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Europa will von US-Präsident Donald Trump vergraulten Forscher:innen Karrieren anbieten. Doch wollen sie kommen? Die WZ hat nachgefragt.
Europa kämpft seit Jahren darum, in Wissenschaft und Innovation mit den Vereinigten Staaten Schritt zu halten. Die Neuausrichtung der US-Forschungsagenda mit ihren drastischen Budgetkürzungen ist eine strategisch günstige Gelegenheit. „Holt Spitzenforschung aus den USA nach Europa!“, appellierte kürzlich der Vizepräsident des Europäischen Forschungsrats, Gerd Gigerenzer, an die Länder. Bald darauf gab die EU bekannt, eine halbe Milliarde Euro für die Jahre 2025-2027 bereitzustellen, um von US-Präsident Donald Trump vergraulten Forscher:innen Karrieren in der EU anzubieten und „Europa zu einem Magneten für Forscher zu machen“, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an.
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Doch wie groß ist das Interesse, Karrieren nach Europa zu verlagern? Und sind 500 Millionen genug Geld, um Forschende aus den USA nicht nur zu holen, sondern auch zu halten?
„Ich stehe vor einer Mauer“
Jenna Guthmiller ist außerordentliche Professorin für Immunologie an der University of Colorado in Denver. Sie erforscht die menschliche Immunität gegen Grippevieren und publiziert derzeit ihre ersten wichtigen Studien in renommierten Fachjournalen, für sie kommen Trumps Kürzungen daher zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. „Auf einmal stehe ich vor einer Mauer“, sagt Guthmiller im Videocall mit der WZ. „Ich bin voraussichtlich doppelt betroffen, sowohl in der Impfstoff- als auch in der Viren- und Pandemieforschung, die beschnitten wird“. Noch seien ihr zwar keine Gelder abgezogen worden, „aber in sechs Monaten könnte es anders aussehen. Vor diesem Hintergrund wären berufliche Möglichkeiten in Europa sehr attraktiv.“
Die junge Mikrobiologin betont allerdings, dass etwaige Karrierechancen in der EU längerfristig finanziert sein müssten. „Die USA sind führend in vielen Bereich der Innovation, es arbeiten viele wirklich smarte Leute hier in den Wissenschaften, und ich vermute, dass Europa nicht die Ressourcen hat, um besonders viele von uns zu nehmen“, erklärt Guthmiller.
„Nur die Besten sind angesprochen“
Trump kürzt Forschungsgelder insbesondere bei Gesundheits-, Klimawandel-, Agrar- und Diversitätsforschung. Allein die Einschnitte bei den National Institutes of Health (NIH), der größten Forschungsförderagentur der USA, sollen laut dem Science & Community Impacts Mapping Project (SCIMaP) zu einem jährlichen Verlust von 68.000 Stellen führen. Dennoch sind die USA nach wie vor Forschungsland Nummer Eins. Denn derzeit vergeben allein die NIH immer noch 48 Milliarden Dollar (43 Milliarden Euro) pro Jahr.
Man will Spitzenforscher und Innovationstreiberinnen."Jenna Guthmiller
„Eine halbe Milliarde Euro aus Europa reicht daher vermutlich nur für die Besten, die Privilegiertesten, die außergewöhnlichen Top-Forscher“, sagt Jenna Guthmiller. „Ich bin sicher, dass es das ist, was man auch will, man will die Spitzenforscher mit regelmäßigen Publikationen in Top-Journalen, die die Innovationstreiber sind. Die normalen Wissenschaftler, die ein Labor mit ein paar Leuten betreiben, sind nicht angesprochen“, meint die Immunologin. Zu welcher Gruppe zählt sie sich selbst? „Ich bin gut, mein Labor hat sehr gute Ergebnisse, aber ich stehe erst am Beginn meiner Karriere und habe noch keine riesige Leistungsbilanz“, sagt Guthmiller.
Florian Krammers Leistungsbilanz spannt sich quer über den Atlantik. Der Virologe erlangte als Erklärer der Corona-Pandemie Bekanntheit. Mit zwei Professuren sitzt er fest im Sattel. Seit 2010 forscht er an universellen Grippeimpfstoffen am Institut für Mikrobiologie der renommierten Icahn School of Medicine in New York. Zugleich wurde er an das neue Ignaz-Semmelweis-Institut für Infektionsforschung der Medizinischen Universität Wien berufen. Obwohl Trump die Mittel insbesondere für die Impfstoffforschung einschränken will, kann Krammer nicht nur hier, sondern derzeit auch noch in den USA seiner Arbeit ungestört nachgehen. „Noch haben wir keine Kürzungen“, berichtet Krammer.
Keine Heimkehrwelle und kein Ansturm
Und was sagt er, der schon vor 15 Jahren in die USA gegangen ist, zu Europas Bemühungen, US-Forscher:innen zu holen? Krammer zeichnet ein differenziertes Bild. „Die Geisteswissenschaften brauchen in der Regel kein teures technisches Equipment. Wenn man für sie attraktive Positionen mit gutem Gehalt einrichtet, können 500 Millionen Euro wirklich etwas bringen“, sagt er zur WZ. „Doch in den Biowissenschaften oder in der Physik, die teure Gerätschaften benötigen, ist der Betrag nicht viel, wenn man hunderte von Leuten holen will, die Experimente oder klinische Studien mit ihren Teams in modernen Labors machen.“
Einen Ansturm Richtung Europa nimmt der Virologe noch nicht wahr. „Es gibt Einschnitte und Chaos, aber wir sind nach wie vor nicht an dem Punkt, an dem alle Biowissenschaftler sagen würden, meine Gelder sind gestrichen, ich muss gehen. Die meisten von uns haben viel Geld, und dieses Geld erlaubt viel Forschungsarbeit. Solange das der Fall ist, glaube ich nicht, dass die Leute einfach gehen.“ In jedem Fall müssten dafür aber auch „langfristige Rahmenbedingungen geschaffen und kommuniziert werden, dass Europa noch mehr zu bieten hat als nur Geld“, hebt Krammer hervor.
„Sicherer Hafen“ Österreich
Lebensqualität, ein gutes Sozialsystem, Planungssicherheit: Auch Österreich will sich als Wissenschaftsstandort anbieten. Mit dem Begriff „sicherer Hafen“ umwirbt Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner Studierende und Forschenden aus den USA mit akademischer Freiheit sowie stabilen demokratischen Verhältnissen und Förderbedingungen. Unser Land hätte „gute Rahmenbedingungen und ein freies Forschungsumfeld“ zu bieten, „die es in den USA nicht mehr gibt“.
Hierzulande werden Forschungsmittel nicht von heute auf morgen abgedreht.Eva-Maria Holzleitner
Konkret werden zwei Programme angeboten. „Students at Risk“ ist ein Stipendienprogramm für Student:innen und Studenten auch aus den USA, die aufgrund demokratiefeindlicher politischer Einschnitte gefährdet sind, um hier weiter zu studieren. Zweitens wird die Zahl der Stellen im Rahmen des „Opportunity Hiring“ – der Bestellung von Uni-Professor:innen auf kurzem Wege ohne Ausschreibung – ausgeweitet. Zusätzliches Geld gibt es allerdings nicht. „Dafür werden Forschungsmittel hierzulande nicht wie in den USA von heute auf morgen abgedreht“, hebt Holzleitner im Telefonat mit der WZ hervor. Eine Werbekampagne, um all diese Vorteile in den USA bekannt zu machen, sei nicht geplant. „Wir sind im Austausch über die zuständigen Forschungseinrichtungen, wo Expertise und Kontakte vorhanden sind“, erklärt Holzleitner.
Einschränkung der freien Meinungsäußerung
Insbesondere unliebsame Forscher:innen und Unis, deren Arbeit der Regierung widerspricht, werden von Trumps Regierung mit der Drohung von Geldentzug drangsaliert. „Mir macht die Einschränkung der freien Meinungsäußerung Sorge. Dadurch läuft akademische Freiheit zusätzlich Gefahr, beschränkt zu werden, und US-Universitäten werden als Spitzenforschungs- und Innovationszentren ausgehöhlt und geschwächt“, sagt der in den USA tätige österreichische Neurologe Dietrich Haubenberger.
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Ein junger Forscher aus Wien, der in den USA tätig ist, aber namentlich nicht genannt werden will, gibt im Gespräch mit der WZ an, sich bedroht zu fühlen, obwohl er mit einer Amerikanerin verheiratet sei. „Selbst in den österreichischen Medien würde ich mich derzeit nicht öffentlich äußern“, sagt er. „Wenn meine Forschungsaufträge wegfallen, stellt sich nämlich die Frage, ob ich dableiben kann. Viele Österreicher und Österreicherinnen stellen solche Überlegungen an“, sagt er. Die Umsetzung sei allerdings ein Hürdenlauf. „In der Praxis gibt es echte Hindernisse, vom wenig dynamischen Jobmarkt über die Höhe der Gehälter bis zur systemischen Verankerung in den USA. Zum Beispiel sind weder alle Stationen der akademischen Laufbahn noch die Pensionssysteme gut vergleichbar und werden nicht in allen Fällen anerkannt“, sagt er.
Bürokratische und systemische Hindernisse
Eine Lösung für Forschende aus Österreich in den USA wäre ein erleichterter Zugang zur Doppelstaatsbürgerschaft. So traut sich etwa Claudia Leeb, außerordentliche Professorin an der Washington State University School of Politics in Pullman derzeit nicht, die USA zu verlassen, weil sie fürchtet, nicht wieder einreisen zu können. Seit 2016 erforscht sie den Aufstieg Trumps und der Rechten in den Staaten. „Das Einzige, was mich schützen kann, wäre, US-Staatsbürgerin zu werden. Das geht aber nicht, weil Österreich nur in seltenen Fällen Doppelstaatsbürgerschaften erteilt, und ich die österreichische Staatsbürgschaft nicht aufgeben will, weil ich einen starken Österreich-Bezug in meiner Forschung habe, und viel Zeit dort verbringe.“
Diese Woche haben die EU-Mitgliedsländer beim Wettbewerbsrat in Brüssel beraten, aus welchen Töpfen die angekündigte halbe Milliarde Euro für Forscher:innen aus den USA kommen soll. Eine Rolle könnten auch Universitätskooperationen spielen, betont Alexandra Lieben, Präsidentin des Ascina-Vereins, der 1400 heimische Forscher:innen in den USA vereint: „Wenn in den USA Gelder gestrichen werden, könnten heimische Fördergeber einspringen, ohne das betroffene Forscher:innen das Land wechseln müssen“, sagt sie. „Sie würden physisch an ihrer Uni arbeiten, jedoch mit europäischen Mitteln, die auch aus Österreich kommen könnten, um gemeinsame Erkenntnisse und Ergebnisse zu erzielen.“
Vermutlich müsse man längerfristig die Budgets aufstocken, wenn man „die einmalige Gelegenheit, durch Investitionen in die Wissenschaft globales Leadership anzustreben“, optimal nützen wolle, sagt Haubenberger. Denn „Europa und Österreich werden nicht automatisch dadurch attraktiver, dass die USA weniger attraktiv werden“.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
- Jenna Guthmiller ist außerordentliche Professorin für Immunologie an der University of Colorado in Denver. Sie erforscht die menschliche Immunität gegen Grippeviren. Guthmiller studierte Mikrobiologe und Immunologie an der South Dakota State University und an der University of Chicago. Heute leitet sie eine eigene Forschungsgruppe und publiziert erste wichtige Studien in ihrem Fachgebiet.
- Dietrich Haubenberger ist Neurologe und klinischer Forscher, Absolvent der Medizinischen Universität Wien und war bis 2024 Präsident von Ascina. Er ist Leiter der klinisch-translationalen Forschung des biopharmazeutischen Unternehmens Neurocrine Biosciences in San Diego und Mitglied des Rats für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung.
- Eva-Maria Holzleitner, geboren am 5. Mai 1993 in Wels, ist Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung. Seit Juni 2021 ist sie Bundesvorsitzende der SPÖ Frauen und stellvertretende SPÖ-Bundesparteivorsitzende. Vom November 2017 bis zum 6. März 2025 war sie Abgeordnete zum Nationalrat.
- Florian Krammer, geboren am 17. Dezember 1982 in Voitsberg, ist Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York City, wo er unter anderem an einer universellen Grippeimpfung arbeitet. Er ist Professor für Infektionsmedizin und Leiter des Ignaz-Semmelweis-Instituts an der Medizinuniversität Wien, wo er virale Krankheitserreger charakterisiert und Impfstoffe und Therapien dagegen entwickelt.
- Claudia Leeb, geboren in Wien, ist Psychologin und feministische Wissenschaftstheoretikerin. Die außerordentliche Professorin an der Washington State University School of Politics and Philosophy in Pullman erforscht den Aufstieg von Donald Trump und der Rechten in den USA und unterrichtet Politikwissenschaften an ihrer Universität.
- Alexandra Lieben ist stellvertretende Direktorin des Ronald W. Burkle Center for International Relations und Dozentin an der University of California in Los Angeles. Sie verfügt über umfangreiche Kenntnisse im Bereich der internationalen Beziehungen, des öffentlichen Dienstes und des transatlantischen Dialogs zum Thema Demokratie. Alexandra Lieben ist Präsidentin von Ascina, der Vereinigung Österreichischer Wissenschaftler:innen in Nordamerika mit 1400 Mitgliedern.
Infos und Quellen
- Science: Don’t quit the long game
- Nature: 75% of US scientists who answered Nature poll consider leaving
- Der Standard-Gastkommentar: Holt Spitzenforschung aus den USA nach Europa!
- EURAXESS: Zentrale digitale Plattform für internationale Forscher:innen, die in Österreich arbeiten wollen - Informationen zu Visum, Jobs,
- Bestehende Förderprogramme für US-Forscher:innen des Wissenschaftsfonds (FWF) und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): ESPRIT für Early-Career-Forscher:innen, ASTRA für fortgeschrittene Postdocs, Academy Fellowships für Senior Scientists, Berta Karlik-Fellowships zur gezielten Förderung von Frauen in der Wissenschaft
- Österreichische Agentur für Bildung und Internationalisierung: Stipendienprogramm „Students at Risk“ für Studierende aus Ländern mit demokratiefeindlichen Tendenzen – nicht nur aus den USA: Erste Tranche: 50 Stipendien à 1.200 Euro/Monat zur Ermöglichung eines Studienfortsetzung an österreichischen Hochschulen
Das Thema in der WZ
- Trumps Krieg gegen US-Unis schadet jungen Forscher:innen
- USA, mon amour. I hate you.
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