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Frauenstreik: Österreich würde stillstehen

5 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zu einem feministischen Thema in der WZ.
© Illustration: WZ.

Frauen tragen das System auf ihren Schultern. Was, wenn sie damit aufhören, nur für einen Tag?


    • Am 24. Oktober 1975 streikten 90 Prozent der isländischen Frauen, legten bezahlte und unbezahlte Arbeit nieder.
    • Der Streik führte zu einem landesweiten Stillstand und bewirkte 1976 ein Gleichbehandlungsgesetz sowie 1980 die Wahl von Vigdís Finnbogadóttir zur Präsidentin.
    • In Österreich ist die Gleichstellung weiterhin mangelhaft, Frauen leisten mehr unbezahlte Arbeit, und es gab bisher keine weibliche Kanzlerin oder Bundespräsidentin.
    • 1915 gehörte Island zu den ersten Ländern, die das Frauenwahlrecht einführten.
    • Island steht seit Jahren auf Platz 1 im globalen Gleichstellungsranking.
    • In Österreich arbeiten Frauen täglich etwa 2 Stunden mehr unbezahlt als Männer.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Am 24. Oktober 1975, also genau heute vor 50 Jahren, streikten die Frauen Islands. Sie legten nicht nur ihre bezahlte Arbeit nieder, sondern auch – und das war und ist noch viel wichtiger, denn sie übersteigt die bezahlte in ihrem Volumen in aller Regel um einiges – ihre unbezahlte.

Für einen Tag im Oktober 1975 kochten die Frauen Islands nicht. Sie putzten nicht. Sie wuschen keine Wäsche und spülten kein Geschirr. Sie machten keine Betten. Sie erledigten den Familieneinkauf nicht. Sie weigerten sich, sich um ihre Kinder zu kümmern. 90 Prozent der Isländerinnen blieben ihrer Erwerbsarbeit fern. Die wenigen Arbeitgeber, die Frauen mit Entlassung drohten, zogen ihre Drohungen recht schnell wieder zurück, nachdem sie sahen, wie breit die Unterstützung für den Frauenstreik in der Gesamtbevölkerung war.

Und jenen Männern, die den Streik im Vorfeld belächelt hatten, verging das Lächeln recht schnell, denn sie waren nun mit Haushalt und Kindern und Vereinbarkeit von Job und Familie beschäftigt. Wie ihre Frauen das ganze Jahr über. Wie wenig Anlass diese das ganze Jahr über zum Lächeln haben, hatte bislang wenig interessiert.

Langer Freitag

Ohne die Arbeit der isländischen Frauen musste ein Großteil der Geschäfte am 24. Oktober 1975 schließen. Schulen und Kindergärten und Banken und Restaurants und Theater und Kinos ebenso. Der Telefondienst kam zum Erliegen. Fluggesellschaften konnten ohne Flugbegleiterinnen nicht abheben. Zeitungen konnten nicht oder nicht zur Gänze produziert und gedruckt werden.

Ein Absatzplus bedeutete der Frauenstreik, so heißt es, lediglich für Süßigkeiten und Hotdogs – diese verfütterten die Väter nämlich in der Abwesenheit ihrer Frauen an ihre Kinder. Kinder, die sie in Ermangelung von Gratiskinderbetreuung (ihren Ehefrauen) nun mit in die Erwerbsarbeit nehmen mussten. In Nachrichtenstudios des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etwa wurden Väter von ihren Kindern in den Moderationen unterbrochen. Heute noch wird der 24. Oktober 1975 in Island deshalb, weil er für die Männer des Landes so viel Mehrarbeit und Mehrstress und Mehrsorge bedeutete, als „langer Freitag“ bezeichnet. Lange Freitage aber haben Frauen das ganze Jahr über, in Island und überall sonst auf der Welt. Lange Montage, Dienstage, Mittwoche, Donnerstage, Samstage und Sonntage auch. Das interessiert in der Regel aber niemanden, da ihre Arbeit nicht nur in ihrer Länge, sondern auch in ihrer Breite unsichtbar bleibt.

Ruhe

Deshalb streikten die Frauen Islands am 24. Oktober 2025. Sie nannten es aber nicht „Streik“, sondern „Kvennafrídagurinn“ – das heißt übersetzt in etwa „Frauenruhetag“ oder „freier Tag für Frauen“. Statt zur Arbeit zu gehen oder zuhause zu bleiben, um dort zu arbeiten, versammelten sich zwischen 20.000 und 25.000 von ihnen zu Demonstrationen. Das war eine enorme Zahl an Personen – denn in ganz Island lebten 1975 nur etwa 220.000 Frauen. Sie hatten zehn Forderungen, viele davon noch heute aktuell, alle davon zusammenfassbar in der Feststellung, dass der Beitrag von Frauen zur isländischen Gesellschaft unterschätzt, zu wenig wertgeschätzt, unterbezahlt oder unbezahlt ist.

Der isländische Frauenstreik zeigte auf, in welchem Ausmaß das ganze System auf den Schultern von Frauen getragen wird – denn ohne sie stand das Land still.


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Wirkung

Und dieser kurzzeitige Stillstand zeigte Wirkung: 1976, im Jahr nach dem Streik, wurde vom isländischen Parlament ein Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet. Und 1980, fünf Jahre nach dem Streik, wurde Vigdís Finnbogadóttir zur ersten Präsidentin Islands, und damit gleichzeitig zur ersten demokratisch gewählten Staatspräsidentin der Welt überhaupt, gewählt. Die Theaterdirektorin Vigdís Finnbogadóttir war nicht nur einfach die erste Frau, sondern geschieden, alleinerziehend und die erste Frau in Island, die allein (also als Single) ein Kind adoptierte. Vigdís Finnbogadóttir hatte außerdem am 24. Oktober 1975 am Frauenstreik teilgenommen.

Und Österreich?

Heute steht Island im globalen Gleichstellungsranking auf Platz 1 und das seit Jahren. Österreich indes hinkt weit hinterher – beispielsweise gibt es mit Lettland nur einen Staat innerhalb der EU, in dem der Gender Pay Gap noch höher ist als hierzulande. Die letzte Zeitverwendungsstudie hat gezeigt, dass sich in der Verteilung von unbezahlter Arbeit in heterosexuellen Haushalten in den letzten zehn Jahren so gut wie nichts getan hat, um mehr Fairness zu erreichen: Frauen arbeiten immer noch etwa zwei Stunden pro Tag mehr unbezahlt als Männer. In Österreich gab es bislang keine einzige gewählte Kanzlerin und keine Bundespräsidentin. Jede dritte Frau hat körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.

In Österreich ließen sich bändeweise Bücher füllen mit Gründen, auch hier zu streiken. Ein Zusammenschluss an Frauenorganisationen und Einzelpersonen will genau das tun. Frauen in Österreich sollen sich am 24. Oktober 2025 um 17 Uhr vor dem Parlament in Wien versammeln, sich auf rote Decken oder Tücher legen und: Nichts tun.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Zur Autorin

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

Quellen

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