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Frauen leisten bereits Sozialdienst. Ein Leben lang.
Mit der sich verschlechternden Sicherheitslage in der Welt im Allgemeinen und in Europa im Besonderen wird derzeit immer wieder die Forderung laut, die in Österreich für Männer geltende Wehrpflicht auch auf Frauen auszuweiten.
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Zuletzt forderte der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) einen verpflichtenden „Wehr- und Sozialdienst“ für alle. Was den meist männlichen Befürwortern eines allgemeinen Zwanges zu Wehr- oder Zivildienst nicht ein- oder aufzufallen scheint, ist folgende Tatsache: Frauen leisten bereits Sozialdienst. Allerdings nicht, wie von Doskozil gefordert, neun Monate, sondern oft ein Leben lang.
Diskussion ohne Denkverbote, aber auch ohne Denken
Doskozil will also eine „Diskussion ohne Denkverbote“. An die Lebensrealitäten von Frauen denkt er selbst dabei offenbar keine Sekunde lang, obwohl ihm das ja niemand verboten hat.
Denn: In einer Gesellschaft, in der unbezahlte Arbeit in Kinderbetreuung, Pflege, Fürsorge, Haushalt und Familienmanagement derart ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt ist, wie in der österreichischen, kann man die Forderung, ausgerechnet Frauen zu noch mehr Gratisarbeit zwingen zu wollen, nur als völlig blind für die realen Lebensumstände und Belastungslagen von Frauen bezeichnen. Es sind nämlich Lebensumstände, die bereits sehr umfassend unbezahlten Sozialdienst beinhalten.
Die Fakten
Vielleicht hilft eine kurze Erinnerung an die Fakten: Die letzte österreichische Zeitverwendungsstudie aus den Jahren 2021/22 hatte zum Ergebnis, dass Frauen in Österreich etwa 4,5 Stunden unbezahlte Arbeit pro Tag leisten, rund zwei Stunden mehr als Männer. Im Vergleich zur letzten Zeitverwendungsstudie aus den Jahren 2008/09 zeigte sich, dass zwar das insgesamte Aufkommen an unbezahlter Haushalts- und Fürsorgearbeit in österreichischen Haushalten gesunken ist, an der Verteilung dieser Arbeit nach Geschlecht hat sich aber im Grunde nichts geändert. Mental Load, also das unsichtbare Managen von Familie und Haushalt, ist in diesen Zahlen noch gar nicht inkludiert.
Was sagen junge Frauen zur Wehrpflicht? Wir haben uns umgehört.
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Da Frauen so viel unbezahlt arbeiten, haben sie weniger Zeit für sich, für Hobbies, für Fortbildung, für Schlaf und Erholung, für Freund:innen und: Sie haben auch weniger Zeit für bezahlte Arbeit. Und weil sie weniger Zeit für bezahlte Arbeit haben und deshalb oft nur in Teilzeit erwerbstätig sein können, verdienen sie signifikant schlechter und sind auch wesentlich öfter von Armut betroffen, insbesondere im Alter. Frauen werden in Österreich nur für etwa 40 Prozent ihrer Arbeit bezahlt. Männer hingegen werden für den Großteil ihrer Arbeit bezahlt.
Noch mehr Gratisarbeit
Und nun hat mann die nächste großartige Idee: All die Gratisarbeit reicht nicht, Frauen sollen noch mehr gratis arbeiten! Wie praktisch wäre das denn bitte, wenn die Weibersleut nicht mehr nur zuhause und unbezahlt ihre eigenen Eltern, Kinder und Angehörige pflegen und betreuen und erziehen und befürsorgen würden, sondern auch noch gesetzlich zwangsverpflichtet die Eltern, Kinder und Angehörige anderer, auch unbezahlt?
(Oder so gut wie unbezahlt: der Wehrdienst wird in Österreich aktuell mit 317,11 Euro monatlich vergolten – Mieten in österreichischen Großstädten kosten für eine Einzelperson mittlerweile ungefähr dreimal so viel, aber sollen sie halt Kuchen essen.)
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Doskozil argumentiert nicht, wie andere, mit der Sicherheitslage, die eine allgemeine Wehrpflicht notwendig machen würde, sondern spricht das meist leise Gedachte laut aus und argumentiert explizit mit dem Zustand des Gesundheitssystems, der einen allgemeinen Sozialdienst notwendig machen würde: Dieser Sozialdienst würde, so Doskozil im Interview mit der APA, den „Personalnotstand in der Pflege“ lindern. Dass dieser Notstand darin begründet ist, dass das meist weibliche Pflegepersonal chronisch unterbezahlt und überbelastet ist, sowohl psychisch als auch physisch, wird dabei lieber nicht erwähnt. Dieses Problem tatsächlich zu lösen, ohne Menschen dabei noch umfassender auszubeuten, würde Geld kosten. Und warum sollte man Geld in die Hand nehmen, wenn Frauen ja eh gratis oder fast gratis schuften.
Die viel zu schlecht bezahlten und überbelasteten Pflegekräfte, überwiegend Frauen, die aktuell in der Pflege arbeiten sind zu wenige und immer noch nicht billig genug. Er hätte ihre Arbeitskraft offenbar gern noch billiger. Junge Menschen hätten dadurch die Möglichkeit, so Doskozil, „neue Perspektiven zu gewinnen, Verantwortung zu übernehmen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln“ – als würde Frauen in diesem Land nicht schon viel zu viel Verantwortung aufgebürdet, weil Männer diese Verantwortung (für Haushalt, Pflege und Kinderbetreuung) nicht übernehmen wollen.
Zynische Forderung
Sollten wir uns irgendwann in einer Gesellschaft wiederfinden, in der Männer die unbezahlte Arbeit in Haushalt, in Kindererziehung, in der Pflege von Alten und Kranken im selben Ausmaß wie Frauen übernehmen, ließe sich eventuell, so man an dieser archaischen Idee der Zwangsarbeit festhalten möchte, darüber diskutieren, auch die Wehrpflicht (oder den Sozialdienst) auf Frauen auszuweiten. In einer Gesellschaft, in der Frauen bereits zu lebenslänglichem Sozialdienst verpflichtet werden, ist der feuchte Männertraum, ihnen noch mehr Gratisarbeit aufzubürden, allerdings hochgradig zynisch. Und hochgradig frauenfeindlich.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
- Statistik Austria: Zeitverwendungsstudie 2021/22
- Statistik Austria: Zeitverwendungsstudie 2008/09
- oesterreich.gv.at: Bezahlung Wehrdienst