)
Das erste SOS-Kinderdorf steht in der Tiroler Gemeinde Imst. Gründer Hermann Gmeiner war dort ein lokaler Held. Nun wurden schwere Missbrauchsvorwürfe gegen ihn öffentlich und die Stadt ringt mit dessen Erbe.
Dieser Text beginnt mit einer Offenlegung: Die Autorin ist eine gebürtige Imsterin. Über Jahre trottete sie die „Rofenstiege“ hinauf zur Schule, stand im Sommer bis zu den Knien im Marienbrunnen in der Floriangasse und erklärte die „blaue Grotte“ zum spannendsten Ort der Welt. Wenige Dinge waren omnipräsent, die meisten Sachen aus dem Sachunterricht in der Volksschule schnell wieder vergessen, nur dem SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner begegnete man immer wieder. Da waren Freundinnen, die in der Hermann-Gmeiner-Straße wohnten, Fußballturniere gegen die Hermann-Gmeiner-Volksschule, der renovierte Hermann-Gmeiner-Kindergarten, den man neidisch beäugte, eine grinsende Bronze-Statue von ihm vor der Johanneskirche, eine andere, zugegeben etwas Gruslige, vor dem Pflegezentrum.
- Für dich interessant: Die ausgestoßene Kompanie
Hermann Gmeiner war so etwas wie ein lokaler Held. Eine moralische Instanz, auf die sich alle verständigen konnten. 1951 eröffnete er am Imster Sonnberg das erste SOS Kinderdorf, um verwaisten Kindern der Nachkriegszeit ein neues Zuhause zu geben. Das Grundstück hatte ihm die Gemeinde günstig zur Verfügung gestellt. Es folgten weitere, auch international. Heute ist die Organisation in mehr als 130 Ländern tätig, weltweit werden rund 65.300 Kinder von ihr betreut. „Wir helfen Kindern und Jugendlichen in Not“, liest man auf der Website.
Für die Stadt Imst wurde das erste SOS-Kinderdorf dementsprechend zu einer Art Symbol: Schaut her, hier nahm etwas Gutes seinen Anfang und wir haben mitgeholfen!
Die Causa Moosburg
Mitte September deckte die Wiener Wochenzeitung Falter auf, dass Pädagogen des SOS-Kinderdorfs Moosburg in Kärnten Kinder systematisch misshandelt haben sollen. Sie wurden eingesperrt, nackt fotografiert, geschlagen. Die Organisation wusste Bescheid, hielt aber alle Beweise unter Verschluss. Es folgten weitere Vorwürfe, auch gegen das SOS-Kinderdorf in Imst. Mittlerweile ermitteln die Staatsanwaltschaften in Klagenfurt, Innsbruck und Salzburg.
Nun hat die Organisation öffentlich gemacht, dass auch der verstorbene Gründer Hermann Gmeiner in den 1980er-Jahren an zumindest acht minderjährigen Burschen „sexuelle Gewalt und Misshandlungen“ ausgeübt haben soll. Die Betroffenen hätten in den Jahren 2013 bis 2023 ein Opferschutzverfahren durchlaufen und eine Entschädigungszahlung von bis zu 25.000 Euro und Therapieeinheiten erhalten.
„Das SOS-Kinderdorf war eine Glaskugel“
Was sich durch alle Vorwürfe zieht: Systematisches Schweigen, Wegschauen und eine Organisation, die sehr gerne unter sich bleibt. In einem Statement erklärt die Stadtgemeinde Imst der WZ: „Generell ist zu sagen, dass das SOS-Kinderdorf auch in Imst wie eine Glaskugel funktionierte, wo Themen nicht nach außen getragen und unter Verschluss gehalten wurden.“
Die zwei Imster Hermann-Gmeiner-Skulpturen hat man dort gestern nach Bekanntwerden der Vorwürfe vom städtischen Bauhof entfernen lassen. Die Hermann-Gmeiner-Schule, der Hermann-Gmeiner-Kindergarten und die Hermann-Gmeiner-Straße sollen umbenannt werden. „Missbrauch ist nicht zu entschuldigen und hier gibt es eine Null-Toleranz-Politik“, so Bürgermeister Stefan Weirather, er habe bereits mit Kolleg:innen des Stadt- und Gemeinderates Gespräche dazu geführt.
Der Schatten, den Hermann Gmeiner auf die Stadt wirft, spürt man trotzdem noch. Über Jahre hat man sich hier in Imst mit dem ersten SOS-Kinderdorf gerühmt, jetzt steht man da, mit einem Helden, der nie einer war und einer Geschichte, die nie das gute Ende genommen hat, das man eigentlich erzählen wollte. Statt der freundlichen Bronzestatue von Hermann Gmeiner sitzt nun ein mulmiges Gefühl vor der Johanneskirche.
Und das Gewissen, dass die Verehrung von Hermann Gmeiner hier zwar begonnen hat, aber hier auch enden wird.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Stellungnahmen
- Stadtgemeinde Imst
- Stefan Weirather, Imster Bürgermeister („Liste Alle für Imst“, ÖVP)
- SOS Kinderdorf: Aufarbeitung und Erneuerung: SOS-Kinderdorf legt Weg in die Zukunft fest
Daten & Fakten
- Das SOS-Kinderdorf ist der größte private Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Österreich und in allen Bundesländern aktiv. Im Jahr 2024 wurden rund 1.800 Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen betreut. Rund 2000 Mitarbeiter:innen arbeiten beim SOS-Kinderdorf.
- SOS-Kinderdorf deckt rund 75 Prozent seiner Finanzierung durch öffentliche Mittel ab, während etwa 25 Prozent der benötigten Gelder aus Spenden stammen.
Quellen
- SOS Kinderdorf: Jahresbericht 2024
Das Thema in anderen Medien
- Falter: SOS aus dem Kinderdorf
- ORF ZIB 2: SOS-Kinderdorf: „Wir glauben den Betroffenen“
- Der Standard: Aktuelle Missbrauchsvorwürfe gegen SOS-Kinderdorf-Gründer waren bereits seit 2013 bekannt
)
)
)
)
:focal(3368x1908:3369x1909))
)