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Heidelbeeren, Klopapier und Hungern: Mein SkinnyTok-Versuch

7 Min
SkinnyTok lebt von Sprüchen, die zum Abnehmen motivieren sollen.
© Illustration:WZ

„Hör auf zu essen und du wirst glücklich“, „Dein Magen knurrt nicht, er applaudiert dir“ − Content wie dieser dominiert meine For You Page auf TikTok. Wie bin ich hier gelandet? Und wie tief gerate ich rein? Ich begebe mich in die SkinnyTok-Bubble.


Hinweis: In diesem Artikel geht es um ungesunde Körperbilder und Essstörungen. Falls du auf diese Themen sensibel reagierst, lies diesen Beitrag vielleicht mit einer vertrauten Person, mit der du auch unterbrechen kannst, um dich mit ihr über das Gelesene zu unterhalten.

Ich schaue auf Instagram What I eat in a day-Reels, also Videos, in denen Content-Creator:innen zeigen, was sie an einem Tag essen, suche auf Instagram und TikTok nach Low-Calorie-Rezepten, stoße auf Reels, in denen Frauen erklären, warum es Geld spart, dünn zu sein, und warum Männer mich erst lieben werden, wenn ich unter 50 Kilo wiege. Andere filmen sich beim Eiswürfelschneiden, um Kalorien zu sparen, zeigen, dass man kein Fett zum Anbraten braucht, schließlich könne man ja einfach eine Gurke nehmen, um die Pfanne damit einzureiben. Ich schaue weiter, finde SkinnyTok-Influencerinnen, die einstudierte Phrasen, die erst mal wie Kalendersprüche von Boomern klingen, runterrattern: „Möchtest du lieben oder geliebt werden? Mir egal, solange ich dünn bin.“

Nach wenigen Stunden ist mein Algorithmus eingestellt. Ich bin in der SkinnyTok-Bubble gelandet. Dort stoße ich auf Liv.

Liv ist dünn. Und dieses Adjektiv fasst das, was ihre Online-Persönlichkeit ausmacht, zusammen. Sie tituliert sich selbst als „Skinni Coach“ und ist Gründerin des Clubs „Skinny Society“. Liv’s TikTok-Profil wurde gesperrt, weil ihre Diät-Tipps als Verstoß gegen die Community-Richtlinien eingestuft wurden, auf Instagram predigt sie weiterhin ihre Skinny-Girl-Tipps. Tausende junge Frauen vernetzen sich mit Liv, um sich Ratschläge zu holen: Wie bekomme ich ein Skinny-Mindset? Wie viele Schritte soll ich täglich gehen? Und das Wichtigste: Wie bekomme ich dieses nervige Hungergefühl weg?

Ich finde einen Link zu Livs Telegram-Gruppe und klicke drauf.

P. und Markus, die können mir helfen

Nach zwei Minuten schreibt mir P., die meinen Kontakt anscheinend aus der Skinny-Girl-Gruppe hat. „Hi, ich habe gesehen, du möchtest abnehmen?“ P. stellt sich als Paula vor und bietet mir Hilfe beim Abnehmen an. Ein Profilfoto hat sie nicht. Dafür verlangt sie gleich ein Foto von mir, einen sogenannten Bodycheck. Bei diesem Bodycheck soll ich Paula Fotos von meinem Körper vor einem Spiegel schicken, am besten aus verschiedenen Perspektiven. Um mich wirklich unterstützen zu können, müsse sie schließlich sehen, wie meine Figur aussieht. Ich schicke P. Fotos (die ich auf Pinterest gefunden habe) von „meinem“ Bauch. Als das erledigt ist, will P. mehr sehen. Meine Beine. Ich schicke ihr diese. Angezogen. Ich sage P., dass ich in der Schule sei, schließlich ist die Person Skinny Girl xx, als die ich mich ausgebe, gerade 18 Jahre alt. Ich solle aufs Klo gehen. „Hast du Klopapier da? Dann verdeck damit deinen Intimbereich, ich muss sehen, wie sehr die Beckenknochen schon rauskommen.“ Ich antworte zwei Minuten nicht, P. wird wütend, ob ich ihr nicht vertrauen kann. Über sie verrät sie mir übrigens nichts, auch wenn ich gezielt nachfrage. Ob sich hinter P. ein älterer Mann oder tatsächlich die junge Fitness-Paula versteckt, erfahre ich nicht. Dafür erfahre ich, dass es P. überhaupt nicht gefällt, wenn ich nicht das tue, was sie mir befiehlt. P. beginnt, mich zu beschimpfen, mir zu sagen, dass ich nicht genug für mein Ziel täte. Wenn es mir so wichtig wäre, abzunehmen, könne ich wohl diese Fotos schicken und gehorchen. „Dann halt nicht.“ P. blockiert mich.

Ein halb gegessener Apfel, eingewickelt in ein Maßband mit deutschen Textblasen über Ernährung.
Selbsternannte Coaches schreiben mir auf Telegram.
© Illustration: WZ

„Heidelbeeren machen dick“

Ein neuer Chat poppt auf: Markus. Markus ist im Gegensatz zu P. sehr höflich, fragt zuvorkommend, ob es in Ordnung sei, dass er mich anschreibt, er sei Coach und hätte gesehen, dass ich den Skinny-Girl-Gruppen beigetreten bin. Was ist mein Ziel? Ich sage ihm, ich sei 1,70 Meter groß und 47 Kilo schwer, dass ich aber gern 44 Kilo hätte. Damit hätte ich einen BMI von 15,2. Laut BMI, der als internationaler Richtwert gilt, ist das kritisch untergewichtig. „44 Kilo, das kriegen wir hin“, versichert mir Markus.
Er möchte wissen, was ich heute schon gegessen habe. Es ist 17 Uhr, ich schreibe ihm: „Ein paar Heidelbeeren.“ Er antwortet: „Fruchtzucker ist schlecht, macht dick.“ Das Geheimnis seien viele Schritte täglich, und ich solle ja keinen Sport machen, da würde ich nur an Muskelmasse zunehmen, und Muskeln wiegen mehr als Fett. Es geht noch eine Weile so weiter, ich gestehe ihm, dass mir schwindlig sei, weil ich so wenig esse. Er gibt mir den Tipp, einen kleinen Bissen Schwarzbrot zu essen. Danke, Markus!

Sind Coaches wie Paula und Markus das Pendant zu Finanz-Füchsen, die mit „Komm in die Gruppe, Geld-Emoji, Geld-Emoji, Geld-Emoji“ locken wollen? Was haben sie davon? Ist es Hilfsbereitschaft? Kontrolle über andere? Macht? Ein Fetisch?

Parallel trete ich auch der Telegram-Gruppe des russischen Models kxrpova bei, die vor allem ihren sehr dünnen, durchtrainierten Bauch auf Instagram in Pose setzt und ihre Follower:innen täglich auf die Reise mitnimmt, was sie isst. Sie schreibt auf Russisch und Englisch, um möglichst viele Mitglieder abzuholen. Die Kommentar-Funktion ist in all diesen Gruppen ausgeschaltet. Sie erzählt den Teilnehmer:innen der Gruppe, was sie heute schon gegessen hat, schickt Fotos ihrer Outfits und nimmt mich bei ihrem ganzen Tag mit. Ab und zu zeigt sie ein Keks, das würde sie sich heute gönnen.

„Du bist kein Hund, du brauchst keine Belohnung!“

Ich wechsle kurz von Telegram auf Instagram, die Seite ist dank meines Algorithmus voller SkinnyTok-Videos. Ich werde motiviert: „Du schaffst das, trink den Hunger einfach weg.“ Während ich durch meinen Feed scrolle, wird mir bewusst, wie weit dieser Trend geht.

Doch für viele ist es mehr als ein Trend. SkinnyTok ist der tägliche Begleiter, der beim einzigen Ziel einer Frau, nämlich dünn zu sein, hilft. Tausende junge Mädchen und Frauen schreiben: „Kommentiere, um bei SkinnyTok zu bleiben.“ Damit meinen sie: „Kommentiere, damit der Social-Media-Algorithmus dir weiterhin diese Reels ausspielt.“

Es ist kein neues Phänomen. Für Boomer war es Kate Moss mit ihrer Aussage „Nothing tastes as good as skinny feels“ (auf deutsch: Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt), für Millennials waren es Bilder von Thigh Gaps auf Tumblr, für Generation Z ist es der SkinnyTok-Trend. Der gemeinsame Nenner: das Versprechen, dass dein Leben besser wird, wenn du dünn bist! Der Unterschied: Auf TikTok und Instagram verbreiten sich solche Inhalte durch den Algorithmus schneller und werden von Menschen wie dir und mir geteilt, was sie für uns greifbarer macht. Vermeintliche Abnehmtipps entwickeln sich mithilfe dieses Trends zur gefährlichen Romantisierung von Essstörungen.

Social-Media-Plattformen wie TikTok sind Kanäle der Selbst-Optimierung und -Inszenierung. Sie haben einen enormen Einfluss auf das Selbstbild der User:innen. Das zeigt auch eine australische Studie, in der 273 Teilnehmerinnen ohne Essstörungen Videos von essgestörten Protagonistinnen gezeigt wurden. Bereits nach sieben bis acht Minuten hatten die Videos einen negativen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper.

Achtung Trigger-Warnung!

Auf meinem Smartphone-Bildschirm bleibt es inspirierend. Ich stoße auf weitere Kommentare von User:innen: „Diese Worte haben mein Leben verbessert“, schreiben manche. „Mich haben diese Worte ins Krankenhaus gebracht“, schreiben andere.

Darauf reagieren manche SkinnyTok-Influencerinnen, sie sprechen Trigger-Warnungen aus, warnen also, dass die Inhalte, die sie vermitteln, belasten könnten. Und außerdem, wenn es jemanden belasten sollte, könnte diese Person doch einfach weiterscrollen. Ob so die Psyche von jungen Menschen, die chronisch online sind und ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Körper haben, funktioniert? Aber worüber regen die sich überhaupt auf? Einige Content-Creatorinnen sprechen doch eh nur gezielt dicke Frauen an. Dick, erklären sie, sind Frauen, die über 70 Kilogramm wiegen, egal wie groß sie sind.

Ich erwische mich dabei, wie ich überlege, ob die Scheibe Toast zu meinem Salat wirklich notwendig ist. Ich wische vertikal über meinen Smartphone-Screen, lösche Instagram, TikTok und Telegram aus meinem Verlauf. Genug Internet für heute.

Fühlst du dich von den Inhalten dieses Artikels emotional belastet oder überfordert? Hol dir Unterstützung:

Ein Gespräch mit vertrauten Menschen kann helfen, den Kopf zu klären und den nächsten Schritt zu gehen. Hier findest du weiterführende Informationen und Notfallkontakte, die dir zur Seite stehen können. Die Telefonseelsorge unter 142, die Rat auf Draht-Hotline für Kinder und Jugendliche unter 147 sowie die Hotline für Essstörungen unter 0800 20 11 20 bieten dir jederzeit Unterstützung und ein offenes Ohr.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Nora Schäffler lässt sich auf TikTok gern von gesunden Rezepten und Fitness-Routinen inspirieren. Schnell holt sie der Algorithmus ein und sie stößt auf die Welt von SkinnyTok.

Daten und Fakten

  • TikTok, seit 2018 die führende Social-Media-App für Generation Z, lebt von Trends wie Tänzen, Rezepten, Challenges und Lebensphilosophien. Die Plattform bietet kurze, virale Inhalte, die sich rasant verbreiten und das Nutzer:innenverhalten stark beeinflussen.

  • Eine australische Studie der Charles Sturt University untersuchte den Einfluss von TikTok-Videos auf das Körperbild von jungen Frauen. In der Studie wurden 900 Teilnehmerinnen im Alter von 16 bis 24 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits sieben bis acht Minuten des Betrachtens von Videos, die extrem schlanke Körper und ungesunde Diät-Tipps zeigen, das Selbstbild negativ beeinflussen und das Risiko für Essstörungen erhöhen.

  • In WIEIADs (steht für What I Eat In a Day) zeigen Content-Creator:innen, was sie an einem Tag essen. Oft geben sie dabei die Nährwerte und Kalorien der Speisen an. Die Videos sind auf verschiedenen Plattformen wie TikTok, YouTube und Instagram zu finden.

  • Der BMI (Body-Mass-Index) ist eine Maßzahl zur Klassifizierung des Körpergewichts eines Menschen in Relation zu seiner Körpergröße. Das Ergebnis wird in übergewichtig, normalgewichtig und untergewichtig eingeteilt. Er steht jedoch immer wieder in der Kritik, weil er weder die Statur noch das biologische Geschlecht oder die individuelle Zusammensetzung von Fett- und Muskelgewebe berücksichtigt. Die Zahl dient daher nur einer groben Einschätzung.

  • Gen Z spricht von einer Bubble, wenn jemand nur noch Informationen bekommt, die seine eigenen Meinungen und Ansichten bestätigen. Durch Algorithmen auf Internetseiten passiert es oft, dass den Nutzer:innen vor allem Inhalte angezeigt werden, die zu ihren bisherigen Meinungen passen. So bleibt man in seiner „Blase“ und bekommt wenig bis keine anderen Perspektiven zu sehen, die den eigenen Standpunkt herausfordern.

  • Ein Algorithmus auf Social Media ist eine Art intelligente Auswahl, die bestimmt, welche Beiträge angezeigt werden. Er analysiert, welche Inhalte gemocht oder angesehen werden, und zeigt dann mehr davon, um das Interesse zu wecken und die Nutzer:innen länger auf der Plattform zu halten.

  • Ein Thigh Gap ist der Abstand zwischen den Oberschenkeln, wenn die Beine oben auseinander stehen, aber an den Knien nicht zusammenkommen. Auf Social Media wurde dieser Abstand in den 2010er-Jahren als Schönheitsideal gefeiert, was zu einem ungesunden Körperdruck führte und Essstörungen förderte.

  • Liv Schmidt, Skinni Coach, wurde von TikTok gesperrt, weil sie Inhalte teilte, die unrealistische und gefährliche Schönheitsideale förderten. Sie gab Diät-Tipps und Ratschläge zur Gewichtsreduktion, die als Verstoß gegen die Community-Richtlinien bezüglich Essstörungen eingestuft wurden. Ihr Instagram-Profil bleibt aber erhalten.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien