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Heim-DNA-Tests unter der Lupe

5 Min
Heim-DNA-Tests boomen. Aber sie werfen Fragen hinsichtlich Aussagekraft und Datenschutz auf.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Susanne findet über einen Heim-DNA-Test ihren Halbbruder. Doch Expert:innen warnen vor den versteckten Risiken der Wohnzimmertests.


„Laut unseren Gentests gibt es bei uns eine Übereinstimmung von 25 Prozent.“ Diese Nachricht erhält Susanne (Name von der Redaktion geändert) von einem fremden Mann, nachdem sie einen Heim-DNA-Test mit der israelischen Firma MyHeritage gemacht hat. Sie kann es kaum glauben, weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Die Neugierde packt sie. Es folgen ein langer E-Mail-Verkehr, Telefonate, das erste persönliche Treffen.

Nach dem Gentest ihres Vaters weiß sie es mit voller Gewissheit: Der bis vor kurzem unbekannte Mann ist ihr Halbbruder. Er und ihr Vater haben ein Match von 99,9 Prozent.

Heim-DNA-Tests boomen. Ob MyHeritage, Ancestry oder 23andMe – viele setzen auf die Testkits der Unternehmen, um verschollene Verwandte zu finden, mehr über ihre ethnische Herkunft zu erfahren oder über Anfälligkeiten für Erkrankungen. Die Tests sind günstig (ab 39 Euro), der Ablauf unkompliziert: Speichelprobe einschicken und fertig. Nach wenigen Wochen ist das Ergebnis online abrufbar.

Der Haken? Die Aussagekraft ist oft gering, während Konsument:innen die Genealogie-Riesen mit höchst sensiblen Daten füttern.

Genetisches Roulette

Susanne hat sich schon in ihrer Kindheit nach einem großen Bruder gesehnt. „Ich hatte immer das Gefühl, dass einer fehlt“, sagt sie im Gespräch mit der WZ. Ihr Halbbruder haderte anfangs mit der Wahrheit, hatte er doch sein Leben lang angenommen, jemand anderer sei sein Vater. Auch ihr gemeinsamer Vater wusste bis zu diesem Zeitpunkt nichts von einem weiteren Kind. Letztendlich war die Gewissheit befreiend und schön. „So eine Enthüllung ist natürlich heikel, Familien können auseinanderbrechen“, weiß Susanne.

Ihre Geschichte zeigt: Heim-DNA-Tests sind effektiv, um unbekannte Verwandte aufzuspüren. Wenn es darum geht, die eigene Herkunft besser zu verstehen, stoßen sie aber auf Grenzen: Unterschiedliche Anbieter haben unterschiedlich große Datenbanken und Gen-Gruppen, was zu variierenden Ergebnissen führt. So kann man einmal zu 15 Prozent Osteuropäer:in sein, ein anderes Mal zu 30 Prozent. Es stellt sich die Frage: Wo fängt eine Ethnie an und wo hört eine andere auf? Eine klare Abgrenzung ist schwierig, da ethnische Zugehörigkeiten auf verschiedenen, oft überlappenden Merkmalen basieren.

Besonders beim Erforschen von Gesundheitsrisiken mittels Heim-DNA-Test ist es ratsam, vorsichtig zu sein: „Viele dieser angebotenen Tests erlauben nur Wahrscheinlichkeitsangaben für das zukünftige Auftreten von Erkrankungen“, sagt Markus Hengstschläger, Genetiker und Leiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik der Medizinischen Universität Wien, gegenüber der WZ. Dabei handle es sich aber oft um „multifaktorielle Erkrankungen“, für deren Entstehung mehrere Gene relevant sind und auf die auch die Umwelt einen großen Einfluss hat. Hengstschläger empfiehlt, sich vor und nach dem Heim-DNA-Test von Expert:innen beraten zu lassen, was in der Regel jedoch nicht der Fall sei: „Ergebnisse von genetischen Untersuchungen, die nicht richtig erläutert und schließlich auch nicht richtig verstanden werden, können mehr schaden als nutzen, weil sie falsche Sicherheit geben oder grundlose Ängste schüren können.“

Eine DNA kann man im Grunde nicht anonymisieren.
Christian Kern, Rechtsanwalt bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte | Deloitte Legal

Datenschutz im Visier

Auch Überlegungen hinsichtlich Datenschutzrisiken sind wichtig, wenn man einen Heim-DNA-Test in Erwägung zieht. „Eine DNA kann man im Grund nicht anonymisieren“, sagt Christian Kern, Rechtsanwalt bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte | Deloitte Legal, im WZ-Interview. „Unternehmen müssen transparent angeben, was mit den genetischen Daten passiert und vor allem, ob und an wen sie weitergegeben werden.“ Kund:innen sollten daher genau überprüfen, ob ihre Daten „möglicherweise für Sekundärzwecke verwendet werden, wie etwa Datenabgleich, Forschung oder sogar den Verkauf an andere Datenbanken oder die Pharmaindustrie“. Besonders bei unklaren, unverständlichen Begriffen in den Datenschutzinformationen sei die Gefahr diesbezüglich eventuell höher.

Die kostenlose Analyseplattform GEDmatch trug etwa 2018 dazu bei, den „Golden State Killer“ aus den 1970er- und -80er-Jahren zu identifizieren, indem Ermittler seine an Tatorten gefundene DNA in die Datenbank einspeisten. Daraufhin öffnete die US-Firma FamilyTreeDNA still und heimlich ihre Datenbank für das FBI und informierte ihre Kund:innen erst Monate später. Diese fühlten sich hintergangen. Als Reaktion auf den starken Gegenwind erschwerte die Firma nachträglich den Zugriff für Strafverfolgungsbehörden, mit der Möglichkeit, ihn als Nutzer:in ausdrücklich abzulehnen.

Im Kontext nationaler Sicherheit müssen Firmen jedoch nicht immer alle Informationen offenlegen, was dazu führen kann, dass Betroffenenrechte eingeschränkt werden. „Besonders in Drittstaaten wie den USA, in denen solche Labore häufig angesiedelt sind, besteht das Risiko, dass Behörden Zugriff auf die Daten haben oder zukünftig haben werden. Den Betroffenen ist das oft nicht bewusst“, erklärt Kern.

Ahnenforschung geht auch anders

Wenn man Ahnenforschung betreiben will, ist dafür nicht zwangsläufig ein DNA-Test notwendig. Unternehmen wie MyHeritage und Ancestry bieten auch kostenlose Online-Stammbaum-Datenbanken sowie die Recherche in historischen Dokumenten an. Ein noch traditionellerer Weg wäre das Befragen von älteren Familienmitgliedern und das Sammeln alter Dokumente wie Fotos, Tagebücher und Briefe. Kirchenbücher und Personenstandsregister sind ebenfalls wichtige Quellen, außerdem lokale Archive und Bibliotheken.

Susanne bereut den Heim-DNA-Test nicht. Neben ihrem Halbbruder lernte sie auch eine entfernte Verwandte in den USA kennen, mit der sie spannende Informationen zu ihrer Familiengeschichte austauschte. „Man sollte die Abstammungsergebnisse aber nicht zu ernst nehmen“, rät sie. Ihr eigenes Leben wurde dennoch auf den Kopf gestellt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Susanne (Name von der Redaktion geändert)

  • Markus Hengstschläger, Genetiker, Leiter des Instituts für Medizinische Genetik und Organisationseinheitsleiter des Zentrums für Pathobiochemie und Genetik an der Medizinischen Universität Wien

  • Christian Kern, Rechtsanwalt bei Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte | Deloitte Legal, Schwerpunkt auf Datenschutzrecht, Informationstechnologierecht und Arbeitsverfassungsrecht

Daten und Fakten

  • Was ist eine DNA?
    Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) ist eine Molekülstruktur, die genetische Informationen in lebenden Organismen trägt. Sie besteht aus zwei langen Ketten von Nukleotiden, die sich zu einer Doppelhelix verbinden. Jeder Nukleotid,also jeder DNA- und RNA-Baustein, besteht aus einem Zucker (Desoxyribose), einer Phosphatgruppe und einer von vier möglichen Basen: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Die Reihenfolge dieser Basen entlang der DNA-Kette bildet den genetischen Code, der die Anweisungen für die Entwicklung, Funktion und Vererbung von Organismen enthält. Die DNA ist daher der Träger der genetischen Information und spielt eine zentrale Rolle in der Biologie und Genetik.

  • Was ist Genealogie? Was sind Genealogie-Firmen?
    Genealogie ist die Erforschung der eigenen Familiengeschichte und Abstammung. Sie umfasst das Sammeln, Analysieren und Dokumentieren von Informationen über die Vorfahren einer Person, einschließlich ihrer Namen, Daten und Orte von Geburt, Heirat und Tod. Das Ziel der Genealogie ist es, die familiäre Herkunft und Verbindung zu früheren Generationen zu verfolgen und zu verstehen. Genealogie-Unternehmen bieten Dienstleistungen und Ressourcen zur Erforschung der Familiengeschichte an. Dazu gehören der Zugang zu historischen Aufzeichnungen wie Geburts- und Heiratsurkunden, DNA-Tests zur Entdeckung der genetischen Herkunft, Verwandtschaft und Stammbaum-Softwares.

  • Wurden Genealogie-Firmen schon einmal gehackt?
    Genealogie-Firmen wurden in der Vergangenheit Opfer von Datenlecks und Hacks. 2023 wurde etwa die Firma 23andMe Opfer eines massiven Datenlecks, bei dem die Daten von fast sieben Millionen Nutzern kompromittiert wurden. Die Hacker hatten Zugriff auf sensible genetische Informationen sowie persönliche Daten wie Namen und Adressen. Besonders besorgniserregend war, dass die Hacker speziell nach Nutzern mit jüdischer oder chinesischer Abstammung suchten, und die Daten anschließend zum Verkauf anboten.

  • Was kann am Begriff „Ahnenforschung“ problematisch sein?
    Der Begriff „Ahnenforschung“ kann problematisch sein, da er historisch gesehen mit Ideen von „Rassenreinheit“ in Verbindung gebracht wurde. In der Vergangenheit wurde Ahnenforschung oft von rechtsextremen Gruppen missbraucht, um eine angebliche Überlegenheit bestimmter ethnischer oder rassischer Gruppen zu behaupten und die Diskriminierung anderer zu rechtfertigen. Die Betonung der eigenen „reinen“ Abstammung und die Suche nach Verbindungen zu vermeintlich „edlen“ Vorfahren wurden oft dazu genutzt, extremistische Ideologien zu stärken. In jüngerer Zeit haben einige rechtsextreme Gruppen DNA-Tests für sich beansprucht, um ihre rassistischen Ansichten zu unterstützen.

Quellen

Das Thema in anderen Medien