Patchworkfamilien können ganz schön kompliziert sein, vor allem, wenn es ums Erben geht.
Arno sitzt mit seiner Frau im Wohnzimmer und blickt nachdenklich auf das Familienfoto über dem Kamin. Darauf zu sehen: sein leiblicher Vater, seine Stiefmutter und deren Tochter. „Meine Stiefmutter hat mich großgezogen, sie war immer für mich da.“
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Das traditionelle Familienbild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Patchworkfamilien, also Familien, in denen Partner:innen Kinder aus früheren Beziehungen mitbringen, sind heute weit verbreitet. Welche Fallstricke es rund um das Erbrecht in Patchworkfamilien zu beachten gilt, erklärt die Rechtsanwältin Katharina Braun im Gespräch mit der WZ.
Arnos Geschichte: Ein Beispiel aus der Praxis
Arno wuchs mit seinem leiblichen Vater, dessen zweiter Frau und deren Tochter auf. Die Beziehung zu seiner leiblichen Mutter war früh abgebrochen, stattdessen prägte seine Stiefmutter sein Leben. Heute ist Arno selbst verheiratet, hat ein leibliches Kind und ein Stiefkind. Seine Frau pflegt derzeit seine Stiefmutter – eine emotionale Geste der Dankbarkeit. Doch erben wird Arno von seiner Stiefmutter nichts. Oder gibt es einen Weg?
„Rechtlich erzwingen kann das Stiefkind ein Erbe nicht“, stellt Rechtsanwältin Katharina Braun klar. Denn Stiefkinder haben kein gesetzliches Erbrecht. Ohne Testament oder Adoption kommt die gesetzliche Erbfolge zum Tragen und das Vermögen geht an die biologische Familie des/der Verstorbenen.
Die gesetzliche Erbfolge folgt dem sogenannten Parentelsystem mit vier verschiedenen Linien. Die erste Linie umfasst direkte Nachkommen, also Kinder des Erblassers oder der Erblasserin. Die zweite Linie der Erbfolge stellen Eltern und Geschwister dar. Die dritte Linie beinhaltet Großeltern sowie Onkeln und Tanten und deren Nachkommen. Die vierte Linie betrifft schließlich Urgroßeltern. Der gesetzlichen Erbfolge zufolge erben Ehepartner:innen neben Kindern ein Drittel.
Testament oder Adoption: Die einzigen Möglichkeiten
Das Gesetz unterscheidet strikt zwischen emotionalen und rechtlichen Bindungen. Wird ein Stiefkind adoptiert, steht es leiblichen Kindern gleich. Es hat damit Anspruch auf den Pflichtteil und kann nicht von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Wird das Stiefkind nicht adoptiert, ermöglicht es ein Testament, das Vermögen auch an Stiefkinder zu vererben. Die sogenannte Testierfreiheit erlaubt es jedem, sein Erbe frei zu verteilen. „Wichtig ist hierbei: Ein Testament muss korrekt aufgesetzt werden und kann jederzeit geändert werden“, sagt Braun. Werden beide Optionen ausgeschlagen, bedeutet das für das Stiefkind: Es erbt nichts.
Wer nicht will, dass Stiefkinder leer ausgehen, sollte vorsorgen
Grundsätzlich steht jedem frei, ein Testament zu errichten. Beschränkt ist dieses jedoch durch das Pflichtteilsrecht. Pflichtteilsberechtigt sind die Kinder und der/die Ehepartner:in. Ein Beispiel: Ein Mann verfasst ein Testament, in dem er seine Nichte zur Alleinerbin macht. Das kann er tun, jedoch geht trotzdem der Pflichtteil an die gesetzlichen Erben. In unserem Beispiel gibt es eine Ehefrau und zwei Kinder. Gäbe es kein Testament, würde das gesamte Erbe unter diesen drei Angehörigen aufgeteilt werden. Das bedeutet: Jede:r bekäme ein Drittel. Da es in diesem Fall jedoch ein Testament gibt, erhalten Ehefrau und Kinder nur den Pflichtteil. Dieser ist immer die Hälfte des eigentlichen Erbteils. Das heißt, dass in unserem Beispiel die Ehefrau und die zwei Kinder je ein Sechstel des Vermögens bekommen. Alles andere geht an die Nichte.
Nacherbschaft: Wenn das Vermögen „zurückfließt“
Die Wiener Rechtsanwältin begleitet viele Patchworkfamilien bei der Regelung ihrer letztwilligen Angelegenheiten. „Oft wird der Wunsch geäußert, dass das Vermögen im eigenen Familienstamm erhalten bleibt. Vererbt etwa der Mann seiner Ehefrau seinen Zweitwohnsitz, so ist oft letztwillig in einem Ehevertrag geregelt, dass nach dem Tod der Ehefrau diese geerbte Liegenschaft an die Kinder des Mannes zurückgeht, die sogenannte Nacherbschaft, und diese eben nicht von der Ehefrau an deren Kinder weitervererbt wird.“
Mitunter geben sich Ehepartner:innen in einem Ehevertrag, der auch während der Ehe geschlossen werden kann, einen wechselseitigen Pflichtteilsverzicht, damit das jeweilige Vermögen in der „Altfamilie“ erhalten bleibt. Braun: „Besonders ältere Menschen in zweiter Ehe wollen oft, dass ihr Vermögen letztlich in der eigenen Familie verbleibt“, weiß sie aus Erfahrung.
Konfliktpunkt Pflege: Wer gibt, erwartet oft etwas zurück
Wie im Fall von Arno kommt oft dazu, dass die emotionale Bindung im Patchwork-Familiengebilde sehr stark ist und die Kinder – auch die Stiefkinder – ihre (Stief-)Eltern selbstverständlich pflegen. Aus dieser Liebe heraus entsteht jedoch mitunter eine Erwartungshaltung. „Mitunter sind Stiefkinder gekränkt oder auch enttäuscht, wenn sie letztwillig nicht bedacht worden sind. Denn immer wieder kommt es vor, dass ein Erblasser zu Lebzeiten gesagt hat, dass das Stiefkind erbt, um aber im Todesfall eines Besseren belehrt zu werden“, sagt Braun. Mitunter auch, weil der/die Erblasser:in vergessen hat, eine letztwillige Anordnung zu treffen oder ein plötzlicher Tod diesem Vorsatz zuvorkam.
Bei Pflegeleistung – diese muss persönlich in den letzten drei Jahren über einen Zeitraum von sechs Monaten, mehr als 20 Stunden im Monat, geleistet werden – kann allerdings dem Stiefkind ein Pflegeverhältnis zustehen. Unter Pflege werden Leistungen wie Waschen, Füttern, Hilfe beim Ankleiden, Unterstützung bei der Mobilisierung verstanden. Die Höhe der Abgeltung richtet sich vor allem danach, wie sehr die Gepflegten von der Pflege profitiert haben, also ob sie sich beispielsweise eine Pflegekraft ersparten.
Lebensgefährten: Kein Erbrecht, aber unter Umständen Wohnrecht
Nicht nur Stiefkinder, sondern auch Lebensgefährt:innen haben kein gesetzliches Erbrecht. Immerhin: Sie dürfen unter bestimmten Voraussetzungen ein Jahr lang in der Wohnung des/der Verstorbenen bleiben. Dies gilt allerdings nur, wenn sie zuvor mindestens drei Jahre im gemeinsamen Haushalt gelebt haben. Zudem hat ein Lebensgefährte oder eine Lebensgefährtin ein außerordentliches Erbrecht. Ginge mangels gesetzlicher Erb:innen das Erbe an den Staat, erbt der Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin. Voraussetzung allerdings auch hier: Die Lebensgemeinschaft hat zumindest drei Jahre vor dem Tod bestanden.
Ein ehrliches Gespräch als Prävention
Die Rechtslage ist klar: Ohne Testament oder Adoption gibt es für Stiefkinder kein Erbe. Katharina Braun rät, innerhalb der Familie offen zu sprechen: „Das Wichtigste ist Ehrlichkeit. Wer jemanden im Testament bedenken möchte, sollte dies klar kommunizieren, um spätere Enttäuschungen zu vermeiden.“
Für Arno gibt es diese Chance noch. Sein Leben ist kompliziert, aber er will das Gespräch mit seiner Stiefmutter suchen, bevor es zu spät dafür ist.
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Infos und Quellen
Genese
Zu Weihnachten kommt meistens die ganze Familie zusammen. Doch Familie kann kompliziert sein. Wer fährt zu wem feiern? Wer fühlt sich wo willkommen und wer gehört zu wem? Und wer erbt eigentlich was in Patchworkfamilien?
Gesprächspartner:innen
Katharina Braun, Wiener Rechtsanwältin
Arno will anonym bleiben
Daten und Fakten
Wichtige Punkte zusammengefasst:
Stiefkinder haben kein gesetzliches Erbrecht.
Adoption oder Testament sind die einzigen Wege, Stiefkinder zu berücksichtigen.
Nacherbschaft sorgt dafür, dass das Vermögen an die eigene biologische Linie zurückfließt.
Bei Pflege sollten klare Erwartungen kommuniziert und rechtlich festgehalten werden.
Lebensgefährt:innen haben kein gesetzliches Erbrecht (nur ein außerordentliches Erbrecht, wenn keine gesetzlichen Erb:innen vorhanden), aber ein auf ein Jahr befristetes Wohnrecht, wenn die Lebensgemeinschaft zumindest drei Jahre Bestand hatte.
Nur wer vorsorgt, schafft Klarheit für die Zukunft.