)
Teenager haben „Zwidemu“, den Platz zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum in Wien, einst für sich in Besitz genommen. Der Ort ist immer wieder Zentrum jugendlichen Aufbegehrens.
Im Februar oft menschenleer, im Sommer von Touristenmassen geflutet, ist der Raum zwischen dem Kunst- und dem Naturhistorischen Museum für Jugendliche vor allem eins: Rückzugsort. Die zu Kugeln und Zylindern geschnittenen Büsche des Maria-Theresien-Platzes bieten Deckung, hier sind die 14- bis 16-Jährigen unter sich. Hier wird Musik gehört, Bier getrunken, gekifft und die Zeit totgeschlagen.
- Kennst du schon?: Was die Promi-Kirche Hillsong in Wien macht
„Zwischen den Museen“, genannt „Zwidemu“, ein Ort in Wien abseits der Erwachsenenwelt, frei und unbeobachtet. Und möglicherweise schon wieder von gestern. Denn mittlerweile nutzen politische Parteien wie die Grünen und die Neos das Terrain, um mit Raves jugendliche Wähler:innen für sich zu vereinnahmen. Auch kommerzielle Veranstalter:innen haben ihre Chance längst erkannt und sorgen professionell für Partystimmung. Für die, die sich hier ohne Konsumzwang aufhalten wollen, ist so etwas nicht attraktiv. Dennoch bauen Jugendliche am Zwidemu heute noch ihre Gegenwelten auf.
Brennender Baum, einschreitende Securities
Die hochpolitische Frühzeit des Zwidemu reicht laut Paul Buschnegg, der sich intensiv mit dem Thema befasst hat, in die Jahre 2009 und 2010 zurück. „Es war das unbeabsichtigte Resultat eines Protests, eines innerstädtischen Aufbegehrens für mehr Freiraum“, sagt er im Gespräch mit der WZ. Securities hätten Jugendliche von den Wiesen des Heldenplatzes vertrieben, weiß er. „Damals“ – das war, als die Politikerin Barbara Rosenkranz von der FPÖ 2010 für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte. Es gab eine „Lichterdemo“ gegen Rosenkranz, die von den Protestierenden als rassistisch empfunden wurde, in deren Verlauf ein Baum im Burggarten angezündet wurde. Das war der Grund , so Buschnegg, dass Securities in den folgenden Monaten am Heldenplatz nachdrücklich gegen in der Wiese Sitzende einschritten und die „Szene“ sich über den Ring und zwischen die Museen verlagerte.
Dazu kam, dass Jugendliche ab 2009 im Museumsquartier (MQ) Probleme bekamen, weil sich Anrainer:innen über den Partylärm beschwerten. Die „Szene“ verschob sich zuerst unmittelbar vor das MQ, dann wanderte sie auf den Maria-Theresien-Platz ab.
Wobei ein Mann namens Jakob Steirer heute für sich in Anspruch nimmt, 2009 den Ausdruck „Zwidemu“ für diesen Ort „erfunden“ zu haben, wie er gegenüber der WZ sagt. Seine Mutter habe zu „Museumsquartier“ immer „Muqua“ gesagt, er habe diese Bezeichnung „lächerlich“ gefunden und so den Begriff „Zwidemu“ geprägt – „um meine Mutter zu verarschen“. Der Begriff habe sich dann ausgebreitet und sei in die jugendliche Alltagssprache eingegangen.
„Wollten unsere Ruhe haben“
Doch worum ist es gegangen? „Wir wollten Bier trinken, kiffen und unsere Ruhe haben“, sagt Steirer. „Und wir wollten weg von kommerziellen Veranstaltungen.“
Die Politologin Petra Kolb forscht an der Uni Wien unter anderem zum Thema Protestkultur. Sie war als Jugendliche um das Jahr 2012 herum selbst auf dem Maria-Theresien-Platz aktiv. „Das Zwidemu war ein geschützter, intimer Raum“, erinnert sie sich. Es sei nicht um Politik oder einen gesellschaftlichen Gegenentwurf gegangen, sondern darum, dem „Eingesperrt-Sein“ zu entkommen. Dann und wann seien Securities gekommen und hätten die Jugendlichen vertrieben, „das hat bei uns aber wenig Eindruck gemacht“.
„Es gab wenig Räume für Jugendliche, vor allem wenig konsumfreie“, erklärt Kolb. Heute sei das Zwidemu „zur Marke verkommen“, kritisiert sie, die Jugendlichen dort würden von Politiker:innen vereinnahmt. Parteien veranstalten Raves, bei denen in einem Fall auch Bundespräsident Alexander van der Bellen, von der nahen Hofburg kommend, einen Auftritt hatte. So finde eine „Einhegung“ des Ortes statt, eine Nutzbarmachung, die mit den Bedürfnissen der Kids nichts mehr zu tun habe, sagt Kolb.
Kämpferische Vorfahr:innen
Dass sich Jugendliche öffentlichen Raum erstreiten, hat in der Gegend jedenfalls Tradition. Im Frühling 1979 machte die „Bewegung für Rasenfreiheit“ von sich reden. Jugendliche besetzten den Burggarten, saßen dort verbotenerweise herum, tranken Bier und ließen gelegentlich einen Joint kreisen. In der Kronen Zeitung war von „Sexorgien“, „öffentlichem Rauschgiftkonsum“ und „Entenmord“ die Rede, die Polizei rückte an, um die Jugendlichen zu vertreiben. Es gab gewalttätige Auseinandersetzungen und Festnahmen. Damals mussten Freiräume regelrecht erkämpft werden, dem Ungehorsam wurde mit Repression, Prügel und Konsequenzen begegnet. Die Prügel gab es von der Polizei, zuhause vom Vater und zuletzt vom Boulevard. Der Künstler Andreas Rotifer berichtet, dass es auch im Job Konsequenzen – einen Rauswurf – geben konnte, wenn man als Rasenbesetzer in der Zeitung auf einem Foto auftauchte.
Heute: Gegen Leistungsideologie
Und heute? Wo ist das rebellische Potenzial im Jahr 2025? Die Jugendlichen, weiß Buschnegg, geben sich am Zwidemu dem „Techno-Eskapismus“ hin, um „gegen die Leistungsgesellschaft zu rebellieren“. Für Protestforscherin Kolb hat sich die Jugend mittlerweile von diesen Ansprüchen bereits maßgeblich emanzipiert – sie selbst sei 2012 noch „voll im Leistungsdenken gefangen“ gewesen. Für Buschnegg existiert heute als moderne Protestform außerdem „bewusster Anti-Intellektualismus“: das Leben im Partymodus, „im Baller-Baller-Modus“ mit viel synthetischen Drogen. Wobei sich lyrisch im Gegensatz zum alten „Macho-Techno“ in der Musik einiges an feministischen Textpassagen verorten lasse. Eine weitere Protestform sei demonstrative „Wokeness“, betonte Feinfühligkeit, Empfindsamkeit, mit der gegen bestehende Ordnungen opponiert werde, sagt Buschnegg.
Stellt sich noch die Frage, wo im städtischen Raum künftig die zentralen Orte jugendlichen Protests zu finden sein werden. Forscherin Petra Kolb rechnet mit Widerstandsaktionen, mit Party und Protest in St. Marx, wo zwischen der Rinderhalle und einer großen Asphaltfläche ein begrünter Rückzugsort für Junge entstanden ist. Und wo demnächst die Bagger auffahren werden, um Platz für eine riesige Multifunktionshalle zu schaffen.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Paul Buschnegg, Kurator der Ausstellung „Zwidemu. Zwischen Party und Protest“.
Jakob Steirer, einer der Zwidemu-Aktiven der ersten Stunde. Er nimmt für sich in Anspruch, den Ausdruck „erfunden“ zu haben.
Petra Kolb, Politologin, forscht an der Uni Wien unter anderem zu jugendlichem Protestverhalten.
Daten und Fakten
Wien plant bis 2030 die Errichtung einer neuen „Wien-Holding-Arena“ in St. Marx im dritten Wiener Gemeindebezirk. Die Initiative „St. Marx für alle“ will Widerstand leisten und setzt sich für den Erhalt der bis jetzt unverbauten Fläche ein.
Die Ausstellung „Zwidemu. Zwischen Party und Protest“ zeigt ab 27. März verschiedene Exponate, darunter auch einen E-Roller, der zu einer Skulptur „umgebaut“ wurde. Ausstellungsort ist das musa im 1. Bezirk, Feldererstraße 6-8. Kurator:innen sind Selin Göksu, Kilian Hanappi, Paul Buschnegg.
Quellen
Georg Friesenbichler, Unsere wilden Jahre, Böhlau
Idealzone Wien, Falter Verlag
Andreas Rotifer: Der Burggarten, die Freaks und „die Presse“
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Wo die Teenies regieren