Zum Hauptinhalt springen

Frauen leiden unter dem Klimawandel stärker als Männer

6 Min
Auch heuer wartet der Sommer mit Temperaturrekorden auf, die insbesondere für Frauen beschwerlich sind.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Menstruation, Schwangerschaft, Wechsel: Frauen leiden mehr als Männer bei extremer Hitze. Das hat gravierende Folgen für die Gesundheit.


Schwanger in der strahlenden Sommersonne: Was märchenhaft klingt, kann beschwerlich sein, wenn die warme Jahreszeit mit Extremhitze aufwartet. Temperaturen jenseits der 30 Grad können schwangere Frauen nämlich durchaus an die Grenzen bringen, weiß Marie, die im Alter von 23 Jahren ihre Tochter im September des vergangenen Jahres zur Welt brachte. „Ich hatte Kreislaufbeschwerden, Schweißausbrüche und Wassereinlagerungen in den Beinen. Besonders an heißen Tagen konnte ich weder lang stehen noch mich recht viel bewegen. Hochschwanger zu sein war ein Hitzestress“, erinnert sie sich im Gespräch mit der WZ.

Sag uns bitte, wer du bist:

Wie können Schwangere mit extremer Hitze umgehen? Ratgeber im Internet sind nicht ohne Grund voller Tipps und Verhaltensempfehlungen. Denn „Frauen leiden schon aufgrund ihrer Biologie unter extremer Hitze mehr als Männer“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien, und: „Man kann davon ausgehen, dass das Leben mit steigenden Temperaturen durch den Klimawandel insbesondere für sie beschwerlicher wird.“

Auch heuer wartet der Sommer mit Temperaturrekorden auf. In Österreich war der Juli 2024 um zwei Grad wärmer als im Vergleich zum Mittelwert in der Zeit von 1991 bis 2020, berichtet der private Wetterdienst Ubimet. Angesichts der steigenden Sommerhitze in Südeuropa warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor den gesundheitlichen Gefahren extremer Hitze. Europa zähle zu den Regionen, die sich am schnellsten erwärmen, sagte WHO-Regionaldirektor Hans Kluge Anfang August in Kopenhagen. Und UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnt in einer Aussendung vor einer selbst verursachten ,,Epidemie extremer Hitze”.

Laut einer Statistik des deutschen Robert Koch Instituts entfällt der größte Anteil hitzebedingter Sterbefälle auf die Altersgruppen ab 75 Jahren. Insgesamt versterben absolut gesehen mehr Frauen als Männer im Zusammenhang mit Hitze. Dies lasse sich jedoch in erster Linie auf den hohen Frauenanteil in den älteren Altersgruppen zurückführen, also darauf, dass Frauen älter werden als Männer.

Risiko von Totgeburten steigt

Weniger quantitativ als qualitativ ist eine sinkende Lebensqualität aufgrund von Extremhitze zu sehen, die zur Gesundheitsgefahr werden kann. Ilona Otto, Vizedirektorin des Wegener Zentrums für Klimawandel in Graz, ist mit ihrem Team an einem EU-Projekt beteiligt, das die Folgen der Erderwärmung für Schwangere, Neugeborene, kleine Kinder und Krankenhauspersonal erforscht. Dabei werden Daten aus Afrika und Europa ausgewertet und aus denen lässt sich ablesen, dass Hitzestress, wie eingangs von Marie beschrieben, nicht bloß unangenehm, sondern gefährlich für Leib und Leben sein kann. „Wenn es sehr warm und zugleich sehr feucht ist, steigen die Risiken von Totgeburten, Frühgeburten und starkem Blutverlust bei der Geburt“, fasst die Sozialwissenschaftlerin erste Ergebnisse der Überblicksstudie im Rahmen des Projekts namens „High Horizons“ zusammen.

Auch eine im British Medical Journal Public Health publizierte Untersuchung belegt den kausalen Zusammenhang zwischen Hitzestress und Frühgeburten. „Schwangere Frauen und Neugeborene tragen ein Risiko bei extremer Hitze. Insbesondere Schwangere können ihre Körpertemperatur schlechter regulieren, während Babys früher zur Welt kommen, weniger wiegen oder sogar Entwicklungsstörungen aufweisen können“, berichtet das Team um Debra Jackson, Professorin für Krankenpflege an der Universität Sydney, anhand von Daten aus verschiedenen Regionen, darunter die USA, Italien und Spanien.

Stress für Körper und Psyche

„Eine Schwangerschaft bedeutet selbst bei normalen Temperaturen Stress für Körper und Psyche. Es besteht also eine Prädisposition“, erklärt die Medizinerin Kautzky-Willer. Im Herz-Kreislaufsystem kommt es zu Veränderungen, weswegen manche Frauen während dieser neun Monate an Bluthochdruck leiden. Der Stoffwechsel verändert sich, wodurch es zu Schwangerschaftsdiabetes kommen kann. „Wenn extreme Hitze die Symptome verstärkt, entsteht ein noch stärkerer körperlicher Stress. So gesehen sind Frauen benachteiligt, weil sie schwanger werden“, sagt sie.

Szenenwechsel in die Chefetage, wo Christine an einem Meeting teilnimmt. Die Sitzungsinhalte wären an sich Routine, aber Christine kann sich nicht konzentrieren. Denn da ist sie wieder, die Bedrängnis in ihr, der sie nicht entkommen kann. Sie beginnt sachte, aber beständig, wird wärmer, steigt auf, wird, begleitet von Herzrasen, heiß − und durchströmt sintflutartig den ganzen Körper, um sich als Schweißausbruch ihren Weg durch sämtliche Poren nach draußen zu bahnen. Nass wie ein Waschlappen hängt Christine in ihrem Sitz. Christine fragt sich, wie viele Hitzewallungen sie noch erdulden muss. Wann ist das aus?

Heftiger Wechsel bei Extremhitze

Die Wechseljahre können zehn bis 15 Jahre dauern. Durch die hormonellen Umstellungen leiden zwei Drittel aller Frauen unter Beschwerden wie Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Gewichtszunahme – und Hitzewallungen. Ursache dieser „Flushes“, wie es im Englischen heißt, sind Störungen der körpereigenen Wärmeregulation. Diese wird im Gehirn vom Hormon Östrogen gesteuert. Im Wechsel sinkt dieser Hormonspiegel ab. Das Nervensystem weitet daher die Hautgefäße, um Wärme abzugeben und die Körpertemperatur zu senken, und das empfindet die Haut als Hitzeschub. Die Schübe fühlen sich insbesondere dann intensiv an, wenn keine Abkühlung zu finden ist. „Die hormonellen Umstellungen der Wechseljahre werden bei Extremhitze noch heftiger erlebt“, sagt Kautzky-Willer.

Doch die weibliche Hälfte der Weltbevölkerung muss nicht einmal gerade schwanger oder im Wechsel sein, um mit Extremhitze schlecht zurande zu kommen. „Noch gibt es wenig gute Literatur zum Thema, aber es ist ganz klar, dass Frauen schon allein durch die hormonellen Veränderungen im Monatszyklus gewisse Unterschiede in der Hitzeempfindlichkeit erleben“, hebt die Gendermedizinerin hervor.

Laut einer Studie unter Athletinnen, die im European Journal of Applied Physiology veröffentlicht wurde, brauchen Frauen im Sport ganz allgemein länger als Männer, um sich an hohe Temperaturen akklimatisieren zu können, und müssen auch intensiver durch spezielle Trainings an der Akklimatisierung arbeiten. Das Team der kanadischen Brock University will herausgefunden haben, warum dem so ist: Frauen können ihre Kerntemperatur schlechter halten als Männer.

Frauen tun sich mit Thermoregulierung schwerer

Menschen sind gleichwarme Lebewesen. Sie müssen die Kerntemperatur ihres Körpers, also alle inneren Organe, konstant zwischen 35,7 und 37,3 Grad halten. Frauen tun sich mit dieser Thermoregulierung schwerer, weil sie eine geringere Körpermasse haben.

„Frauen können die Kerntemperatur tatsächlich schlechter stabil halten, weil weniger Körpermasse auch weniger Hitze-Speicherfähigkeit mit sich bringt und sie Hitze weniger an die Umgebung abgeben können, weil sie weniger Schweiß produzieren als Männer“, erläutert Kautzky-Willer. Gleichzeitig können sie durch weniger Muskelmasse weniger Wärme bei Kälte erzeugen. „Dadurch steigt die Temperatur der Haut in einer heißen Umgebung stärker als bei Männern, gleichermaßen kommt es zu einer stärkeren Abkühlung der Haut bei Kälte“, fasst sie verschiedene Erkenntnisse, unter anderem aus der Athletinnen-Studie, zusammen. Allerdings sei die Datenlage nach wie vor nicht zufriedenstellend.

„Obwohl die weibliche Biologie vor dem Hintergrund des Klimawandels ein Riesenthema ist, vor allem in den Städten, die die Hitze ja speichern, wurde bisher wenig dazu geforscht“, führt Kautzky-Willer ins Treffen.

Sozioökonomische Nachteile

Auch die Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto beklagt einen Mangel an Literatur zum Thema. „In vielen Studien, die sich auf die Folgen der Erhitzung konzentrieren, sind die Studienteilnehmer zumeist Männer, etwa wenn Hitzefolgen auf Professionen wie Arbeiter der Agrarwirtschaft oder der Bauindustrie in Erfahrung gebracht werden sollen“, sagt Otto. Seltener werde die Lage von Frauen und noch seltener die von Schwangeren oder Kleinkindern erforscht.

Dass Frauen wegen ihrer schlechteren sozioökonomischen Lage vom Klimawandel stärker betroffen sind, ist hingegen mehrfach nachgewiesen. Dieses Fachgebiet hat nämlich eine weltpolitische Komponente. Zwei großangelegte Studien der UNO und der WHO belegen, dass Frauen vor dem Hintergrund des Klimawandels ihre Biologie umso stärker zu spüren bekommen, je schlechter sie ökonomisch gestellt sind. „Wer die Regel hat, arbeiten und allein drei Kinder ernähren muss, erträgt Hitzeperioden schlechter als Frauen mit mehr Kapital, die sich in ein klimatisiertes Zuhause zurückziehen können, oder nicht körperlich arbeiten müssen und mehr Möglichkeiten haben“, fasst Ilona Otto einen Teil der Ergebnisse zusammen, die den Frauen in ärmeren Ländern auch weniger Fluchtmöglichkeiten, etwa bei Extremwetterereignissen, einräumen. Frauen mit weniger Ressourcen könnten sich weniger umfassend vor dem Klimawandel schützen, nicht nur in ärmeren Ländern, sondern überall.

In einem bahnbrechenden Urteil gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) übrigens im April 2024 einer Gruppe älterer Schweizerinnen recht, die Klage gegen ihr Land erhoben hatten. Die Straßburger Richter urteilten, dass Bern deren Menschenrechte verletzt hat, weil es nicht genug gegen den Klimawandel unternommen hat. Laut dem Online-Portal swissinfo.ch meldeten die älteren Klägerinnen gesundheitliche Probleme an, die auf die Erderwärmung zurückzuführen seien, wie etwa Schwankungen der Körpertemperatur während des Menstruationszyklus und der Menopause, die ihre Fähigkeit zur Wärmeregulierung beeinflussen könnten.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Die Idee zu dieser Geschichte entstand aus Berichten von Bekannten der Autorin, die hier genannt sind, sowie aus eigener Erfahrung. Durch persönliche Gespräche festigte sich im Lauf der Zeit der Eindruck, dass die Hitze besonders den Frauen zu schaffen macht. Die Rekordtemperaturen in diesem Sommer kamen hinzu.

Gesprächspartnerinnen

Alexandra Kautzky-Willer, geboren am 18. April 1962 in Wien, ist Fachärztin für Innere Medizin und seit 2010 Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien. Im Zug dieser Professur gründete sie ebenda die Gender Medicine Unit und übernahm die Leitung des ersten postgraduellen Universitätslehrgangs für Gender Medicine in Europa. Forschungsschwerpunkte sind Schwangerschaftsdiabetes und Genderaspekte bei Diabetes mellitus und Übergewicht. 2016 wurde Alexandra Kautzky-Willer als Wissenschaftlerin des Jahres vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen ausgezeichnet.

Ilona Otto, geboren 1979 in Kłecko, Polen, ist eine polnisch-deutsche Sozialwissenschaftlerin. Sie studierte von 1998 bis 2003 Sozialwissenschaften an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen. Von 2010 bis 2015 war Otto Postdoc am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und wechselte dann in den Forschungsbereich Erdsystemanalyse. 2017 wurde sie an der Fakultät für Biowissenschaften der Humboldt-Universität habilitiert. 2020 folgte Otto einem Ruf an das Wegener Center der Universität Graz, wo sie Professorin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels ist.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien