliche Tätigkeiten“. WZ-Redakteurin Ina Weber kann sich vorstellen, dass das für einen Bauern, der sich um sein Land kümmert und seine Äcker von Generation zu Generation weitergibt, nicht einfach zu nehmen ist. Gleichzeitig ist das Gesetz für viele Bauern und Bäuerinnen eine Hoffnung. Zwei Bauern kommen zu Wort.

Gesprächspartner

  • Andreas Leidwein, Landwirt in Niederösterreich

  • Johann Schauer, Landwirt in Oberösterreich

Daten und Fakten

  • Wichtige Passagen im Gesetz:

  • „Der größte Nutzen für das Klima entsteht durch die Wiederherstellung und Wiedervernässung von Ackerland in Grünland“

  • „In hinreichend begründeten Fällen und wenn eine Wiedervernässung entwässerter, landwirtschaftlich genutzter Moorböden aufgrund erheblicher negativer Auswirkungen auf Gebäude, Infrastruktur, Anpassung an den Klimawandel oder andere öffentliche Interessen nicht erfolgen kann, …, sollte es den Mitgliedstaaten möglich sein, das Ausmaß der Wiedervernässung von Moorböden zu verringern.“

  • „Begünstigte, die flächenbezogene Zahlungen erhalten, müssen einen Mindestanteil von 4 Prozent des Ackerlandes auf Ebene des landwirtschaftlichen Betriebs für nichtproduktive Flächen und Landschaftselemente vorsehen.“

  • Die Mitgliedstaaten „sollten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um lokale und regionale Behörden, Landbesitzer und Landnutzer und deren Verbände, Organisationen der Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, Forschungs- und Bildungsgemeinschaften, Landwirte, Fischer, Forstwirte, Investoren und andere relevante Interessenträger sowie die breite Öffentlichkeit in allen Phasen der Ausarbeitung, Überprüfung und Umsetzung der nationalen Wiederherstellungspläne einzubeziehen und den Dialog und die Verbreitung wissenschaftlich fundierter Informationen über die biologische Vielfalt und die Vorteile der Wiederherstellung zu fördern.“

  • Das Gesetz spricht vor allem Natura-2000-Gebiete an, deren Zustand verbessert werden soll: In Österreich gibt es mit Stand Jänner 2024 353 solcher Gebiete auf rund 15 Prozent der Landesfläche, darunter die Wachau, das Ötscher-Gebiet, die March-Thaya-Auen, die Waldviertler Teich-Heide-Moorlandschaft, die Schwarze Sulm, das Karwendel und das Lechtal.

  • Die Antworten der beiden Bauern im Wortlaut:

  • Was konkret würde sich für Sie ändern?

  • Leidwein: Möglicherweise Flächeninanspruchnahme, Verkleinerung der bewirtschafteten Flächen, Eingriffe in die Art der Bewirtschaftung.

  • Schauer: Das hängt davon ab, was die agrarpolitische Vertretung in Österreich mit den anderen Entscheidungsträgern ausverhandelt. Ich rechne mit praktikablen Lösungen, die sich gut in meinem Betrieb umsetzen lassen.

  • Worauf sind Sie im Rahmen ihrer Arbeit besonders stolz?

  • Leidwein: Boden- und wasserschonende Bearbeitungsmaßnahmen, der Pflugeinsatz wird minimiert und durch flachere Bodenbearbeitungsgeräte ersetzt; Anpassung der Sätechnik, Anbau von Zwischenfrüchten für eine bessere Bodenqualität; Erhöhung der Bio-Diversität.

  • Schauer: Wir führen jetzt eine biologische Kreislaufwirtschaft, die vernetzte Lebensräume rund um den Hof beinhaltet. Zudem gibt es eine kleine und feine Direktvermarktung sowie eine Kooperation mit einer Bäckerin, die einmal in der Woche zu uns kommt und unser Getreide in köstliches Brot verwandelt.

  • Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft?

  • Leidwein: Weniger Bürokratie, Importstopp von Produkten, die mit geringen Standards produziert werden, faire Preise.

  • Schauer: Ich wünsche mir eine gerechtere Agrarpolitik mit besseren Erzeugerpreisen und einer fairen Entlohnung für die geforderten Umweltleistungen. Betrieblich blicke ich Kooperationen entgegen. Ich kann und will nicht alles selbst machen. Gern würde ich mit mehr Leuten zusammenarbeiten, die unserer Urprodukte weiterverarbeiten.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien