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Gewalt und Hass: So sicher fühlt sich Österreichs Politik

7 Min
Hassnachrichten an Poltiker:innen haben massiv zugenommen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Bei den Parteien herrscht bisher wenig Angst. Was aber massiv zunimmt, ist Hass im Netz.


Das Attentat auf den slowakischen Premier Robert Fico im Mai 2024; alle paar Wochen tätliche Angriffe auf deutsche Politiker:innen und deren Wahlkampfhelfer:innen, teils mit Verletzten und jüngst sogar einem toten Polizisten, der die Kundgebung eines radikalen Islamgegners schützte und ebenso wie dieser Opfer eines Messerangreifers wurde; die Morde am deutschen CDU-Regionalpolitiker Walter Lübcke und am liberalen Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz im Jahr 2019, an der britischen Labour-Abgeordneten Jo Cox 2016 oder am britischen Tory-Abgeordneten David Amess 2021; regelmäßige physische Bedrohungen oder Drohbriefe an vier von zehn Bürgermeister:innen in Frankreich; Schlägereien in den Parlamenten von Griechenland, Georgien und Kosovo sowie Prügel für die Abgeordnete Angeliki Delikari von Griechenlands Regierungspartei Nea Dimokratia im April 2024; ein Messerangriff im Sommer 2022, dem die Vorsitzende der liberalen Zentrumspartei und Ex-Ministerin Annie Lööf gerade noch entging – politisch aktive Personen leben in nicht wenigen Ländern Europas gefährlich.

Keine Angst um Leib und Leben

Österreich hingegen scheint diesbezüglich noch jene Insel der Seligen zu sein, als die es sich selbst so gern wahrnimmt. Liegt es an der oft betonten österreichischen Gemütlichkeit, an der kompromissbereiten Sozialpartnerschaft als Puffer oder daran, dass hierzulande schlicht die Themen weniger hart sind und damit die politische Auseinandersetzung nicht so radikal geführt wird?

Jedenfalls sind physische Angriffe auf Politiker:innen in Österreich sehr selten, Körperverletzungen dabei noch seltener. Man muss schon recht tief graben, um aufsehenerregende Fälle in Österreich zu finden: etwa die vergiftete Praline für den Spitzer Bürgermeister Hannes Hirtzberger, der seit dem Anschlag im Jahr 2008 im Wachkoma liegt; oder die Briefbombenserie von Franz Fuchs in den 1990ern, bei der Spitzenpolitiker:innen wie Wiens Bürgermeister Helmut Zilk schwer verletzt wurden.

Was Österreichs Politik sonst noch so bewegt, verrät Georg Renner im wöchentlichen Newsletter.

Ein Kopf auf gelbem Hintergrund

Einfach Politik.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

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Österreichs heutige Politiker:innen haben jedenfalls keine konkrete Angst um Leib und Leben, wie ein Rundruf der WZ unter den Parteien zeigt. Und auch die Basis fühlt sich nicht unsicherer als früher. Zwar empfiehlt etwa die SPÖ ihren Wahlhelfer:innen, nicht allein zu verteilen, zu plakatieren oder Hausbesuche zu absolvieren und generell Vorsicht walten zu lassen; Übergriffe wie in Deutschland gibt es in Österreich aber nicht. Das Schlimmste an physischer Gewalt, so scheint es, ist die Zerstörung von Wahlplakaten, und zwar aller Parteien.

Blauäugig ist man aber nicht. „Wir sehen in Europa immer mehr Fälle von politisch motivierter Gewalt, nicht nur gegenüber verfeindeten Gruppierungen, sondern auch gegenüber Politiker:innen“, sagt etwa SPÖ-Pressesprecherin Katharina Kuicek. „Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht bereitet Grund zur Sorge, da sich insbesondere rechtsextreme Gruppierungen und Einzeltäter immer stärker bewaffnen und in anderen Ländern, zuletzt Deutschland und der Slowakei, Angriffe auf Politiker:innen durchführten. Es ist wichtig, dass sich das nicht auf Österreich ausbreitet.“

Frauenhass im Netz und Morddrohungen

Was tatsächlich massiv zugenommen hat, sind verbale Angriffe, insbesondere Hass im Netz gegenüber Politiker:innen. Und „der Übergang von verbaler zu tätlicher Gewalt ist fließend“, warnt die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Meri Disoski. „Umso wichtiger ist es, dass wir in der Politik wieder zu einem respektvolleren Ton zurückfinden und verbal abrüsten.“ Für den EU-Parlamentarier Lukas Mandl von der ÖVP ist besonders seit der Pandemie in eine Schieflage geraten, „dass wir vielleicht in der Sache hart diskutieren, aber menschlich Wertschätzung walten lassen. Das hat sich manchmal umgekehrt: In der Sache diskutieren wir gar nicht so hart, wir zementieren uns eher ein in irgendwelchen fixen Meinungen, aber Respekt und gegenseitige Wertschätzung lassen zu wünschen übrig“, so Mandl in einem Ö1-Gespräch kurz vor der EU-Wahl. ÖVP-Sprecher Peter Treml formuliert es gegenüber der WZ drastischer: „Die Welt, in der wir leben, ist nicht mehr dieselbe wie vor einigen Jahren. Wir erleben ein Erstarken der politischen Ränder, die immer radikaler und gewaltbereiter werden.“

Nur, weil man in der Politik tätig ist, dient man nicht als Boxsack.
Anna Stürgkh, EU-Kandidatin der Neos

Die vielen Hasspostings empfindet die junge Politikerin als mentale Belastung – und das, obwohl ihr Team viele Kommentare löscht und strafrechtlich relevante Hasspostings zur Anzeige bringt, bevor sie diese überhaupt zu Gesicht bekommt. „Ich finde es schlimm“, sagt die Neos-Kandidatin, „wenn wir als Gesellschaft so weit kommen, dass wir darüber diskutieren, was man als Politikerin aushalten muss. Ich habe überhaupt kein Problem damit, für meine Politik beziehungsweise die der Neos kritisiert zu werden, und wir können gerne über Inhalte streiten“, betont sie – aber ihr fehlt jedes Verständnis für Angriffe auf ihre Person „für das, was ich bin“. Nur, weil man in der Politik tätig ist, „dient man nicht als Boxsack“.

Aktuell werden Personen in einem niedrigen zweistelligen Bereich beschützt.
Kerstin Mitterhuber, Sprecherin des Innenministeriums

In erster Linie sind es persönliche Beleidigungen, die Tag für Tag auf Stürgkh und ihre Politikerkolleg:innen einprasseln. Es gibt aber auch Morddrohungen, die natürlich ernstgenommen werden. Laut den Neos wurden die Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen der Exekutive in den vergangenen Jahren verstärkt. Im Innenministerium gibt man sich dazu aus einsatztaktischen Gründen bedeckt, verrät aber zumindest, dass Bundespräsident, Bundeskanzler und Innenminister einen permanenten Personenschutz haben. Dazu kommt ein situativer Personenschutz für bestimmte Personen in Anlassfällen, etwa bei konkreten Drohungen. „Aktuell werden Personen in einem niedrigen zweistelligen Bereich beschützt“, erklärt Ressortsprecherin Kerstin Mitterhuber. Sie berichtet ebenfalls von einem tendenziellen Anstieg an Drohungen gegen bestimmte politisch und öffentlich exponierte Personen seit der Pandemie, verstärkt durch Klimakrise sowie geopolitische Verwerfungen und Kriege. All dies fließt in die Einschätzung der Gefahrenlage mit ein.

Auskunftsfreudiger ist die SPÖ: Deren Parteichef Andreas Babler meldet ebenso wie die EU-Spitzenmandatar:innen Andreas Schieder und Evelyn Regner seine Termine bei Polizei und Staatsschutz, der dann entscheidet, wann er wie beschützt werden muss. Doch selbst die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures hat keinen durchgängigen Personenschutz, ebensowenig SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. Und selbst Minister:innen sind in Österreich mit dem Rad oder den Öffis unterwegs, was in anderen Ländern undenkbar wäre.

Keine Statistiken zu Gewalt in der Politik

Was es in Österreich auch nicht gibt, sind Statistiken zu Gewalt in der Politik. Die vermisst der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik schmerzlich. „In Deutschland hingegen versuchen mehrere Stellen, verbale und tätliche Attacken auf Politiker einigermaßen zu erfassen.“ Hier zeigt sich übrigens, dass Grünen-Politiker:innen am häufigsten betroffen sind, gefolgt von jenen der AfD.

In der Kriminalstatistik der österreichischen Polizei findet der Begriff „politisch motivierte Gewalt“ jedenfalls keine Erwähnung. Auf Nachfrage verweist das Innenministerium diesbezüglich jedoch auf den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht. Darin wird ein allgemeines Lagebild von islamistischem Extremismus und Terrorismus sowie Rechts- und Linksextremismus gezeichnet.

„Auch aus der wissenschaftlichen Sicht ist dieses Feld komplett unbeackert“, stellt Ennser-Jedenastik fest. Er selbst will in den nächsten Monaten Politiker:innen dazu befragen. „Das wird aber auch nicht sehr repräsentativ“, relativiert er. „Vielleicht ist das Phänomen bei uns noch zu selten, als dass sich jemand aufgerafft hat, valide Daten dazu zu sammeln.“ Bedeuten kaum allgemein bekannte Fälle, dass es tatsächlich kaum Fälle gibt? „Das mag sein, aber wissen tun wir es eigentlich nicht“, sagt der Politologe. „Es beginnt erst dann jemand, diese Dinge zu erfassen und Daten zu sammeln, wenn es eine gewisse Zahl an Fällen gibt.“


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Meri Disoski, Nationalratsabgeordnete der Grünen

  • Laurenz Ennser-Jedenastik, Professor für Österreichische Politik im europäischen Kontext am Institut für Staatwissenschaften der Universität Wien.

  • FPÖ-Presseteam

  • Kerstin Mitterhuber, Sprecherin des Innenministeriums

  • Anna Stürgkh, Listenzweite der Neos bei der EU-Wahl

  • Florian Tietze, Pressesprecher des Neos-Parlamentsklubs

  • Peter Treml, Pressesprecher der ÖVP

Quellen

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