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Euphorie aus der Kartusche: Wie Lachgas Partys erobert

5 Min
Die Wirkung ist kurz, intensiv und mitunter gesundheitsschädlich: Lachgas in Luftballons.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

TikTok-Videos sorgen dafür, dass Lachgas auf Partys immer beliebter wird – der schnelle Rausch aus dem Luftballon wirkt harmlos, ist aber riskant. Sollte Lachgas deshalb als Droge eingestuft werden? Die WZ hat nachgefragt.


Marlene erinnert sich an einen Abend in Amsterdam, als sie das erste Mal mit Lachgas in Berührung kam. Auf einer Party sah sie zahlreiche Gäste mit Luftballons, deren Inhalt sie sorglos inhalierten. Wie viele andere griff auch Marlene zu einem Ballon und atmete tief ein. „Für etwa 20 Sekunden fühlte ich mich leicht und losgelöst, als wäre alles um mich herum verschwommen“, beschreibt sie ihre Erfahrung. Kurz darauf war der Rausch vorbei.

Kurzer, intensiver Kick

Lachgas wird zunehmend als Partydroge genutzt, besonders in Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien. Was seit Jahrhunderten als Narkosemittel in der Medizin verwendet wird, wird heute als harmloser „Kick“ angesehen und daher oft in Luftballons auf Partys verteilt. Doch die Gefahren, die im Konsum von Lachgas stecken, erkennen viele Jugendliche nicht.

Einen entscheidenden Beitrag zur Verharmlosung des Lachgas-Konsums leistet TikTok. Unter den Hashtags #lachgas und #lachgaschallenge verbreiten sich unzählige Videos, in denen Jugendliche sich selbst beim Inhalieren des Gases filmen. Diese Clips zeigen oft lachende, euphorische Menschen, die in ausgelassenen Situationen mit Luftballons posieren, ohne jeglichen Hinweis auf die Gefahren, die damit verbunden sind. „Es wirkt so harmlos, wenn man diese Videos sieht,“ sagt Marlene. Auch kursieren ziemlich gruselige Videos wie jenes des Rappers Haftbefehl: Darin kann er sich während eines Auftritts kaum auf den Beinen halten, immer wieder stützt er sich ab und es scheint, als würde er jeden Moment vornüberkippen. Dann verlässt er die Bühne, bricht sein Konzert ab. Zu viel Lachgas, erfährt man später. 50 Flaschen hätte er am Tag konsumiert.

Nicht ohne Risiko

Holger Förster, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, sieht im Nachahmungseffekt aus den sozialen Medien eine Gefahr. „Die Popularität von Lachgas hat in den letzten Jahren massiv zugenommen und Social Media spielt eine große Rolle dabei,“ sagt er. „Jugendliche sehen diese Videos auf TikTok und denken, es sei ein harmloser Spaß, weil die Risiken selten thematisiert werden.“ Dabei kann der Konsum von Lachgas ernsthafte gesundheitliche Folgen haben. „Auch wenn es in Österreich noch keine flächendeckenden Fälle von schwerwiegenden Folgen gibt, wächst das Problem. Der Konsum wird unterschätzt, weil er vermeintlich keine Sucht erzeugt. Doch gerade das macht ihn so gefährlich.“

Lachgas führt zu einem kurzen, intensiven Rausch, der durch die Freisetzung von Dopamin im Gehirn ausgelöst wird. „Der Rausch tritt fast sofort ein, die Welt scheint für einen Moment surreal, und dann verschwindet der Effekt wieder – das verleitet viele Jugendliche dazu, es immer wieder zu probieren,“ sagt der Mediziner. In diesem ständigen Streben nach dem schnellen Kick liegt das Problem: „Lachgas erzeugt eine psychische Abhängigkeit. Auch wenn keine körperliche Sucht entsteht, wiederholen viele Konsumenten den Gebrauch, um diesen kurzen Moment der Euphorie immer wieder zu erleben.“

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„Die unmittelbare Gefahr beim Konsum von Lachgas ist die Bewusstlosigkeit. Besonders wenn das Gas aus einem Plastiksack oder in geschlossenen Räumen eingeatmet wird, besteht die Gefahr des Erstickens. In solchen Situationen kann es schnell lebensgefährlich werden.“ Darüber hinaus birgt das wiederholte Inhalieren erhebliche langfristige Risiken. „Durch den übermäßigen Konsum kann es zu neurologischen Schäden kommen, die sich oft erst nach Monaten oder Jahren bemerkbar machen. In einigen Fällen sind diese Schäden irreversibel,“ sagt Förster. Darunter fallen beispielsweise Erkrankungen des Gehirns, des Rückenmarks und der Nerven.

Auch wenn Marlene nach dem Konsum keine akuten negativen Folgen spürte, wurde ihr klar, wie gefährlich die einfache Verfügbarkeit von Lachgas ist. „Es war billig und so einfach zu bekommen“, erinnert sie sich. So gibt es auch in Österreich etwa Schlagoberskartuschen in jedem Supermarkt, und in Tankstellen-Automaten kann man Kartuschen in bunten Verpackungen mit unterschiedlichen Geschmäckern kaufen.

Aufklärung statt Kriminalisierung

In Österreich stellt Lachgas nach aktueller Gesetzeslage kein Suchtmittel dar. Das Gesundheitsministerium sieht auf Anfrage der WZ derzeit keinen Grund, Lachgas unter das Suchtmittelgesetz zu stellen. „Jegliche Unterstellung unter das Suchtmittelregime würde dazu führen, dass potenzielle Konsument:innen kriminalisiert werden würden,“ schreibt ein Sprecher des Ministeriums. Stattdessen setzt das Ministerium auf Aufklärung und Prävention. „Eine nachhaltig wirksame Drogenpolitik muss die Gefahren und Wirkungen aller Drogen darstellen und Aufklärungsprogramme sowie Suchtprävention fördern.“ Der Missbrauch von Lachgas sei in Österreich derzeit regional beschränkt, die Situation werde jedoch genau beobachtet. In den Niederlanden, Großbritannien oder der Schweiz sind bereits Maßnahmen zur Einschränkung des Konsums ergriffen wurden.

Präventionsarbeit: Der Schlüssel zur Eindämmung

Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, unterstützt diesen Ansatz. „Ein Verbot würde Lachgas nur noch attraktiver machen,“ meint er. „Wir müssen den Jugendlichen klar und auf Augenhöhe vermitteln, warum der Konsum gefährlich ist, ohne dabei Panik zu verbreiten.“ Für ihn liegt die Herausforderung darin, die jungen Menschen über die Kanäle zu erreichen, die sie tatsächlich nutzen – also vor allem über soziale Medien. „Wir müssen genau dort ansetzen, wo der Trend entsteht: auf Social-Media-Plattformen.“

Marlene ist nach ihrer Erfahrung vorsichtiger geworden. „Es war ein interessantes Erlebnis, aber wenn ich die möglichen Folgen betrachte, bin ich froh, dass ich es nur einmal ausprobiert habe,“ sagt sie.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Ewald Lochner – Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien

  • Holger Förster − Leiter der Arbeitsgruppe Jugend- und Sportmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ)

  • Pressestelle Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

  • Marlene (Name der Redaktion bekannt) hat Lachgas in ihrem Urlaub in Amsterdam ausprobiert.

Daten und Fakten

  • Lachgas ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Distickstoffmonoxid (N2O). Es ist ein farbloses Gas mit süßlichem Geruch, das sich sowohl für medizinische als auch industrielle Zwecke eignet. Distickstoffmonoxid ist ein Spurengas, dessen Konzentration in der Erdatmosphäre seit Beginn des 19. Jahrhunderts stark zugenommen hat. Als Treibhausgas trägt Distickstoffmonoxid zur globalen Erwärmung sowie zum Ozonabbau in der Stratosphäre bei.

  • Distickstoffmonoxid wurde erstmals 1771 von dem englischen Pfarrer, Chemiker und Physiker Joseph Priestley dargestellt und beschrieben. Die Entdeckung der betäubenden und schmerzstillenden Wirkung geht auf den englischen Apotheker und späteren Chemiker Humphry Davy zurück, der um 1797 begann, die Wirkung von Stickstoffmonoxid durch Selbstversuche zu erforschen. Er setzte es zur Behandlung von Zahnschmerzen ein, veröffentlichte seine Erkenntnisse im Jahr 1800 und schlug Distickstoffmonoxid zur Betäubung bei Operationen vor. Der erste Zahnarzt, der Distickstoffmonoxid als Narkosemittel verwendete, war Horace Wells in Hartford (Connecticut). Er setzte es ab 1844 erfolgreich bei Zahnextraktionen und Dentalbehandlungen ein, nachdem er dessen schmerzstillende Wirkung zufällig bei einer Vergnügungsanwendung am 10. Dezember 1844 beobachtet hatte.

  • In der Industrie wird Lachgas heute in großem Umfang unter anderem als Laborchemikalie und in der Produktion verwendet. Im Motorsport kommt Lachgas zur Leistungssteigerung zum Einsatz. Lachgas kommt auch als Treibgas in Spraydosen und als Aufschäummittel in Schlagobersspenderkapseln zur Anwendung.

  • Für die Herkunft des Namens Lachgas gibt es unterschiedliche Vermutungen. Am populärsten ist die Vermutung, dass der Name von einer Euphorie herrührt, die beim Einatmen entstehen kann, sodass der/die Konsument:in lacht. Eine weitere These ist, dass sich durch Einatmen des Gases Zwerchfellkrämpfe einstellen können, die von Außenstehenden als Lachen interpretiert werden. Da Lachgas nach seiner Entdeckung zunächst gern im Zirkus und auf Jahrmärkten zur Belustigung des Publikums eingesetzt wurde, könnte auch hier der eigentliche Ursprung des Namens zu finden sein.

  • Bei akuter Überdosierung von Lachgas besteht vor allem die Gefahr von Traumata und einer hypoxischen Schädigung des Gehirns. Mögliche Folgen sind schwere Lähmungen bis hin zur Querschnittslähmung und im Extremfall der Tod. Falls Distickstoffmonoxid direkt aus dem Gasbehälter eingeatmet wird, kann es zu Erfrierungen an Lippen, Kehlkopf und Bronchien kommen. Bei chronischem Missbrauch können schwere hämatologische und neurologische Schäden durch die Inaktivierung von Vitamin B12 auftreten. Dazu zählen Leukopenie, Thrombozytopenie, megaloblastäre Anämie, funikuläre Myelose und periphere Neuropathie.

Quellen

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