Zum Hauptinhalt springen

Eva Braun, der TikTok-Star

6 Min
Romantisierte Videos von Eva Braun und Magda Goebbels verbreiten sich auf TikTok ohne Kontext
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images, Reuters

Nazi-Figuren wie Eva Braun und Magda Goebbels werden auf TikTok als Vorbilder der Weiblichkeit und perfekte „Trad-Wives“ gefeiert. Von wem? Von unwissenden Jugendlichen, organisierten Rechtsextremen und ganz vielen Accounts aus Thailand.


Eine blonde, strahlend lächelnde Frau im blauen Kleidchen hüpft fröhlich auf einer Blumenwiese herum, posiert mit einem Schäferhund, streichelt flauschige, weiße Kaninchen und lächelt in die Kamera – die Bilderserie ist untermalt mit langsamen, melancholischen Liedern von Lana Del Rey. Die Kommentare unter dem TikTok-Video: „Eva, danke, dass es dich gab!“, „die Schönste!“, „Damals waren Frauen noch Frauen!“

Die Frau auf den Videos ist keine Geringere als Eva Braun (später Eva Hitler), Geliebte und kurzzeitig Ehefrau des Nazi-Diktators Adolf Hitler. In hunderten Tik-Tok-Videos wird die Beziehung von Eva Braun und Adolf Hitler romantisiert, sie werden als „das perfekte tragische Paar“ gefeiert, Eva als das Sinnbild einer „perfekten Frau“, und Adolf Hitler wird als ihr treuer Begleiter glorifiziert.

Das Problem: Viele junge Nutzer:innen haben nur begrenztes Wissen über den historischen Kontext. Sie sehen alte Filmaufnahmen oder Fotos als „ästhetisch“ an, ohne sich mit den Verbrechen und der Ideologie dahinter auseinanderzusetzen. „Virale Inhalte auf TikTok hängen sehr oft mit einzelnen Persönlichkeiten und Figuren zusammen. Wir wissen, dass extremistische Inhalte oft von Einzelfiguren stammen, von wiederkehrenden Gesichtern, die die Jugendlichen direkt ansprechen, abholen und so ihr Vertrauen gewinnen. Es war für Extremisten noch nie so einfach, ihre Gesinnung zu verbreiten wie auf TikTok, weil sie extrem nahbar wirken“, sagt dazu die Journalistin Anna Jandrisevits zur WZ. Sie ist stellvertretende Chefredakteurin von die chefredaktion, ihre Arbeit findet seit Jahren vorrangig auf TikTok statt.

„Durch diese teils KI-generierten TikToks von Eva Braun oder Magda Goebbels sind plötzlich selbst verstorbene Persönlichkeiten, von denen Jugendliche nur im Geschichtsunterricht hören, nahbarer“, betont Jandrisevits.

„Das ist ein neues Phänomen, und ein gefährliches. Denn die TikToks verbreiten sich ohne Kontext: Figuren wie Eva Braun werden romantisiert, sie wirken sympathisch für Jugendliche – ihre entsetzlichen Biografien werden nicht erwähnt, teils sogar verzerrt dargestellt.“

Goebbels, Hitler und KI-Waldwesen

Wer TikTok nutzt, weiß: Bestimmte Begriffe findet man in der Suchleiste der App nicht. So kann man beispielsweise nicht nach „Eva Braun“ suchen. Wenn man allerdings nach anderen Variationen des Namens sucht, wie etwa „Eva Brown“, „Evva Braun“ oder „Adolf Hittler“ , erhält man aber Ergebnisse. Da sind zum einen faktenbasierte Erklärvideos über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Problematischer sind die romantisierten Zusammenschnitte, in denen sich zum Beispiel auch Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels und seine Ehefrau Magda wiederfinden – und ebenfalls zu Held:innen und romantischen Vorbildern stilisiert werden. So wird Magda Goebbels als die „ideale Mutter“ gefeiert – die Ästhetik in den Videos geht in Richtung des „Trad-Wife“-Trends. Den Kontext, dass sie ihre sechs Kinder im Hitler-Bunker in Berlin am Ende des Dritten Reichs mit Gift tötete, kennen scheinbar die wenigsten der Kommentierenden. Dass TikTok zu Radikalisierung von jungen Menschen führen kann, wird zu einem immer größeren Problem. So soll sich der islamistische Attentäter von Villach, der Mitte Februar einen Jugendlichen getötet und weitere Menschen verletzt hat, ebenfalls auf der Plattform radikalisiert haben.

„Ein großes Problem ist, dass viele rechtsextreme Inhalte nicht mit bloßem Auge als solche erkennbar sind, schon gar nicht für Jugendliche“, sagt dazu Anna Jandrisevits. „Als Privatperson, die ein solches TikTok meldet, bist du da ziemlich machtlos. Es bräuchte eine viel strengere Regulierung von TikTok, damit solche extremistischen Inhalte und Figuren gesperrt werden. Geltende Gesetze müssen auch auf Social-Media-Plattformen angewendet werden können“, erklärt Jandrisevits.

Rechtsextreme Inhalte auf TikTok sind anfangs oft nicht als solche erkennbar.
Anna Jandrisevits

Wer TikTok nutzt, weiß: Der Algorithmus ist innerhalb weniger Stunden trainiert – es mag nicht leicht sein, diese unheimlichen Videos auf seiner For-You-Page direkt ausgespült zu bekommen; speichert man allerdings genug davon, kennt der Algorithmus sich schon aus. Somit gerate ich auf eine ganz neue, ganz schräge Seite von TikTok: KI-generierte Videos und Bilder romantischer Begegnungen von heldenhaften Soldaten und blonden, elfenähnlichen Waldwesen, Bilder aus der Reichskanzlei bei Offizierstreffen voller kriegerischer Gesten, rot-schwarze Fahnen, Totenkopf-Embleme, die Uniformen der Männer auf jene der SS stilisiert. Einen wesentlichen Punkt gibt es aber: Nirgends ist ein Hakenkreuz zu sehen, nirgends findet man das SS-Zeichen. Es ist aber auf den ersten Blick erkennbar, was die Bilderserien darstellen sollen und wie geschickt Richtlinien und Verbotsgesetze umgangen werden. Aber wer produziert diesen Content?

Was TikTok dagegen tut

Es ist eine Mischung aus unwissenden Jugendlichen, die ohne das nötige Hintergrundwissen Trends nacheifern, absichtlichen Provokateur:innen, aber auch rechtsextremen Geschichtsrevisionist:innen. Es existieren auch organisierte Neonazi-Netzwerke, die diesen Content liefern, wie eine Recherche des Institute for Strategic Dialogue im Juli ergab. (Mehr dazu: Infos & Quellen)

Dass es unter Jugendlichen eine Faszination mit dem Bösen und „Mächtigen“ im Internet gibt, ist nichts Neues, und sie beschränkt sich keinesfalls bloß auf den Nationalsozialismus – was mich allerdings stutzig macht, ist das scheinbar ehrliche Unwissen vieler Nutzer:innen. Gepaart mit einem „traditionellen“ Bild von Weiblichkeit, das auf TikTok in den letzten Monaten ohnehin gut zieht, ist die Propaganda, ob nun absichtlich oder nicht, perfekt.

Viele der Profile mit den klingenden Namen „Fallschirmjägerin“ oder „Panzertruppe“ stammen aus dem asiatischen Raum, vorrangig aus Thailand. In manchen asiatischen Ländern wird Hitler als „starke Führerfigur“ wahrgenommen, weil die NS-Verbrechen dort nicht so intensiv im Schulunterricht behandelt werden.

Es gibt allerdings auch Profile aus dem deutschsprachigen Raum, die diesen Content verbreiten: Mit Deutschlangflagge und Adler auf dem Profilbild erklären sie Jugendlichen anhand dieser Videos ihr rechtsextremes Weltbild. „Wer war sie, und warum ist sie verstorben?“, liest man beispielsweise unter einem Video, in dem Magda Goebbels zur perfekten Mutter stilisiert wird. „Eine tolle Frau war das, solche gibt es heute nicht mehr“, bekommt die fragende Person als Antwort. Besorgniserregend, denn: Eine aktuelle Umfrage der Jewish Claims Conference hat ergeben, dass 14 Prozent der befragten Österreicher:innen im Alter von 18 bis 29 Jahren noch nie von den Begriffen Holocaust oder Schoa gehört haben. Wenn diese sich dann ihre Infos auch noch von problematischen TikTok-Accounts holen, kann das gefährlich werden.

TikTok filtert zwar Videos mit Nazi- und Holocaustbezug – allerdings nur oberflächlich. So bekommt man, wenn man nach Begriffen aus dem Zweiten Weltkrieg sucht, eine Meldung, man solle sich über den Krieg und den Holocaust nur über verifizierte Quellen informieren. Ein kontextloses Video, in dem Eva Braun zu einem Lana-Del-Rey-Lied in die Kamera lächelt, stuft der Algorithmus allerdings nicht als problematisch ein. Somit dreht sich das Rädchen immer weiter: Ohne Kontext verstehen jüngere Generationen nicht, wen sie da eigentlich zu Held:innen stilisieren. Wir alle wissen auch, dass die digitale und analoge Welt ineinander verschwimmen, und genau das macht es so brandgefährlich.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Dieses Jahr jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum achtzigsten Mal. Auf TikTok kursieren neben informativen Videos zur Geschichte und ihren Figuren auch problematische kontextlose Videos, die Geschichtsrevisionismus betreiben. WZ-Redakteurin Aleksandra Tulej hat sich die Problematik genauer angesehen.

Gesprächspartnerin

Anna Jandrisevits, stellvertretende Chefredakteurin von die chefredaktion, deren Arbeit vorrangig auf TikTok stattfindet.

Daten und Fakten

  • Eva Braun war die langjährige Geliebte und kurzzeitig die Ehefrau von Adolf Hitler. Sie lernte Hitler in den 1920er-Jahren kennen, im Lauf der Jahre wurde sie Teil seines inneren Kreises. Trotz ihrer Nähe zu Hitler hatte Braun keinen politischen oder militärischen Einfluss. Sie verbrachte die meiste Zeit in seinen Residenzen, insbesondere auf dem Berghof in den Bayerischen Alpen. Am 29. April 1945 heirateten die beiden, einen Tag später, am 30. April, begingen sie gemeinsam Selbstmord.

  • Magda Goebbels war die Ehefrau von Joseph Goebbels, dem Propagandaminister des nationalsozialistischen Deutschlands. Sie galt als Vorzeige-Ehefrau des NS-Regimes und war eine enge fanatische Vertraute von Adolf Hitler. Magda und Joseph Goebbels hatten sechs Kinder, sie wurden in der NS-Propaganda als das ideale deutsche Familienbild dargestellt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs begab sich Magda mit ihrer Familie in den Führerbunker in Berlin. Am 1. Mai 1945 tötete sie dort ihre sechs Kinder mit Gift, bevor sie zusammen mit ihrem Mann Selbstmord beging.

  • Eine Recherche des Insitute of Strategic Dialogue zeigt, dass Hunderte von TikTok-Accounts offen Nationalsozialismus unterstützen und die Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzen. Trotz zahlreicher Verstöße gegen TikTok-Richtlinien werden viele dieser Inhalte nicht entfernt, selbst wenn sie gemeldet werden. Der Algorithmus verstärkt diese Inhalte, indem er sie Nutzer:innen empfiehlt, die mit ähnlichem rechtsextremen Material interagieren. Zudem nutzen Neonazis KI-generierte Inhalte und koordinieren sich plattformübergreifend, um ihre Propaganda gezielt zu verbreiten.

Quellen

Das Thema in anderen Medien