Die Grün-Bewegung hatte es in den 1970er-Jahren nicht leicht. Sie konnte auf keine Tradition als politische Kraft zurückgreifen und musste sich erst erfinden.
Am Anfang waren es Protestveranstaltungen unbändiger junger Leute gegen Umweltzerstörung und Krieg. Der vorläufige Endpunkt: mehr oder weniger einflussreiche Minister:innen, die an den Schalthebeln der Macht angelangt sind. Die, am Gängelband des konservativen Partners ÖVP hängend, ihre umweltpolitischen Anliegen durchbringen wollen. Vertreter:innen der Grünen-Gründergeneration waren in den 70er- und frühen 80er-Jahren rebellisch und von dem Wunsch beseelt, die Natur um jeden Preis vor der Vernichtung zu retten. Heute ist man pragmatischer, verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen, wie Parteichef Werner Kogler es nennt. Die meisten unbeugsamen Vorkämpfer:innen von einst sind jetzt politisch im Ausgedinge.
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Mit Kaspanaze Simma auf dem Gipfel
Klar ist: Die Grün-Bewegung hatte es in den 1970er-Jahren nicht leicht. Sie konnte auf keine Tradition als politische Kraft zurückgreifen und musste sich erst erfinden. Wer aber waren die Stammväter und -mütter der heutigen Grünen? Woher kamen und was wollten sie?
Ganz an vorderster Stelle zu nennen ist ein Mann, der heute fast vergessen ist: Kaspanaze Simma, Landwirt und Agrarrebell aus Vorarlberg. Ihm gelang es, als grüner Spitzenkandidat bei den Wahlen im „Ländle“ 1984 aus dem Stand 13 Prozent der Stimmen zu erreichen, ÖVP und SPÖ Niederlagen beizubringen und als erster Grüner überhaupt in einen Landtag einzuziehen: eine Sensation.
Der sture Biobauer war schon in jungen Jahren ein Original und erregte Aufsehen. Er vermittelte eine urwüchsige Ehrlichkeit, das Bild des freundlich dreinblickenden, rauschebärtigen Landwirts aus den Bergen zierte so manche Titelseite internationaler Zeitschriften. Dabei war Simma kein Revolutionär im klassischen Sinn, sondern katholisch und wertkonservativ. Allerdings passte er mit seinen Ideen von alternativem Ackerbau und dem „einfachen Leben auf der Alpe“ überhaupt nicht in die ÖVP. Als Biobauer der ersten Stunde entwarf er Anfang der 80er-Jahre ein Projekt mit dem Titel „Modell Vorarlberg“. Weit davon entfernt, ein Hippie zu sein, trat er für eine „Politik der Liebe“ ein und übte, in Strickjacken Marke Eigenbau gehüllt, Kritik am kapitalistischen Gewinn- und Erwerbsdenken. Mittlerweile hat er der Politik den Rücken gekehrt und bewirtschaftet seinen Hof.
Immer verdächtig
Ein völlig anderer Zeitgenosse war Andreas Wabl, ebenfalls ein Grüner der ersten Stunde. Wegen seiner krausen Haarpracht galt er von jeher als „der Wilde“, wie er in dem zuletzt erschienenen Buch „Was wurde aus den Grünen?“ verrät. Später entrollte er im Nationalrat aus Protest gegen Kurt Waldheims NS-Vergangenheit eine Hakenkreuz-Fahne, zeigte Jörg Haider den Mittelfinger (nachdem dieser ihn als „Wappler“ bezeichnet hatte) und warf der damals noch allmächtigen Kronenzeitung „Nazi-Journalismus“ vor.
Wobei Wabl schon in den 70er-Jahren als widerborstig auffiel: Im steirischen St. Peter am Ottersbach etwa, wo er Lehrer war und mit seinem Bruder wohnte. Eines Abends, so berichtet er in dem erwähnten Buch, klopfte ein ganzer Trupp an Gendarmen an seine Tür und durchsuchte das Haus nach einer Angel, weil am Vortag 600 Forellen aus einem Teich gestohlen worden waren. Wabl meint, er sei damals − es war die Zeit des RAF-Terrors − generell unter Verdacht gestanden. Auch sei in jenen Tagen kein Treffen der Grünalternativen ohne Beobachtung durch die Staatspolizei über die Bühne gegangen.
Haider und Hainburg als Geburtshelfer
Wobei am politischen Werdegang Wabls die Entwicklung der Partei von einer Ansammlung protestierender Aktivist:innen und Lokalpolitiker:innen zur Partei normalen Zuschnitts gut nachvollziehbar ist. Bei der Nationalratswahl 1983 waren die notorisch uneinigen Grünen noch mit zwei konkurrierenden Fraktionen angetreten − eine bürgerlich-konservativ (VGÖ), eine links-progressiv (ALÖ). Beide Fraktionen scheiterten.
Es folgte ein schmerzhafter Einigungsprozess unter Freda Meissner-Blau – eine Politikerin, die bei der Bundespräsidenten-Wahl 1986 einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte. Als Jörg Haider im gleichen Jahr das Kommando in der FPÖ übernahm und SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky Neuwahlen ausrief, schlug die Stunde der Grünen. Die Gelegenheit war günstig: Die Proteste zum Schutz der Hainburger Au 1984, als tausende Demonstrant:innen gewalttätigen Angriffen der Polizei trotzten, hatten zuvor für Rückenwind gesorgt. So erreichten die Grünen knapp fünf Prozent der Stimmen und zogen mit acht Abgeordneten – einer davon Wabl – in den Nationalrat ein. Die Grünen hatten den berühmten Marsch durch die Institutionen geschafft und waren am Ziel.
Eine Globetrotterin als Galionsfigur
Unter diesen acht Abgeordneten gab es – heute bei den Grünen kaum vorstellbar – nur eine Frau: die mittlerweile verstorbene Galionsfigur und Grünen-Spitzenkandidatin Freda Meissner-Blau. Die Atomkraftgegnerin, Friedensaktivistin und Vorkämpferin der Ökologiebewegung blickte damals schon auf ein sehr ungewöhnliches Leben zurück. Als 17-Jährige erlebte sie im Zweiten Weltkrieg die apokalyptische Bombardierung von Dresden. Meissner-Blau arbeitete dann als junge Frau in Belgisch-Kongo für eine deutsche Firma, ging später nach Wien, wo sie Generalsekretärin des Instituts für Höhere Studien (IHS) wurde. Sie war mehrmals längere Zeit in Paris, wo sie 1968 die Studentenrevolte miterlebte. Außerdem übersetzte die spätere Öko-Aktivistin Angebote französischer Konzerne zur Errichtung von Atomkraftwerken.
Beim turbulenten Einigungsprozess der zerstrittenen Grünen war Meissner-Blau nachdrücklich um eine gemeinsame Linie bemüht und setzte sich bei der Listenerstellung für den Nationalrat gegen Rebellierende durch. Nachdem die vereinte Partei in das Parlament eingezogen war, sah sie ihre Aufgabe als erledigt an und stieg wenig später aus der Politik aus. Heute herrscht innerparteilich Konsens, dass es die Grünen in ihrer jetzigen Form ohne sie nicht gäbe.
Grüne Wut
Die notorischen internen Konflikte haben bei den Grünen viel Porzellan zerschlagen und viele Protagonist:innen im Unfrieden scheiden lassen. So tritt etwa die ehemalige Bundessprecherin Madeleine Petrovic am 29. September mit einer eigenen Liste an. Was grüne Wut bedeutet, wird klar, wenn man sich ein bis heute umtriebiges ehemaliges Mitglied der Gründertruppe – Peter Pilz – ansieht. Der eigenwillige Politiker positioniert sich nach seinem Abgang 2017 als gnadenloser Kritiker. So bezeichnete er seine ehemalige politische Heimat zuletzt in einem Gespräch mit Andreas Wabl als „Ökobund der ÖVP“. Nachzulesen ist das in dem Buch „Was wurde aus den Grünen?“ Im gleichen Zusammenhang hält er fest, dass die Grünen in der aktuellen Koalitionsregierung „die Rolle der Frau in einer bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts“ einnehmen würden – mit dem Unterschied, dass sie „wahrscheinlich nicht einmal um ihr Wahlrecht kämpfen“. Dem ehemaligen Parteichef und jetzigen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen wirft Pilz vor, die Partei zu einer „Braut“ gemacht zu haben, die nicht mehr „ehekrachfähig“ ist.
Das ist bemerkenswert, war es doch der Trotzkist aus Studententagen Pilz, der den Universitätsprofessor Van der Bellen überredete, überhaupt zu den Grünen zu kommen. Das Staatsoberhaupt ist, anders als etwa Vizekanzler Werner Kogler, kein Öko-Aktivist der ersten Stunde.
Wobei die meisten Haudegen und alten Kämpfer:innen Koglers Polit-Performance wenig abgewinnen können. „Dröge“, „stinknormal“ und „visionslos“ sind noch die netteren Zuschreibungen. Die Rebellen von einst, sie sind alt geworden. Und mit Persönlichkeiten wie Lena Schilling drängt die Enkel:innengeneration in die erste Reihe – mit durchwachsenem Erfolg.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Kaspanaze Simma heißt laut amtlichen Dokumenten „Kaspar Ignaz“ Simma.
Die Waldheim-Affäre war eine internationale Debatte um die vermutete Beteiligung Kurt Waldheims an Kriegsverbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus. Den Beginn der Debatte markiert das Jahr 1986.
Die RAF war eine linksextremistische Terrorvereinigung in Deutschland, die hauptsächlich in den 70er- und 80er-Jahren Anschläge verübte und für Entführungen verantwortlich war.
Das Atomkraftwerk Zwentendorf in Österreich wurde ab 1972 gebaut, ging aber nie in Betrieb. Der wurde durch eine Volksabstimmung 1978 verhindert. Das Atomsperrgesetz verhinderte danach, dass in Österreich je wieder ein AKW gebaut werden kann.
Die Hainburger Auen sollten durch den Bau eines Wasserkraftwerks zerstört werden. Demonstrant:innen besetzten die Au im Dezember 1984 und verhinderten die Errichtung. Heute gehört das Gebiet zum Nationalpark Donau-Auen.
Im Zusammenhang mit der Gründer:innen-Generation der Grünen müssen unbedingt der Schauspieler Herbert Fux und Johannes Voggenhuber genannt werden. Beide waren in der Salzburger Kommunalpolitik aktiv. Bei der Hainburg-Aubesetzung spielte der Publizist Günter Nenning als Auhirsch verkleidet und als Mentor eine wichtige Rolle. Auch der heutige Schuhproduzent Heini Staudinger mischte ganz am Anfang mit. Unter den Parteigründern war auch der heutige Grünen-Chef Werner Kogler.
Trotzkisten: Der Sowjet-Diktator Josef Stalin ließ seinen Gegenspieler Leo Trotzki 1940 im Exil ermorden. In den 70er- und 80er-Jahren gab es auch auf Österreichs Universitäten linke Studenten, die sich in Gegnerschaft zum konventionellen Kommunismus wie er im ehemaligen Ostblock üblich war als „Trotzkisten” bezeichneten.
Quellen
Was wurde aus den Grünen? Eine Spurensuche von Andreas Wabl, Wien 2023
Herbert Dachs, Grünalternative Parteien in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1992
Kaspanaze Simma, In Fülle Leben. Vom guat’n Platz