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„Ich hatte Angst“: Julias Weg als junge Transfrau

8 Min
„Mein größter Wunsch? Ein Mädchen zu sein", sagt Julia.
© Fotocredit: Zoe Opratko

Dass sie sich in dem männlichen Körper, in dem sie geboren worden war, nicht richtig wohlfühlte, wusste Julia schon lang. Dass ihr Weg eine Geschlechtsanpassung ist, wurde ihr erst mit 16 bewusst – heute ist sie 26 und am Beginn der Hormontherapie.


„Mein größter Wunsch? Ein Mädchen zu sein. Das hatte ich schon in der Volksschule in das Freundschaftsbuch einer Mitschülerin geschrieben“, erzählt Julia. Die heute 26-Jährige galt damals biologisch als Bub. Begriffe wie Transidentität oder Genderdysphorie kannte sie noch nicht. Sie spürte nur gewisse „Unstimmigkeiten“, wie sie es nennt – und zwar von Anfang an. „In der Umkleide für den Sportunterricht habe ich mich zum Beispiel nie wohlgefühlt. Oder beim Schwimmunterricht: Mir war es unangenehm, oben ohne zu sein.“

Bis Julia diese Unstimmigkeiten benennen konnte, sollten Jahre vergehen. Erst mit 16 wurde ihr vor allem über Online-Freund:innen bewusst, dass es auch andere gab, die ähnlich wie sie fühlten. „Ich habe bemerkt: Okay, das gibt's – und das fühlt sich richtig an“, sagt sie beim Gespräch mit der WZ, für das sie in die Redaktion gekommen ist, unauffällig gekleidet in Jeans und Hoodie. Die langen, braunen Haare fallen ihr lockig ins Gesicht.

Ich habe bemerkt: Das fühlt sich richtig an.
Julia

Dieser Austausch mit den anderen sei für sie der wichtigste erste Schritt auf ihrem Weg zur Geschlechtsanpassung gewesen, erzählt Julia. Er habe ihr bewusst gemacht, „dass es nicht abnormal ist, wie ich fühle, und dass ich nicht automatisch leiden muss, weil es Menschen wie mich gibt, die mir zeigen: Ein erfülltes Leben ist möglich.“

Zwischen dem inneren und äußeren Coming-out

Etwa 0,8 Prozent der Menschen in Österreich erleben eine Genderdysphorie, sagt dazu Sexualtherapeut Johannes Wahala, der die vom Bund geförderte Sexualberatungsstelle Courage für LGBTQIA+-Personen und deren Angehörige in Wien leitet. Genderdysphorie bedeutet das Gefühl des körperlichen oder sozialen Unwohlseins durch Transidentität. Diese liegt vor, wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht übereinstimmt. Zwischen dem inneren und dem äußeren Coming-out vergehe meist viel Zeit. Bei Transmännern (Männer, die bei der Geburt einen weiblichen Geschlechtseintrag erhalten haben) seien es mehr als vier Jahre, bei Transfrauen fast sieben.

Der erste Mensch, dem sie sich mit 16 anvertraut habe, sei ihr damals bester Schulfreund gewesen, sagt Julia, während sie sich die Stirnfransen aus der Brille streicht. Bei ihm habe sie gewusst: „Er verurteilt niemanden.“ Danach habe sie Freund:innen verloren – aber auch welche dazugewonnen. Erst Jahre später habe sie es ihrer Mutter gesagt. Dann ihrem Vater. Vor der Reaktion ihrer Eltern habe sie sich am meisten gefürchtet und auch mit der Psychotherapeutin darüber gesprochen. Wie haben sie reagiert? „Eigentlich sehr positiv“, sagt Julia. „Meine Mutter war vielleicht ein bisschen schockiert, hat mich dann aber direkt unterstützt. Für meinen Vater war es etwas weniger greifbar. Es war ihm nicht ganz klar, was das jetzt bedeutet, und er hatte viele Fragen: Welche Schritte folgen jetzt? Ist das gefährlich?“ Beide hätten seit längerem vermutet, dass sich Julia irgendwann outen werde – allerdings als homosexuell.

Ein Foto von Julia.
Als erstes ließ sich Julia die Haare im Gesicht entfernen.
© Fotocredit: Zoe Opratko

Logopädie- und Sprachtraining gegen den Stimmbruch

Julia war 24 Jahre alt, als sie schließlich zu dem Schluss kam, eine Geschlechtsanpassung durchführen zu wollen, und die ersten Schritte setzte. Das war vor zwei Jahren: Sie ließ sich die Haare im Gesicht entfernen und absolvierte ein Logopädie- und Sprachtraining, durch das ihr Gegenüber gar nicht merkt, dass sie in der Pubertät bereits im Stimmbruch war. Sie spricht weich, leise und hoch. Gleichzeitig holte sie die Diagnostik durch eine:n klinische:n Psychologen/Psychologin, eine:n Psychiater:in und eine:n Psychotherapeuten/Psychotherapeutin ein. Ohne diese sind in Österreich keine Behandlungen durch Pubertätsblocker (verzögern das Einsetzen der Pubertät; dieser Vorgang ist reversibel), keine geschlechtsanpassenden Hormontherapien (irreversibel) und Operationen möglich. Liegt diese Diagnostik vor, übernimmt die Gesundheitskasse die Kosten.

Immer Jüngere bei der Sexualberatung

Begleitet wird Julia von Expert:innen der Beratungsstelle Courage. Laut deren Leiter Wahala werden die Menschen, die sich an diese wenden, immer jünger. Im Vorjahr seien 180 Personen 14 bis 18 Jahre alt und 186 Personen 19 bis Mitte 20 Jahre alt gewesen. Das waren mit Abstand die meisten pro Altersgruppe. Insgesamt waren es rund 560. 18 Personen waren unter 14 Jahre alt: „Bei diesen handelt es sich meist um Kinder, die sich aufgrund ihrer Abneigung gegen das eigene Genital selbst verletzen“, sagt Wahala zur WZ.

Bis 14 Jahre sei eine Beratung nur mit Zustimmung des/der Obsorgeberechtigten möglich. Für eine Behandlung braucht es diese Zustimmung bis zur Volljährigkeit. Pubertätsblocker sind ab Einsetzen der Pubertät erlaubt, gezielte Hormontherapien mit Östrogen beziehungsweise Testosteron und auch Brustentfernungen ab 16. Alle weiteren geschlechtsanpassenden Operationen dürfen in Österreich erst ab Eintritt der Volljährigkeit durchgeführt werden, und nur bei intergeschlechtlichen Menschen, die ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale zur Welt gekommen sind, bereits ab der Einwilligungsfähigkeit und damit ab 14 Jahren.

Eine Tablette täglich gegen das Testosteron

Julia nimmt seit etwa eineinhalb Jahren Hormone. Eine Tablette täglich gegen das Testosteron, mittlerweile etwas weniger, und ein Gel für das Östrogen. Nebenwirkungen spüre sie keine – die Veränderungen ihres Körpers aber sehr wohl. „Den Wintermantel hab' ich mir vor drei Jahren gekauft, und er wird schon ein bisschen eng, weil an gewissen Stellen mehr da ist als früher", sagt Julia und zeigt auf ihren dunkelblauen, sportlich geschnittenen Mantel, der über dem Sessel hängt. Die Hosen passen ebenfalls nicht mehr, und auch emotional sei viel passiert. Vor allem zu Beginn der Therapie sei sie wankelmütig gewesen und volatil.

Die Hormone muss Julia ein Leben lang nehmen. Ob sie sich auch operieren lassen möchte, weiß sie noch nicht so genau. „Ich denke aber schon, ja“, sagt sie schließlich. Zwischen dem Start der Hormontherapie und der Operation sollten ohnehin mehrere Jahre liegen. Zudem ist die Warteliste für die Ambulanz für Varianten der Geschlechtsentwicklung am AKH Wien, wo diese Operationen durchgeführt werden, lang.

Als nächstes habe sie eine Personenstandsänderung geplant. Dafür braucht es erneut das Gutachten einer Fachärztin/eines Facharztes, dass ein Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht besteht und dieses voraussichtlich weitgehend irreversibel ist. Sind alle Formulare korrekt eingereicht und bewilligt, ist Julia, die sich immer schon mit genau diesem Namen identifiziert hat, offiziell eine Frau und kann ihren Reisepass, ihren Meldezettel und sämtliche Dokumente ändern.

Ein Foto von Julia.
Julia kennt das Gefühl, diskriminiert zu werden – durch Blicke oder Beleidigungen.
© Fotocredit: Zoe Opratko

Jede Toilette ist falsch

Bis dahin fühle sie sich noch nicht zu 100 Prozent sicher, als Frau in der Öffentlichkeit aufzutreten, meint Julia. Zum Beispiel auch nicht, wenn es um die Entscheidung der Herren- oder Damentoilette geht. „Das ist wirklich etwas, das mir Angst macht. Weil ich theoretisch ja noch keinen Ausweis habe, der mir das Recht gibt, auf die Damentoilette zu gehen.“ Dass sie auf der falschen Toilette sei, hätten ihr schon mehrere Menschen gesagt: sowohl auf der Herren- als auch der Damentoilette.

An das erste Mal, als sie in der Öffentlichkeit ein Kleid anhatte, erinnert sich Julia ganz genau. Sie war damals 16 Jahre alt. „Ich war voll nervös. Aber es war eines der besten Gefühle, das ich je hatte“, sagt sie. Generell trage sie ihre Weiblichkeit nicht so offen nach außen wie vielleicht manch andere:r. Julia kleidet sich gern leger und kam auch zum WZ-Gespräch ungeschminkt. Diskriminierung habe sie dennoch bereits öfter erfahren. Meist in Form von Blicken, mitunter Beleidigungen wie, „dass mir jemand ,Schwuler' nachgerufen hat“. Doch auch als Frau spüre sie eine stärkere Diskriminierung in der Gesellschaft als damals, als sie nach außen noch als Mann gelebt hat, sagt Julia.

Deshalb habe sie anfangs auch Angst gehabt, ein Leben als Transfrau zu führen. Angst vor Diskriminierung. Angst, einer Randgruppe anzugehören. Fragen wie „Was bedeutet das für mein Leben? Was für meine Karriere?“ geisterten ihr durch den Kopf. Bereut habe sie ihre Entscheidung, mit der Geschlechtsanpassung zu starten, aber nie. Mit jedem Schritt habe sie sich freier gefühlt. Erleichtert. Selbstbewusst.

Kaum jemand bereut die Geschlechtsanpassung

Nur 0,5 Prozent der Transfrauen (Frauen, die bei der Geburt einen männlichen Geschlechtseintrag erhalten haben) und 0,3 Prozent der Transmänner bereuen die Geschlechtsanpassung, präzisiert Wahala. Das hätten Hochrechnungen der Daten der großen spezialisierten Behandlungszentren für transidente Menschen gezeigt. Warum der Anteil bei den Transfrauen höher ist, erklärt Wahala folgendermaßen: „Vermutlich deswegen, weil Frauen mit männlichen Zügen eher verspottet und diskriminiert werden als weiblich wirkende Männer. Außerdem ist Testosteron das stärkere Hormon.“

Julia ist mittlerweile glücklich, wenn sie sich in den Spiegel schaut. „Das hat sich erst in den vergangenen zwei Jahren so entwickelt“, sagt sie. Früher sei sie es nicht gewesen. Auch auf alten Fotos wollte sie sich nie sehen: „Das hat einfach nicht gepasst.“

Sie hatte schon mehrere Partner:innen unterschiedlichen Geschlechts, ist aktuell in einer Beziehung und auch in der Community integriert. Diese sei stark, sagt Julia. Allen, die vor einer ähnlichen Entscheidung stehen wie sie selbst es tat, rät sie, zu einem Beratungsgespräch zu gehen. „Für mich war das Wichtigste, zu erleben, nicht allein zu sein. Den Raum zu haben, offen sprechen zu können. Und zu sehen, dass sich andere trauen, sich so, wie sie sind, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dann traut man sich das vielleicht auch.“

Ein Foto von Julia.
Zu erleben, nicht allein zu sein: Das war für Julia das Wichtigste.
© Fotocredit: Zoe Opratko

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Infos und Quellen

Genese

Julia K. ist die Tochter einer guten Freundin von WZ-Redakteurin Petra Tempfer. Als sie auf einer langen Autofahrt von Wien zu einem Konzert nach München einmal sehr viel Zeit zum Reden hatten, keimte in Petra Tempfer die Idee, über das Thema der sexuellen Identität zu berichten.

Gesprächspartner:innen

  • Julia K. ist 26 Jahre alt, hat eine HTL besucht und studiert Physik.

Ein Foto von Julia.
Julia war 24 Jahre alt, als sie schließlich zu dem Schluss kam, eine Geschlechtsanpassung durchführen zu wollen.
© Fotocredit: Zoe Opratko
  • Johannes Wahala ist Sexualtherapeut, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften sowie Leiter der Sexualberatungsstelle Courage für LGBTQIA+-Personen und deren Angehörige, die vom Bund, der Stadt Wien und dem Land Niederösterreich gefördert wird.

Daten und Fakten

  • Sexuelle Orientierung: Diese beschreibt, zu Menschen welchen Geschlechts beziehungsweise welcher Geschlechter sich jemand emotional, körperlich und/oder sexuell hingezogen fühlt – etwa homo-/bi-/heterosexuell.

  • Cis-Personen oder auch cisgeschlechtliche Personen sind Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Sex übereinstimmt, der ihnen bei ihrer Geburt anhand der Genitalien zugeschrieben wurde.

  • Transidentität: Diese liegt vor, wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht übereinstimmt.

  • Genderdysphorie: ein Gefühl des körperlichen oder sozialen Unwohlseins durch Transidentität.

  • Nichtbinär: Dieser Überbegriff umfasst alle Menschen, die sich weder männlich noch weiblich verorten.

  • Queer ist eine Bezeichnung, um eine Identität jenseits von Kategorien wie Mann, Frau, heterosexuell und lesbisch und schwul zu beschreiben.

  • Genderfluid (auch genderqueer) beschreibt ein „flüssiges“ Geschlecht. Das bedeutet, dass sich das Geschlecht mit der Zeit oder in Abhängigkeit von Situationen ändert.

  • Intergeschlechtlichkeit: Intergeschlechtliche Menschen werden mit Genitalien geboren oder besitzen Geschlechtsmerkmale chromosomaler, anatomischer und/oder hormoneller Natur, die nicht den „klassischen Idealen“ eines rein männlichen oder weiblichen Körpers entsprechen (www.vimoe.at).

  • LGBTQIA+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersex, Asexual sowie alle weitere, die nicht unter den Genannten sind.

  • Geschlechtsanpassende Operationen sind in Österreich erst ab Eintritt der Volljährigkeit erlaubt und nur bei intergeschlechtlichen Menschen, die ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale zur Welt gekommen sind, bereits ab der Einwilligungsfähigkeit und damit ab 14 Jahren. Gezielte Hormontherapien mit Östrogen beziehungsweise Testosteron und auch Brustentfernungen sind generell ab 16 Jahren möglich und Pubertätsblocker ab Einsetzen der Pubertät.

  • Transgender Team Austria

  • TransX Verein für TransGender Personen

  • Sexualberatungsstelle Courage für LGBTQIA+-Personen und deren Angehörige

  • Beratung und Bildungsangebot Hosi Wien

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien