Von Sky Shield bis EU-Skepsis: Wo die FPÖ gute Karten hat
FPÖ und ÖVP verhandeln über Neutralität, Sicherheit und EU-Politik. Ein Ringen, das nicht nur Österreichs Kurs, sondern auch Europas Stabilität beeinflussen könnte.
FPÖ und ÖVP nehmen Verhandlungen zur Bildung einer künftigen Regierung auf, und die Chancen stehen gut, dass es zu einer vergleichsweise raschen Einigung kommt. Beim Thema Sicherheit und Außenpolitik spießt es sich allerdings in einigen Punkten.
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Ganz generell hat die FPÖ eine wehrhafte Vorstellung von Politik, die Republik soll immerhin eine „Festung“ werden – allerdings eine Trutzburg der „Freiheit“, wie die Überschrift zum Parteiprogramm festhält.
Außer Streit: Neutralität
Am Prinzip der Neutralität will die FPÖ festhalten, Österreich darf „keinesfalls einem Militärbündnis beitreten“, heißt es im Wahlprogramm. Die Neutralität soll dabei nicht rein militärisch, sondern auch politisch gelebt werden. Die Aufgabe der Neutralität und ein Beitritt zur NATO waren in der ÖVP einmal prioritär, doch das ist lang her.
Die Neutralität gilt als Kern der nationalen Identität. Bei einer im Februar 2024 durchgeführten Umfrage des Gallup-Instituts waren fast drei Viertel (74 Prozent) der Österreicher:innen der Meinung, das Land solle weiter an seiner Neutralität festhalten. Nur 14 Prozent befürworteten einen Beitritt zur NATO.
Zankapfel Sky Shield
Konkretes Fallbeispiel der sicherheitspolitischen Differenzen ist die NATO-Luftverteidigungsinitiative Sky Shield. Ein Raketenabwehrsystem, das angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Priorität bekam. Während die ÖVP das Projekt als rein defensiv und als Stärkung der nationalen Sicherheit sieht, warnt die FPÖ vor einem schleichenden NATO-Beitritt. Sie fordert, dass die Neutralität verfassungsrechtlich aufgewertet wird und nur durch eine Volksabstimmung abgeschafft werden kann. Die „Festung“ braucht aus FPÖ-Sicht keine Luftabwehr.
Im Juli 2023 unterzeichnete Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) eine Absichtserklärung zu Österreichs Beteiligung und bezeichnete Sky Shield als die „Speerspitze der Neutralität“. FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach dagegen von einem „Verrat an der immerwährenden Neutralität“ und einer Schwächung der außenpolitischen Eigenständigkeit Österreichs. In einer Presseaussendung zum Thema ließ die FPÖ verlauten, sie sei „die einzige politische Kraft, die die Neutralität verteidigt“.
Hier hakt es. Ein Mittelweg in der Debatte existiert nicht, Österreich kann nur beitreten oder nicht. Helfen könnte in der Verhandlung der politischen Interessen aber der Fakt, dass Österreich von NATO-Staaten umgeben ist. Im Oktober 2024 wurde sogar die neutrale Schweiz Teil der Sky-Shield-Initiative. Schlagend war das Argument, dass das Land weiterhin jederzeit selbstbestimmt agieren könne und mit dem Beitritt keine Verpflichtungen eingehe, die der Neutralität widersprächen. Angesichts des knappen Staatsbudgets ist es nicht ausgeschlossen, dass es vorerst keinen Beitritt Österreichs zu Sky Shield gibt.
Kein Alleingang möglich
Interessant wird sein, wie FPÖ und ÖVP ihre Vorstellungen in Sachen EU koordinieren. Die ÖVP sieht sich traditionell als Gestalterin der österreichischen Außenpolitik und insbesondere als Vorkämpferin der europäischen Einigung, auch wenn die Begeisterung hier zuletzt abgenommen hat. Die FPÖ steht der EU mehr als skeptisch gegenüber und will gemeinsam mit europäischen Gesinnungsgenoss:innen den Einigungsprozess erheblich zurückdrehen. So ist die EU nach blauer Anschauung kein Friedensprojekt, wie das nach dem Zweiten Weltkrieg intendiert war, sondern eine „Kriegstreiberin“: Das schon allein deshalb, weil die Ukraine durch Brüssel massive Unterstützung erfährt. Im Wahlkampf hat die FPÖ plakatiert, den „EU-Wahnsinn stoppen” zu wollen. Das ist allerdings nichts, das Österreich – oder konkret die FPÖ – im Alleingang entscheiden kann. Was eine blau-schwarze Regierung allerdings bewerkstelligen könnte, ist, die bilateralen Beziehungen zu Russland wieder zu intensivieren. Der Preis dafür: Ein Vertrauensverlust in Europa – der zum Beispiel auch den Ausschluss aus Geheimdienstinformationen bedeuten könnte.
Einen Austritt aus der EU streben die Freiheitlichen unmittelbar nicht mehr an, doch sollen die einzelnen Staaten wieder erheblich mehr Gewicht bekommen. Die gemeinschaftlichen Institutionen sollen geschwächt, EU-Recht zurückgestutzt werden. Eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten müsse sich auf wirtschaftliche Belange beschränken, findet die FPÖ, die in Österreich diesen Sommer bekanntlich die EU-Wahl gewonnen hat. Eine Idee, die der ehemalige Leiter des Völkerrecht-Büros im Außenministerium, Helmut Tichy, im Gespräch mit der WZ als sehr zwiespältig beschreibt. Denn dadurch würde Österreich zwar weiterhin Zugang zum europäischen Binnenmarkt erhalten, gleichzeitig aber von der politischen Union ausgeschlossen sein. Tichy erklärt: „Reine EWR-Mitgliedsländer wie Norwegen, Liechtenstein und Island müssen alle EU-Regeln übernehmen, haben jedoch kein Mitspracherecht in der Union“ – ein klarer Widerspruch zum FPÖ-Ziel, mehr nationale Souveränität zu gewinnen.
EU-Institutionen limitieren FPÖ-Ambitionen
Mit der FPÖ in der Regierung schließt sich Österreich jedenfalls dem Kreis europäischer Länder an, die massive Vorbehalte gegen die EU haben. Und deren Regierungen prorussische Tendenzen aufweisen – allen voran Ungarn unter Viktor Orbáns Fidesz und Italien, wo Giorgia Melonis Fratelli d’Italia mit der prorussischen Lega Nord von Matteo Salvini koaliert. Orbán torpediert regelmäßig EU-Sanktionen, sucht nach Sonderregelungen für ungarische Energieimporte aus Russland und verteidigt den Kreml auf internationaler Bühne. Österreich könnte sich in den kommenden Jahren einer Linie der Alleingänge und des Ausscherens anschließen.
Das Gute aus europäischer Sicht: Das Institutionengefüge ist (noch) so stark, dass die österreichischen Freiheitlichen als ein Faktor von vielen die Union nicht demontieren können. Wie die FPÖ als Kanzlerpartei ihre neue Macht in Brüssel ausspielt, muss in den Details ausverhandelt werden. Sicher ist: Die ÖVP wird als Juniorpartner weniger Gewicht haben. Und klar ist auch: Herbert Kickl verabscheut all das, was seine Macht beschneiden kann – insbesondere eine starke EU.
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Infos und Quellen
Genese
Welche Forderungen der bevorstehenden Koalition sind tatsächlich realistisch durchsetzbar? Diese Frage hat sich die WZ-Redaktion gestellt und Themenbereiche verteilt.
Gesprächspartner
Helmut Tichy, Universitätsprofessor für Völkerrecht an der Universität Graz und ehemaliger Leiter des Völkerrecht-Büros im Außenministerium
Daten und Fakten
Die FPÖ hat im Sommer die EU-Wahl mit 25,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Es folgte die ÖVP mit 24,5 Prozent, dann die SPÖ mit 23,2 Prozent. Die Grünen erhielten 11,1 Prozent, die Neos 10,1 Prozent.
Bei der Nationalratswahl fiel der Sieg der FPÖ deutlicher aus: Die Freiheitlichen errangen 28,85 Prozent, die ÖVP 26,7 Prozent und die SPÖ 21,14 Prozent. Es folgen die Neos mit 9,14 Prozent und die Grünen mit 8,24 Prozent. Eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ hätte einen ganz knappen Überhang von einem Mandat gehabt. FPÖ und ÖVP haben mit 108 Sitzen eine komfortable Mehrheit.
Eine im Februar 2024 durchgeführte Umfrage zeigt, dass die Neutralität weiterhin fest in der österreichischen Bevölkerung verankert ist. Laut der repräsentativen Erhebung des Gallup-Instituts, bei der 1.000 Personen ab 16 Jahren befragt wurden, sprechen sich 74 Prozent der Befragten dafür aus, dass Österreich seine Neutralität beibehalten soll. Nur 14 Prozent befürworten einen Beitritt zur NATO. Die Umfrage wurde im Zeitraum vom 20. bis 26. Februar 2024 mittels computergestützter Webinterviews (CAWI) durchgeführt.
Quellen
Europäisches Parlament: Ergebnisse der Europawahl 2024
FPÖ: "Sky Shield:": Schwarz-Grün hebt heute den gelebten Neutralitäts-Verrat auf neue Stufe!
Bundesheer: 15 Antworten zu "Sky Shield"
Schweizerische Eidgenossenschaft: Schweiz unterzeichnet Beitrittserklärung zur European Sky Shield Initiative (ESSI)