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Muslim:innen begehen derzeit den Fastenmonat Ramadan – sprich, sie essen und trinken tagsüber nichts. Für Profifußballer kann das schnell zum Dilemma werden. Wie gehen Kicker und Klubs damit um? Eine Spurensuche in Österreich.
Mohamed Salah, Stürmer des FC Liverpool, ist ein Weltstar. Sein Markenzeichen: Er schießt Tore, Tore, Tore. 320 Treffer hat der Ägypter in seiner Karriere erzielt, 32 in dieser Saison. Doch seit kurzem klappt nichts mehr. Liverpool flog Anfang März aus der Champions League. Und aus dem Liga-Pokal. Salah war kaum zu sehen. Kein Tor! Keine Vorlage! Nichts! Der Star-Stürmer befinde sich im Ramadan, „wo er fastet“, erklärte der Ex-Profi Micah Richards. „Es ist ganz normal, dass er nicht die gleiche Energie hat, wie wenn er essen würde.“
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Im Fastenmonat Ramadan verzichten gläubige Muslim:innen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. 30 Tage lang. Den ganzen März geht das schon so. Für Profifußballer ist das ein Dilemma. Einerseits müssen sie fit und leistungsfähig sein, andererseits wollen sie ihre Werte nicht verraten. „Im Islam heißt es: Gott gibt dir die Kraft, um das Fasten durchzuhalten“, erzählt der Wiener Spielerberater Emre Öztürk. Aber wie ist das in der Praxis?
Man merkt im Training und Spiel, dass sie Probleme haben.Manfred Schmid, Trainer des TSV Hartberg
Die WZ hat über ein Dutzend Gespräche dazu geführt – mit streng fastenden Spielern, kritischen Trainern und Islam-Gelehrten. Wie gehen Klubs mit Sportler:innen um, die einen Monat lang trotz hoher Belastung Essen und Trinken verweigern. Und: Was macht das mit den Profispielern?
„Es ist sicher nicht gesund“, sagt Manfred Schmid, 54 Jahre alt und Trainer des Bundesliga-Klubs TSV Hartberg.
„Man merkt im Training und Spiel, dass sie Probleme haben.“ Schmid, ein Wiener mit freundlichem Gesicht und lockerem Spruch, empfindet es „als grenzwertig“, Hochleistungssport auszuüben „und dabei wochenlang nichts zu essen“. In seinem Team weiß er von zwei Spielern, die gerade fasten. „Ich respektiere ihren Glauben“, sagt er, „aber als Trainer muss ich einschätzen, ob sie in diesem körperlichen Zustand spielen können.“ Mehrere Trainer und Sportdirektoren erzählen der WZ, dass Fasten in Kombination mit Profifußball „sicher nicht ideal“ sei. Sie berichten von Schwächeanfällen und Kreislaufproblemen. „Manche Spieler verheimlichen es auch, weil sie Angst haben, vom Trainer nicht eingesetzt zu werden“, erzählt ein Bundesliga-Coach, der anonym bleiben will.
GAK-Spieler Sadik Fofana: „Als Muslim ist das eine Pflicht“
Es ist gar nicht einfach, einen fastenden Profikicker zu finden, der darüber öffentlich sprechen will. Dann sagt doch einer zu. Sadik Fofana, 21, in Deutschland geboren, die Eltern aus Togo, spielt seit Jahresanfang für den Grazer AK. Im Gespräch wirkt er kraftvoll und energiegeladen. Dabei isst und trinkt er seit zwanzig Tagen untertags nichts.„Ich kann beides unter einen Hut bekommen – Fußball und Fasten“, sagt er und grinst. Mit zwölf begann Fofana damit, den Ramadan einzuhalten. Obwohl ihn seine Eltern im Kindesalter davon abhalten wollten. „Ich bin der Jüngste von vier Geschwistern“, erzählt er. „Alle haben gefastet – also wollte ich auch unbedingt.“ Anfangs ging es ihm um Zugehörigkeit, erst später verstand er den religiösen Hintergrund. „Als Muslim ist das eine Pflicht. Es dient dazu, die Seele zu reinigen und Gott näher zu kommen“, erklärt er. Fofana hat gerade eine Trainingseinheit hinter sich, es ist später Nachmittag und seit Sonnenaufgang hat er weder getrunken noch gegessen. „Es erfordert viel Disziplin“, sagt er, „aber man bekommt auch Routine.“
Sollte es für Hochleistungssportler:innen, ähnlich wie für Alte, Kranke und Kinder, nicht eine Ausnahme im Koran geben, die sie vom Fasten freistellt? Edina Husovic von der Islamischen Glaubensgemeinschaft hat sich mit dem Profifußball noch nicht recht beschäftigt. Sie will sich auf WZ-Anfrage aber mit Islam-Gelehrten beraten. „Wenn das Spiel abends stattfindet“, sagt sie wenig später, „sollte man tagsüber fasten können“. Sollte das vom Arbeitgeber jedoch nicht erlaubt werden, könne man „auch nachfasten“.
„Das Fasten macht mich mental stärker“
GAK-Spieler Sadik Fofana will vom Nachfasten nichts wissen. „Ich nehme diese Ausnahme nicht in Anspruch“, sagt er. „Ich arbeite ja freiwillig dort. Und durch diese Freiwilligkeit darf ich beim Fasten keine Abstriche machen.“ Wenn der 21-jährige Fofana vom Fastenmonat erzählt, wirkt er regelrecht begeistert. „Ich mache das gern“, sagt er. Auch Vorteile für seinen Fußballklub erkennt er. „Wenn ich die ersten paar Tage überstehe, gewöhnen sich Körper und Geist daran. Dann bin ich viel klarer im Kopf – und fokussierter. Das Fasten macht mich mental stärker.“
Ist Fofana eine Ausnahme – oder geht es vielen muslimischen Spielern so? Der Salzburger Christoph Schösswendter, 36, hat für Rapid, Admira Wacker und Austria Wien gespielt. Zur WZ sagt er: „Ich hatte den Eindruck, dass das vielen Spielern nicht guttut und sie mit dem Kreislauf Probleme bekommen“. Bei Österreichs Meister Sturm Graz sind derzeit sechs fastende Kicker aktiv. „Es gibt ein, zwei Spieler, da merkst du keinen Leistungsabfall“, erzählt ein Betreuer. „Bei einigen aber denke ich mir: Den kenne ich auch anders.“
Wir haben einen ganz klaren Abfall der Leistungsfähigkeit festgestellt.Philip Klöckl, Datenanalyst
Sportwissenschaftler: „Kein Spieler kann aus der Fastenzeit etwas Positives herausziehen“
Philip Klöckl ist Datenanalyst und war bereits für Sturm Graz, den LASK und den ÖFB tätig. „Wenn jemand fastet“, sagt Klöckl, „haben wir einen ganz klaren Abfall der Leistungsfähigkeit festgestellt.“ Spieler seien „bei Sprints und intensiven Beschleunigungen nicht mehr imstande, diese Aktionen in der gewohnten Quantität abzurufen.“ Alexander Feckter, Sportwissenschaftler in der LASK-Akademie, geht sogar noch weiter. „Durch die Ermüdung kommt es nicht nur zu körperlichen Leistungsabfällen, sondern auch zu Problemen im taktischen Verhalten und in der technischen Ausführung.“ Sein Fazit: „Es gibt keinen Spieler, der aus der Fastenzeit etwas Positives herausziehen kann.“
Viele Klubs haben Ernährungsberater engagiert. Darinka Stock etwa arbeitet für Sturm Graz. Sie fragt muslimische Spieler nach ihrem Befinden und versorgt sie mit Nahrungsergänzungsmitteln. „An Spieltagen aber“, erzählt sie, „haben wir den Kompromiss gefunden, dass sie das Fasten unterbrechen.“
Extra-Spielpausen
Die österreichische Bundesliga hat auf streng fastende Profis bereits reagiert. Die Klubs können während des Ramadans Spielpausen nach Sonnenuntergang erbeten. Vor einem Jahr passierte das erstmals: Beim Spiel Red Bull Salzburg gegen den TSV Hartberg bat der Spieler Amar Dedic den Schiedsrichter um eine kurze Pause. Der willigte ein. Und die muslimischen Spieler am Platz stärkten sich mit Wasser, Datteln und Bananen. Auch GAK-Profi Sadik Fofana erzählt von so einer Situation. „Beim letzten Spiel habe ich den Schiri nach Sonnenuntergang gefragt, ob er mir kurz Zeit gibt, etwas zu trinken. Es war kein Problem. Er hat mir dann später sogar von sich aus noch eine Pause angeboten. Das war sehr zuvorkommend.“
Frankreich: Keine Rücksicht auf den Ramadan
Nicht überall wird so viel Rücksicht auf fastende Fußballer genommen. Der französische Verband hat seine Schiedsrichter angehalten, keine Spielunterbrechungen zu genehmigen. Und Nationalspielern wurde das Fasten während der Länderspiele untersagt. In Frankreich gilt eine strenge Trennung zwischen Religion und Staat. Die französische Liga wolle keine „Plattform für Bekehrungsversuche“ sein, hieß es von offizieller Stelle. Vor zwei Jahren warf Nantes-Trainer Antoine Kombouaré gar einen Spieler aus seinem Kader, weil er am Spieltag fastete. „Am Tag des Spiels soll man nicht fasten“, stellte er klar. „Diejenigen, die fasten, sind nicht Teil der Gruppe.“
Anders ist die Situation in England. Die Premier League gilt als beste Liga der Welt – mit vielen Fans und Investoren aus dem arabischen Raum. Der muslimische Markt um Liga-Superstars wie Mohamed Salah ist eine Goldgrube für die Engländer:innen. Auch deshalb nehmen Klubs und Liga viel Rücksicht auf fastenden Fußballer.
Updates aus der Redaktion
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WZ Weekly
Einblicke in die WZ-Redaktion. Ohne Blabla.
Peter Pacult: „Er hat mir das nicht gesagt“
In Österreich versucht man vielerorts die Situation professionell zu lösen. Topklub RB Salzburg kontrolliert das Leistungsvermögen der fastenden Spieler. Dazu erhalten sie „hochwertige Nahrung“ und bei Auswärtsfahrten bereits um vier Uhr früh ihr Frühstück serviert. Anders die Situation bei Austria Klagenfurt. Dort wusste Coach Peter Pacult nicht einmal, dass er einen fastenden Kicker trainiert. „Er hat mir das nicht gesagt“, erzählt er. Schließlich bekam er es gesteckt. Nun sagt Pacult: „Ich weiß nicht, wann er fastet, weil ich ihn nicht kontrolliere. Aber er wird sich das schon irgendwie einteilen.“ Ob es jemanden im Verein gebe, der seinen körperlichen Zustand während des Ramadans überwacht? „Nein“, sagt Pacult, „so weit sind wir in Klagenfurt noch nicht.“
„Wir leben die Religion intensiver – und das erschreckt die Leute“
Der Spielerberater Emre Öztürk kann beide Seiten verstehen: kritische Trainer und fastenden Sportler. Seine Großeltern kamen einst aus der Türkei nach Österreich. Er fühle sich „als echter Wiener“, sagt er, und sei nicht „streng religiös“. Öztürk, 42, ein kerniger Typ mit Wiener Slang, fühlt sich beiden Welten verpflichtet: dem säkularen Westen und dem wertkonservativen Islam. „Wir leben die Religion intensiver als viele Christen“, sagt er, „und das erschreckt die Leute.“ Durch die Zuwanderungswelle, glaubt er, nehme „die Kritik am Islam zu. Auch wir, die in dritter Generation hier leben, haben wieder mit Ressentiments zu kämpfen.“
Auch deshalb rät er seinen Klienten, wie dem Ex-Barcelona-Kicker Yusuf Demir, davon ab, an Spieltagen zu fasten. „Es kommt bei den Trainern einfach nicht gut an“, sagt er. „Und es wäre nicht gut, wenn man ihnen eine Ausrede gibt. Die sagen dann: Ah, du hast gefastet, deshalb hast du keine Power.“
Der österreichische Nationalteamspieler Thierno Ballo, 23, ist eine Art Gegenbeweis. Er fastet derzeit konsequent auch an Spieltagen. Sein Klub, der Wolfsberger AC, unterstützt ihn dabei. Ballo erhält vor Spielen ein Einzelzimmer – damit er, noch bevor die Sonne aufgeht, essen kann, ohne Zimmergenossen zu wecken. Zuletzt besorgte ihm ein Betreuer vor einem Ligaspiel Datteln im Supermarkt. In der Halbzeit, nach Sonnenuntergang, aß Ballo den Snack. Wenige Minuten später traf er zum 2:0 für sein Team.
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Infos und Quellen
Genese
Dem Autor Gerald Gossmann fiel auf, dass immer mehr Profifußballer während des Ramadans tagsüber konsequent auf Essen und Trinken verzichten. Viele Klubs behaupten offiziell, dass das kein Problem sei. Was aber verbirgt sich hinter offiziellen Statements? Wie gehen Liga und Klubs in Österreich damit um, dass viele Profispieler einen Monat lang fasten – und dennoch Hochleistungssport betreiben? Was macht das mit den Kickern? Und was sagen Islam-Gelehrte: Müssen sich Fußballprofis streng an das Fastengebot halten? Die WZ hat über ein Dutzend Gespräche dazu geführt, mit streng fastenden Spielern, kritischen Trainern, der islamischen Glaubensgemeinschaft – und gibt Einblick in einen Monat, der für alle eine Herausforderung darstellt.
Gesprächspartner
Sadik Fofana, muslimischer GAK-Spieler, der während des Ramadans streng fastet – auch an Spieltagen
Peter Pacult, Trainer von Austria Klagenfurt
Manfred Schmid, Trainer des TSV Hartberg
Pressesprecher Bundesliga
Edina Husovic, Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
Emre Öztürk, Wiener Spielerberater mit türkischen Wurzeln
Christoph Schösswendter, Ex-Bundesligaspieler und aktuell Sportdirektor von BW Linz
Alexander Feckter, Sportwissenschaftler LASK-Akademie
Darinka Stock, Ernährungsberaterin Sturm Graz
Philip Klöckl, Datenanalyst
Zudem wurden zahlreiche Gespräche mit Personen aus der österreichischen Fußballbranche geführt, die anonym bleiben möchten.
Daten und Fakten
Der Fastenmonat Ramadan findet heuer vom 1. bis zum 30. März statt. In dieser Zeit fasten gläubige Muslime vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Abends wird das Fasten mit einem Iftar-Mahl gebrochen. Während des Tages ist Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr verboten. In dieser Zeit soll auch nicht geflucht werden. Kurzum: Gläubige Muslime sollen eine innere Einkehr finden und Gott näherkommen. Sie sollen laut Islamischer Glaubensgemeinschaft vermehrt beten, Gottesdienste besuchen und auch Nächstenliebe walten lassen.
Kinder, Personen mit körperlichen oder intellektuellen Einschränkungen, chronisch Kranke und Hochbetagte sind vom Fasten befreit. Wer akut krank ist, sich auf Reise befindet, schwanger oder stillend ist, kann die Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Diese Erleichterungsregeln sind im Qur’an und in den islamischen Überlieferungen festgeschrieben.
In einigen islamischen Staaten ist das Nichteinhalten der Fastenpflicht von der jeweiligen Regierung verboten. Es werden Strafen verhängt, wenn während des Ramadans öffentlich gegessen, getrunken oder geraucht wird.
750.000 Muslime wurden bei der Erhebung im Jahr 2021 in Österreich gezählt, das entspricht etwa acht Prozent der Bevölkerung. Die Tendenz ist steigend.
In arabischen Ländern verlegen Profifußballklubs ihre Trainings und Spiele in die Zeit nach Sonnenuntergang. In Österreich und in vielen europäischen Ländern nehmen Ligen und Klubs Rücksicht auf muslimische Spieler, die während des Ramadans fasten. Es wird aber zuweilen auf sie eingewirkt, an Spieltagen das Fasten zu brechen.
In diesem Jahr fällt der islamische Fastenmonat Ramadan in dieselbe Zeit wie die christliche Fastenzeit. „Im interreligiösen Dialog ist das ein Segen“, sagt Edina Husovic von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. „Es zeigt, dass uns mehr verbindet als trennt.“
Wie sollen fastende Profisportler mit dem Fastengebot umgehen? Husovic: „Es kommt darauf an, was ein Arbeitgeber als verpflichtend verlangt und ob er auf den Ramadan Rücksicht nimmt oder nicht. Wird das Fasten vom Arbeitgeber nicht toleriert, muss sich auch ein gläubiger Muslim an den Arbeitsvertrag halten. Er kann dann die versäumten Tage nachfasten.“
Quellen
Wikipedia: Informationen zum Ramadan
Das Thema in der WZ
Podcast: Warum ich zu Allah bete
Das Thema in anderen Medien
Kurier: Was der Fußball tut, um nicht am Fasten zu zerbrechen
Deutschlandfunk: Fastenbrechen am Spielfeldrand