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Es ist kein Flex, gestresst zu sein

4 Min
Stress sollte kein Statussymbol sein, findet WZ-Redakteurin Nora Schäffler
© Illustration: WZ, Bildquelle: Pexels

Gestresst sein gilt als Statussymbol. Wir prahlen mit Überlastung, nennen sie Ehrgeiz und verwechseln Erschöpfung mit Relevanz. Warum wir Dauerstress glorifizieren – und warum der wahre Flex vielleicht einfach „Heute nicht“ heißt.


Montagmorgen. Ich gehe nicht in die Arbeit, ich stürme hin. Der Schal ist nur so übergeworfen, in der Eile habe ich es nicht geschafft, ihn richtig zu binden. Ich nehme den Coffee-to-go, daheim ging sich Kaffeemachen nicht aus. In meiner Pause esse ich nicht, ich schlinge und publiziere parallel meine letzten Erfolge auf LinkedIn. Dann poste ich auf Instagram noch schnell ein Karussell-Post aus dem letzten Urlaub und eine Story von gestern Abend (schließlich sollen meine Follower:innen ja sehen, dass ich ständig unterwegs bin). Ah, und meine Pilatesstunde für morgen um 06:45 Uhr buch’ ich auch noch schnell.

Nach der Mittagspause schaue ich gestresst von meinem Bildschirm hoch. Meine Arbeitskollegin: „Na, wie geht’s? Wie war dein Wochenende?“ – „Stressig und intensiv, deines?“ – „Poah, meines erst.“ – „Nein, meines war halt echt sehr stressig.“
Fühle. Checke.

Wir tratschen noch so hin und her, überbieten uns in Erschöpfung, erzählen stolz, wie krank, beschäftigt und unabkömmlich wir an ehemaligen Arbeitsplätzen waren.
„Also ich bin ja mal mit Schnupfen in die Arbeit gegangen, so wenig konnten sie auf mich verzichten“, die eine. Die andere: „Also, ich gehe ja ständig mit Lungenentzündung.“
Eine weitere mischt sich ein: „Wenn du mich erst fragst: Ich hab mal fünf Tage auf Schlaf verzichtet, um meine To-dos abzuarbeiten.“

Uff, Stille. Respekt. Sie hat gewonnen. Sie erhascht einen anerkennenden Blick von uns allen. Stark. Was für eine Macherin. Was für eine Hustlerin.

Die Sache mit dem Definieren

Es ist aber längst nicht mehr nur der Arbeitsstress, über den wir uns definieren, auch Freizeitstress wird glorifiziert. Und ich nehme mich da überhaupt nicht raus. Wir prahlen mit Stress. Ganz unbemerkt, fast nebenbei. Es klingt nach Jammern, ist aber Selbstvermarktung. „Ich bin so im Stress“ heißt längst: Ich bin relevant. Ich bin gefragt. Ich leiste. Ich erwähne zwischen Tür und Angel, wie viel los ist, wie wenig Schlaf, wie voll der Kalender. Und fühle mich kurz ein bisschen besser.

Wieso sind wir im Jahr 2025, einer Zeit voller Mental-Health-Aufklärung, an diesem Punkt? Könnte es sein, dass hinter Mental Health ein super Business-Modell steckt? Braucht es die 12 Achtsamkeits-Bücher, 47 Coachings für Atemübungen und drei Besuche beim Time-Manager-Life-Coach die Woche wirklich?

„Uppsi, haha, huhu, lol“

Vielleicht ist es aber auch eine Gegenbewegung – eine Gegenbewegung zu unseren Eltern, den Boomern. Sie haben sich alles aufgeladen, bis irgendwann nichts mehr ging. Immer zu sagen „Ich kann noch“ war damals ein Zeichen von Stärke. Heute ist es fast das Gegenteil: Wir wissen, dass es zu viel ist, reden offen drüber – und machen trotzdem weiter. Diese scheinbare Transparenz, dieses „Ich weiß eh, dass ich mein Arbeitshandy nicht in den Urlaub mitnehmen sollte, haha hoppla, uppsi. Ja, der eine Call nach dem Feierabend sollt nicht sein, I know, lol, haha huhu“, macht es nur noch gefährlicher. Wir erkennen den Irrsinn und machen trotzdem so weiter.

Wir definieren uns darüber: In der Arbeit will ich die Hustle-Maus sein – ambitioniert, effizient, präsent. Am Wochenende soll aber die Partymaus nicht zu kurz kommen, da bin ich dann spontan und quirky, auf keinen Fall als Erste nachhause gehen. Sonst könnten die anderen denken, ich habe mich jetzt für den Weg Karriere entschieden. Dazwischen sollte ich auf meinen Körper hören, meinen Geist pflegen, vielleicht einkaufen gehen, weil Überleben ohne Nahrungsaufnahme auf Dauer schwierig wird.

Immer auf sieben Kirtagen

Mir fällt da der Satz ein: Du musst nicht mit einem Arsch auf sieben Kirtagen tanzen. Aber heutzutage wird einem genau das leicht gemacht. Alles wird niederschwelliger, flexibler, erreichbarer. Versteht mich bitte nicht falsch, das ist ein toller Schritt: Du kannst alles haben, wenn du es willst – Karriere, Achtsamkeit, Fitness, Freunde, Content. Nur – vielleicht willst du gar nicht alles gleichzeitig.

In Richtung Burnout steuern und dafür Applaus bekommen. Wir nennen Erschöpfung Ehrgeiz. Vielleicht sollten wir anfangen, das umzudrehen. Dauerstress ist kein Statussymbol, sondern ein Warnsignal. Auch wenn wir danach ein „Lol, hoppla, ich weiß, das ist ungesund, haha, huhu“ dranhängen.

Ich bewundere Menschen, die sagen: „Heute nicht.“ Vielleicht ist das ja der neue Flex.


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Infos und Quellen

Daten & Fakten

  • Burnout-Rate:
    Laut Arbeiterkammer gelten etwa 10 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Österreich als Burnout-Betroffene. Etwa jede:r 5. bis 6. österreichische Arbeitnehmer:in gilt als gefährdet.
  • Anzeichen für Burnout können unter anderem folgende sein:
    • Ständige Müdigkeit und Erschöpfung
    • Konzentrationsprobleme und Vergesslichkeit
    • Gefühl der inneren Leere oder Sinnlosigkeit
    • Gereiztheit, Zynismus oder Verlust von Freude
    • Schwierigkeiten, „Nein“ zu sagen / Überlastung

Quellen

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