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Der Platz vor dem BORG Dreierschützengasse in Graz wird zum Ort der Anteilnahme. Jugendliche, Anrainer:innen und Helfende zeigen Mitgefühl – und fordern Konsequenzen. Die Politik diskutiert über Maßnahmen.
Wie ein menschlicher Schutzschild stehen sie da – Schulter an Schulter, in grünen Jacken: die Mitarbeiter:innen des Kriseninterventionsteams. Vor dem BORG Graz Dreierschützengasse schirmen sie am Mittwoch weinende Jugendliche vor den Kameras der Medien ab. Die jungen Menschen sind gekommen, um zu trauern. Am Tag zuvor hatte ein 21-jähriger Ex-Schüler an ihrer Schule acht Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren, eine Lehrerin und schließlich sich selbst getötet.
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Die Flammen der Kerzen flackern, Blumensträuße liegen dicht gedrängt zusammen mit Stofftieren vor dem Eingang der Bildungseinrichtung. Die Hand der einen auf der Schulter der anderen. Ein Bursche kommt in schwarz gekleidet mit einer einzelnen Rose. Um Punkt zehn Uhr wird es still - eine österreichweite Trauerminute.
„Wir Schüler wollen jetzt einfach nur unsere Ruhe“
Nur kurz währt die Stille. Danach setzen sich erneut Kameras und Reporter:innen in Bewegung. Besonders die internationalen Fernsehteams „halten drauf“. „Wir Schüler wollen einfach nur unsere Ruhe haben“, sagt ein Mädchen mit Haarreif im Vorbeigehen.
Viele der Jugendlichen kommen vom in der nahegelegenen Helmut-List-Halle eingerichteten Kriseninterventionszentrum zur Schule. Der Unterricht wurde ausgesetzt. Vier Freundinnen überqueren gerade den Zebrastreifen, als eine Frau auf dem Fahrrad vor ihnen bremst. „Anna!“, ruft sie. Die Jugendliche fällt ihr sofort in die Arme, bricht in Tränen aus, schluchzt laut auf. “Es ist so schlimm.” Die Erwachsene hält das Kind ganz fest. “Es ist ein Wahnsinn.”
Graz hält den Atem an
Tönten am Dienstag noch ununterbrochen die Sirenen der Einsatzkräfte durch die Straßen der Stadt, ist es am Mittwoch auffallend still. Judith, 39, kommt aus der Nachbarschaft. Sie hat den Einsatzbeginn miterlebt, ist heute zum Gedenken vor die Schule gekommen. „Wir müssen zusammenhalten“, sagt sie. „Die Kinder brauchen mehr Sicherheit.“ Für sie steht fest: „Privatpersonen sollten keine Waffe besitzen. Eine Waffe ist ein Tötungsmittel, kein Spielzeug.“ Der Täter hatte seine beiden Schusswaffen legal besessen.
Auch politisch wird über ein schärferes Waffengesetz diskutiert. Bürgermeisterin Elke Kahr sprach sich in der ZIB2 für ein generelles Waffenverbot für Privatpersonen aus. Weitere Maßnahmen stehen im Raum: mehr psychologisches Fachpersonal an Schulen, verschärfte Sicherheitsauflagen und Monitoring von auffällig aggressiven Schüler:innen. In Graz tagen politische Gremien dazu.
Sprengsatz, Abschiedsbotschaft – und Nachahmer
Währenddessen ermittelt die Polizei weiter. Bei einer Hausdurchsuchung wurden eine selbstgebaute Rohrbombe sowie ein Abschiedsvideo entdeckt, das der Täter an seine Mutter gesendet hatte. Auch ein handschriftlicher Abschiedsbrief wurde sichergestellt. Das Motiv bleibt weiter unklar.
Der Fall hat bereits Nachahmungstäter auf den Plan gerufen. Wie Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, am Mittwoch sagte, kam es zu mehreren Drohungen: Am Dienstag etwa zu einer Bombendrohung gegen den Grazer Hauptbahnhof, am Mittwoch zu einem Schreiben gegen eine weitere Schule.
Erste Reaktionen
Besonders Jugendliche in Graz sind erschüttert, das merkt man, wenn man sich in Bussen und auf öffentlichen Plätzen umhört. „Immer wenn wir auf die Straße gehen, haben wir den Gedanken, dass etwas passieren kann“, sagt die 16-jährige Schülerin Simone am Jakominiplatz in der Innenstadt. Es herrscht Entsetzen, Wut, Unsicherheit.
Doch es gibt auch Zeichen des Zusammenhalts. Am Dienstagabend versammelten sich Hunderte Menschen zu einem stillen Lichtermeer am Grazer Hauptplatz. Beim Roten Kreuz standen Spender:innen bis zwei Uhr morgens Schlange – für die Verletzten, die inzwischen außer Lebensgefahr sind. Auch am Mittwoch und Donnerstag finden Sonder-Blutspendeaktionen statt.
Am Donnerstag wird die Staatstrauer in Österreich fortgesetzt. Doch schon jetzt ist klar: Der Schmerz sitzt tief.
Falls du Sorgen oder Ängste hast, hier ein paar Kontakte:
- Die Bildungsdirektion Steiermark hat eine Hotline für schulpsychologische Betreuung eingerichtet: 0664/ 80 345 55 665
- Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr
- Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01/ 31330, täglich 0–24 Uhr
- Rat auf Draht: 147. Beratung für Kinder und Jugendliche. Anonym, täglich 0–24 Uhr
- PsyNot Steiermark 0800 449933
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Infos und Quellen
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
- Kleine Zeitung: Wie sich Bürgermeisterin Elke Kahr Medien stellt, aber deren Logik entzieht
- Der Standard: Lernen unter psychischer Belastung: Wie es in den Grazer Schulen nun weitergeht