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Übelkeit, Schwindel, Fieber. Am Ende: Kollaps. Der Klimawandel schlägt zu. Die, die in der Hitze am Bau Schwerstarbeit leisten müssen, bekommen die klimatische Veränderung besonders drastisch zu spüren. Die WZ hat sich auf Baustellen umgehört.
Im Prater ist es ruhig und kühl, die Sommerhitze ist noch nicht angekommen. Zwischen Geisterbahn und dem „Gösser-Eck“ ist der Asphalt aufgerissen. Zwei Bauarbeiter – einer hat einen Rechen in der Hand – stehen da und machen Pause. Hitzefrei bei 32,5 Grad? Wenn es kalt ist, werde genauso gearbeitet wie in der Hitze, sagt einer der beiden – ein bulliger Mann, lange Haare, kein Helm. Volle Härte eben, kein Pardon. „Punkt zwei: Die Älteren halten mehr aus als die Jungen“, betont der andere.
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„Bei 40 Grad geh ich heim“
Grenzenlos ist die Dienstbereitschaft der beiden Routiniers nicht, wie im Gesprächsverlauf klar wird: „Wenn ich bei Schalungsarbeiten in großer Höhe stehe und es hat 40 Grad im Schatten, ruf ich bei der BUAK (Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse, Anm.) an und gehe heim“, sagt der Arbeiter mit den langen Haaren. Der Chef lege sich in solchen Fällen nicht quer. In dieser Situation gelte die Schlechtwetter-Regelung, dann trete der „60er“ in Kraft. Die Beschäftigten haben frei und bekommen 60 Prozent ihres Lohns ausbezahlt.
In der Tat ist es derzeit so, dass Baufirmen ihren Arbeiter:innen ab 32,5 Grad im Schatten hitzefrei geben können. Dann übernimmt die BUAK wie bei Hagel oder starkem Regen 60 Prozent der Lohnzahlungen. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht. Dagegen läuft die Gewerkschaft Bau-Holz Sturm. Sie fordert, dass die Baufirmen verbindlich die Arbeit einstellen lassen müssen, wenn die Quecksilbersäule 32,5 Grad erreicht. Alternativ sollen die Arbeiten in die kühleren Morgenstunden verlegt werden. Die Arbeitgeber:innen verweisen auf Zeitdruck, gesetzliche Hürden, Wettbewerbsnachteile – und winken ab.
Immer wieder Todesfälle
Vor dem Ernst-Happel-Stadion stehen drei Elektriker – der Firmenchef, ein ungelernter Helfer und eine Helferin. Hitzefrei bei 32,5 Grad? Der Boss findet die Forderung „eh nett“, nur handle es sich leider um „einen frommen Wunsch“. Die Arbeit müsse fertig werden und der Termindruck sei erheblich. Seine Mitarbeiterin stimmt dem zu. Hitze sei für sie zudem kein Problem, die finde sie „super“, so die junge Frau. Dabei fühle sie sich pudelwohl, je heißer, desto besser, sagt sie. Da halte sie ihren Kopf unter den Hydranten und schon gehe es weiter.
Ihr Kollege – er ist 58 Jahre alt – sieht das anders. In den Pagoden – nach oben spitz zulaufende Zelte – die er für Events mit Elektrik ausstattet, habe es fallweise 50 Grad, sagt er: „Du fühlst dich schlecht. Nach einem Arbeitstag sitzt du zuhause und weißt nicht: ,Habe ich Fieber?‘ Du bist müde und abgeschlagen“. Es gab Zeiten, da habe es in seiner Partie jeden Tag mindestens einen gegeben, dem es überhaupt nicht gut ging. „Der ist dann am Abend auf dem Bretterstapel gesessen und ihm war übel.“ Im Extremfall bricht der Arbeiter zusammen, muss ins Spital gebracht werden.
Der Erfahrung nach leiden die meisten stumm, immer wieder gibt es Todesfälle, die auf die Hitze zurückzuführen sind und von denen dann die Zeitungen berichten. Denn die höchsten Temperaturen werden erst am Nachmittag erreicht. Dann haben die Betroffenen schon acht Stunden Schwerarbeit in den Knochen, der Organismus ist bereits geschwächt.
„Auftraggeber gehen über Leichen“
Auf der Baustelle im Prater wird unterdessen eifrig gearbeitet. Ein Pflasterer ist jetzt zu einem Gespräch mit der WZ bereit. Die Hitze am Bau ist ein großes Thema, bestätigt er, wobei: „Die Ärmsten sind gar nicht wir, sondern die im Schalungsbau oder die Asphaltierer. Da hat es schon um zehn Uhr Vormittag 50 Grad.“ Generell hitzefrei ab 32,5 Grad ist für ihn illusorisch, da ist der Termindruck zu groß. „Die Auftraggeber gehen über Leichen, das ist allgemein bekannt“, sagt er. Das Wassertrinken allein helfe nichts bei Hitze, „weil du unterzuckert bist. Du verbrauchst enorm viel Energie, da braucht es dann Schokolade oder so etwas“. Aber: „Die Firma gibt dir oft nicht einmal ein Mineral.”
Eines ist außerdem klar: „Du wirst nie einen Bauarbeiter sehen, der sich in seiner Freizeit in die Sonne legt“, weiß der Mann. „Die Hackler halten sich nach der Arbeit drinnen auf, in der Garage oder im Keller.“
„Schau einmal, wer schwitzt“
Wobei es in Zeiten des Klimawandels immer auf den jeweiligen Menschen ankomme. Arbeiter aus der Türkei und aus Ex-Jugoslawien würden die Hitze ohne Probleme bewältigen, so der Pflasterer, „die sind das aus ihrer Heimat gewohnt“. In manchen Bereichen seien deshalb vor allem Afrikaner am Werk. „Bei den Eisenbindern zum Beispiel.“ Bei denen, die auf den Baustellen Eisengeflechte verlegen, die dann mit Beton ausgegossen werden. „Dort findest du oft Schwarze. Die tragen bei uns im Hochsommer einen Pullover, weil ihnen kalt ist“, so der Pflasterer.
Dem widerspricht ein türkischer Bauarbeiter in der Vorgartenstraße ganz deutlich. Ob ihm die Arbeit bei Hitze leichter falle als den österreichischen Arbeitskollegen, weil er aus der Türkei stammt? „Nein“, sagt er kurz und bündig, er könne Hitze zwar aushalten, aber leichter habe er es seiner Herkunft wegen nicht. Und die drei Arbeiter in der Stadionallee, wo Rohre verlegt werden, sind ebenfalls nicht in Österreich geboren. Einer, der gut Deutsch spricht, erklärt, wie es hier in punkto Hitze geregelt ist: „Ab 35 Grad gibt es jede Stunde zehn Minuten Pause“. Mehr nicht.
Gewerkschaft will Rechtsanspruch für Beschäftigte
„Was unsere Leute leisten, ist Schwerarbeit im Glutofen“, erklärt Bauarbeiter-Gewerkschaftschef Josef Muchitsch in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der WZ. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Unternehmen kaum hitzefrei geben würden. Also müsse es eine gesetzliche Lösung geben.
Zu oft zähle nur der Baufortschritt und nicht die Gesundheit der Arbeiter:innen, heißt es von Seiten der Gewerkschaft. Maßnahmen gegen die Hitze würden einem regellosen „Fleckerlteppich“ gleichen. Immerhin nehme die jetzige Regierung die Angelegenheit im Gegensatz zur vorigen ernst. Mehr Baustellen müssten in kühlere Jahreszeiten verlegt werden, die Bevölkerung müsse Verständnis haben, wenn die Arbeit am Bau schon um 6.00 Uhr starte.
Angst vor Wettbewerbsnachteilen
Allgemein sei es so, dass mache Betriebe im Angesicht des fortschreitenden Klimawandels durchaus Verantwortung zeigen würden, so die Gewerkschaft. Das Bauunternehmen Voitl & Co etwa. Hier wird gegenüber der WZ betont, dass bei Erreichen der 32,5-Grad-Marke alle Arbeiter:innen, die der Hitze ausgesetzt seien, heimgeschickt würden.
Bei Porr wird das nicht so gehandhabt. Der Baukonzern verweist in einer Stellungnahme gegenüber der WZ darauf, dass „Bauunternehmen die Hände gebunden“ seien, „weil es einerseits vielerorts nicht zulässig ist, die Arbeit noch früher in die Morgenstunden zu verlegen und andererseits ungeklärt ist, wie mögliche Nachmittags-Ruhezeiten rechtlich zu behandeln sind“. Hier pocht man darauf, dass gesetzliche Regelungen zum Thema hitzefrei von allen Unternehmen eingehalten werden müssten. Auch die Gewerkschaft verweist auf die Angst der Unternehmerseite, dass Firmen, die ihre Arbeiter:innen nicht schützen, bei der Auftragsvergabe eher zum Zug kämen, weil skrupellosere Anbieter:innen billigere Angebote stellen könnten. Hier seien in erster Linie die Auftraggeber:innen gefordert, heißt es bei Porr.
„Rahmen fehlt“
Bei Porr wird auch darauf hingewiesen, dass in klimatisierte Baucontainer und Klimaanlagen in Baukränen investiert würde. Die Strabag wiederum betont auf WZ-Anfrage, dass Kühltücher, Kühlwesten und Getränke zur Verfügung gestellt und die Arbeit nach Möglichkeit in kühlere Zeiten verlegt werde. Aber: „Der Forderung nach der verpflichtenden 32,5-Grad-Maßnahme fehlt es Stand heute noch an klaren Rahmenbedingungen“, so die Strabag. An verpflichtenden gesetzlichen Normen wird derzeit gefeilt, wie die Regelung dann genau aussieht, ist ungewiss.
Für einen Polier, der auf der Baustelle in der Vorgartenstraße ein strenges Regiment führt, ist jedenfalls klar, dass das Einstellen der Arbeit bei 32,5 Grad einfach nicht drin ist. Wie oft also hat es im letzten Jahr auf seinen Baustellen hitzefrei gegeben? Klare Antwort: „Nie“.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
- Zahlreiche Bauarbeiter auf verschiedenen Baustellen in Wien/Leopoldstadt, ein Polier, ein Elektrikermeister, ein Elektrikerhelfer, eine Elektrikerhelferin
- Kerstin Bach, Ingenieurin bei Voitl & Co, Baugesellschaft M.B.H.
- Thomas Trabi, Pressesprecher der Gewerkschaft Bau-Holz
Daten und Fakten
- Temperatur Juli 2024, Wetterstation 1030 Wien – Rennweg
- AK: Arbeiten bei Hitze
- AUVA: Was tun bei Hitze am Arbeitsplatz
- Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse
- Sommerbaustellen in Wien
- Die Gewerkschaft Bau-Holz hat eine Hitze-App für Bauarbeiter:innen entwickeln lassen. Damit können Betroffene selbst kontrollieren, ob es zu heiß ist.
- Der Polier weist den Bauerbeiter:innen die Aufgaben zu und ist für die technisch und zeitlich korrekte Ausführung der Arbeiten zuständig.
Quellen
- Schriftliche Stellungnahme von Josef Muchitsch, Chef der Gewerkschaft Bau-Holz
- Schriftliche Stellungnahme des Baukonzerns Porr
- Schriftliche Stellungnahme der Strabag
Das Thema in anderen Medien
- Kleine Zeitung: Trotz Hitze müssen Bauarbeiter weiterarbeiten
- Kleine Zeitung: Bauarbeiter kollabierte
- ORF: Bauarbeiter zusammengebrochen
- ORF: Gewerkschaft ortet Hitze-Toten auf Baustelle
- Krone: 46-Jähriger tot auf Baustelle zusammengebrochen