)
Dating-Apps haben das Kennenlernen revolutioniert und zugleich mühsamer gemacht. Fünf junge Menschen aus Österreich erzählen, wie sie sich zwischen Matches, oberflächlichen Chats und echten Begegnungen zurechtfinden.
Dating-Apps gehören längst zum Alltag. Ein Wisch nach rechts auf Tinder, Grindr, Bumble oder Hinge, und vielleicht ist es ein Match. Fast jede:r Dritte unter 30 in Österreich hat das schon ausprobiert. Aber das große Versprechen von grenzenloser Auswahl und schnellen Dates beginnt zu bröckeln: Aus Spaß wird Überforderung, aus Möglichkeiten werden Erwartungen. Dauerhafter Stress und Frust können zu „Dating-Burnout“ führen.
- Für dich interessant: Papa riecht schon wieder nach Alkohol
Und das Überraschende: Nur rund 14 Prozent der Beziehungen entstehen tatsächlich über Apps. Zwar hat circa die Hälfte aller 18- bis 29-Jährigen schon einmal Tinder, Bumble & Co. ausprobiert, doch die meisten von ihnen lernen sich immer noch klassisch kennen, über Freund:innen, bei der Arbeit oder durch Hobbys. Gleichzeitig sagen über 90 Prozent der jungen Menschen, dass Dating heute komplizierter sei als früher. Was auffällt: Während 63 Prozent der Männer unter 30 single sind, gilt das nur für 34 Prozent der Frauen.
Wie sich diese Zahlen in Real Life anfühlen, erzählen fünf junge Menschen aus Österreich:
Name: Anika
Alter: 29
Ort: Graz
Ich bin seit Jänner 2025 single. Am Anfang dachte ich, ich wäre schneller wieder bereit zu daten, habe Hinge und Tinder probiert. In Graz sieht man ständig die gleichen Gesichter, für mich wurde das wie eine Social-Media-App: rein, scrollen, Ego-Boost. Aber echte Gespräche waren zach. Ich habe die Apps gelöscht und will nicht, dass Dating eine Priorität ist. Wenn mich jemand im echten Leben interessiert, bin ich offen und versuche bewusster, available zu sein: öfter im Café arbeiten, Kopfhörer weglassen, Blickkontakt zulassen.
Kurz nach meiner Trennung habe ich mich spontan für eine Datingshow beworben. Mein Gedanke war: Wenn ich schon keine Apps nutze, ist das vielleicht eine Möglichkeit, offen für Neues zu sein. Nicht unbedingt die große Liebe, aber vielleicht ergibt sich etwas. Die Ausstrahlung steht noch aus, aber die Erfahrung war spannend.
Je älter ich werde, desto weniger Freundinnen sind single. Bei Familienfeiern werde ich gefragt, ob ich wen habe oder heiraten will. Was mich nervt, ist das Mitleid. Dabei war meine Beziehung beschissen, jetzt bin ich befreit und habe mehr Mental Space für Freund:innen und Projekte. Ich versuche, Männern in meinem Leben keinen Space zu geben, außer sie haben ihn sich verdient. Kleine Red Flags sind für mich nicht mehr klein.
Name: Mike
Alter: 25
Ort: Salzburg
In den letzten fünf Jahren war ich mit über 150 Leuten auf First Dates, meistens einfach auf einen Kaffee. Das fand ich gut, weil es unverbindlich ist: Man kann ein bisschen quatschen, schauen, ob man sich versteht, und notfalls auch leicht wieder gehen. Manche Treffen haben sich wiederholt, aus ein paar wurden Freundschaften oder Rave-Buddys, und vereinzelt gab es auch monogame Geschichten, die ein paar Monate dauerten.
Irgendwann wurde das fast wie ein Hobby für mich. Während andere Dates mit Stress oder Erwartungen verbinden, ist es für mich immer casualer geworden. Ich habe irgendwann fast alle Erwartungen abgelegt und mir gedacht: Ich treffe mich jetzt mit einer Person und schaue einfach, wie wir uns verstehen.
Mit der Zeit war das für mich fast wie ein mehrjähriges Selbstexperiment. Klar, es ist wahnsinnig viel Zeit in mein Datingleben geflossen, aber ich habe dabei viel über mich selbst gelernt – und auch über Menschen in Datingsituationen. Man erkennt Muster, die sich wiederholen, und ich glaube, meine Social Skills sind dadurch deutlich besser geworden.
Name: Lilli
Alter: 29
Ort: Wien
Seit 2017 nutze ich on-and-off Dating-Apps. Ich date vor allem über Hinge, früher viel über OkCupid, und habe dabei mitbekommen, wie sich Apps, Zielgruppen und Formate verändert haben. Die Apps sind für mich zwar ein wichtiger Kanal, aber oft auch sehr unpersönlich und unverbindlich. Manche Leute finden das total frustrierend, ihnen ist die Zeit dafür zu schade.
Abgesehen von Apps lerne ich viele Leute übers Tanzen kennen. Paartanz bringt engen physischen Kontakt und macht es leichter, auf freundschaftlicher Basis in Kontakt zu bleiben. Beim Urban Kizomba holen sich viele Leute auf der Tanzfläche die Nähe, die sie sonst nicht in einer romantischen Beziehung leben wollen. Es kann wunderschön sein, aber manchmal ist es auch cringe; trotzdem sind über die Jahre aus dem Tanzen etwa 20 romantische Begegnungen entstanden.
Insgesamt würde ich sagen: Apps und Tanzen halten sich ungefähr die Waage. Ich mag es, Leute bei Events organisch zu treffen; das fühlt sich oft natürlicher an als das ständige „Potenzial-Scannen“ auf Apps. Gleichzeitig versuche ich, Leute aus meinem direkten Alltag zu meiden: Zu viel Überschneidung macht alles komplizierter.
Name: Victoria
Alter: 33
Ort: OÖ/Wien
Irgendwann habe ich mir gedacht: So, jetzt löschst du den Scheiß, weil es absolut gar nichts bringt. Ich habe nicht nur die Apps vom Handy genommen, sondern wirklich alle Profile gelöscht, ich wollte einen Clean Cut machen. Und danach war ich so: Ja geil, warum hab ich das nicht schon viel früher gemacht?
Seit meiner Trennung vor drei Jahren habe ich viel an mir gearbeitet, war in Therapie und habe meine Themen in Angriff genommen. Aber wenn ich date, habe ich das Gefühl, dass viele „moderne“ Männer gefühlsmäßig total gehemmt sind. Sie droppen ein bisschen Therapy Speech, sagen, Kommunikation sei wichtig, und wissen im Endeffekt gar nicht, was das bedeutet. Selbst das erste Date ist schon emotionale Arbeit, es ist auslaugend und anstrengend.
Auf dem Datingmarkt müssten eigentlich die Frauen das Sagen haben. Aber so ist es nicht. Stattdessen läuft es oft so, dass ich erst mal zeigen muss, was ich alles „to the table“ bringe, und am Ende sagt der Typ dann hopp oder top. Diese Dynamik schleicht sich ein, egal wie reflektiert man eigentlich sein möchte.
Name: Roland
Alter: 26
Ort: Schrems/Wien
Mit 16, 17 habe ich über Apps angefangen, erste Erfahrungen zu machen. Am Land ist es schwierig, nicht ausschließlich die paar queeren Leute zu sehen, die man eh schon kennt. Es war immer ein Abwägen: Werde ich getötet, ist die Person echt, oder kann ich eine gute Zeit haben? Planet Romeo war extrem explizit, auf Grindr habe ich viel geschrieben, aber selten wen getroffen. In Wien wurde es leichter, trotzdem waren viele Gespräche reduziert auf: Wann treffen wir uns, wann haben wir Sex?
Online-Dating fällt mir schwer, weil das Bild, wie sich die Person selbst darstellt, und jenes, wie man sie wirklich wahrnimmt, so auseinanderklaffen. Auf Apps sehe ich drei Fotos und hab sofort eine Vorstellung im Kopf, die selten etwas mit der Realität zu tun hat. Im echten Leben habe ich sofort Vibe, Sprache, Tonalität – und merke, wie jemand wirklich ist.
Gerade habe ich nicht die Kapazitäten für Dating. Grindr verwende ich nicht mehr, Feeld schaue ich mir an. Sexualität habe ich viel online ausgelebt, auf Foren und Plattformen: ein guter Modus, weil man Kontrolle hat. Längerfristige Verbindungen entstehen für mich eher offline. Ich wünsche mir, dass Leute ASAP und offen kommunizieren und nicht unter einem Deckmantel agieren oder sich unter vier Augen komplett anders verhalten. Cards on the table.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Madeleine und Mimi haben wie so oft in ihrer Mittagspause über Dating gesprochen und sich gefragt, wie da gerade so der Vibe ist. Aus diesem Grund haben sie mit fünf jungen Menschen aus verschiedenen Teilen Österreichs gesprochen und nachgefragt.
Gesprächspartner:innen
Die Namen der fünf Interviewten wurden von der Redaktion geändert.
Daten und Fakten
- Dating-Apps sind Standard: 53 % der 18–29-Jährigen haben schon Apps genutzt, am häufigsten Tinder (79 %).
- 91 % der Männer und 94 % der Frauen finden, dass Dating heute komplizierter ist als früher.
- 47 % der unter 30-Jährigen sind laut einer Studie des Pew Research Center single. Besonders auffällig: 63 % der Männer unter 30, aber nur 34 % der Frauen.
Besonderheiten der Gen Z:
- Viele fühlen sich noch nicht bereit für eine Beziehung (69 %).
- Sie gelten als sexuell zurückhaltender: 29 % finden, Sex sollte erst in einer festen Beziehung stattfinden.
- Nur 49 % wollen irgendwann Kinder, weniger als frühere Generationen.
- Rund ein Drittel hat schon mit KI als „romantischem Companion“ interagiert.
)
)
)