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Georg Renner hat sich intensiv mit dem zweiten Sachstandsbericht zum Klimawandel beschäftigt - und fragt sich: Wie genießt man den Sommer, wenn die Fakten so unerbitterlich sind?
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust: Einerseits genieße ich das Wetter gerade sehr. Nach dem verregnet-kühlen Mai und gerade angesichts des Schulschlusses (sorry, Ostösterreich) sind diese Sommertage herrlich.
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Andererseits fällt es mir schwer, Hitzetemperaturen kognitiv von den Ergebnissen des zweiten Sachstandsberichts zum Klimawandel (AAR2) zu trennen, den das österreichische Klimaforschungsnetzwerk CCCA vergangene Woche vorgelegt hat. Über 200 Wissenschaftler:innen aus 50 Institutionen – so ziemlich alles, was in Klimaforschung, Ökologie, Komplexitätsforschung etc. Rang und Namen hat - haben drei Jahre lang an dem 800-Seiten-Wälzer gearbeitet, quasi so etwas wie der heimische IPCC-Bericht.
Den ganzen Bericht findest du hier – die Website ist exzellent aufbereitet, als alter Dinosaurier habe ich aber lieber das PDF hergenommen. Es gibt auch eine „Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung“, die meiner Ansicht nach aber ein bisschen gar bunt und eindeutig daherkommt – du findest sie hier.
Die Kernbotschaft des Berichts: Österreich erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt, und unsere Klimapolitik hinkt den physikalischen Realitäten hinterher.
Aber der Reihe nach. Was ist dieser AAR2 überhaupt?
Der „Zweite Österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel" ist die umfassendste wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Klimakrise in unserem Land. Nach dem ersten Bericht 2014 zeigt die aktuelle Ausgabe, wo wir heute stehen – und wohin die Reise geht, wenn wir so weitermachen wie bisher. Spoiler: Es wird ungemütlich.
Die Zahlen sind eindeutig: Seit 1900 ist die Durchschnittstemperatur in Österreich um 3,1 Grad Celsius gestiegen. Das klingt vielleicht nach nicht viel, aber zum Vergleich: Global sind es „nur" 1,6 Grad. Wir erwärmen uns also doppelt so schnell wie der Weltdurchschnitt, und das hat Konsequenzen. Zum Beispiel diese hier, am Beispiel des Neusiedler Sees:
Wir sehen: Der Langzeitdurchschnitt der Wassertemperatur – die gerade blaue Linie – ist binnen 50 Jahren um zwei Grad Celsius gestiegen – die Folgen für die Ökosysteme und Wasserverdunstung kann man sich ausmalen.
Nur eine der Auswirkungen des Klimawandels, der Bericht enthält viele weitere: Die Gletscher haben seit 1850 über 60 Prozent ihres Volumens verloren. Der Permafrost in den Alpen taut auf, was zu mehr Steinschlägen und Muren führt. Im Osten des Landes sinken die Grundwasserspiegel. Gleichzeitig nehmen Starkregenereignisse zu: Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad müssen wir mit 12 bis 24 Prozent mehr Starkregen rechnen.
Besonders hart trifft es die Städte. Wien etwa erlebt bereits heute doppelt so viele Hitzetage wie in den 1960er Jahren. Bei ungebremster Erwärmung könnten es bis 2100 achtmal so viele werden.
Was uns zur heimischen Klimapolitik bringt, die das Ziel hat, die menschgemachte Erderwärmung zu bremsen – idealerweise im Gleichschritt mit EU - und internationalen Partnern. Österreich hat sich politisch in der letzten Legislaturperiode ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Klimaneutralität bis 2040, zehn Jahre früher als die EU. Klingt gut, nur: Mit dem aktuellen Tempo kommen wir dort nie an.
2023 lag unser Treibhausgasausstoß bei 68,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Seit 1990 haben wir gerade einmal 13,7 Prozent reduziert – das ist deutlich weniger als der EU-Durchschnitt. Besonders ernüchternd: Österreich ist das einzige EU-Land ohne aktuell gültige nationale Klimaziele, weil das Klimaschutzgesetz von 2011 ausgelaufen ist und noch immer auf eine Novelle wartet.
Die Wissenschaftler:innen haben nachgerechnet: Um das 2040-Ziel zu erreichen, müssten wir unsere Emissionen jährlich um mindestens sieben Prozent senken. Tatsächlich schaffen wir im Schnitt nicht einmal zwei Prozent. Die Lücke bis 2030 beträgt bereits zehn Millionen Tonnen CO2 – das entspricht etwa dem gesamten Jahresausstoß der österreichischen Landwirtschaft.
Immerhin, es geht abwärts – aber nicht schnell genug. Der Bericht identifiziert zwei Hauptproblemfelder: Energie/Industrie und Verkehr. Zusammen sind diese beiden Bereiche für über 70 Prozent unserer Emissionen verantwortlich.
Der Verkehrssektor ist dabei das absolute Sorgenkind. Seit 1990 sind die Emissionen hier um 48 Prozent gestiegen – während sie eigentlich sinken sollten. Wie die folgende Grafik zeigt, wäre die Umstellung allein des Personenverkehrs auf Elektromobilität (also just der Bereich, den die neue Koalition nicht nur weniger fördert, sondern jetzt auch höher besteuert) da bereits ein Ansatz mit gewaltigem Potenzial:
Es gibt auber auch – halbwegs - gute Nachrichten: Technisch wäre Klimaneutralität bis 2040 machbar. Alle nötigen Technologien existieren bereits. Die wichtigsten Hebel laut dem Bericht wären:
Erstens: Raus aus Gas und Öl. Der komplette Ausstieg aus fossilen Energien hat oberste Priorität. Das bedeutet: Keine neuen Gasheizungen mehr, massive Beschleunigung der Gebäudesanierung, Elektrifizierung von Industrie und Verkehr.
Zweitens: Erneuerbare massiv ausbauen. Der bisherige Ausbau müsste um 60 Prozent beschleunigt werden. Besonders bei der Windkraft hapert es: Die Zonierungen sollten sich nach dem tatsächlichen Windpotenzial richten, nicht nach politischen Befindlichkeiten.
Drittens: Verkehrswende. Das bedeutet nicht nur mehr Öffis, sondern eine grundlegende Neuorganisation unserer Mobilität nach dem Prinzip „Vermeiden-Verlagern-Verbessern". Weniger Verkehr insgesamt, mehr Rad und Bahn, und was bleibt, elektrisch.
Viertens: Governance reformieren. Ein neues Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Sektorzielen, bessere Koordination zwischen den Gebietskörperschaften und – ja, auch das steht im Bericht – weniger Blockademacht für Partikularinteressen.
Harald Rieder, einer der Hauptautoren, hat es bei der Präsentation so formuliert: „Die gute Nachricht ist, wir tun in sehr vielen Bereichen etwas. Die schlechte Nachricht ist, wir tun in vielen Bereichen noch zu wenig."
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.